2025 wird es in Deutschland kälter

Kanzler Scholz beendet Ampel-Regierung – Bundestagsneuwahlen am 23. Februar 2025

Dieser Beitrag erscheint in der Sperre, Ausgabe Winter 2024, die Anfang Dezember kostenfrei in Münster verteilt wird.

Kamala Harris und mit ihr die Linksliberalen in den USA sind krachend gescheitert. Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück. Er wird in seiner zweiten Amtszeit die Welt mehr verändern, als es ihm in der ersten Präsidentschaft von 2017 bis 2021 gelang. Neben der Beschleunigung des Klimawandels werden die Leidtragenden dieses erneuten Politikwechsels in Washington in den USA insbesondere die Migrant*innen und zudem die wirtschaftlich benachteiligten Menschen sein, in Europa die Ukrainer*innen insbesondere in den östlichen Landesteilen und im Nahen Osten die Palästinenser*innen. Zudem wird die produzierende Wirtschaft außerhalb der USA Probleme mit dem Absatz ihrer Güter bekommen. Nach dem Zusammenbruch der Ampel in Berlin droht nun im Windschatten des Rechtsrucks in den USA sowie der EU auch in Deutschland ein Politikwechsel.

Bemerkenswert ist, dass die Regierung bei der Aufstellung des Haushaltes vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung in der Koalition gescheitert ist. Wie seiner Zeit Bundeskanzler Gerhard Schröder, der auf eine verlorene Wahl in Nordrhein-Westfalen zu Neuwahlen im Bund blies, hat auch Olaf Scholz mit der Wahl in den USA einen äußeren Anlass zur Beendigung der Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gewählt. Dabei lässt sich der noch amtierende Kanzler – anders als sein sozialdemokratischer Vorgänger – nicht von seinen individuellen Vorstellungen blenden, sondern sieht in der vorgezogenen Neuwahl mit von ihm gesetzten Themen seine letzte Chance.

Wirtschaft und Finanzen im Zentrum der Bundestagswahl

Olaf Scholz ist überzeugt, dass er für eine arbeitsplatz- und exportorientierte Wirtschaft steht und zudem als ehemaliger Finanzminister unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel für kreative Finanzwirtschaft prädestiniert ist. So wie er 2021 mit der Betonung des Respektes voreinander den Ton der Zeit traf, glaubt der gebürtige Osnabrücker nun mit Wirtschaft und Finanzen punkten zu können. Die Chancen, dass diese Themen den Wahlkampf dominieren werden, sind nicht schlecht, denn neben Scholz und seiner SPD dürfte auch CDU-Gegenkandidat Friedrich Merz, ehemaliger Deutschlandrepräsentant des weltgrößten in New York ansässigen Vermögensverwalters BlackRock, und die Christdemokraten sowie der entlassene FDP-Finanzminister Christian Lindner, der nach der Neuwahl in neuer Koalition wieder Finanzminister werden will, mit diesen Themen punkten wollen. Auch der grüne Frontmann, Wirtschaftsminister Robert Habeck, setzt schon von seiner bisherigen Regierungstätigkeit in Berlin her auf das Thema Wirtschaft. Dabei dürfte bei den Grünen, wie schon nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, der Schutz des Klimas, der Natur und der Umwelt in den Hintergrund rücken. Bleibt schließlich die Frage, was bedeutet dieser Wahlkampf und schließlich sein wahrscheinlicher Ausgang mit einer von Merz geführten Koalition für das Soziale?

FDP als Zünglein an der Waage

Die Reichen und insbesondere die Superreichen, die schon von der Trump-Wahl und der neuen rechtsgerichteten EU-Kommission stark profitieren, werden zweifelsfrei die Wahlsieger sein. Die CDU und die CSU in Bayern werden gemeinsam die meisten Stimmen bekommen und damit die führende Kraft in der zukünftigen Bundesregierung sein. Gut für vermögende Menschen – schlecht für die Öffentliche Infrastruktur, für die Kommunen, für die finanziell nicht privilegierte untere Hälfte der Bevölkerung sowie für das Klima.

Die Sozialdemokraten werden nach der Wahl zerrissen sein, denn die Machtorientierten werden in die Merz-Regierung drängen, während Sozis mit sozialem Gewissen in die Opposition wollen und vielleicht sogar gemeinsam mit Linken, Ökolog*innen, Rentner*innen, Bürgergeldempfänger*innen und den prekär im Niedriglohnsektor beschäftigten Menschen auf der Straße demonstrieren.

Die FDP wird alles versuchen, Leihstimmen der CDU zu ergattern, um so in den Bundestag zurückzukehren und wieder das Zünglein an der politischen Waage Bundesregierung zu sein. Mit ihrem Programm erreichen die deutschen Liberalen nur ein oder zwei Prozent der Menschen, weshalb die fehlenden drei Prozent mit Wahlversprechen gegenüber Wähler*innen anderer Parteien – insbesondere bei CDU und CSU – geholt werden müssen. Spricht sich Merz für eine Koalition mit der FDP aus, dürfte die Strategie erfolgreich sein.

Die Grünen regieren, wo sie können. Egal, ob als chancenloser Kanzlerkandidat oder als Spitzenkandidat seiner Partei wird Robert Habeck einen Wahlkampf führen, der die Grünen als „Partei der Mitte“ präsentiert. So behalten sie alle Optionen offen, wobei sie vermutlich nur in der vor sieben Jahren durch Lindner gescheiterten „Jamaika-Koalition“ eine echte Regierungs- und Machtoption besitzen. Ihren ehemaligen Markenkern Ökologie und Nachhaltigkeit werden sie unter dem Schlagwort „Grüner Kapitalismus“ und der Forderung nach mehr individueller Selbstverantwortung tarnen. Ob es zur Regierungsbeteiligung reicht, hängt aber allein vom Vertrauen und damit Wahlverhalten ihrer zuletzt ständig und auf allen politischen Ebenen enttäuschten Stammklientel ab.

AfD wird nur von Linken und Sahra Wagenknecht bekämpft werden

Auch die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ hat ihren Markenkern durch den aktuellen Regierungssturz in Berlin und die Entwicklungen in Brüssel und Washington verloren. Migration ist im nach rechts wandernden Europa nur noch ein Sicherheitsthema an den Grenzen der Vereinigung. Zwar werden die Rechten weiterhin die massenhafte Ausweisung aller oder vieler zugewanderter Menschen propagieren, doch die von Scholz, Merz, Lidner und Habeck gesetzten Wahlkampfschwerpunkte Wirtschaft und Finanzen wird den nächsten Wahlerfolg der AfD verhindern.

Bekämpfen werden die AfD im Wahlkampf lediglich die vom Untergang bedrohten Mitglieder der Linkspartei sowie die ehemaligen Linken in der Wagenknecht-Gruppierung. Parteigründerin Sahra Wagenknecht und ihre Gefolgschaft haben durch Trumps Sieg ihre bisherige Erfolgsstrategie Friedenspolitik und damit auch ihr Alleinstellungsmerkmal verloren, da die Ukraine im nächsten Jahr von der Trump-Administration in den USA in einen Waffenstillstand gezwungen werden wird. Bleibt auch den Links-Abtrünnigen nur im Wahlkampf der Versuch, dass lediglich von kleinen Teilen der SPD und den Grünen bearbeitete Feld der sozialen Gerechtigkeit erfolgreich zu besetzen. Den angeblich woken Linksliberalismus zu bekämpfen, wird kein Wahlkampfhit von Wagenknecht, da alle Ausgegrenzten, Diffamierten und Abgehängten im kommenden Wahlkampf von allen oben genannten Parteien links liegen gelassen werden.

Linkes Potential ist aktuell begrenzt

Bei Wahlen in Deutschland dürfte zur Zeit das Potential für linke Wirtschafts- und Sozialpolitik bei rund neun Prozent liegen. Ob nun die einen sechs (Wagenknechte) und die anderen (Linkspartei) drei oder beide nur jeweils 4,5 Prozent bekommen, hängt einerseits vom Wahlverhalten der links fühlenden Stammwähler*innen von SPD und Grünen ab und andererseits von der Schwerpunktsetzung der beiden um linke Wähler*innen konkurrierenden Parteien. Weder AfD noch BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) werden außerhalb der migrationsfeindlichen Wähler*innengruppe mit dem Thema Zuwanderung beziehungsweise Abschiebung punkten können. Die Linke muss sich deshalb grundsätzlich nur in Abgrenzung zum BSW und zur AfD mit Migration im Wahlkampf beschäftigen. Zentral wird im linken Wahlkampf, wie es mit der sozialen Absicherung in Deutschland weitergeht? Diese Frage müssen Linke im Wahlkampfes überzeugend beantworten, wenn im nächsten Bundestag noch Parlamentarier*innen sitzen wollen, die sich um die untere Hälfte der Gesellschaft und deren Überleben kümmern möchten. Angesichts dieser aufgezeigten Perspektiven zur vorgezogenen Bundestagswahl, ist aber schon jetzt klar: Es wird in Deutschland klimatisch wärmer und sozial kälter werden.

„Ossi“-Identität ist generationenübergreifend stabil

Steffen Mau auf der Suche nach den Ursachen der ungleich vereinten Deutschen

Länger als eine Generation ist die einzige erfolgreiche Revolution in Deutschland schon her. Aus dem Aufbegehren mutiger, kritischer und überwiegend antiautoritär denkender Menschen wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) schließlich von Menschen mit Hoffnung auf ein westlich-konsumorientiertes Leben abgeschafft. Der Soziologe Steffen Mau von der Humbolt-Universität Berlin, ein gebürtiger Rostocker des Jahrgangs 1968, hat jüngst untersucht, warum fast 35 Jahre nach der Revolte noch immer ein großer Unterschied zwischen Menschen im Osten, also den gelegentlich noch immer „neue Bundesländer“ genannten Regionen, und den Bewohner*innen der alten Bundesrepublik gibt.

Von blühenden Landschaften im Gebiet der ehemaligen DDR fantasierte damals der Bundeskanzler der Wiedervereinigung: Helmut Kohl von der bei der ersten Wahl im wiedervereinigten Deutschland erfolgreichen CDU. Aus seinen Versprechungen wurde bekanntlich nichts und heute machen die mit viel Westgeld (u. a. Solidaritätszuschlag) und EU-Förderung aufgemöbelten ostdeutschen Bundesländer eher Schlagzeilen mit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen für die rechtsradikale AfD und breitem Bekenntnis zum neugegründeten Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und deren Nähe zu Russland.

Bleibende Unterschiede

Der Wissenschaftler Steffen Mau analysierte die Unterschiede zwischen den wiedervereinten Deutschen in Ost und West. In seinem Buch „Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt“ nutzt er zur Erklärung, warum dies auch noch eine Weile so bleiben wird,den Begriff der „Ossifikation“. Dieser medizinische Begriff, der„Knochenbildung“ oder „Verknöcherung“ beschreibt, war schon vor über 20 Jahren von der damaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt in die Diskussion gebracht worden. Tatsächlich ergäbe er aber erst heute erkennbaren Sinn, weil auch die Nachwendegenerationen sich über ihr „ostdeusch sein“ definierten.

Eine seiner wesentlichen Erkenntnisse ist, dass es in vielen für die Einstellung und das Empfinden der Menschen entscheidenden Kategorien – von Wirtschaft über Politik bis hin zu Mentalität und Identität – „bleibende Unterschiede“ zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands gibt. Aus dieser Trennung sei auch der „Ossi“ begrifflich entstanden, dem tatsächlich in den alten Bundesländern keine „Wessi“-Identität gegenüberstünde.

Ostdeutschland sei im Gegensatz zum Westen ein „Land der kleinen Leute“ und leide unter anderem auch an „dramatischer Elitenschwäche“. Aus diesen realen Unterschieden sei ein neues „Ostbewusstsein“ entstanden, wie auch die Menschen in den Stadien und Arenen durch „Ostdeutschland, Ostdeutschland“-Rufe immer wieder lautstark verdeutlichen. Einerseitswürde auf die Familiengeschichte der Ostdeutschen zurückgeblickt und andererseits würde aus dem erlebten innerdeutschen Benachteiligung ein „Oststolz“ entwickelt, der sicherlich auch von nicht unerheblichen Trotz getragen sei. Mau will auch nicht ausschließen, dass es sogar Parallelen zum Phänomen der „Rekulturalisierung“ gibt, wie sie bei Angehörigen der zweiten und dritten Generation von Migranten vorkommen. Die Nachkommen sind sensibler für Diskriminierungen als ihre Eltern und Großeltern und treten gleichzeitig erheblich selbstbewusster auf. Das Bekenntnis „ostdeutsch“ zu sein, trägt zugleich die Forderung nach Gleichstellung und Anerkennung in sich. So ist für Steffen Mau klar, dass sich der Osten dem Westen, zumindest in nächster Zeit, nicht annähern wird, denn so Steffen Mau, es habe „jenseits ungleicher ökonomischer Bedingungen“ ein „eigenständiger Kultur- und Deutungsraum Ostdeutschland“ herausgebildet.

Mangelnde Bindung an Parteien und Institutionen der Bürgerschaft

Steffen Mau verweist auf die geringe Bindung der Menschen in Ostdeutschland an Parteien und Institutionen der Zivilgesellschaft. So seinen von 100 Wähler*innen weniger als einer Mitglied einer Partei. Zudem ist die ostdeutsche Parteienlandschaft, wie auch viele Landkreise durch den großen Männerüberschuss, sehr maskulin geprägt. 80 Prozent der Parteimitglieder seien Männer.

Warum die CDU in Ostdeutschland besser dasteht als die Ampelparteien, ist für Steffen Mau ganz klar: Die CDU hat aus der DDR die Blockflötenpartei übernommen. Dies war SPD oder den Grünen nicht möglich. Da sie erste Wahlsiegerin war, baute sie auch örtliche Strukturen aus oder auf, was ihr zu der heutigen Größe verhalf. Die FDP erreichte mangels sozialer Oberschicht und breiter beruflicher Selbständigkeit in der Arbeitnehmergesellschaft im Osten, dem „Land der kleinen Leute“, keine Bedeutung.

Anders sieht das bei der AfD aus, die sich als „Kümmerer-Partei“ vor Ort engagiert und den Unwillen der Menschen aufnimmt, die sich von denen da oben, was zumeist mit Merkel oder Ampel übersetzt wurde und wird, nicht repräsentiert fühlen. Die faschistoide Ausrichtung vieler aktiver AfDler berührt die Menschen wenig, offensichtlich auch wegen ihrer Ferne zur parlamentarischen Politik und ihren Mandatsträger*innen. Da sollen es doch für rund ein Drittel der ostdeutschen Wahlberechtigten auch „die“, gemeint ist die AfD und inzwischen auch das Bündnis Sarah Wagenknecht, einmal an der Regierung versuchen dürfen.

„Labor der Partizipation“ – basisdemokratische Elemente als Lösung

Steffen Mau analysiert bezüglich der Parteienbindung und den Institutionen der Zivilgesellschaft ebei vielen Menschen in Ostdeutschland ein großes Defizit. Wie oben in der „Verfestigungsthese“ beschrieben, wirkt in Ostdeutschland die „Geschichte in Strukturen und Identitäten nach“ (familiären Wohlstand, Geschlechterverhältnis, unzureichende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Grundlagen der SED-Diktatur). Mau hält die Ostdeutschen nicht für antidemokratisch oder politikverdrossen. Allerdings sei diese politische Kultur durch eine vor, um und nach 1989 spezielle „Parteienpolitikverdrossenheit“ gekennzeichnet, der, so Mau, mit konkreten, experimentierfreudigen Antworten aus dem „Labor der Partizipation“ begegnet werden könne oder auch müsse.

Als Lösungsansatz schlägt er eine leichtere Teilhabe der Menschen zum Beispiel durch starke Bürgerräte vor. Dadurch erhofft sich der Berliner Soziologe den Abbau der empfundenen Politikferne, wenn die Menschen oder ihre Nachbarn in Bürgerräten selbst (mit-)entscheiden dürften. Die „Ertüchtigungsmaßnahmen der Demokratie“ will Mau allesamt „von unten“ verwirklicht haben.

Auch verweist Steffen Mau darauf, dass „immer mehr Landräte und Bürgermeister nicht parteigebunden sind und über Wählerinitiativen ihr Amt“ erobern. Dies gemeinsam wirft die Frage auf, warum Mau, in dem sehr lesenswerten Buch, nicht auch Vergleiche zu den Auslösern der Revolution von 1989 und ihren basisdemokratischen und antiautoritären Zielvorstellungen, die sich insbesondere in „Runden Tischen“ zeigten, verfolgt. Vielleicht zeigt sich im Osten, insbesondere wenn die Nichtwähler einbezogen werden, eine zunehmende Ablehnung der Stellvertreterpolitik, wie sie in der DDR, aber auch heute – mit echten Wahlen ausgestattet – noch immer besteht. Doch noch gibt es außer lokalen Initiativen, die kaum zusammen arbeiten könnten, keine Bewegung oder Gruppe, die die (basis-)demokratischen, anti-autoritären und auf Selbstbestimmung ausgelegten Menschen abholt. Deshalb dürfte Mau recht behalten, dass die heutige Situation sehr fest sei.

Steffen Mau: Ungleich vereint; Berlin; Suhrkamp; 2024; 178 Seiten; 18 Euro; ISBN 978-3-518-02989-3; ausleihbar in der Hauptstelle und der Zweigstelle Gievenbeck-Auenviertel der Stadtbücherei Münster: Signatur EMP 4 MAU.

Neuer Schafspelz

Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ zeigt POE, dass Münster kein Platz für die Extreme Rechte hat

Die Rechtsradikalen bekommen in Münster weiterhin kein Bein auf den Boden. Mit ein Grund dafür ist die hohe Bereitschaft der Münsteraner*innen sich den extrem rechten Kräften klar und laut entgegenzustellen. Am Freitagnachmittag (4. Juni) beschallte die „Patriotic Opposition Europe“ (POE) überwiegend mit aufgezeichneten, sich wiederholenden Redebeiträgen stundenlang die Stubengasse. Rund 150 Münsteraner*innen versammelten sich schon eine Stunde vor der vom YouTube-Streamer Kevin Gabbe angemeldeten Kundgebung auf der Stubengasse, um gegen die Stimmungsmache der Coronaleugner*innen, Impfgegner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen aus dem Umfeld der sich in Münster auflösenden AfD zu demonstrieren.

Es darf keinen Platz für Rassismus, rechte Hetze, Antisemitismus und soziale Ausgrenzung geben. Daher: Kein Meter der POE, kein Meter dem Rassismus, kein Meter für antisemitische Verschwörungserzählungen.

Carsten Peters

Markus Rahmsdorf, bislang eher im direkten Umfeld der AfD Münster aufgefallen, hat sich offensichtlich mit einigen wenigen Rechten aus Nordrhein-Westfalen zu einer regionalen Sektion der „Patriotic Opposition Europe Berlin“ zusammengeschlossen. Seit dem 8. April 2020 gibt es diese Facebookgruppe. Erst in den jüngeren Post taucht Markus Rahmsdorf auch persönlich in den Posts auf. Nach seiner Aussage war es am vergangenen Freitag der erste Auftritt der NRW-POE in Münster. Bislang hatte die Gruppe lediglich (erfolglos) zu Montagsspaziergängen am Dom aufgerufen oder Ende Mai die Coronaleugner*innen von „Gemeinsam für Grundrechte“ bei einer Aktion am Aassee unterstützt.

Der früher im Ordnungsdienst der AfD tätige Rahmsdorf versucht mit der POE nun in einem neuen Schafspelz rechte Propaganda in Münster zu machen. Am Freitag liefen von 16 Uhr bis 20 Uhr unaufhörlich die Lautsprecher auf dem im Kreis Steinfurt angemeldeten schwarzen Pick-Up. Obwohl die Veranstalter sich einen bürgerlich-liberalen Anstrich geben wollten, so war die Veranstaltung offiziell als Kundgebung „gegen die Impfpflicht an unseren Kindern“ angemeldet, reagierte Markus Rahmsdorf schon in seinem ersten kurzen Redebeitrag auf die gewaltige Übermacht an Gegendemonstrant*innen, die er diffamierte und sogar als „Nazis“ titulierte.

Fast vier Stunden beschallten die Rechten die Stubengasse mit Reden vom Band. Gelegentlich ergriffen auch die vier oder fünf NRW-POE-Sympathisant*innen beziehungweise deren Mitglieder, wie zum Beispiel Markus Rahmsdorf (rechts im Bild), einmal das Mikro.

Der NRW-POE und dem Streamer Kevin Gabbe war der eigene Auftritt nicht der Dokumentation wert. Während der letzten Stunde der Kundgebung wurden schon alle kritischen Kommentare auf dem Livestream bei YouTube gelöscht. Stunden später nahm Gabbe dann das gesamte Vier-Stunden-Video aus dem Netz.

Auch Frank Fraune, geborener Buntrock, aus Nordwalde, der Anmelder der verschwörungsideologischen Autokorsos in Münster, stellte der POE seinen Lautsprecherwagen zur Verfügung und nahm auch an der Kundgebung teil, vermeldet Alles Münster: Für das „Keinen-Meter“-Bündnis wenig überraschend: „Die Corona-leugnenden Autokorsos von Herrn Fraune wurden von der extremen Rechten, u. a. der AfD, beworben und es nahmen regelmäßig Personen aus der extremen Rechten daran teil“, so Liza Schulze-Boysen, Sprecherin des Bündnisses, in einer Pressemitteilung. „Die Distanzierung hat Herrn Fraune sowieso niemand abgenommen. Dass er jetzt unverblümt gemeinsame Sache mit offenen Neonazis macht, überrascht uns wenig.“ Das Bündnis attestiert der Corona-leugnenden Szene seit längerem eine Offenheit für die extreme Rechte und hatte deshalb immer wieder zu Protesten aufgerufen. „Wir haben immer gesagt, dass diese Szene mit ihren (strukturell) antisemitischen Verschwörungserzählungen offen für die extreme Rechte und mit dieser inhaltlich oft auf der gleichen Wellenlänge ist“, ordnet Carsten Peters die neue Kooperation ein. Das bestätige sich nun eindeutig.

Extrem rechte Kräfte versuchen, Corona-Pandemie für ihre Zwecke zu nutzen

Das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ musste relativ kurzfristig zum Protest gegen den Auftritt der „Patriotic Opposition Europe“ aufrufen. Trotzdem fanden sich am Freitagnachmittag rund 150 Demonstrant*innen in Münsters Innenstadt ein, um den Rechtsextremen und Impfgegner*innen, die aber – anders als die Gegendemonstrant*innen – bei den Passant*innen oder Café-Gästen keine Unterstützung fanden. Maximal zehn POE-Sympathisant*innen nahmen an der Kundgebung teil. Münster ist, auch Dank des aktiven Bündnisses, eben kein Platz für rechte Propaganda.

Carsten Peters: „Nur die Fassade ist bürgerlich

Zum Auftakt der Gegendemonstration sprach Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis“: Wir wenden uns erneut dagegen, dass in Münster wieder extrem rechte Kräfte versuchen eine Veranstaltung durchzuführen. Diesmal versuchen sie aktuelle Entwicklungen der Bekämpfung der Corona-Pandemie für ihre Zwecke zu nutzen.

Die sogenannte „Patriotic Opposition Europe“ existiert seit wenigen Jahren und hat sich aktuell an seit längerem thematisch an die Aktivitäten der verschwörungsideologischen „Corona-Leugner*innen“ dran. Die bürgerliche Fassade dieser Gruppierungen ist eben nur Fassade. Man versucht an die Sorgen von Menschen anzuknüpfen, erklärt „nicht rechts zu sein“ – das Gegenteil ist jedoch zutreffend.

Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis“.

In Münster und NRW wird die POE durch Markus Rahmsdorf vertreten. Der 1991 geborene Rahmsdorf ist eng vernetzt im extrem rechten Spektrum und hielt für die POE unter anderem auf deren Kundgebung am 3. August 2019 in Berlin eine Rede. Die Bühne teilte er sich unter anderem mit dem Neonazi Sven Liebich aus Halle, der bis zum Verbot 2000 Aktivist der militanten Neonazi-Organisation „Blood & Honour“ war und derzeit einen Versandhandel für rassistische Aufkleber betreibt.

Rahmsdorf gehört dem Umfeld der AfD Münster an und war als Security-Mann bei AfD- Wahlkampfständen eingesetzt und ist klar dem Neonazispektrum zuzurechnen. Begleitet wird er von dem Neonazi Kevin Gabbe, der bei Versammlung vorrangig als „Streamer“ mit Kamera auftritt und die heutige rechte Versammlung angemeldet. Die extrem rechte Versammlung heute hat Grabbe angemeldet. Gabbe bewegte sich im Umfeld Neonazi-Partei „Die Rechte“ und Pegida NRW. Seit gut einem Jahr ist er vor allem im Umfeld von „Querdenken“- Demos im Ruhrgebiet unterwegs.

Hier wird das politische Spektrum sichtbar, das sich bei den verschwörungsideologischen „Corona-Leugnern“ eingereiht hat. Die Münsteraner Gruppe mit dem harmlosen Namen „Gemeinsam für Grundrechte“ hat den Aufruf ebenfalls geteilt und sich den Neonazi-Aufruf zu eigen gemacht. Dort hat es nie Distanzierungen gegenüber dem extrem rechten Spektrum gegeben.

Das Vorstandsmitglied der extrem rechten Münsteraner AfD Karl-Heinz Kramer konnte bei den Autokorsos mitmachen gegen die wir ebenfalls protestiert haben. Kramer war es, der die AfD-Kommunalwahlliste verlassen musste, da er Inhalte der Nazi-partei „Der III.Weg“ geteilt hatte.

Deutlich werden damit eine politische Nähe und eine Haltung, die wir stets kritisiert haben. Formale Distanzierungen von „Extremisten“ waren eben stets nur formal. Die Rechtsoffenheit der „Corona-Leugner*innen“ war von Anfang an da.

Denn die Gedankenwelt der Verschwörungsideologen hatte stets klare Bezüge zu extrem rechtem, menschenfeindlichem Denken: Keine Solidarität mit Alten und Kranken, kein Masken-Tragen. Wer schwächer ist, wer krank ist, stirbt. Das ist im Kern eine faschistische Mentalität, eben das Recht des Stärkeren, des Gesünderen. Rücksichtnahme, Verantwortungsgefühl – das sind dort Fremdworte. Verbunden mit Verschwörungserzählungen, deren Kern letztlich antisemitisch ist. Da werden demokratisch Gesetze in der Pandemie mit dem „Ermächtigungsgesetz“ der Nazis gleichgesetzt, das den Weg in die Diktatur ebnete.

Zugleich ist es eine Umkehr, die genau zu beobachten ist: Die Relativierung des Faschismus, die Relativierung des Dritten Reiches, von Diktatur, Konzentrationslagern und Massenmord. Dem müssen wir von Anfang an konsequent entgegentreten.

Wir bleiben solidarisch. Mit den Beschäftigten in der Pflege, in den Krankenhäusern, mit den Beschäftigten des Einzelhandels, denen, denen, die für anderen da sind. Die, die dafür sorgen, dass Leben gerettet werden, die anderen helfen.

Erneut treten wir einer extrem rechten Gruppierung entgegen, die versucht hier vor Ort aktiv zu werden. Es darf keinen Platz für Rassismus, rechte Hetze, Antisemitismus und soziale Ausgrenzung geben. Daher: Kein Meter der POE, kein Meter dem Rassismus, kein Meter für antisemitische Verschwörungserzählungen.

VIELFALT! Das bunte Münster

Themen der aktuellen Ausgabe: Rumpelstübchen, E-Center, May Ayim, Schweinemastbetrieb, Paul Wulf

Das Blättchen für öffentliche Angelegenheiten „VIELFALT! Das bunte Münster“ 1 / 2021 ist erschienen. „Bleibt das Rumpelstübchen?“ wird auf Seite eins gefragt. Hintergrund ist ein Konflikt zwischen den im Verein „Rumphorst-Viertel i.Gr.“ und dem von der Diakonie getragenen und von der Stadt Münster finanzierten Quartiersmanagement in Rumphorst.

Prakash Chandra Lohani ist Mitglied in der AfD und im September 2020 zum zweiten Mal in den Intergrationsrat der Stadt Münster gewählt worden. Passt das zusammen?

Die Münsteraner Firma Stroetmann will am Hansaring ein 3000 m² großes Einkaufszentrum errichten. Viele Menschen im Viertel möchten dies nicht. Der Rat der Stadt Münster hat nun mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP einen zweiten Versuch gestartet, einen rechtsgültigen Bebauungsplan aufzustellen. Drei Vereine aus dem Hafen-Hansa-Quartier rufen aktuell auf, Einspruch gegen den Weiterbau der aktuellen Ruine auf dem ehemaligen Postgelände einzureichen. Sarah Geselbracht von der Münsterliste schlägt vor, die im Einzugbereich des Projektes wohneneden Menschen über die Zukunft der Baumaßnahme abstimmen zu lassen.

Der Antifaschist Paul Wulf, Opfer der Nazis, wäre am 2. Mai 100 Jahre alt geworden. Der Freundeskreis hat ein Buch zu diesem Ereignis ein umfangreiches, dokumentarisches Buch veröffentlicht. „Ich lehre euch Gedächtnis“ sollte gekauft und gelesen werden.

Der letzte deutsche Kaiser war nicht nur Antisemit sondern auch militaristisch, nationalistisch und antislawisch eingestellt. Zudem stand er an der Spitze der Kolonialmacht Deutschland, die besonders in Afrika unterdrückte und auch massenhaft tötete. Der Genozid an den Herero und Nama ist ein weithin unaufgearbeitetes Kapital deutscher Gewaltherrschaft. Die Lyrikerin und politische Vorkämpferin für Afro-Deutsche und Schwarze in Deutschland, May Ayim, wuchs in Münster auf. Verschiedene Gruppen aus Münster möchten den Kaiser-Wilhelm-Ring als Zeichen gegen Kolonialismus und Rassismus in May-Ayim-Ring umbenennen. Dies als Anerkennung der schriftstellerischen und politischen Arbeit vom May Ayim, die für ein gleichberechtigtes Leben aller Menschen – egal welcher Hautfarbe – eintrat.

Die aktuelle Ausgabe als pdf.