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Die Mafia in Deutschland

Entweder man sieht sie überall oder gar nicht.“

Am 1. Februar 2019 liest Petra Reski, die profilierteste deutschsprachige Mafia-Autorin in Münster. Im Vorfeld der Veranstaltung „Mafia Calabria in Bella Monasteria“ sprach Werner Szybalski mit der in Venedig lebenden Journalistin.

Reski-Büchertisch bei Lesung in Bremervörde.

Frau Reski, sind Sie im Mafiarückzugsgebiet Deutschland die „einsame Ruferin in der Wüste?

Petra Reski: Immerhin habe ich das Gefühl, dass in letzter Zeit manches von dem, das ich bereits vor mehr als zehn Jahren gesagt und geschrieben habe, so langsam in das öffentliche Bewusstsein durchsickert. Dazu gehört übrigens auch, dass Deutschland kein „Mafiarückzugsgebiet“ ist, sondern ein Aktionsraum. Rückzugsgebiet hört sich immer so nett an, als würde die Mafia hier ihre Sommerferien verbringen. Tatsächlich macht die Mafia in Deutschland ihre Geschäfte in Deutschland seit 40 Jahren. Und was die einsame Ruferin betrifft: Außer mir haben ja auch schon einige andere gerufen, so zum Beispiel der kürzlich verstorbene Dagobert Lindlau 1998 mit seinem Buch „Der Mob“. Allerdings ist die Mafia ein Thema, das sich in Deutschland bestens verdrängen lässt. Es gibt hier keine toten Antimafia-Staatsanwälte, nur „erfolgreiche italienische Unternehmer“. Es wäre schön, wenn es mehr Informationen gäbe, aber leider übersetzen deutsche Verlage so selten Bücher italienischer Antimafia-Staatsanwälte, die viele brillante Analysen geliefert haben.

Nur einmal, bei den sechs Morden am 15. August 2007 in einer Pizzeria in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs, zeigte die kalabrische ’Ndrangheta ihre hässliche Fratze öffentlich. Hat die Mafia mehr aus dieser Gewalttat gelernt als die deutsche Gesellschaft?

Petra Reski im Januar in Bremervörde.

Reski: Definitiv hat die Mafia aus Duisburg mehr gelernt als Deutschland. Die ’Ndrangheta, die kalabrische Mafiaorganisation, die sich hinter dem Attentat verborgen hat, hat schnell reagiert, praktisch schon wenige Wochen nach den Morden kam es zwischen den beiden verfeindeten Clans zu „Friedensgesprächen“: Duisburg war ein Betriebsunfall, der sich auf keinen Fall wiederholen soll. Dafür ist das deutsche Geschäft zu wichtig. Und glücklicherweise für die Mafia sind die Deutschen ja auch nur kurzzeitig aus ihrem langen Schlaf aufgeschreckt und kurz danach wieder in selbigen versunken.

Geht es für Mafiosi in Deutschland „nur“ um Geldwäsche oder sind die Clans auch anderweitig aktiv?

Reski: Was heißt hier „nur“ Geldwäsche? Geldwäsche ist eines der Prinzipien, dank derer nicht nur der wirtschaftliche Wettbewerb ausgehebelt wird, sondern die Demokratie. Dank der Geldwäsche können mafiose Unternehmer durch ihre Dumpingpreise Ausschreibungen gewinnen, dank der Geldwäsche können sie sich in Deutschland ganze Straßenzüge kaufen. Dank der Geldwäsche können sie sich eine saubere, legale Fassade zulegen – und einen respektieren Platz in der Gesellschaft noch dazu.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat jüngst verkündet, mit einer Kooperation dreier Ministerien die Organisierte Kriminalität zukünftig effektiver zu bekämpfen. Reicht dies oder was muss geschehen, um die illegalen Machenschaften der Mafiosi zu bekämpfen?

Reski: Die einzige positive Initiative sehe ich darin, dass seit Juli letzten Jahres Güter beschlagnahmt werden können, wenn nur der Verdacht besteht, dass sich dahinter ein Verbrechen verbirgt – und der Betreffende vor dem Richter nicht nachweisen kann, dass er seine Güter legal erworben hat. Was de facto eine Beweislastumkehr ist. Damit nähert sich Deutschland etwas der italienischen Gesetzgebung an. Allerdings kann man in Italien den Mafiosi schon die Güter beschlagnahmen, wenn nur der Verdacht der Zugehörigkeit zur Mafia besteht. Und da besteht noch etwas Handlungsbedarf in Deutschland, denn der italienische Paragraf der Mafiazugehörigkeit unterscheidet sich wesentlich von der deutschen kriminellen Vereinigung, deren Höchststrafe lediglich bei fünf Jahren liegt.

Mit dem Begriff „Mafia“ verbinden viele Menschen offensichtlich auch Positives. So bezeichnen sich zum Beispiel Ultra-Gruppen in Stadien als Mafia. Selbst kulturelle Vereinigungen, wie die „Theatermafia“ im Paul-Gerhardt-Haus in Münster, wo Sie am 1. Februar zu Gast sind, bezeichnen sich so. Noch heute schwärmen ältere Sportpolitiker in Münster von den Zeiten der „Sportmafia“ in der Kommunalpolitik. Damals wurde angeblich parteiübergreifend erfolgreich für ihr Politikfeld und gegen andere Interessen agiert. Was bedeutet dies für diese sprachliche Akzeptanz der Mafiosi für unserer Gesellschaft?

Reski: Der Mafia ist es nur recht, wenn der Begriff „Mafia“ so leichtfertig verwendet wird. Einmal sagte mir die Ehefrau eines hochrangigen sizilianischen Mafiosos, der im Gefängnis saß, ihrer Meinung nach natürlich zu Unrecht: „Also wenn das keine Mafia ist, dann weiß ich nicht, was Mafia sein soll. Ich sehe die Mafia überall, im Alltag, in den Institutionen, in Schulen. Entweder man sieht sie überall oder gar nicht.“ Ziel des inflationären Gebrauchs des Wortes Mafia ist klarzumachen: Wenn alles Mafia ist, ist die Mafia keine Gefahr mehr.

Jüngst erschien in Deutschland das Buch „Gewisse Momente des gebürtigen Sizilianers Andrea Camilleri. Der Erfinder des Kriminalromanhelden Commissario Montalbano schildert prägende Momente seines Lebens. Das Kapitel „Zù Filippo handelt vom dörflichen Mafiaboss, der sein Tagwerk als einfacher Schafhirte verrichtete. Als Camilleris Familie bestohlen wurde, sorgt im Hintergrund Zù Filippo, allerdings nur, weil Camilleris Familie in einer geschäftlichen Beziehung zu ihm steht, für Gerechtigkeit. Helfen diese „Robin-Hood-Geschichten den Clans?

Reski: Die Robin-Hood-Geschichten gehören zum Gründungsmythos der Mafia. Ohne diesen Mythos kann sie gar nicht bestehen. Die Mafia versucht sich stets als etwas Edelmütiges darzustellen, als eine Art Aristokratie des Verbrechens: In Kalabrien versuchen sich Mafiosi als Erben der Briganten zu verkaufen, sozusagen als gesellschaftliche Rebellen. Was natürlich nie gestimmt hat, weder in der Geschichte, noch heute: Die Mafia ist nicht entstanden, um das Volk zu verteidigen, sondern um es zu bedrohen und die Ärmsten als bewaffneten Arm einzusetzen – um sich ihrer zu entledigen, sobald sie nicht mehr gebraucht werden. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass die Mafia ohne den sozialen Konsens nicht leben kann. „Wir leben vom Volk“, sagte der Mafioso Antonio Rotolo einmal am Telefon zu einem anderen Boss. „Zuallererst muss man die kleinen Leute aus dem Stadtviertel respektieren. Du darfst nicht gefürchtet werden, sie müssen dich mögen, das ist etwas ganz anderes. Denn der Respekt ist die eine Sache, die Untertänigkeit eine andere: Kaum drehst du den Rücken, nutzt einer die Gelegenheit für einen Dolchstoß.“

Warum haben Sie neben Sachbüchern und Artikeln ab 2014 ihre Mafia-Aufklärungsarbeit in die Form des Kriminalromans gebracht?

Reski: Ich habe Jahre damit verbracht, mich gegen die Klagen der sogenannten „erfolgreichen italienischen Unternehmer“ zu wehren, denen es das deutsche Pressegesetz sehr leicht macht, Autoren zu verklagen. Dazu muss man nicht mal einen Namen nennen. Hinzu kamen Drohungen – ich habe gewissermaßen so etwas wie „method acting“ gemacht, nur eben auf Literatur übertragen: Dank dieser Erfahrungen kann ich zumindest ansatzweise nachvollziehen, wie sich Menschen fühlen, die in das Visier der Mafia geraten sind – die bedroht, verklagt und verleumdet werden – und die nicht nur juristische, sondern auch sehr aufreibende menschliche Erfahrungen machen: enttäuschende, aber auch unverhofft ermutigende.

Petra Reski im Januar in ihrer Wahlheimat Venedig.

Die Klagen haben zur Folge gehabt, dass auch ich eine Schere im Kopf hatte. Genau das ist das Ziel der Mafia und dagegen wollte ich mich wehren – ich wollte mich dem nicht unterwerfen. Also habe ich beschlossen, Romane über die Mafia zu schreiben, ganz im Sinne von Louis Aragon: Der Schriftsteller beschreibt die Wirklichkeit, indem er sie erfindet. Aragon nannte es das „Wahr-Lügen“. Der Kriminalroman hat als literarische Form den großen Vorteil, dass die Realität als Inspirationsquelle genutzt wird, ich mache also weiterhin meine Recherchen, ich setze sie nur anders ein. Mich interessiert an der Mafia ja besonders die sogenannte „Grauzone“, also die vermeintlich Anständigen, die mit der Mafia zusammenarbeiten und ihren Anstand ganz schnell fallen lassen, wenn es einen Vorteil bringt. Die Psychologie solcher Figuren finde ich faszinierend – und genauso spannend finde ich es auch, wie es der Mafia gelingt, die Schwächen nicht nur einzelner Personen, sondern ganzer Gesellschaften auszuloten und auszunutzen. Das alles kann man nur in einem Roman beschreiben.

Wie viel Petra Reski steckt in ihrer Romanfigur des Journalisten Wolfgang W. Wieneke?

Reski: Ich könnte jetzt im Sinne von Flaubert sagen: Wieneke, c’est moi. Allerdings bin ich auch Serena Vitale, und sogar die Mutter von Serena, wenngleich ein erheblicher Altersunterschied zwischen uns liegt. In allen Figuren steckt etwas von mir. Aber natürlich ist mir der Herr Wieneke ganz besonders ans Herz gewachsen, weil ich dank ihm auch etwas über den Medienbetrieb schreiben kann, der ja für die Mafia extrem wichtig ist. Und ich muss auch lobend hervorheben, dass der Herr Wieneke in den drei Romanen eine erhebliche Entwicklung an den Tag gelegt hat. Nur mit seiner Freundin Francesca klappt es immer noch nicht so richtig.

In ihrem jüngsten Roman „Bei aller Liebe“ stehen die gesellschaftliche Akzeptanz der Mafiosi, ihre Bereitschaft schnell in neuen Geschäftsfeldern, im Roman die Flüchtlingsproblematik, zu investieren, die Verbindungen von Clans zu Politik und Strafverfolgung und nicht zuletzt der Machtzuwachs der ’Ndrangheta im Zentrum. Ihre Fantasie oder eine Realitätsbeschreibung in Romanform?

Petra Reski hat in Münster studiert und ihren Hochschulabschluss erworben.

Reski: Oh, da steckt jede Menge Realität drin. In Italien gab es ja einige Ermittlungen rund um Flüchtlingszentren, die von der Mafia gemanagt wurden. Oft waren darin auch noch Priester verstrickt, der spektakulärste Fall war einer in Trapani, der mich sehr inspiriert hat. Mit der ihr eigenen Weitsicht hat die Mafia das Geschäft mit den Migrantenströmen schon lange vorausgesehen. Wie ein abtrünniger Mafioso zu Protokoll gab, hat die Cosa Nostra auf das Geschäft mit den Flüchtlingen bereits gesetzt, als es noch gar keinen „Flüchtlingsnotstand“ gab – da hat sie in der Provinz Agrigent bereits sämtliche leerstehende Lager und Fabrikhallen aufgekauft und sie später mit staatlichen Geldern zu Aufnahmelagern umgerüstet. Nicht umsonst ist das Umleiten öffentlicher Gelder in ihre eigenen Taschen eine Königsdisziplin der Mafia: Sie war die erste, die wusste, dass sich nach dem Gesundheitswesen, der Müllbeseitigung und der Windenergie mit der Flüchtlingskrise für sie ein neues Geschäftsfeld eröffnen würde. Das Zauberwort heißt emergenza : Notstand.

Sie haben in Münster studiert und sich auch erste Sporen als Journalistin bei der Münsterschen Zeitung verdient. Ist dies der Grund für Münsters Erwähnung in verschiedenen ihrer Veröffentlichungen oder ist die „lebenswerteste Stadt der Welt“ tatsächlich ideal für stille mafiöse Geschäfte?

Reski: Ideal ist, dass niemand die Mafia in Münster vermutet. Das ist eine ideale Voraussetzung. Der BKA-Bericht führt Münster mit einem Ndrangheta-Clan auf, der in ganz Italien verbreitet ist und sich erfolgreich den klassischen Betätigungsfeldern wie Rauschgifthandel, Erpressung und Geldwäsche widmet. Aber auch der illegalen Müllbeseitigung, dem Glücksspiel und der Windenergie – die, wie ich ja in meinem Roman „Die Gesichter der Toten beschrieben habe, ein wichtiges Geschäftsfeld für die Mafia geworden ist.

Ich glaube nicht, dass es noch einen Ort in Deutschland gibt, den man als „mafia-frei“ bezeichnen könnte. Da ist Münster keine Ausnahme. Die Stadt ist wohlhabend und bürgerlich – und daher der beste Rahmen für solide Investitionen.