Butter statt Kanonen – Umverteilung jetzt!

„Es sind wahrlich makabre Zeiten, in denen wir leben.“ – Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Für die Winterausgabe 2024 der Sperre, dort erschien das Gespräch gedruckt, interviewte Werner Szybalski den in Köln lebenden ehemaligen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten und prominentesten Armuts-, Reichtums- und Verteilungsgerechtigkeitsforscher in Deutschland.

Im Land, auch in Münster, nimmt die soziale Ungleichheit seit Jahren zu. Warum ist das so und welche Bedeutung haben die „Zeitenwende“ mit ihrer zusätzlichen Rüstungsanstrengung, welche Rolle spielt unsere Wirtschaftsstruktur, welche die Eigentumsverhältnisse und warum gibt es keinen gerechten Verteilungsmechanismus? Antworten gibt Christoph Butterwegge, der politisch und meinungsfreudig ist:

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron (l.) wird von Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe begrüßt. Foto: Stadt Münster

Du warst am 28. Mai dieses Jahres zufällig in Münster, als der französische Präsident Macron im Historischen Rathaus den mit 100.000 Euro dotierten Internationalen Preis des Westfälischen Friedens für besonderes Engagement für Frieden und Verständigung der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe erhielt. Kurz zuvor hatte Emmanuel Macron, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern, nicht ausgeschlossen, dass sich französische Bodentruppen auf Seiten der Ukraine am Krieg beteiligen könnten. Passt diese Überlegung des Präsidenten zum Friedenspreis?

Christoph Butterwegge: Überhaupt nicht. Es sind wahrlich makabre Zeiten, in denen wir leben. Da wird dem französischen Präsidenten ein Friedenspreis verliehen, obwohl er den russisch-ukrainischen Krieg eskalieren und die Weltkriegsgefahr potenzieren will. Übrigens titelte die Süddeutsche Zeitung genau zwei Monate später „Raketen für den Frieden“, kurz nachdem Olaf Scholz am Rande des jüngsten NATO-Gipfels der Stationierung von „abstandsfähigen Präzisionswaffen“ in Deutschland zugestimmt hatte, und meinte es nicht etwa ironisch. Dabei hatte Helmut Schmidt, sein Vorvorgänger als sozialdemokratischer Bundeskanzler, schon in dem 1961 erschienenen Buch „Verteidigung oder Vergeltung“ erklärt, was die neue Aufrüstungsinitiative so abenteuerlich macht: „Landgestützte Raketen gehören nach Alaska, Labrador, Grönland oder in die Wüsten Libyens oder Vorderasiens, keineswegs aber in dicht besiedelte Gebiete; sie sind Anziehungspunkte für die nuklearen Raketen des Gegners. Alles was Feuer auf sich zieht, ist für Staaten mit hoher Bevölkerungsdichte oder kleiner Fläche unerwünscht.“ Tatsächlich sind Raketen – militärisch gesehen – Magneten, die Gegenreaktionen herausfordern und die Kriegsgefahr erhöhen.

Deutschland rüstet massiv auf und will zudem wieder amerikanische atomar bestückbare Mittelstreckenwaffen stationieren. Aufrüstung kostet extrem viel Geld. Drängt sich die Frage auf, ob wir vor einer Entscheidung „Butter oder Kanonen“ stehen?

Christoph Butterwegge: Clemens Fuest, Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, hat dies im Februar 2024 bei Maybrit Illner wie folgt begründet: „Kanonen und Butter, es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“ Da hat der neoliberale Ökonom ausnahmsweise mal recht: Sozial- oder Rüstungsstaat heißt in der Tat die Alternative, wenn das „Sondervermögen Bundeswehr“ 2027/28 ausgeschöpft ist und der Militäretat laut Scholz und Pistorius schlagartig um 20, 25 oder 30 Milliarden Euro steigen muss, um das anvisierte Ziel von „mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ zu erreichen. Schon wegen meines Familiennamens fordere ich: Butter statt Kanonen! Ich denke dabei in erster Linie an die Armen und sozial Benachteiligten, Fuest hingegen an die Reichen, etwa die (Groß-)Aktionäre der Rüstungskonzerne. Sinnvoller als zusätzliche Rüstungsprojekte wären Mehrausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich, um Obdach- und Wohnungslosigkeit zu bekämpfen, den öffentlichen Wohnungsbau wiederzubeleben, der Kinderarmut entgegenzuwirken, den Pflegenotstand zu beseitigen und die Alterssicherung für abhängig Beschäftigte wieder auf eine solide Finanzierungsgrundlage zu stellen. Zu befürchten ist jedoch, dass sich Wohnungsnot sowie Energie- und Ernährungsarmut infolge einer unsozialen „Sparpolitik“ ausbreiten. Denn die stark gestiegenen Preise für Gas und Strom, aber auch bei Grundnahrungsmitteln wie Brot, Mehl, Speiseöl, Eiern oder Nudeln, bedeuten für Menschen, die schon vor dem Ukrainekrieg kaum über die Runden kamen, dass sie den Gürtel noch enger schnallen müssen. Die große Mehrheit der Bevölkerung kann sich staatliche Austerität nicht leisten.

Münster ist eine reiche Stadt in der die Armut relativ gut versteckt ist. Woran liegt es, dass sich in gut situierten bürgerlich-konservativen – in Münster kommt sicherlich noch katholisch geprägten hinzu – Städten sich von Armut bedrohte und natürlich auch die in Armut lebenden Menschen nicht offener zeigen?

Christoph Butterwegge: Da man die Armen hierzulande in aller Regel selbst für ihre soziale Misere verantwortlich macht, statt in der wachsenden Ungleichheit ein strukturelles Problem zu sehen, schämen sich die Betroffenen. In der Öffentlichkeit gelten sie als „Drückeberger“, „Faulenzer“ und „Sozialschmarotzer“, die „uns Steuerzahlern“ auf der Tasche liegen. Wer so tituliert und in fast allen Lebensbereichen diskriminiert wird, resigniert meist und versteckt sich lieber so gut es geht, was es übrigens schwerer macht, Armut und soziale Ungleichheit zu bekämpfen.

Was ist unter „absoluter“ und „relativer Armut“ zu verstehen?

Christoph Butterwegge: Es gibt keine allgemein verbindliche Definition von Armut, sondern in der Fachliteratur bloß den Versuch, das Problem durch die Unterscheidung zwischen absoluter, extremer oder existenzieller Armut einerseits sowie relativer Armut andererseits zu klären. Von absoluter Armut ist betroffen, wer seine Grundbedürfnisse nicht zu befriedigen vermag, also die für das Überleben notwendigen Nahrungsmittel, sicheres Trinkwasser, eine den klimatischen Bedingungen angemessene Kleidung und Wohnung sowie eine medizinische Basisversorgung entbehrt. Von relativer Armut ist betroffen, wer sich vieles von dem nicht leisten kann, was für fast alle übrigen Mitglieder einer wohlhabenden Gesellschaft als normal gilt, also mal ins Kino oder ins Theater zu gehen, aber auch, sich mit Freunden im Restaurant zu treffen. Während die absolute Armut eine existenzielle Mangelerscheinung ist, verweist die relative Armut auf den Wohlstand, der sie hervorbringt. In einer so reichen Gesellschaft wie der unseren ist Armut nicht gott- oder naturgegeben, sondern vorwiegend systemisch, dass heißt durch die bestehenden Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse bedingt.

Welche Gruppen in Deutschland sind warum besonders von Armut betroffen? Reicht der Mindestlohn, um Armut zu entkommen?

Christoph Butterwegge: Besonders vulnerabele Personengruppen können sich den bestehenden Verhältnissen schwer entziehen, weil sie aufgrund ihrer schwachen Stellung in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung strukturell benachteiligt oder diskriminiert werden. Waren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst vor allem viele Rentnerinnen arm, bis die Große Rentenreform 1957 das Problem abmilderte, lösten Kinder und Jugendliche sie in den späten 1980er-Jahren als Hauptbetroffenengruppe ab. Mit der Agenda 2010 und Hartz IV hat sich die Situation insofern verändert, als die rot-grüne Reformpolitik die Lage von Millionen Langzeit- bzw. Dauererwerbslosen und ihren Familien spürbar verschlechtert und besonders durch das Abdrängen der Langzeiterwerbslosen, die vorher Arbeitslosenhilfe erhalten hatten, in den Fürsorgebereich mit seinen für alle gleich niedrigen Transferleistungen dazu beigetragen, dass sich die Kinderarmut beinahe verdoppelte. Noch immer spielt der Niedriglohnsektor als Haupteinfallstor für Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut wie für spätere Altersarmut eine Schlüsselrolle. Der gesetzliche Mindestlohn schottet den Niedriglohnsektor nach unten ab, bringt ihn jedoch bisher nicht zum Verschwinden.

Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2025 wirken sich auch direkt auf Münster und dessen Jobcenter aus. Wegen der Streichungen werden insbesondere Mittel für Langzeitarbeitslose knapp, die 1-Euro-Jobs oder eine Arbeitsgelegenheit gemäß § 16i SGB II haben. Bei Asyl-Suchenden und Langzeitarbeitslosen wird gekürzt und das Bürgergeld 2025 nicht erhöht – geht der Sozialstaat vor die Hunde?

Christoph Butterwegge: Zwar hat Olaf Scholz auf dem letzten SPD-Bundesparteitag im Dezember 2023 unter lautem Beifall der Delegierten versprochen, dass es keinen Abbau des Sozialstaates geben werde. Gleichwohl folgt der außen-, energie- und militärpolitischen Zeitenwende, die Scholz zu Beginn des Ukrainekrieges ausgerufen hat, jetzt mit leichter Verzögerung eine wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Zeitenwende. Das erste Opfer der sozialpolitischen Zeitenwende war die Kindergrundsicherung, aber weitere Maßnahmen, die Armen und Angehörigen der unteren Mittelschicht besonders schaden, dürften folgen, es sei denn, dass sich massiver Widerstand regt.

Stichwort Kinderarmut. Warum werden reiche Eltern häufig besser von der Bundesregierung unterstützt als Erziehungsberechtigte von armen oder von Armut bedrohten Kindern?

Christoph Butterwegge: Wer reich ist, ist auch politisch einflussreich. Das sieht man am deutlichsten an der Steuergesetzgebung, die Scheunentoren gleichende Schlupflöcher für Kapitaleigentümer geschaffen hat. Hingegen fehlt den Armen eine Lobby, die mächtig genug ist, um die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Ist „Umverteilung des Reichtums“, der Titel Deines jüngsten Buches, die Lösung?

Christoph Butterwegge: Aufgrund der bestehenden Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen werden die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Tagtäglich findet Umverteilung statt – allerdings nicht von Oben (den viel Besitzenden) nach Unten (den hart Arbeitenden), sondern von Unten nach Oben: Unternehmensprofite, Veräußerungs- und Kursgewinne der Aktionäre, Dividenden, Zinsen sowie Miet- und Pachterlöse von Immobilienkonzernen fließen überwiegend in die Taschen materiell Bessergestellter, sind aber normalerweise von Menschen erarbeitet worden, die erheblich weniger Geld haben, oft nicht einmal genug, um in Würde leben zu können. Deshalb muss Umverteilung künftig in die entgegengesetzte Richtung stattfinden – als Rückverteilung des Reichtums von Oben nach Unten, also zu denjenigen Menschen, die ihn geschaffen und nicht geerbt haben. Der wichtigste Hebel dafür ist eine andere Steuerpolitik, die Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche stärker belasten müsste, um eine konsequente Armutsprävention und -bekämpfung des Staates zu finanzieren, die viel Geld kostet. Will man die soziale Ungleichheit nicht bloß reduzieren, sondern darüber hinaus die Entstehung weiterer Ungleichheit dauerhaft verhindern, muss man auch ihre strukturellen Ursachen beseitigen und das kapitalistische Gesellschaftssystem überwinden.

Du bist zwar nicht Mitglied, warst aber Kandidat der Linkspartei bei der Bundespräsidentenwahl 2017. Inzwischen zeigt DIE LINKE – nicht erst als sich die Bundestagsfraktion spaltete – vielerorts Auflösungserscheinungen. Woran liegt das?

Christoph Butterwegge: Das hat sicher viele Gründe. Einer ist der, dass die LINKE nicht mehr als konsequente Interessenvertreterin der sozial Benachteiligten wahrgenommen wird und auch weder zum Ukrainekrieg noch zu den Waffenlieferungen und den Sanktionen klar genug Stellung genommen hat. Habituell fühlen sich eher Angehörige der urbanen Mittelschicht von der Partei angesprochen, die nach den verheerenden Wahlniederlagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg um ihre Fortexistenz bangen muss.

Deine Frau Carolin Butterwegge ist Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht. Ist das BSW auch für Dich eine mögliche politische Heimat?

Christoph Butterwegge: Nein. Ich fühle mich weiterhin als ideeller Gesamtlinker, der keiner Partei beitritt, sondern für ein breites Bündnis wirbt, in dem BSW-Anhängerinnen und -Anhänger ebenso ihren Platz haben müssen wie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Grüne und LINKE. Auch in den „bürgerlichen“ Parteien CDU, CSU und FDP gibt es übrigens viele Mitglieder, die für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten, ohne dass ihre Führungen dem Rechnung tragen.

2025 wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Ampelkoalition ist selbst für den ehemaligen grünen Parteichef Omid Nouripour nur eine „Übergangsregierung“. Woran ist die Koalition von SPD, Grünen und SPD gescheitert und warum ist trotz einiger eingeführter sozialer Verbesserungen wie der Anhebung des Mindestlohns oder Einführung des Bürgergeldes die Meinung bei den abgehängten Menschen in Deutschland zur Ampel so schlecht?

Christoph Butterwegge: Man hat etwa beim Bürgergeld durch die Verschärfung der Sanktionen und Leistungskürzungen eine Rolle rückwärts vollzogen und ist von einer „Fortschritts-“ zu einer sozialpolitischen Rückschrittskoalition geworden. Statt die Armen im eigenen Land stärker zu unterstützen, haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP allein in diesem Jahr acht Milliarden Euro für Militärhilfe an die Ukraine ausgegeben. Daher muss die soziale Frage inhaltlich mit der Friedensfrage verbunden, der außerparlamentarische Druck auf die Regierenden erhöht und der Widerstand durch gemeinsame Aktionen von Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Globalisierungskritikern sowie Klimagerechtigkeits- und Friedensbewegung gestärkt werden. Gelingen kann das, weil die Zahl derjenigen gewaltig ansteigen dürfte, die „den Gürtel enger schnallen“ müssen, obwohl er ihnen schon auf den Knochen sitzt, damit Deutschland nach den Wünschen „kriegstüchtig“ wird. Wohlstandseinbußen, die Millionen Menschen weit über den Kreis der Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher hinaus treffen, denen die FDP keine Erhöhung der Regelbedarfe mehr zugestehen will, bleiben nicht folgenlos. Arme versetzt diese Politik in einen sozialen Ausnahmezustand, aber auch die Mittelschicht gerät zunehmend unter Druck.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung“ sowie „Umverteilung des Reichtums“ veröffentlicht.

Umverteilung des Reichtums – Butter statt Kanonen

Christoph Butterwegge liest in Münster

Warum nimmt die soziale Ungleichheit seit Jahren zu? Welche Rolle spielen dabei Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen? Mit welchen Narrativen werden die beträchtlichen Einkommens- und Vermögensunterschiede gerechtfertigt?

Christoph Butterwegge beleuchtet bei der Lesung im Bennohaus in Münster die Politik der Bundesregierungen und fragt, weshalb sich die Kluft zwischen Arm und Reich nach der „Zeitenwende“ und zusätzlichen Rüstungsanstrengungen weiter vertieft. Er nimmt den Niedriglohnsektor, den „Um-“ beziehungsweise Abbau des Sozialstaates sowie die Steuerentlastungen für Wohlhabende in den Blick. Wie lässt sich die Entwicklung aufhalten und verhindern, dass die Reichen noch reicher und die Armen noch zahlreicher werden?

Der Praxis der Umverteilung von Unten nach Oben setzt Butterwegge eine Rückverteilung des Reichtums entgegen. Neben einer stärkeren Tarifbindung, einem Verbot prekärer Beschäftigung sowie höheren Besitz-, Kapital- oder Gewinnsteuern ist für den auch als Armuts- und Reichtumsforscher bekannten gebürtigen Albersloher die Umgestaltung des bestehenden Wirtschaftssystems nötig.

Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch, dem 22. Januar 2025, um 15.30 Uhr und ist kostenfrei. Der Veranstaltungsort ist barrierefrei erreichbar. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

May Ayim: Buchvorstellung und Filmvorführung

May Ayim (1960 bis 1996) war eine der Vorreiter*innen der Schwarzen Deutschen Bewegung
und wurde mit ihrer Forschung zur Geschichte und Gegenwart Afro-Deutscher und mit ihrer
politischen Lyrik im In- und Ausland bekannt. Ika Hügel-Marshall und Dagmar Schultz, zwei
Wegbegleiterinnen und Mitherausgeberinnen des Buches »May Ayim- Radikale Dichterin, sanfte
Rebellin« stellen das Buch und die Vielfältigkeit des Schaffens und Wirkens von May Ayim vor.
Auch May Ayims Schulfreundin von der Münsteraner Friedensschule Hildegard Kemper, sowie
ihre Schwester Jasmin Ayim Schüler werden zu dem Abend mit ihren Worten beitragen.
Ebenso vorgestellt wird der Film »Hoffnung im Herz« von Maria Binder, der Etappen des Lebens
von May Ayim dokumentiert hat und sie in bewegenden Performances in Südafrika und in
Deutschland zeigt.

Moderiert wird die Veranstaltung von Dr. Annah Keige-Huge.

Sie findet am Mittwoch, dem 4. Mai, um 18 Uhr im AudiMax des Englischen Seminars der WWU Münster (Johannisstraße 12-20) statt. Der Eintritt ist kostenlos. Es gilt die 2G+-Regelung.
Veranstalter ist das BIPoC-Referat der Uni Münster in Kooperation mit dem Unrast Verlag.

Aktionstag gegen Ausbau der B 51

Dezentrale Aktionstage „Mobilitätswende jetzt!“ des Bündnisses Verkehrsinitiativen

Die Bürgerinitiative BI B51 Handorf-Mauritz e. V. nimmt am Sonntag, dem 19. Juni 2022,  an bundesweiten dezentralen Aktionstagen des Bündnisses Verkehrsinitiativen teil. Die Aktionstage stehen unter dem Motto „Mobilitätswende jetzt!“.

Ausmasse der Straßenbauplanung erlebbar machen

Von 14 Uhr bis 18 Uhr werden an der Kreuzung Warendorfer Straße / Handorfer Straße (nahe dem Dehner Garten-Center) im Rahmen einer Informationsveranstaltung „plastisch“ die Ausmaße eines geplanten Ausbaus der Warendorfer Straße von Münster bis Handorf dargestellt. Neben den optischen Informationen wird es auf der Wiese am Handorfer Bahnhof jeweils zur vollen Stunde kurze Wortbeiträge zum aktuellen Stand der Ausbauplanung, zu der es aktuell noch keine Planfeststellung gibt, geben.

Ebenso wird zu den Zielen und den bisherigen Aktivitäten der Bürgerinitiative informiert. Auf der Wiese wird es ein Imbiss angeboten. Die BI hofft auf zahlreiche Besucher:innen der Informationsveranstaltung und anregende Gespräche zum Thema Mobilität für Handorf.

Am Samstag, 18. Juni 2022, wird es zudem von 11 Uhr bis 16 Uhr einen Infostand an der Handorfer Straße 1-3 geben.

Weitere Infos zum bundesweiten Bündnis Verkehrsinitiativen hier.

Der (fast) vergessene Fußballstar aus Münster

Alexander Heflik liest aus seinem Buch „Erwin Kostedde“

Erwin Kostedde, der erste Schwarze im Dress der deutschen Fußballnationalmannschaft, ist Münsteraner. Er wuchs am Laerer Landweg im Osten Münsters aus. Seine ersten Fußball-Schritte machte der Kicker auf dem Rasen des SC Münster 08. Der Durchbruch gelang Kostedde aber beim TuS Saxonia Münster, wo unter anderem Preußen-Legende Felix „Fiffy“ Gerritzen ihn trainierte. Logisch, dass Erwin Kostedde später vom Kanal an die Hammer Straße wechselte und dort erstmals einen Adler auf der Brust trug. In zwei Regionalligaspielzeiten wurde Kostedde 35 Mal eingesetzt und erzielte für den SC Preußen Münster achtzehn Tore.

Torschützenkönig in Belgien

Sein weiterer Fußballweg führte ihn nach Duisburg, wo er ein Jahr in der Bundesliga für den MSV Duisburg auflief. Weiter ging es zum belgischen Erstligisten Standard Lüttich. 1971 wurde der Münsteraner mit 26 Treffern Torschützenkönig in Belgien.

Seine Rückkehr nach Deutschland führte Erwin Kostedde nach Hessen, wo er großen Anteil am Aufstieg von Kickers Offenbach in die Bundesliga hatte. Er ist bis heute Rekordbundesligatorschütze der Kickers, deren Anhänger ihm zu Ehren das Fanzi am Bieberer Berg in Offenbach „Erwin“ taufen.

Über Hertha BSC Berlin führte Kostedde der Weg zurück nach Westfalen. 1976 spiele er für den BVB aus Dortmund. zu Borussia Dortmund. Es folgte ein Vertrag beim Zweitligisten Union Solingen, von dem Kostedde zum abstiegsbedrohten französischen Erstligsten Stade Laval wechselte. Mit seinen Treffern wurde er zuerst „Retter“ des Vereins und später, gemeinsam mit dem Argentinier Delio Onnis von AS Monaco, sogar Torschützenkönig der Ligue 1. Anfang der 80er Jahre ging es noch einmal zurück in die Bundesliga, denn Erwin Kostedde stieg mit Werder Bremen aus der Zweiten in die Erste Bundesliga auf. Seine aktive Karriere als Fußball-Profi beendete Erwin Kostedde 1983 mit 37 Jahren beim VfL Osnabrück.

Lesung beim TuS Saxonia Münster

Heute lebt Erwin Kostedde, der erster Schwarze im deutschen Nationaltrikot, zurückgezogen in Everswinkel. Der Sportchef der Westfälischen Nachrichten, Alexander Heflik, hat in diesem Jahr beim Werkstatt Verlag ein Buch über Erwin Kosteddes Leben veröffentlicht. Es ist so gut, dass es von der Deutschen Akademie für Fußballkultur zum Fußballbuch des Jahres 2021 nominiert wurde.

Alexander Heflik, Sportchef der Westfälischen Nachrichten. (Foto: Uli Schaper)

Aus diesem Werk wird Alexander Heflik am Donnerstag, dem 28. Oktober, um 19 Uhr beim TuS Saxonia Münster (August-Schepers-Straße 20 in 48155 Münster) auf Einladung des May Ayim Ring lesen. Mit der Veranstaltung soll auch der erfolgreichste Schwarze Münsteraner geehrt werden. Wegen der Corona-Bedingungen ist eine Anmeldung per Email an Heflik@may-ayim-ring.org erforderlich.

Otto Addo besucht May Ayim Ring

Rassismuserfahrung eines Spitzensportlers

Unter Rassismus leiden in Deutschland alle Menschen, die nicht weiß sind. Selbst prominenten BiPoC erfuhren und erfahren immer wieder diskriminierende Situationen und werden verbal und nonverbal attackiert. Um zu erfahren, wie es gesellschaftlich erfolgreichen Menschen gelang, mit dieser Ausgrenzung (und Abwertung) zu leben, wie sie es trotz dieser prekären Lebenssituation geschafft haben, sich in der weißen Gesellschaft in Deutschland durchzusetzen und welche Strategien und Maßnahmen sie ergriffen haben, um trotz der diskriminierenden Rahmenbedingungen erfolgreich zu sein, hat der May Ayim Ring Münster den erfolgreichen Trainer und früheren Deutschen Fußballmeister (2002 mit dem BVB) Otto Addo eingeladen. Er wird am Mittwoch, dem 27. Oktober, um 19 Uhr im Tribünengebäude des SC Preußen Münster zu Gast sein.

Christoph Strässer, ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und Präsident des SC Preußen Münster, wird Otto Addo im Preußen-Stadion begrüßen und zur Situation Schwarzer und BiPoC beim SCP (Verein und Fangemeinde) sprechen. (Foto: SC Preußen Münster)

Otto Addo, erst vor wenigen Wochen zum Co-Trainer der Nationalmannschaft von Ghana ernannt, ist Top-Talente-Trainer von Borussia Dortmund. Er feierte Mitte Mai diesen Jahres als Co-Trainer von Interimscoach Edin Terzic mit dem BVB den Gewinn des DFB-Pokals.

„Ich war das auch im Fußball gewohnt, beleidigt zu werden. Das war für mich leider normal. In der Hälfte der Spiele ist das passiert, in der anderen nicht. Für mich war es das Größte, wenn ich trotzdem als Sieger vom Platz ging. Das war für mich das Beste.“

Otto Addo über rassistische Beleidigungen im Fußball
Otto Addo ist Top-Talente-Trainer bei Borussia Dortmund und Co-Trainer der Nationalmannschaft von Ghana. (Foto: BVB)

Wie May Ayim ist auch Otto Addo in Hamburg geboren. Auch seine Mutter ist Hamburgerin und sein Vater, wie der von May Ayim, ein aus Ghana stammender Mediziner. Mit sechs Jahren begann Addo beim örtlichen Club Hummelsbütteler SV Fußball zu spielen. Die Konzentration auf den Sport wurde dem Jungen schwer gemacht, denn sowohl auf dem Fußballplatz als auch in der Schule. „Meine Schwester und ich waren die einzigen Schwarzen auf der ganzen Schule. Ich musste mich erstmal beweisen, egal, wo ich hinkam – in der ersten Klasse, der Vierten, der Gymnasialstufe“, erklärte Otto Addo im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. Er wurde Otto Addo – wegen seiner Hautfarbe – immer wieder diskriminiert und rassistisch beleidigt. Trotzdem kämpfte er sich durch und erklomm mit dem BVB als Spieler und als Mitglied des Trainerteams die höchsten deutschen Fußballgipfel.

„N*** raus!“

Otto Addo machte im Fußball Karriere. Als er 1997 in der 2. Liga mit Hannover 96 – gemeinsam mit Gerald Asamoah im Team – bei Energie Cottbus antrat, erlebte Addo und der Profifußball in Deutschland einen seiner Tiefpunkte. Im Gespräch mit dem Fußball-Magazin 11 Freunde erinnerte sich Addo an dieses Spiel: „Außer­halb des Sports gab es noch schlim­mere Sachen, aber was den Fuß­ball angeht, war es das, ja. Weil das Sta­dion damals mit 20.000 Zuschauern voll war, und auf einmal schreien die Fans zwei, drei Minuten lang: ​»N*** raus!« Ich hab’ gedacht, ich bin im fal­schen Film. Auch die Gegen­spieler haben mich und Gerald Asa­moah belei­digt, wollten uns pro­vo­zieren.“

Ghana statt Deutschland

Die Laufbahn von Otto Addo wurde ebenfalls durch Rassismus beeinflusst, wie er 11 Freunde erklärte: „Als Anfang der 90er die Gewalt­taten im Osten gegen Aus­länder zunahmen, wäre ich da nicht hin­ge­wech­selt. Dass ich mich damals für die gha­nai­sche Natio­nal­mann­schaft ent­schieden habe, hängt auch mit nega­tiven Erfah­rungen zusammen. Ich finde aller­dings sehr gut, dass Gerald Asa­moah für Deutsch­land spielt. Das muss jeder für sich ent­scheiden.“

Rassismus im Sport spiegelt die Einstellung der Gesellschaft

Addo erlebt Rassismus noch immer. So erzählte er dem Fußball-Magazin, dass er wegen seiner Hautfarbe diskriminiert würde. Erst, wenn er als prominenter Sportler erkannt würde, täte es den Täter*innen Leid: „Zum Bei­spiel die Polizei: Wenn die sehen, dass ein dun­kel­häu­tiger Mensch einen teuren Wagen fährt, dann drehen die auf der Straße um und halten dich an. Manchmal pas­siert das drei Mal am Tag. Und dann for­dern sie in einem ernsten Ton Aus­weis­pa­piere von mir und allen Insassen. Einmal mussten wir sogar aus­steigen und uns durch­su­chen lassen. Wenn sie dann meinen Namen lesen, werden die Stimm­lagen gleich freund­li­cher, zumin­dest wenn sie Ahnung vom Fuß­ball haben und mich erkennen. So was ist mir überall pas­siert, in Ham­burg, Han­nover, Dort­mund. Es kommt heute auch noch vor, dass mich Dort­mund-Fans in gebro­chenem Eng­lisch anspre­chen.“

Anmeldung per Email

Das Gespräch und Diskussion mit Otto Addo zum Thema „Rassismuserfahrung von Spitzensportlern“ beginnt um 19 Uhr im VIP-Saal 1 des Preußen-Stadions. Beim Zutritt zur Veranstaltung gilt die 3G-Regel (geimpft, genesen oder getestet). Deshalb wird um eine vorherige Anmeldung per Email (addo@may-ayim-ring.org) wird gebeten.