AKAFRIK zum Abkommen mit Namibia

Es hängt jetzt von den konkreten Schritten und einem Perspektivwechsel der deutschen Gesellschaft ab, ob die Anerkennung des Völkermords an den Nama und Herero wirklich einer neuen Qualität von Geschichtsbewusstsein den Weg bereitet.

Thomas Siepelmeyer
Thomas Siepelmeyer, AKAFRIK Münster.

Das Abkommen mit Namibia ist geschlossen. Es hängt jetzt von den konkreten Schritten und einem Perspektivwechsel der deutschen Gesellschaft ab, ob die Anerkennung des Völkermords an den Nama und Herero wirklich einer neuen Qualität von Geschichtsbewusstsein den Weg bereitet, erklärt Thomas Siepelmeyer vom AKAFRIK, dem Arbeitskreis Afrika Münster, in einer Pressemitteilung, die hier im Wortlaut veröffentlicht ist.

Die Überschrift im (Online-Magazin Der) Spiegel heute (28. Mai 2021) gibt uns die weitere Richtung an – wenn auch vielleicht etwas unfreiwillig:

Herero und Nama: Deutschland erkennt Kolonialverbrechen in Afrika als Völkermord an

Die Verbrechen der deutschen Kolonialherrschaft in den anderen afrikanischen Kolonien, Tansania, Kamerun und Togo, sowie in den Südsee- / asiatischen Kolonialgebieten stehen weiterhin auf der Tagesordnung, und wir sollten die Kampagne mit diesen (wenn auch noch unzureichenden) Ergebnissen im Rücken verstärkt weiterführen.

Ida Hofmann, die Vertreterin der Nama, hat heute morgen auf verschiedenen ARD-Radiostationen das Ergebnis kommentiert, sie hat betont, dass es ja nicht nur um die Zeit der direkten Kampfhandlungen geht, sondern auch um die Zeit danach, als Zwangsarbeit / Vernichtung durch Arbeit, Menschenversuche durch deutsche Kolonialmediziner (zum Beispiel Hugo Bofinger) und Gefangenenschaft in den übers ganze Land verstreuten Konzentrations- und Arbeitslagern herrschten. Die gesamte Zeit der deutschen Kolonialherrschaft war vom Genozid bestimmt.

Sie hat betont, dass es die NamibierInnen waren, die in dieser Zeit die Städte gebaut, die weißen Farmen errichtet und die Straßen und Eisenbahnlinien gebaut haben – die KolonialistInnen haben sich die Früchte dieser Zwangsarbeit angeeignet.

Männer und Frauen der Herero, Witbooi- und Bethanier-Nama, welche wieder gesundet waren, mussten genauso wie zur Zeit ihrer Inhaftierung auf der Haifischinsel Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau leisten, wo sie in unmenschlicher Art weiter ausgebeutet wurden. So sind von 2014 Häftlingen aus dem Lager Haifischinsel zwischen Januar 1906 und Juni 1907 1359 während des Baues der Südbahn zwischen Lüderitzbucht und Keetmanshoop (insgesamt eine Strecke von über 300 Kilometer) verstorben. Sie wurden meistens einfach rechts und links der Strecke im Dünensand verscharrt, wie auch beim Bau der Strecke von Swakopmund und im Norden an den vielen Orten, an denen Zwangsarbeit angewandt wurde. Wind und Regen legen viele dieser Orte und der dort verscharrten Überbleibsel im Laufe der Zeit frei. Um die würdevolle Bestattung dieser und der anderen namibischen Opfer der Kolonialzeit geht es mit diesem Antrag an den Volksbund.

Von Keetmanshoop ging die Eisenbahnlinie nach Norden nach Windhoek weiter, sie wurde bis 1912 vollendet.

Karte aus Herrmann Julius Meyer – Meyers Geographischer Hand-Atlas, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10997145

Aus den Konzentrationslagern auf der Haifischinsel sind von Historikern grausamste Praktiken dokumentiert: Skelette und abgeschnittene Köpfe mussten mit heißem Wasser und Glasscherben von den Gefangenen selbst gesäubert und dann verpackt werden, für den Versand in die Reichshauptstadt Berlin.

Lothar von Trotha. (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=135253)

Die grausame Vernichtungsstrategie ist gut dokumentiert. Aber auch andernorts – in den Territorien der aufständischen Nama, beim Bau der Eisenbahn von Windhoek an die Küste (circa 350 Kilometer) und in Bergwerken – starben die Einwohner des heutigen Namibia (Männer wie Frauen, wie viele Photos beweisen) unter den Deutschen grausame Tode. Sie wurden erschlagen von ihren Sklaventreibern, in weiteren deutschen Konzentrationslagern ausgehungert und dann von Krankheiten und Zwangsarbeit dahingerafft.

Viele HistorikerInnen argumentieren, dass Shark Island, als Konzentrationslager bezeichnet, ein Vernichtungs- und Todeslager war. Mit der Schließung der Konzentrationslager wurden alle überlebenden Herero als ArbeiterInnen für Siedler und Siedlerinnen in der deutschen Kolonie verteilt. Von diesem Zeitpunkt an waren alle Herero über sieben Jahre gezwungen, eine Metallscheibe mit der Arbeitsregistrierungsnummer zu tragen, und es war ihnen verboten, Land oder Vieh zu besitzen, eine Notwendigkeit für eine pastorale Gesellschaft.

In späteren Jahren der Kolonie begannen die Kolonialbehörden eine neue Gewaltkampagne. Dieses Mal richtete sie sich gegen die San-Gemeinden im Nordosten der Kolonie. Da die Siedler immer weiter nach Norden und Osten vordrangen, kam es zu einem unvermeidlichen Konflikt. Im Oktober 1911 erließ der Kolonialgouverneur Theodor Seitz ein allgemeines Dekret, wonach San legal auf Sicht erschossen werden könnten, vorausgesetzt, es gebe „den geringsten Versuch, sich der Verhaftung zu widersetzen“ oder „sie versuchen, die Verhaftung durch Flucht zu verhindern, wenn befohlen wird, sich zu ergeben“. Ähnlich wie bei General von Trothas berüchtigtem Vernichtungsbefehl handelte es sich um ein allgemeines Dekret mit ausreichend Interpretationsspielraum. In Wirklichkeit konnten die Beamten, Militärs oder Farmer, die mit der Suche nach Land und der Zerstörung von Siedlungen beauftragt waren, San nach Belieben töten.

Unsere Forderungen aus diesem Abkommen für Münster sind:

  • alle Krieger- und Kolonialdenkmäler in Münster sind aus dem Denkmalschutz zu entlassen, da ansonsten keinerlei substantielle Veränderung an ihnen möglich ist.
  • Das Traindenkmal muss niedergelegt werden, dass heißt es muss massiv aus seiner jetzt beherrschenden Position gebracht werden und darf nicht mehr den Platz dominieren. Dann kann die AKAFRIK-Gedenktafel in ein neues Mahn-Ensemble eingebracht werden, dass vor allem in Zusammenarbeit mit den Nachfahren der Opfer des Genozids zu entwerfen ist. Und das auch nicht „zeitweise“, wie im Stadtratsbeschluss suggeriert, sondern für die absehbare Zukunft, dass heißt bis neue Generationen eventuell ihre dann eigenen Vorstellungen zur Nutzung der Fläche umsetzen möchten.
  • Die Stadt Münster muss sichtbar und deutlich mit ihrer Vergangenheit brechen, auch mit ihrer Vergangenheit bezüglich der Diskussion um das Mahnmal und den Begriff „Völkermord“.
  • Die Verantwortlichen für die Verschleppung der Diskussion und die Verhinderung von wegweisenden Entscheidungen seit 1982, seit die Diskussion um den Begriff „Völkermord“ auch hier vor Ort eröffnet wurde, müssen sich ihrer Verantwortung stellen.
  • Es steht in diesem Zusammenhang für Münster eine weitere, schon lange überfällige Entscheidung an: die Umbenennung der Universität (der Namensgeber ist der Verantwortliche sowohl für den Völkermord wie auch das Abschlachten im Boxer-Aufstand).
Das heftig umstrittene Traindenkmal in der Promenade am Ludgeriplatz. (Foto: Werner Szybalski)

Anmerkung von Thomas Siepelmeyer nach der Ablehnung des Abkommens durch die Vertretungen der Herero und Nama (2. Juni 2021, 12:26): Wer nicht unbedingt meiner Interpretation des Abkommens folgen will, sollte doch mal diese Stellungnahme des ECCHR lesen. Irgendwie denke ich, dass ich so falsch nicht liege…

Protest gegen die Geschäftspolitik der LEG

272,5 Millionen Euro für Aktionär*innen ausgeschüttet

Am Donnerstag (27. Mai) fand die diesjährige Hauptversammlung der LEG Immobilien SE digital statt. Mit rund 6400 Wohnungen ist die LEG der größte Vermieter in Münster. Die Eigentümer des ehemaligen öffentlichen Wohnungsunternehmens gönnten sich ein gewaltiges Stück des Überschusses aus dem vergangenen Geschäftsjahr. 43,4 Prozent der Mieteinnahmen aus 2020 schüttet die LEG an ihre Aktionäre als Dividende aus. Die 3,78 Euro pro Aktie sind eine Steigerung der Dividende um fünf Prozent im Vergleich zu 2019. Insgesamt 272,5 Millionen Euro werden ausgezahlt. Dies sind 1885 Euro pro vermieteter LEG-Wohnung.

„Bis zum 6. Juni diesen Jahres zahlen wir LEG-Mieter*innen, dies hat der Deutsche Mieterbund NRW berechnet, unsere Miete ausschließlich in die Taschen der LEG-Aktionär*innen“, erklärte Mats Reißberg, Initiator einer Protestdemonstration von LEG-Mieter*innen am Tag der Hauptversammlung in Geist und vor der LEG-Niederlassung an der Hammer Straße. Jeden Monat flossen im vergangenen Jahr 157 Euro aus jeder Wohnungsmiete der LEG in die Taschen der Eigentümer. Laut Geschäftsbericht des Unternehmens, dessen Durchschnittsmiete in Quadratmeter von 2013 bis 2020 um satte 17 Prozent stieg, gab die LEG in 2020 aber nur 24,8 Prozent für Bewirtschaftung iher Immobilien aus. Nur 19 Prozent des Überschusses wurden reinvestiert, obwohl Wohnraum nicht nur in Münster, sondern überall im Land fehlt.

Mats Reißberg, Sprecher der LEG-Mieter*innen-Initiative Geist und Organisator der Demonstration gegen die LEG Immobilien SE, erlebt gerade zu Hause an der Kolmarstraße persönlich, was die Modernisierungen für Auswirkungen auf die LEG-Mieter*innen haben. (Fotos: Werner Szybalski)

Forderung nach bezahlbaren Mieten

Die Demonstrant*innen fordern eine Neuausrichtung der Geschäftspolitik ihres Vermieters in Richtung sozialer und nachhaltiger Wohnungswirtschaft mit bezahlbaren Mieten. „Die Mieten, nicht nur in Münster, sind einfach zu hoch und steigen zu schnell“, betonte Mats Reißberg, der von der LEG erwarte, dass auch in Münster wieder gebaut würde: „Aber natürlich auch Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen und endlich wieder öffentlich geförderten Wohnungsbau.“

Pavel Volodarsky, LEG-Mieter aus Kinderhaus, berichtete von den negativen Veränderungen im Mietverhältnis, nachdem das Land Nordrhein-Westfalen die kommunalen und landeseigenen Unternehmen der LEG privatisiert hatte.

Neben der Senkung der Dividenden fordern die demonstrierenden Mieter*innen bessere und schnellere Serviceleistungen bei Schäden, weniger Mietkosten hoch treibende Modernisierungen dafür bessere Instandhaltung der Wohnungen, der Häuser und des Umfeldes sowie eine ordentliche, überprüfbare Nebenkostenabrechnung.

Pavel Volodarsky, LEG-Mieter in Kinderhaus, erklärte: „Die Betreuung der Mieter*innen ist immer schlechter geworden. Ich habe früher schon bei der heutigen LEG-Tochter WGM gewohnt. Damals fühlten Mieter*innen sich aufgehoben und als Vertragspartner*innen akzeptiert. Davon sind wir heute weit entfernt.“

Mieter*innen gehen wieder auf die Straße

Demonstration für mehr Rechte und geringere Mieten

Am Donnerstag (27. Mai) gehen die LEG-Mieter*innen in Münster wieder auf die Straße. Anlass ist die an diesem Tag stattfindende Hauptversammlung des Vermieters LEG Immobilien SE, der eine gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent höhere Dividendenausschüttung an die Aktionäre beschließen will. Die LEG-Mieter*innen-Initiative Münster wird um 17 Uhr an der Kolmarstraße in Geist, wo die LEG derzeit Modernisierungen durchführen lässt, mit einer Kundgebung starten. Dann zieht ein Demonstrationszug hinüber zur LEG-Niederlassung Münster an der Hammer Straße 226. Auch dort sollen Redner*innen das Wort ergreifen.

Ist das noch LEGal?

Am Vorabend (Mittwoch, 26. Mai, um 18.15 Uhr) findet online unter dem Motto „Ist das noch LEGal?“ eine landesweite öffentliche Kritische Vorabendkonferenz zur LEG Aktionärsversammlung statt. Auch aus Münster werden Teilnehmer*innen dabei sein.

Demo LEG – es reicht! am Freitag, 14. Mai, in Berg Fidel. (Fotos: Werner Szybalski)

Wohnraum zu angemessenen und bezahlbaren Mieten

Im Aufruf betonen die Organisatoren, dass Wohnen ein Menschenrecht ist. Die Situation vieler Mieter*innen – auch in Münster – ist inzwischen aber so schlecht, dass prekäre Verhältnisse drohen. Alle Menschen sind auf eine Wohnung angewiesen. Zigtausende in unserer Stadt wollen oder können sich keine Wohnung im Eigenbesitz leisten. Die Klimakrise kann zudem nur bewältigt werden, wenn die Menschen zusammenrücken und gemeinsam in möglichst wenig Fläche versiegelden Häusern und Wohnanlagen leben.

Die Corona-Pandemie hat die Situation verschärft und zudem deutlich gemacht, warum die Menschen eine Wohnung benötigen, in der das Leben auch lebenswert ist. Dazu bedarf es genügend Wohnraum für alle Münsteraner*innen – dies zu angemessenen und bezahlbaren Mieten.

Die größte Vermieterin in Münster ist die LEG Immobilien SE mit Sitz in Düsseldorf. Der heutige LEG-Aktienkonzern entstand durch Privatisierung ehemaliger öffentlicher, teilweise kommunaler, regionaler und gemeinnütziger Wohnungsunternehmen. In Münster gehörten unter anderem die Wohnungsgesellschaften WGM (Wohnungsgesellschaft Münsterland) und GWN (Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Nordwestdeutschland) dazu. Aber auch viele ehemalige Wohnungen für Postler*innen, Bahner*innen oder Ärzt*innen sowie medizinisches Personal werden heute in Münster von der LEG vermietet.

Mieter*innen zahlen die Zeche

Der Aktienmarkt setzt seine dort notierten Immobilienkonzerne erheblich unter Druck. Die Dividenden der und damit auch die Mieten bei den börsennotierten Wohnungsunternehmen gehen durch die Decke. Der größte deutsche Wohnungskonzern Vonovia mit Sitz in Bochum, auch Wohnungsbesitzer in Münster, hob im Coronajahr 2020 die Mieten um 3,1 Prozent auf 6,95 Euro pro Quadratmeter an. Die Dividendenausschüttung an die Aktionäre fiel in diesem Jahr um 7,6 Prozent höher ist als im vergangenen Jahr. Auch die LEG, die am 27 Mai ihre Hauptversammlung abhält, will die Dividende gegenüber dem Vorcoronajahr um fünf Prozent steigern. Dies alles aus den Taschen der Mieter*innen und der Kommunen, die für viele Mieter*innen die Zeche zahlen.

Diese Entwicklung muss gestoppt werden, denn die Wohnungskonzerne müssen für diese hohen Dividenden alle – leider teilweise auch rechtlich fragliche – Mittel nutzen, um ihre Kapitaleigner zufriedenzustellen. Wer darunter leidet ist klar – alles geht zu Lasten der Wohnqualität und der Portemonnaies der Mieter*innen. Deshalb fordern wir die Mieten zu senken statt Dividenden zu erhöhen, die Häuser und Wohnungen auf Kosten der Unternehmen zu sanieren und nur im Einvernehmen mit den Mieter*innen zu modernisieren und die Rechte der Mieter*innen umfassend zu stärken.

Am Tag der Aktionärsversammlung der LEG Immobilien SE, Donnerstag, dem 27. Mai 2021, demonstrieren LEG-Mieter*innen zunächst um 17 Uhr an der Kolmarstraße und später (ab 18 uhr) vor der LEG-Niederlassung Münster an der Hammer Straße 226.

„§§ 218 und 219 müssen weg“

Amtsgericht Coesfeld verurteilt Gynäkologen Detlef Merchel – 3000 € Geldstrafe

Am Donnerstag (20. Mai 2021) musste sich der Nottulner Gynäkologe Detlef Merchel vor dem Amtsgericht Coesfeld für seine aufklärerischen Informationen auf der Webseite seiner Praxis zum Schwangerschaftsabbruch verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf dem Arzt, der in seiner Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, vor, mit den Information über die von ihm angewandten Methoden gegen den § 219a des Strafgesetzbuches (Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) zu verstoßen. „Früher durfte ich informieren, aber nicht schreiben, dass ich es mache. Heute darf ich schreiben, dass ich es mache, aber nicht informieren“, zitieren die Westfälischen Nachrichten den Frauenarzt, der sich mit dieser Situation nicht zufrieden gibt. Deshalb lehnte er die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen ab – er wollte ein Urteil. Dieses bekam er. 20 Tagessätze à 150 Euro, also 3000 Euro, soll Detlef Merchel zahlen. Ob er und sein Münsteraner Anwalt Wilhelm Achelpöhler das Urteil akzeptieren, entscheidet sich in der Woche nach Pfingsten.

Solidarität mit Merchel – 70 Demonstrant*innen vor dem Amtsgericht

Gynäkologe Detlef Merchel aus Nottuln.

Rund 70 Menschen versammelten sich am Donnerstagvormittag schon eineinhalb Stunden vor Prozessbeginn vor dem Amtsgericht Coesfeld, um ihre Solidarität mit Detlef Merchel zu bekunden und um für die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219 StGB zu demonstrieren.

Detlef Merchel freute sich über die breite Unterstützung. Unter anderem das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Die Linke Coesfeld, Frauen e.V. Kreis Coesfeld, pro familia Münster (und aus anderen Orten), die Grünen Nottuln, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF), die Jungen Liberalen Münster, die Kritischen Mediziner*innen Münster und viele Feminist*innen zeigten in Coesfeld Flagge.

In den Redebeiträgen vor dem Amtsgericht wurde von Vertreterinnen aus Politik und Praxis die Existenz des § 219a StGB deutlich kritisiert wurde. Dessen Abschaffung wurde von der Demonstration gefordert. Viele juristische, medizinische und feministische Organisationen möchten das Verbot über die angebotene medizinische Leistung des Schwangerschaftsabbruchs und die zur Anwendung kommenden Methoden zu informieren, gekippt wissen. Redner*innen dankten Detlef Merchel und auch den in anderweitigen Verfahren verfolgten Ärztinnen Kristina Hänel und Bettina Gaber für ihren Mut und ihre Zivilcourage. Beide standen schon wegen einer §219a-Anklage vor Gericht. Auch sie wurden verurteilt, kämpfen aber auch juristisch noch weiter.

Weg mit dem § 219a, damit Schwangere sich informieren bekommen, wurde in Coesfeld gefordert. (Fotos: Werner Szybalski)

Verfassungsbeschwerde ist in Karlsruhe eingereicht

Kristina Hänel, die ebenfalls wegen § 219a verurteilt wurde und gegen den Paragraphen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht hat, ließ in Coesfeld ein Grußwort verlesen. „Unfassbar“ sei es, so Hänel, dass Mediziner*innen in Deutschland von hohen Geldstrafen und sogar Gefängnis bedroht seien, nur weil sie nach ihrem Berufsverständnis und Ethos handelten und ihrem Aufklärungsauftrag nachkämen.

Vertreterinnen von pro familia berichteten von den negativen Folgen des Gesetzes für die Beratungspraxis: Immer weniger Ärzt*innen erklärten sich bereit, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, und Patient*innen könnten sich nicht gut informieren.

Die grüne Landtagsabgeordnete Josefine Paul aus Münster und Sonja Krämer-Gembalczyk vom Kreisverband der Linken in Coesfeld sprachen sich auf der Kundgebung für die Streichung des § 219a StGB aus.

Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a.

Christine Schmidt, Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster

Für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster kritisiert Sprecherin Christine Schmidt das Coesfelder Urteil: „Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a. Es wird Zeit, das Klima der Stigmatisierung, die Kriminalisierung des Abbruchs und die schlechte Versorgungslage zu beenden. Dafür demonstrieren wir nicht nur hier in Coesfeld, sondern notfalls auch in Karlsruhe.“

Auf dem Radweg vor dem Amtsgericht versammelten sich die Demonstrant*innen.

Berufung oder Revision ist möglich

„Wir haben noch nicht entschieden, ob wir Berufung oder Revision beantragen werden. Wahrscheinlich legen wir aber zunächst Rechtsmittel ein, um so die Zeit für die einzureichende Begründung hinzuzugewinnen“, erklärte mir gegenüber der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler. Er hatte in der Verhandlung damit argumentiert, dass „Verbreitung der Wahrheit nicht bestraft werden kann.“ Schließlich sei die Kenntnis der Wahrheit die Voraussetzung von Freiheit. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssten ungewollt schwangere Frauen die Möglichkeit zur Information haben. Anders könnten diesee ihr Persönlichkeitsrecht, zu dem auch die Durchführung eines nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruchs gehöre, kaum wahrnehmen.

Die Berliner Tageszeitung „taz“ schrieb zum Prozess in Coesfeld: „Mit dem Urteil folgt das Gericht im Münsterland der Linie von zwei Urteilen höherer Instanzen in Berlin und Frankfurt / Main aus jüngerer Vergangenheit. Die dortigen Rich­te­r*in­nen hatten bejaht, dass Ärz­t*in­nen nach Paragraf 219a verbotene „Werbung“ betreiben, wenn sie auf ihrer Homepage mitteilen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, darüber hinaus aber auch weiterführende Informationen liefern. Ersteres ist seit der Reform des Paragrafen im Jahr 2019 erlaubt, letzteres nicht.

Beim Verfahren gegen die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber hatten die Worte „medikamentös“ und „narkosefrei“ als solch eine zusätzliche Information für eine Verurteilung gereicht. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte im Revisionsverfahren gegen die Ärztin Kristina Hänel, dass nach der Reform des Paragrafen 219a solche sachlichen Informationen nicht mehr gestattet seien.

„Leuchttürme gehören an die Küste“ (aktualisiert)

IG Fahrradstadt demonstriert mit rund 150 Menschen gegen Flyover

Am Mittwoch (19. Mai) berät der Hauptausschuss für den Rat der Stadt Münster über die Vorlage V/0156/2020 (Flyover Aegidiitor: Radverkehrsbrücke zwischen Promenade und Bismarckallee – Förderantragsverfahren für das Programm „Förderung innovativer Projekte zur Verbesserung des Radverkehrs in Deutschland“). Heute (18. Mai) um 17 Uhr zeigten rund 100 Demonstrant*innen auf der Kreuzung Weseler Straße / Aegidiistraße / Adenauerallee wie lebenswert Münsters Innenstadt wäre, wenn es keinen Autoverkehr gäbe. Für 32 Minuten blockierten die Demonstrant*innen die Kreuzung. Sie positionierten sich damit gegen die Verwirklichung der Fahrradbrücke zwischen Promenade und Bismarckallee.

Der angedachte Flyover zwischen Promenade und Bismarckallee soll rund zehn Millionen Euro kosten. (Foto: Stadt Münster)

Stadt ist mit 600.000 Euro dabei

Das Projekt mit den enormen Fördermitteln vom Bund (acht Millionen) und Land NRW (1,4 Millionen) müsste mit 600.000 Euro von der Stadt Münster mitfinanziert werden. Dieses Geld könnte auch für andere freiwillige Aufgaben der Stadt ausgegeben werden, wenn der Hauptausschuss sich morgen gegen die vom Stadtbaurat Robin Denstorff eingebrachte Vorlage ausspricht.

Auf der Kundgebung sprachen sich die Redner aber nicht nur wegen der hohen Finanzausgaben gegen das geplante Bauprojekt aus. Steffen Lambrecht von Fridays for Future Münster: „Münsters Verwaltungsspitze verfolgt das Ziel, Platz auf den Fahrbahnen für Einpendler*innen mit dem Auto zu machen.“ Er forderte, dass in Münster Rad- und Fußverkehr auch und gerade dann zu fördern sei, wenn dabei der Autoverkehr zurückgedrängt wird. Die Verkehrsemissionen in der Stadt würden auf hohem Niveau stagnieren: „Autoanzahl pro Kopf und gefahrene Auto-Kilometer in der regionalen Betrachtung steigen. Wir sind leider noch immer eine Autostadt!“

Auch Anwohner*innen sind gegen den Flyover. (Foto: Werner Szybalski)

Klimagerechtigkeit und eine ökologische Verkehrswende

Lambrecht erklärte für Fridays for Future Münster: „Nein zum Flyover, nein zu Leuchturmprojekten, nein zu einer autogerechten Radverkehrsförderung. Wir fordern Klimagerechtigkeit und eine ökologische Verkehrswende!“

Rüdiger Sagel

Auch der ehemalige Ratsherr Rüdiger Sagel sprach sich klar gegen die Brücke aus: „Dieses Prestigeprojekt Flyover ist kontraproduktiv. Der vierspurige Autoverkehr durch Münsters Innenstadt wird sogar beschleunigt! Es nutzt nur dem Autoverkehr. Damit Autos hier mit oftmals sogar mehr als 50 km/h am Aasee entlang düsen können.“ Er verwies auf die Berichterstattung in den Westfälischen Nachrichten (€) und erklärte: „Man geht sogar soweit, durch Verfälschung des ursprünglichen Gutachtens ins Gegenteil, den gesamten Stadtrat täuschen zu wollen. Dieses Projekt ist verkehrstechnisch unbegründet und daher unsinnig. Ökologisch ist es sowieso nicht, denn Bäume in der unter Denkmalschutz stehenden Promenade sollen abgeholzt werden.“

Er forderte Grüne und SPD auf, morgen die Vorlage im Hauptausschuss abzulehnen und schlug vor: „Beschließt eine grüne, ökologische Verbindung zwischen Altstadt, Promenade und Aasee. Schafft eine Stadt, die für Menschen und nicht für Autos gemacht ist.“

Auf dem Boden bleiben

Konstantin Kubina, von den Kundgebungsorganisatoren IG Fahrradstadt Münster, erklärte: „Durch die Brücke wird die Bevorrechtigung des Kfz.-Verkehrs manifestiert.“ Er verdeutliche, dass die Sperraktion 32 Minuten dauere, weil die Fahrradpendler an dieser Kreuzung monatlich genau so lange auf grünes Licht warten müssten. Der Overfly würde nur von rund 2600 Radfahrer*innen genutzt werden, was weniger als zehn Prozent der Fahrradverkehrs in diesem Bereich ausmachen würde.

Konstantin Kubina von der IG Fahrradstadt Münster bezeichnete den Overfly als überteuertes Leuchtturmprojekt. (Foto: Werner Szybalski)

Die IG Fahrradstadt Münster forderte:

  • Der gesamte Abschnitt ab der Scharnhorststraße bis hin zur Promenaden-Querung muss für den MIV (motorisierter Individualverkehr) gesperrt werden. Die Durchfahrt für Busse muss ermöglicht werden und die Ampeln sollen entfernt werden.
  • Die Aegidiistraße, die Straße Am Kanonengraben und die Adenauerallee sowie dieses Teilstück der Weseler Straße soll als Fahrradstraße deklariert werden. Damit entsteht mit den bestehenden Fahrradstraßen Annette-Allee und Bismarckallee ein komfortables Netz von Fahrradstraßen im Herzen der Stadt.
  • Der Durchgangsverkehr in Pluggendorf kann mit intelligenten Einbahnstraßenlösungen rausgehalten werden.

„Leuchttürme gehören an die Küste. Für eine Stadt, die sich dreht, müssen sich alle trauen, dem Kfz.-Raum wegzunehmen – und ansonsten auf dem Boden bleiben“, so Konstantin Kubina, der betonte: „Das Problem ist nicht, dass die Stadt die Situation für ein paar tausend Radfahrende mit fragwürdigen Mitteln verbessern will. Das Problem ist, dass sie nichts gegen die alltägliche Blechlawine tut.“

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Nachtrag vom 19. Mai (21:57 Uhr)

In einer Pressemitteilung der Stadt Münster wird kund getan, dass die Entscheidung über den „Flyover“ verschoben wurde, Die Mitteilung im Wortlaut:

Politik verschiebt „Flyover“-Entscheidung

Münster (SMS). In Vertretung für den Rat der Stadt Münster hat der Hauptausschuss heute (Mittwoch, 19. mai 2021) Beschlüsse zum Fahrradbrücken-Projekt „Flyover“ getroffen. Der Flyover soll nach früheren Vorschlägen der Verwaltung die Verbindung Promenade – Bismarckallee mit einer Fahrradbrücke über die Weseler Straße stärken.

Im Frühjahr 2020 hatte der Haupt- und Finanzausschuss das Projekt bereits grundsätzlich begrüßt und die Verwaltung beauftragt, auch alternative Linienführungen zu prüfen. Die entsprechend parallel geprüfte Y-Variante mit einer Verzweigung auf der Brücke in Richtung Adenauerallee / Promenade soll, so der aktuelle politische Beschluss, nicht weiter verfolgt werden.

Der Rat folgte einem Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, Volt und der FDP und beschloss, dass zunächst ein Gesamtkonzept für den Knotenpunkt Aegidiitor erarbeitet werden soll, welches eine wesentliche Verbessserung aller Wegebeziehungen der ebenerdigen Rad-, Fuß- und ÖPNv-Verkehrsführung vorsieht. Zudem soll dieses Gesamtkonzept auch den motorisierten Individualverkehr berücksichtigen und Varianten sowohl mit wie auch ohne Flyover ausloten. Planungen, die den Flyover isoliert betrachten, sollen bis dahin pausieren. Ergänzend setzten Bündnis90/Die Grünen, SPD, Volt, Die Linke und Die Partei/ÖDP sich mit einem Änderungsantrag durch, der die Umwandlung der Aegidiistraße zu einer Fahrradstraße mit hoher Fußverkehrsqualität in das Plankonzept integriert wissen will.

Aufgrund der vom Landtag festgestellten Pandemielage ersetzte die Hauptausschussitzung am Mittwoch die Sitzung des Rates. Dieses Vorgehen fand die gesetzlich vorgesehene Zustimmung von mehr als zwei Dritteln der Ratsmitglieder und folgte einer entsprechenden Empfehlung des Ältestenrates. Die Sitzung fand im Congress-Saal der Halle Münsterland statt.

Acht Tote täglich

100 Tage Putsch in Myanmar – Mahnwache im Friedenspark

Am 1. Februar 2021 putschte im südostasiatischen Myanmar – oder Burma, wie das Land vielfach im Westen und bei Nichtregierungsorganisationen genannt wird – das Militär. Die unerträgliche Situation insbesondere für die Einwohner*innen in dem Land bewegt auch viele Menschen in Münster. Angeregt durch Dr. Thomas Brüninghaus von der Tibet-Initiative Münster führten 100 Tage nach dem Putsch unter Führung von General Min Aung Hlaing die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Amnesty International (ai) Münster im Friedenspark in der Loddenheide eine Mahnwache durch. Die Teilnehmer*innen gedachten der Opfer. Allein in den ersten 100 Tagen starben in Myanmar schon 800 Menschen. Es war auch als politischer Protest gegen die dortige Militärherrschaft gedacht. In Deutschland wurde bislang öffentlich nur in Münster und Berlin gegen die andauernden Menschenrechtsverletzungen in Burma protestiert.

Gewaltlose Proteste gegen die Militärdiktatur

Dr. Thomas Brüninghaus berichtete, dass nach dem Militärputsch nahezu 800 Zivilisten in diesen ersten hundert Tagen bei gewaltlosen Straßenprotesten starben. „Etwa 5000 Menschen wurden verhaftet, die Mehrheit ist noch immer interniert. Zu den Gefangenen zählt auch die demokratisch gewählte Regierung mit Aung San Suu Kyi an der Spitze.“ Er will an jedem Samstag die aktuellen Opferzahlen aus Myanmar als Mahnung an der Gedenklinde im Friedenspark eintragen.

Dr. Thomas Brüninghaus wird an jedem Samstag die aktuellen Opferzahlen aus Myanmar als Mahnung an der Gedenklinde im Friedenspark eintragen. (Fotos: Werner Szybalski)

Bürgerkrieg droht

Dr. Kajo Schukalla

Dr. Kajo Schukalla von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Münster erläuterte die aktuellen Konflikteskalation mit den Nationalitäten in dem südostasiatischen Land. Er wusste von Bombenangriffen und dem aufflammendem Krieg unter anderem in Minderheitengebieten der Karen, Shan und Chin. „Bereits Mitte April hatte Michelle Bachelet, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, aufgrund der Konfliktkonstellation vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Durch die Militärherrschaft haben sich die Bedingungen für die über 100.000 Binnenvertriebenen im Norden des Landes weiter zugespitzt. Hoffnungslos bleibt auch die Lage der 1978 geflüchteten und erneut seit Herbst 2017 von der Armee massenhaft vertriebenen islamischen Minderheit der Rohingya. Eine Chance auf Rückkehr in Würde und Sicherheit aus dem extrem armen Bangladesh bleibt einer Million Rohingya von der Militärführung erst recht verwehrt.“

Rückgabe der Macht an die zivile Regierung

Ulrike Krause von Amnesty International Münster forderte ein entschlosseneres Handeln durch die internationale Gemeinschaft, die Rückgabe der Macht an die zivile Regierung in Myanmar und strafrechtiche Konsequenzen für die Putschisten, ein umfassendes globales Waffenembargo sowie gezielte finanzielle Sanktionen gegen hochrangige Militärs. Auch müsse humanitären Helfern dauerhaft und ungehindert Zugang zu den Vertriebenen im ganzen Land und anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen gewährt werden.

„Meine Aufgabe besteht heute darin, die Möglichkeiten des Einzelnen zur Unterstützung der Menschenrechtssituation in Myanmar aufzuzeigen“, erklärte Ulrike Krause zu Beginn ihrer Rede. Sie forderte die Teilnehmer*innen auf, sich hinter die Bevölkerung von Myanmar zu stellen und die Petition von Amnesty International USA online zu unterstützen.

Ulrike Krause forderte die Teilnehmer*innen auf, sich hinter die Bevölkerung von Myanmar zu stellen.

Friedenspark hat eine besondere Bedeutung

Dass die Menschenrechtler ausgerechnet den Friedenspark abseits der Innenstadt als Ort ihres Mahnens und Protestes wählten, hat eine Vorgeschichte.

Am 7. Juni 1998, anlässlich des Jubiläums „350 Jahre Westfälischer Friede“, hatte neben dem Dalai Lama auch Sein Win, der damalige Premierminister der Exilregierung Burmas, in Vertretung der unter Hausarrest stehenden Friedensnobelpreisträgerin und damaligen Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi, eine Linde in dem ehemaligen Militärschießstand gepflanzt. So wurde diese Konversionsfläche zu einem friedensbezogenen Symbolort, an dem auch die Tibet-Initiative regelmäßig an die chinesische Unterdrückungspolitik erinnert.

Im August 2017 hatte sich Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin von 1991, bei der einsetzenden Massenvertreibung der Rohingya-Minderheit nicht für die Menschenrechtsopfer der nationalistischen Ausgrenzung und blutigen Vertreibung eingesetzt, sondern diese geduldet und sich damit als Friedensikone völlig diskreditiert. Der ihr 2009 von Amnesty International verliehene Titel „Botschafterin des Gewissens“ wurde ihr im November 2018 wieder von der Menschenrechtsorganisation entzogen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker forderte außerdem den Entzug des ihr 2014 verliehenen Willy-Brandt-Preises.

Gedenktafel im Friedenspark.

Konflikte durch ethnische und religiöse Struktur

Nach der Mahnkundgebung wurden noch die innenpolitische Lage in Myanmar / Burma und Möglichkeiten bundesdeutschen Protestes und internationaler Unterstützung diskutiert.

Der Blick auf die nachkoloniale Entwicklung machte deutlich, dass der Staat die längste Zeit von Militärdiktaturen geführt wurde. Auch war die ethnische und religiöse Struktur immer ein Konfliktmoment. Große Minderheiten wie die Shan von den offiziell 135 Gruppen hatten sich nur mit der Zusicherung von föderalen Selbstbestimmungsrechten der „Union of Burma“ angeschlossen und pochen mit Recht auf ihre von den Militärs immer verweigerten Rechte.

Mahnwache für die Opfer in Myanmar / Burma im Friedenspark in der Loddenheide.

Auch noch anlässlich des Jubiläums 1998 bei der Osnabrücker Friedenskonferenz und den Veranstaltungen in Münster gab es seitens der Delegierten der Shan und Karen Missstimmung wegen empfundener Zurücksetzung gegenüber dem Ministerpräsidenten, erinnerte sich Schukalla, der anfügte: „Auch künftig werde es einen nachhaltigen Frieden nur bei Anerkennung der Nationalitäten und föderaler Rechte geben können. Ein buddhistisch geprägter Nationalismus, der zu Übergriffen auf christliche Minderheiten wie die Chin und zu Vertreibung der Muslime führe, könne kein Zukunftsmodell sein. Selbstverständlich müssten auch die vertriebenen Rohingya in ihre Heimat zurückkehren können.“

Zum Abschluss der Mahnwache im Friedenspark erklärte Dr. Kajo Schukalla, dass die neue Zusammenarbeit zwischen Amnesty International und der Gesellschaft für bedrohte Völker in Münster künftig weitergeführt werden soll.

„150 Jahre Widerstand gegen § 218“

Rund 200 Demonstrant*innen beim „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“

Am Samstagnachmittag demonstrierten rund 200 Menschen auf der Stubengasse in Münster für die Abschaffung des § 218 StGB und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Uterus. Eingeladen hatte das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, zu dem unter anderem die SPD Münster, die Grünen Münster, die Linke Münster, die Jusos Münster, der SDS Münster, Kaktus Münster, die Linksjugend Münster, die FDP Münster, die Münsterliste, der DGB Stadtverband Münster, der GEW Stadtverband Münster, Frauen helfen Frauen e.V., der Deutscher Ärztinnenbund Gruppe Münster, der pro familia Landesverband NRW, die Kritischen Jurist*innen Münster, der Lesbische Kulturverein Livas e.V. , der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V., der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten Landesverband NRW, der Tierrechtstreff und Fossil Free Münster sowie Cinema & Kurbelkiste Münster gehören.

In den Redebeiträgen der Vertreter*innen des Bündnisses und von pro familia, Volt Grünen, Linken und Jungen Liberalen wurde die Liberalisierung und auch die Entkriminalisierung gefordert. Mehrere Rednerinnen verwiesen auf eine humanere Lösung in anderen EU-Staaten. Insbesondere die Niederlande wurden als fortschrifttlicher und auch als Beispiel für Deutschland angeführt. Die Liedsängerin Hanna Meyerholz rahmte die Redebeiträge ein.

Rund 200 Demonstrant*innen versammelten sich am Samstag auf der Stubengasse in Münster, um gegen den § 218 StGB und für Selbstbestimmung einzutreten. (Fotos: Werner Szybalski)

Aktionen in 40 Städten

Münster war am Samstag Teil eines bundesweiten Aktionstages anlässlich der eher traurigen Anlasses „150 Jahre § 218“. Am 15. Mai 1871 wurden die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Reichsstrafgesetzbuch verankeret. Noch heute, Generationen später, sind Schwangerschaftsabbrüche nach §218 StGB eine Straftat, die in Deutschland nur bei bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich strafrechtlich nicht verfolgt werden.

„Die Regelung im Strafgesetzbuch entmündigt Betroffene und verweigert ihnen eine würdevolle, selbstbestimmte Entscheidung. Auch die medizinische Versorgungssituation wird immer kritischer, da immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ärzt*innen dürfen zudem auf ihren Websites nicht ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, weil der Paragraf 219a StGB dies verbietet. Wir rufen die Politik auf, die Streichung von § 218, § 219 und § 219a aus dem Strafgesetzbuch und eine Neuregelung des Rechts auf einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch in ihren Wahlprogrammen zu verankern“, verdeutlicht das Bündnis auf ihrer Webseite.

Vor der Kundgebung hatten Passant*innen die Gelegenheit sich auf Schautafeln historische Fakten über 150 Jahre Widerstand gegen § 218 zu informieren. Die aussagekräftigen Tafeln beleuchteten den Eingriff in die Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das NS-Regime, die DDR bis hin zur Neureglung der gesetzlichen Grundlage der Abtreibung in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Schautafeln standen den Passant*innen auf der Stubengasse zur Verfügung, um sich bei einem Gallery Walk über 150 Jahre Widerstand zu informieren.

§ 219a bringt Nottulner Gynäkologe vor Gericht

Am Donnerstag, dem 20. Mai, verhandelt das Amtsgerichts Coesfeld über einen Verstoß gegen den § 219a StGB, der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe stellt. Der Staat will Menschen, die „Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs“ öffentlich bewerben mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestrafen. Auch der Hinweis „auf Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind“ kann so bestraft werden. Der praktizierende Gynäkologe Dr. Detlef Merchel will dieses Verfahren, weshalb er auch vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung unterstützt wird.

Solidaritätskundgebung am Donnerstag in Coesfeld

Die Münsteraner*innen rufen zur Solidaritätskundgebung auf: „Wie zahlreiche Ärzt*innen vor ihm ist nun auch der in Nottuln praktizierende Gynäkologe Dr. Detlef Merchel wegen Verstoßes gegen § 219 a angeklagt. Und das nur, weil er auf seiner Website seine Patient*innen darüber informiert, mit welchen Methoden und unter welchen Bedingungen er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Am Donnerstag, den 20.05. findet vormittags am Amtsgericht Coesfeld die Verhandlung statt. Wir vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung veranstalten ab 9.30 Uhr vor dem Amtsgericht Coesfeld eine Solidaritätskundgebung.  
Der Prozess ist eine große Ungerechtigkeit und ein weiterer Beweis, dass der § 219a das Leben von Ärzt*innen und Patient*innen schwerer macht. Immer weniger Mediziner*innen entschieden sich dafür, einen Abbruch anzubieten, weil sie Angst haben müssen, verklagt zu werden – und ungewollt Schwangeren ist es verwehrt, sich eigenständig zu informieren. 
Daher werden wir Dr. Merchel mit unserer Kundgebung unsere Solidarität ausdrücken. Lasst und gemeinsam einmal mehr die Abschaffung des § 219a fordern!“

Ratskoalition verliert die Mehrheit

Mathias Kersting tritt aus der SPD aus

Der Trouble beim Kommunalwahlverlierer SPD Münster hält an. Der Betriebswirt Mathias Kersting verlässt Fraktion und Partei. Er will sich der CDU anschließen. Damit verliert die Ratskoalition von Grünen, SPD und Volt ihre Ein-Stimmen-Mehrheit im Rat der Stadt Münster. Kersting war im Januar diesen Jahres als SPD-Fraktionsvorsitzender zurückgetreten, weil er mit dem zwischen SPD, Grünen und Volt ausgehandelten Koalitionsvertrag nicht zufrieden war. Kersting blieb in der SPD-Fraktion und der Koalitionsvertrag wurde erfolgreich nachverhandelt. Er ist inzwischen in Kraft.

Nun der Eklat: Kersting verrät die Koalition, die SPD und insbesondere natürlich die Wähler*innen in Münster, wobei das Letzte wohl der Betrug an den Wähler*innen ist. Kaum jemand wird am 13. September 2021 bei der SPD-Liste in Münster sein Kreuz gemacht haben, um damit einen voraussichtlich zukünftigen CDUler in den Rat der Stadt zu bringen. Mathias Kersting war einer der Spitzenkandidaten (Platz drei auf der Reserveliste für den Rat – hinter OB-Kandidat Michael Jung und der heutigen Bürgermeisterin Maria Winkel) der SPD. Das Direktmandat in Gremmendorf gewann der CDUler Andreas Nicklas.

Ein Ausschussvorsitz und fünf Aufsichtsratsmandate

Es ist sicherlich nicht falsch, den 35-jährigen Gremmendorfer Mathias Kersting als lokalpolitisches Schwergewicht zu bezeichnen. Immerhin wählte die SPD-Ratsfraktion ihn zu ihrem Vorsitzenden, nachdem Michael Jung sich zurückgezogen hatte. Zudem schickten die Sozialdemokraten Kersting als „Ordentliches stimmberechtigtes Mitglied“ in folgende Ausschüsse und Aufsichtsräte:

  • Hauptausschuss
  • Ausschuss für Wohnen, Liegenschaften, Finanzen und Wirtschaft (Vorsitzender)
  • Sozialholding Klarastift GmbH, Aufsichtsrat
  • Ambulante Dienste Klarastift GmbH, Aufsichtsrat
  • Klarastift Service GmbH, Aufsichtsrat
  • Flughafen Münster-Osnabrück GmbH, Aufsichtsrat
  • Altenzentrum Klarastift gGmbH, Aufsichtsrat
  • Gewerbepark Münster-Loddenheide (GML) GmbH, Fachbeirat

Als Stellvertretendes stimmberechtigtes Mitglied gehört Mathias Kersting zudem noch folgenden kommunalen Gremien an:

  • Rechnungsprüfungsausschuss
  • KonvOY GmbH, Aufsichtsrat
  • AirportPark FMO GmbH, Aufsichtsrat
  • Wirtschaftsförderung Münster GmbH, Aufsichtsrat
  • Ausschuss des Wasser- und Bodenverbandes „Münster-Südost“

Nagelprobe für die Koalition schon am Mittwoch?

Am Mittwoch, 19. Mai 2021, ersetzt wegen der Coronapandemie der Hauptauschuss den Rat der Stadt Münster. Getagt wird ab 16.30 Uhr im Congress Saal der Halle Münsterland (Tagesordnung). Dies wäre grundsätzlich kein Problem, so die Stadt Münster, weil der Hauptausschuss die Mehrheitsverhältnisse des Rates abbilden würde. Übermorgen könnte es allerdings anders werden, denn niemand kann den abtrünnigen Kersting, der von der SPD-Fraktion auch in dieses Gremium geschickt wurde, davon abhalten, als Ordentliches stimmberechtigtes Mitglied am Hauptauschuss teilzunehmen. Doch auf meine schriftliche Nachfrage zeigte Mathias Kersting, dass er zu seinem Wort steht: „Ich hatte schon vorher mit der SPD abgestimmt, das ich nicht teilnehme, sondern ein SPD-Mitglied mich vertritt. Daran halte ich mich.“

Kersting ist kein Tsakalidis

Ein ehrenhaftes Verhalten, welches nicht bei jedem Ratsmitglied vorhanden ist. Trotzdem könnte der parteilose Dr. Georgios Tsakalidis, der im September von der Wähler*innen der Münsterliste* in den Rat der Stadt Münster gebracht wurde, nun sein früheres Vorhaben, Mitglied der SPD-Fraktion zu werden, umsetzen. Tsakalidis war nur wenige Wochen nach der erfolgten Wahl aus der Münsterliste, einem inzwischen eingetragenen Verein, ausgetreten. Dies ohne Begründung, wenn man vom Nichterhalt einer Email (von mir abgesendet) absieht (siehe hierzu Westfälische Nachrichten und Die Wiedertäufer). Dies, obwohl auch er unterschrieben hatte, sein Mandat nicht anzunehmen beziehungsweise zurückzugeben, wenn er die Münsterliste verlässt.

* Compliancehinweis: Ich bin gemeinsam mit Dr. Georgios Tsakalidis für die Münsterliste – bunt und international bei der Kommunalwahl angetreten. Ich stand auf Platz zwei hinter Tsakalidis.

Werner Szybalski

Der Austritt von Mathias Kersting hat erhebliche Folgen für die Mehrheitsverhältnisse im Kommunalparlament. Bislang „regierte“ eine Ein-Stimmen-Mehrheit aus Grünen, SPD und Volt im Rat der Stadt Münster. Diese Mehrheit ist weg, weil Kersting weiterhin nicht mit dem Koalitionsvertrag im Reinen ist. Die Wiedertäufer zitieren Mathias Kersting heute so: „Ich bin zu dem Entschluss gelangt, dass ich diese politischen Grundüberzeugungen in der SPD Münster und vor allem der Rathauskoalition aus Grünen, SPD und Volt nicht umsetzen kann.“

Mehrheitsbildung dürfte schwierig werden

Im Oktober vergangenen Jahres fragte Dr. Georgios Tsakalidis, gerade aus der Münsterliste ausgetreten, ob er Mitglied der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Münster werden könne. Diese Anfrage, die von mehreren Ratsmitgliedern und Fraktionsangehörigen mir gegenüber bestätigt wurde, verlief aber schnell im Off. Sie wurde damals sofort an Journalist*innen in Münster durchgestochen. Als diese Medienvertreter*innen dann bei Tsakalidis nachfragten, leugnete er sein Ansinnen.

Neuer Mehrheitsbeschaffer? Dr. Georgios Tsakalidis.

Doch angesichts der knappen Verhältnisse, Die Linke hatte früh und nachdrücklich erklärt, dass sie ihren Platz nicht in der Ratskoalition sehe, und auch der ÖDP-Ratsherr Franz Pohlmann hatte sich vergleichbar geäußert, könnte Tsakalidis nun zum neuen Mehrheitsbeschaffer werden. Nach der Wahl hatten Grüne und SPD verdeutlicht, dass sie nur widerwillig mit wechselnden Mehrheiten im Rat arbeiten möchten.

Offen ist aber die Frage, ob sich die SPD und natürlich auch die Grünen und Volt mit Tsakalidis einen Gefallen bereiten würden. Der verloren gegangene Mitstreiter Mathias Kersting hatte zumindest kommunalpolitische Erfahrung und klare politische Vorstellungen für Münsters Entwicklung. In seiner Erklärung schrieb er: „Eine nachhaltige Verkehrswende kann nur mit Angeboten für alle gelingen, eine Verbotspolitik mit dem Feindbild Auto reicht nicht aus. […] Um bezahlbares Wohnen endlich zu schaffen, müssen wir Baugebiete ausweisen und als Stadt selbst bauen. Sinnvolle Nachverdichtungen und neue Baugebiete wieder in Frage zu stellen, das verhindert bezahlbare Mieten.“

Ergänzung um 18.15 Uhr (17. Mai 2021)

CDU-Fraktionschef gewährt Mathias Kersting Gaststatus

In einem CDU-Instagram-Post erklärte heute gegen 14 Uhr der Fraktionsvorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Stefan Weber, dass er Mathias Kersting „bis über die von Kersting beantragte Aufnahme in die CDU durch den Kreisvorstand formell entschieden ist“ Gaststatus in der CDU-Ratsfraktion gewährt. Dieses Angebot, so Weber, habe Mathias Kersting angenommen.

Werner Szybalski

LEG-Mieter*innen demonstrieren

Bei Problemen müssen Betroffene viel Zeit und noch mehr Geduld haben

Viele Mieter*innen leben aus unterschiedlichen Gründen sehr gern in ihrer Wohnung – auch wenn die Vermieterin der „eigenen vier Wände“ die LEG Immobilien SE mit Sitz in Düsseldorf ist. Die Mieten sind – selbst in Münster – häufig noch bezahlbar. Bei Problemen in oder rund um ihre LEG-Wohnung stecken viele Mieter*innen – häufig auch wegen der völlig unbegründeten Angst, die Wohnung von der LEG gekündigt zu bekommen – aber lieber zurück. Sie verzichten auf ihre Rechte und zahlen, was das börsennotierte Unternehmen von ihnen verlangt. Aber immer mehr LEG-Mieter*innen sind total genervt, dass die durchdigitalisierte LEG zwar erreichbar ist, aber die Schäden nur zögerlich oder auch gar nicht behoben werden.

Zum Auftakt versammelten sich die demonstrierenden LEG-Mieter*innen am Berg Fidel. (Foto: Werner Szybalski)

Einige Mieter*innen haben inzwischen beschlossen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen und jegliche Forderung der LEG unhinterfragt zu bezahlen. In verschiedenen Stadtteilen Münster schlossen sich LEG-Mieter*innen zusammen, um gemeinsam ihre Rechte gegen den Wohnungskonzern durchzusetzen. Da gibt es in Münster die Nachbarschaftsgruppen der LEG-Mieter*innen-Initiative, aber auch zum Beispiel die kommunalistische Gruppe „Berg Fidel solidarisch“, die sich auf Wunsch der LEG-Mieter*innen in ihrem Wohngebiet hinter dem Preußen-Stadion auch sehr intensiv für die Belange dieser Gruppe einsetzt. Der LEG gehören rund 700 Wohnungen im gerade 50 Jahre alt gewordenen Stadtteil Berg Fidel.

Mieter*innen: LEG – es reicht!

Am Freitag (14. Mai) lud Berg Fidel solidarisch LEG-Mieter*innen ein, laut und gemeinsam ihre Vorstellungen von einem zufriedenstellendem Mietverhältnis öffentlich kund zu tun – zunächst in Berg Fidel und nach dem kleinen Demonstrationszug in Richtung Innenstadt noch mal vor der Münsteraner Niederlassung der LEG Immobilien SE.

Dort nutzten Mieter*innen das Mikro nicht nur, um die Verhältnisse zu beklagen, sondern auch, um Wege aufzuzeigen, wie Mieter*innen sich wehren können. So erklärte zum Beispiel Georg Fedelinski, das Mitglied der LEG-Mieter*innen-Initiative Münster wohnt in der Hogenbergstraße in Berg Fidel, dass er sich seit Jahren erfolgreich gegen die unkorrekten Nebenkostenabrechnungen wehrt. Mats Reißberg berichtete, dass die Modernisierung rund um die Kolmarstraße nach dem von der LEG Mieter*innen-Initiative Geist zusammengeführten Widerstand der Nachbarschaft die Modernisierungen der LEG deutlich moderater und vermutlich auch weniger teuer ausfallen werden.

Probleme auch in anderen Orten

Nach der Aktion erreichte die LEG-Mieter-Initiative ein Schreiben eines LEG-Mieters aus Neubeckum, der an der Demonstration teilgenommen hatte: „Ich war dabei und fand es so weitgehend ganz gut, dass Mieter sich zusammentun und ihren Unmut Preis tun. Ich komme aus Neubeckum im Kreis Warendorf. Bei uns liegen die Ursachen auch nicht anders. Kein Hausmeister da, überhöhte Nebenkosten oder unübersichtlich für unser eins. Manche von uns mussten über 700 Euro nachzahlen. Wieso fragte ich? Von meiner Nachbarschaft bekam ich nur zuhören: Da kann man doch nichts machen. Das wird schon stimmen. Diese Meinung kann ich nicht teilen, deshalb finde ich es gut, dass es Menschen wie Euch gibt, die ihren Unmut Preis geben.
Ein kurzes Beispiel: Wir bekamen vor längerem neue Kellertüren. Schön, aber Schlüssel gibt es nicht. Man muss immer ums Haus laufen, um die Tür zu öffnen. Toll oder?
Der Grünabfall der Gärtner liegt seit Monaten hinterm Haus – es wurde wohl vergessen, ihn mit zunehmen.
Ich bin gespannt, ob die Demo etwas wach gerüttelt hat. Wäre beim nächsten Mal gerne wieder dabei. LEG – es reicht uns!“

LEG: Probleme ohne Ende

Protestunterschriften zeigen nur geringe Wirkung

Vor rund einem Jahr hatten die LEG-Mieter*innen in Berg Fidel ihrer Vermieterin hunderte von Protestunterschriften zukommen lassen. Initiiert von der kommunalistschen Gruppe „Berg Fidel solidarisch“ forderten sie unter anderem eine bessere Betreuung der knapp 700 LEG-Wohnungen im Stadtteil. Auch die Benennung einer/s direkten Ansprechpartners/in und der Zugang zum von allen Mieter*innen bezahlten Hauswart verlangten die Berg Fideler*innen. Immerhin wurden vom Vermieter wieder zwei wöchentliche Mieter*innen-Sprechstunden eingeführt.

„Doch das reicht den LEG-Mieterinnen nicht. Sie fordern weiterhin einen Hausmeister und transparente und niedrige Nebenkosten“, heißt es in der Ausgabe 9 der Stadtteilzeitung von Berg Fidel solidarisch. Anfang Mai berichteten auch die Westfälischen Nachrichten im kostenpflichtigen Onlineauftritt („LEG-Mieter warten vergeblich auf Reparaturen“) wieder über Probleme in den Häusern an der Hogenbergstraße.

Aufzüge stehen, Hähne tropfen und Heizung bleibt kalt

Unter anderem war der Aufzug über Wochen ausgefallen, wovon auch LEG-Mieter*innen im Moorhook in Kinderhaus leidvoll berichten können. Zudem gibt es Ärger mit dem Wasserdruck. Aus den Hähnen würde es nur tröpfeln, berichtete ein Bewohner, dass auch das Warmwasser nicht hinreichend heiß würde. Auch fiel im Frühjahr die Heizung aus. Ein Problem welches ebenfalls in verschiedenen Stadtteilen Münsters existiert.
Insbesondere bei älteren Häusern, deren Heizungsanlage schon in die Jahre gekommen ist, reichen manchmal kleine Reparaturen, um die Wohnung wieder mit der gewünschten Raumtemperatur zu heizen.

Wohnung im renovierungsbedürftigem Zustand übergeben

Einer jungen Mieterin, die im Oktober vergangenen Jahres eine LEG-Wohnung in der Nähe der Mondstraße bezog, verging ziemlich schnell die Freude an den neuen vier Wänden. Neben dem renovierungsbedürftigem Treppenhaus, der Holzboden war (und ist) an einer Stelle eingebrochen und Risse befinden sich in den Wänden, musste sich die Neumieterin mit gleich vier Problemen rumschlagen: die Wohnungstür schloss nicht richtig; in der Küche lief die Heizung permanent auf höchster Stufe und dafür in einem Zimmer überhaupt nicht; ein Fenster ließ sich, nachdem es geöffnet worden war, nicht mehr korrekt schließen und der Wasserdruck zur Wohnung in der ersten Etage war so gering, dass weder die Spülmaschine noch die Waschmaschine ihren Dienst taten. Auch der Wasserdruck im Spülbecken lässt zu Wünschen übrig.

Der Wasserdruck ist viel zu schwach. Vermutlich ist die Zuleitung verkalkt. (Foto: Werner Szybalski)

Unterstützung durch LEG-Mieter*innen-Initiative

„Ich habe mich nach vielen erfolglosen Versuchen bei der LEG schließlich in der Mieter*innenberatung in der Alten Apotheke an der Wolbecker Straße gemeldet. Wir haben gemeinsam ein Schreiben an die LEG formuliert“, berichtet die Mieterin, dass sie nach der schriftlichen Ankündigung schließlich die Mietzahlung gekürzt hatte. Dann kam Bewegung in die Sache – allerdings zunächst anders als erhofft.

Nicht zum Spülen sondern als Schrank nutzt die Mieter*in ihre Maschine. (Foto: Werner Szybalski)

Zunächst kam nämlich ein Mahnschreiben, mit dem sie aufgefordert wurde, die Mietrückstände unverzüglich zu begleichen. Was sie nicht gemacht hat. Nach weiteren telefonischen, brieflichen und digitalen Kontakten mit der Hausverwaltung passierte im Frühjahr doch etwas. Nach und nach wurden Wohnungstür, Heizungkörper und das Fenster repariert. Natürlich nicht bei einem Termin, sondern bei mehreren und von verschiedenen Handwerkern. Schließlich blieb „nur“ noch der Wasserdruck.

„Ich benutze meinen Geschirrspüler inzwischen als Schrank. Die Wäsche kann ich gegen Bezahlung zum Glück bei der Arbeit waschen“, ärgert sich die Mieterin, dass sechs Monate nach ihrem Einzug die Mietsache noch immer nicht vertragsgerecht zur Verfügung steht. Sie vermutet: „Die Handwerker haben mir gesagt, die Wasserrohre müssten gereinigt werden. Dann wäre der Druck ausreichend. Das aber ist der LEG wohl zu teuer.“

Realität in Münster: Risse in den Wänden und Löcher im Boden (kleines Bild) – „Gewohnt gut“, LEG? (Fotos: Werner Szybalski)

KOMMENTAR

LEG kommunalisieren

Einigen LEG-Mieter*innen sind die Probleme egal. Sehr viele wohnen gern in ihrer Wohnung und wollen dort auch wohnen bleiben. Aber die Anzahl der unzufriedenen LEG-Mieter*innen steigt und steigt. Dafür ist allein der Aktienkonzern und dessen auf möglichst hohe Rendite ausgerichtete Geschäftsstrategie verantwortlich. Die Mieten und Nebenkosten steigen, der Service wird immer schlechter. Wirklich helfen würde den Mieter*innen nur der Notausstieg – die Kommunalisierung des LEG-Wohnungsbestandes in Münster.

Werner Szybalski