5525 Stimmen erhielt bei der Bundestagswahl im Februar das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Münster. Was auf den ersten Blick sehr gut aussieht, erklärt bei genauerer Betrachtung den Misserfolg der neuen Partei. In Münster hätte das BSW fast doppelt so viele Stimmen bekommen müssen, um hier die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Zudem blieb das BSW in der Domstadt immer etwas im Halbschatten. Niemand wollte – auch im Wahlkampf nicht –mit der Presse reden. Nur selten waren Unterstützer:innen auf der Straße präsent. Geld war allerdings offensichtlich kein Problem, denn das BSW plakatierte in Münster ähnlich viel, wie die drei große Parteien. Aktuell dürfte das BSW in Münster der Bundespartei einen Schritt voraus sein – es gibt das BSW in der westfälischen Metropole nicht mehr.
Namensgeberin Sahra Wagenknecht hatte den Mitgliedern im BSW-Landesverband in Thüringen, der am Samstag in Gera seinen Landesparteitag abhielt, empfohlen, die Landesvorsitzende Katja Wolf, Stellvertreterin des Ministerpräsidenten von Thüringen und Finanzministerin des Bundeslandes, nicht wieder zur Parteivorsitzenden zu wählen. Doch die Favoritin von Sahra Wagenknecht, Anke Wirsing, verliert deutlich. 61 Stimmen für die Amtsinhaberin und 35 Voten für die Gegenkandidatin.
Katja Wolf klar vor Wagenknecht-Kandidatin
Hintergrund dieser gescheiterten parteiinternen Revolte von oben ist der Frust der einst so beliebten Politikerin aus dem Osten, die nun mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Saarland residiert. Wagenknecht macht das BSW Thüringen, das im vergangenen Jahr mit der CDU und der SPD eine Regierungskoalition eingegangen ist, für das denkbar knappe Scheitern bei der Bundestagswahl mitverantwortlich. Diese Regierungsbeteiligung schwäche die Position des BSW im Bund.
Die namensgebende Co-Vorsitzende selbst scheute die Konfrontation mit dem rebellischen Parteivolk in Thüringen und schickte ihren Generalsekretär Christian Leye, der einst das Bürgerbüro der in der DDR geborenen Politikerin in Düsseldorf leitete. Damals waren beide noch Mitglied der Partei Die Linke. Immer wieder gaben sie Anlass zu heftigen parteiinternen Kontroversen, die die aus PDS und WASG hervorgegangenen Partei fast in die Bedeutungslosigkeit getrieben hätte. Gemeinsam nahmen Wagenknecht und Leye übrigens ihre üppig besoldeten Bundestagsmandate mit, als sie nach BSW-Gründung Partei und Bundestagsfraktion der Linken verließen.
Co-Vorsitzende der nach ihr benannten Partei: Sahra Wagenknecht. (Pressefoto Sahra Wagenknecht)
Autoritärer Führungsstil
Taz-Redakteur Daniel Bax sieht den tieferen Grund der jüngsten Misserfolge des BSW im autoritärer Führungsstil der Namensgeberin. Das inzwischen im Europaparlament, in drei Landtagen und zwei Landesregierungen vertretene BSW könne nicht mehr die Protestpartei sein, die in Opposition zu den Herrschenden seine Erfolge einfuhr. „Das führe zwangsläufig zu Enttäuschungen“, meint Daniel Bax. Zudem habe die restriktive Mitgliederaufnahme dem BSW geschadet, so Bax: „Wagenknecht besteht darauf, dass allein der Bundesvorstand entscheidet, wer Mitglied werden darf.“
Katja Wolf bleibt Parteivorsitzende des BSW in Thüringen. (Foto: Steffen Prößdorf)
Viele BSW-Unterstützer:innen, die bisher kein Mitglied werden durften, fühlen sich dadurch vor den Kopf gestoßen, so Bax. Das habe das BSW bei der Wahl möglicherweise entscheidende Stimmen gekostet. Wolf dagegen wolle, so der taz-Redakteur, dass die Landesverbände selbst entscheiden, wer bei ihnen Mitglied werden darf. Diesen Konflikt würde es auch ohne Katja Wolf geben. Er könnte auch Ursache für weitere Probleme sein.
Kein Antritt des BSW bei Kommunalwahl in Münster
Trotz der vielen Stimmen bei der Bundestagswahl in der Domstadt wird das Bündnis Sahra Wagenknecht in Münster nicht zur Kommunalwahl antreten. Am Rande des Ostermarsches erklärte ein bekannter BSW-Unterstützer und wichtiger Stratege der Partei bei der vergangenen Bundestagswahl: „Es gibt das Bündnis Sahra Wagenknecht in Münster nicht.“ Offensichtlich ist die angeblich rund 40 Mitglieder umfassende örtliche BSV-Wahlunterstützungsgruppe, die zuletzt immer bei ODAK tagte, noch nicht aufgenommen worden oder will gar nicht mehr in die im Westen und auch in Münster klar gescheiterte Partei.
„Revolution des Gemeinen Mannes“ erstreitet in blutig niedergeschlagenen Aufstand mehr „Freyheyt“
Von Werner Szybalski
Vor 500 Jahren – beim Wechsel vom Mittelalter in die Neuzeit – rumorte es schon lange; sowohl in den dörflichen als auch in den städtischen Gemeinschaften. Im Juni 1524 schließlich erhoben sich zuerst im Süden des Schwarzwaldes die Bauern gegen Adel und Klerus. Auslöser, so eine unbewiesene historische Erzählung, war eine völlig abgedrehte Idee der Ehefrau des Grafen Sigmund von Lupfen. Im Juni, also mitten in der Erntezeit, sollten die Bauern, statt auf das Feld zu gehen, für die Gräfin Schneckenhäuser und Waldbeeren sammeln. Sie wollte Beerenmus einkochen lassen und Garn auf die Schneckenhäuser wickeln lassen, berichten gleich drei alte Quellen.
Statt den Sammelkorb zu nehmen, griffen die Bauern zu Waffen und zogen vor das Schloss des Grafen in Stühlingen an der Grenze zur Schweiz. Sie lösten mit ihrem militanten örtlichen Aufstand am 23. Juni 1524 eine Bewegung aus, die später von der Geschichtsschreibung der herrschenden Obrigkeit „Großer Bauernkrieg“ getauft wurde. Die bis zum 2. Juli 1526 dauernden Revolten zwischen Thüringen und Südtirol sowie Salzburg und dem Elsass kosteten rund 70.000 Menschen auf Seiten der Landbevölkerung und der sie unterstützenden Städter*innen das Leben. Gefühlt stand am Ende eine Niederlage des „Gemeinen Mannes“, wie die damalige Unterklasse jenseits von Adel und Klerus genannt wurde. Doch historisch war der mit hohem Blutzoll besonders auf Seiten der männlichen Landbevölkerung bezahlte Aufstand tatsächlich ein Schritt hin zu mehr Freiheit und etwas mehr Gerechtigkeit.
In Westfalen blieb es ruhig
Der westfälische Bauer war vor fünf Jahrhunderten freier als seine Berufskollegen in den südlichen deutschsprachigen Ländern. Deshalb blieben die Bauernkriege auch räumlich begrenzt. Weder in Nord- noch in Westdeutschland kam es zu vergleichbaren Aufständen. Auch im Königreich Bayern gab es aus diesem Grund weniger Revolten, als jenseits der bayrischen Grenzen.
Eine Ausnahme bildet Thüringen, wo die Bauern zwar ähnliche Rechte wie die in Westfalen genossen, aber trotzdem dem revolutionären Theologen Thomas Müntzer, einem scharfen Kritiker des obrigkeitshörigen Martin Luther auf das Schlachtfeld folgten. In Münsters thüringische Partnerstadt Mühlhausen, damals mitten im Zentrum des Müntzer-Aufstandes, wird in diesem Jahr der vor 500 Jahren auch dort extrem blutig niedergeschlagenen Revolte der Bevölkerung mit der großen Landesausstellung „freiheyt 1525“ gedacht. Sie ist vom 26. April bis zum 19. Oktober 2025 in den Mühlhäuser Museen zu sehen.
Thomas-Müntzer-Ehrung: Briefmarke aus der DDR. (Bild: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6458721)
Vorgeschichte des Bauernkrieges
Die Revolution des gemeinen Mannes hatte direkte Vorläufer. Schon 1493 bildete sich im Elsass der „Bundschuh“, ein geheimer Zusammenschluss von Bauern (Landbevölkerung), die sich auf eine Revolte vorbereitete. Der „Armer Konrad“, ein Aufstand der Einwohner*innen württembergischer Landstädte, revoltierte 1514 nach Verteuerung der Grundnahrungsmittel und der Erhebung zusätzlicher Steuern für die Unterschicht. Dieser Aufstand wurde ausgetrickst und niedergeschlagen; blieb aber als Perspektive im Gedächtnis der geschundenen Bevölkerung auf dem Land und in den Städten im Südwesten des deutschsprachigen Raumes.
Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen, die viele andere christliche Reformer, darunter auch Müntzer, inspirierten. Dank der Erfindung des europäischen Buchdrucks 1450 waren – lange vor Luthers Übersetzung – deutschsprachige Bibeln im Umlauf. Bekannteste Beispiele aus den 72 Bibelübersetzungen ins Deutsche vor Luther sind die Münchner Bibel von 1472 und die 1483 in Nürnberg gedruckte Koberger-Bibel. Durch deren Lektüre wuchs im gemeinen Volk der Wunsch nach Freiheit und die Erkenntnis der Gleichheit der (von Gott geschaffenen) Menschen – vom Hirten bis zum Höchsten.
Adel und der Klerus pressten zu Beginn der Globalisierung ihre Untertanen immer stärker aus. Abgaben wurden bis zur Grenze des Erträglichen erhöht, Frondienste ausgeweitet und bisher gemeinschaftlich genutztes Land eingezäunt, um es zu monetarisieren. Nach dem Auftakt durch die Stühlinger Erhebung verbreitet sich die revolutionäre Unruhe – allerdings weitgehend friedlich – in Südwestdeutschland.
Jakob Fugger finanziert die Truppen des Schwäbischen Bundes
Nicht nur in Stühlingen sondern auch im Bodenseegebiet und im eidgenössischen Thurgau gab es Mitte 1524 Unruhen. Am Bodensee erzwangen einzelne Gemeinden, dass sie ihre Pfarrer fortan selbst wählen durften. Diese Aktionen färbten auf die Nachbarregionen ab und ab Juli weiteten sich die Proteste und das Aufbegehren des „Gemeinen Mannes“ auf den Schwarzwald, der Hegau, der Klettgau und Teile des Breisgaus aus.
Ab Januar 1525 schlossen sich in Oberschwaben um Baltringen, Region bei Ulm, im Allgäu und am Bodensee insbesondere Bauern zusammen und formierten drei große Rebellenheere. Diese werden als „Haufen“ bezeichnet. Alle Haufen umfassten mehrere tausend Menschen.
Als Reaktion auf die Gründung beschloss der Schwäbische Bund, ein Zusammenschluss von Personen (Adel) und Institutionen (reichsunmittelbare Städte), die im Reichstag eine Stimme hatten, sich bei Jakob Fugger in Augsburg Geld für die Bekämpfung der Bauern zu leihen. Jakob Fugger und andere reiche Augsburger Kaufleute, die alle Furcht vor Erstürmung von Augsburg, was ihrem Ende gleichkäme hatten, und zudem hunderttausende Gulden in Waren, deren Beschlagnahme durch die Aufständigen drohte, investiert hatten, stimmten der Kreditvergabe zu.
Bauernjörg bekämpft erneut die Aufständischen
Georg III. Truchseß von Waldburg-Zeil, der nach dem grausamen und erbarmungslosen Abschlachtung Zehntausender von Aufständigen den Namen „Bauernjörg“ erhielt, wurde vom Schwäbischen Bund beauftragt, die Revolte niederzuschlagen. Georg von Waldburg hatte schon 1514 den „ Armen Konrad“ niedergerungen, so dass er als erfahren im Umgang mit dem Gemeinen Mann galt. Tatsächlich konnte der Bauernjörg, da die kaiserlichen Truppen in den „Italienischen Kriegen“ gebunden waren, verhandelte der Truchseß zunächst mit den Bauernhaufen. Dabei machte er auch kleine Zugeständnisse. Obwohl die nur leichte Verbesserungen brachten, aber an ihrer grundlegenden Situation nichts änderten, sondern die Stellung der Herrschenden festigten, reichte dies den gemäßigten Aufständigen zunächst. Auch die drei oberschwäbischen Haufen hofften zunächst auf Verhandlungen, in denen ihre Ziele akzeptiert würden.
Im Kramerzunfthaus in Memmingen tagten die Delegierten der drei Bauernhaufen und beschlossen erst ihre Bundesordnung und dann die 12 Artikel. (Foto: Marcel Suter)
Drei Haufen rufen Bauernparlament in Memmingen zusammen
Die Bauernhaufen waren landschaftlich geprägte Zusammenschlüsse bäuerlicher Gemeinden. Die bruderschaftlich-genossenschaftlich orientierten Haufen gaben sich eine innere Ordnung mit gewähltem Hauptmann und Räten, die ihnen verantwortlich waren. Erklärtes Ziel war das Zurückgewinnen von Mitspracherecht für die Bauern in den bestehenden weltlichen und geistlichen Gremien.
Die Haufen, deren Zusammensetzung sehr dynamisch war, nannten sich häufig nach ihrer landschaftlichen beziehungsweise herrschaftlichen Herkunft. Der Baltringer, der Allgäuer und der Bodenseer Haufen schlossen sich Anfang März 1525 in Memmingen zusammen und beriefen in der Stadt ein Bauernparlament ein. An ihm nahmen bei der Gründung am 6. März 50 Vertreter der drei Haufen teil. Zunächst diskutierte und verabschiedete der auch als „verfassungsgebende Bauernversammlung“ bekannte Zusammenschluss (Selbstbezeichnung: „Räte der Haufen“) eine „Bundesordnung“. Schon dieses Dokument, das nur noch in gedruckter Form in elf Varianten aus unterschiedlicher Zeit vorliegt, regte in weiteren Regionen die Bildung von Bauernhaufen und Aufständen an.
Dabei verfolgten alle ein gemeinsames Ziel. Ihrer elenden Lage ein Ende setzen und endlich in Freiheit zu leben und zu arbeiten. Ein Problem war, dass sich von beginn an die Haufen sich in Falken und Tauben aufteilten. Die einen wollten mit dem Schwert kämpfen und die anderen hofften noch auf eine friedliche Einigung. Beinahe hätte sich der sogar Rat der Haufen in Memmingen ergebnislos getrennt.
Die Bundesordnung sorgte schließlich einerseits für die Friedenswahrung nach innen, quasi eine Geschäftsordnung mit Gewaltverzicht, und andererseits war sie ein Beistandspakt nach außen. Wenig später, schon am 19. März 1525, verabschiedete das Bauernparlament von Memmingen die berühmten „Zwölf Artikel“ – das zentrale Manifest der aufständigen Bauern.
Die Zwölf Artikel
Quasi in Fortschreibung der Bundesordnung wurde in der Kramerzunftstube in Memmingen eine Menschenrechtserklärung von unten vom Bauernparlament, dem Haufenrat, verabschiedet. Die Geschichtswissenschaft ist sich einig, dass der Hauptverfasser der Zwölf Artikel, die freiheitliche sowie soziale und kommunalpolitische Forderungen enthalten, der Memminger Laienprediger Sebastian Lotzer war. Er gehörte zu dieser Zeit als Schreiber zum Baltringer Haufen. Die zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa und als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden, schreibt der Historiker Peter Blickle in seiner Abhandlung „Der Bauernkrieg – Die Revolution des Gemeinen Mannes“. Wegen dieser besonderen Bedeutung wird ein Original bis heute im Stadtarchiv Memmingen verwahrt.
Originalausgabe der 12 Artikel im Museum von Memmingen. (Foto:Marcel Suter)
Die Zwölf Artikel
Die ursprüngliche Form der „Zwölf Bauernartikel“ ist für uns heute nur schwer lesbar. Nachfolgend eine dem aktuellen Sprachgebrauch näher kommende Kurzversion der Zwölf Artikel, die das Städtische Kulturamt Memmingen zur Verfügung stellt:
1. Jede Gemeinde hat das Recht zur Wahl und Absetzung ihres Pfarrers.
2. Der Kleinzehnt [auf Vieh] soll aufgehoben, der Großzehnt [auf Agrarprodukte] für Geistliche, Arme und Landesverteidigung verwendet werden.
3. Die Leibeigenschaft soll aufgehoben werden.
4. Jagd und Fischerei sollen frei sein. Falls Verkäufe vertraglich belegt werden können, sollen einvernehmliche Regelungen zwischen Gemeinde und Rechtsinhabern angestrebt werden.
5. Wälder und Forsten sollen in Gemeindehand zurückgegeben werden. Sollten Verträge bestehen, werden gütliche Vereinbarungen mit den Forstinhabern angestrebt.
6. Die Frondienst‘ sollen auf ein erträgliches Maß reduziert werden, orientiert an Herkommen und Evangelium.
7. Außervertragliche Frondienste sollen nicht zugelassen sein, es sei denn gegen eine angemessene Vergütung.
8. Die Abgaben der Bauern sollen durch „ehrbare Leute“ neu eingeschätzt werden.
9. Die Strafmaße für schwere Vergehen sollen neu festgesetzt werden, orientiert an älteren Gerichtsordnungen.
10. Ehemalige Gemeindewiesen und -äcker sollen zurückgegeben werden, es sei denn, dass Kaufverträge vorgelegt werden können.
11. Der Zahlung des Todfalles* belastet die Erben ungebührlich und wird deswegen zukünftig verweigert.[*Quasi eine hohe Erbschaftssteuer, die der Leibherr nach dem Tod des leibeigenen Bauern aus dem Vermögen der Familie kassierte.]
Titelblatt der Memminger Artikel, die im März 1525 während des Deutschen Bauernkriegs verfasst wurden. Es zeigt bewaffnete Bauern mit einer Auswahl an Waffen. (Bild: Public domain, via Wikimedia Commons)
Forderungen bestehen zum Teil noch heute
Einige der Forderungen aus den Zwölf Artikeln sind hoch aktuell. Die Forderung nach Selbstbestimmung aus Artikel eins wird noch immer erhoben. Zwar nicht mehr nur auf die Stelle des Pfarrers sondern auch auf politische Ämter und Rechte. Ebenso sind die Forderungen zur Rückgabe der dörflichen Gemeinschaftsflächen, den „Allmenden“ [Wiesen und Äcker], sowie den Wäldern und Forsten an die örtliche Gemeinschaft noch heute aktuelle kommunalistische Programmpunkte.
Auch die Freigabe der Fischerei, der Jagd und auch des Holzverbrauchs in der kommunalen Gebietskörperschaft sind Punkte, die noch heute zur gemeinwirtschaftlichen orientierten Kommunalpolitik gehören. Die Beschränkungen der Abgaben an und Steuern für den Adel und den Klerus, die zwischen den Dörfern, Städten und Landschaften und dem Kaiser standen und herrschten, auf notwendige Ausgaben für die Gemeinde (Kirche und Dorf / Stadt) sowie die Verteidigung gehören gleichfalls dazu.
Durch die zahlreich vorhandenen Druckereien wurden die Zwölf Artikel, die mit einer Gesamtauflage von 25.000 Stück in 15 verschiedenen Städten erschienen, nicht nur ein Bestseller, sondern auch eine schriftliche Vorlage für nahezu alle weiteren Aufstände in den anderen Regionen. Aber die ersten Haufen lösten sich wegen der lokalen Zugeständnisse und dem Wunsch vieler Aufständigen, schnell zurück auf ihre Äcker und in die Städte zu kehren, schon im Frühjahr 1525 auf.
Spießrutenlauf zu Ostern in Weinheim
Die revolutionäre Flamme erlosch aber tatsächlich viel später. Bis zum Sommer 1525 loderte sie in vielen Orten des Schwäbischen Bundes, aber auch in Franken (Rothenburg ob der Tauber, Würzburg), im Odenwald oder im Neckartal. Am 4. April fühlte sich Bauernjörg mit seinen Landsknechten stark genug, um in Leipheim bei Ulm in die erste Schlacht des Bauernkrieges zu ziehen. Wenig später stand der Gemeine Mann im Elsass, in Württemberg, auf der Züricher Landschaft und im Hochstift Bamberg auf.
Der 31-jährige Graf Ludwig von Helfenstein verachtete den niedrigen Stand so sehr, dass er mit 60 Soldaten den 6000 Mann starken Neckertal-Odenwälder Haufen angriff. Dies löste eine Kettenreaktion aus, die schließlich zur „Weinsberger Bluttat“ am Osterwochenende 1524 führte. Nach der Eroberung der Burg des Grafen und anschließend der ihr zu Füßen liegenden Stadt Weinheim, fassen die Bauern – nahezu basisdemokratisch im üblichen Kreis – kollektiv, gemäß geltendem Kriegsrecht zehn Adelige durch „die Spieße laufen zu lassen“. Diese gemeinschaftliche Form der Hinrichtungen – für Adlige ein schändlicher Tod, der eigentlich nur für Landsknechte angewandt wurde, die sich ihren Kameraden gegenüber schuldig gemacht hatten – löste eine andauernde Empörung bei den Herrschenden aus. Immer wieder wurde der Tod von Graf von Helfenstein und seiner neun adligen Mitstreiter am 16. April 1525 für die angebliche Brutalität der Haufen angeführt. Angesichts des gewaltigen Blutzolls auf Seiten der Aufständigen eine historisch nicht zu haltende Bewertung.
Weingartener Vertrag findet an der Basis des Allgäuer Haufens keine Zustimmung
Nur einen Tag nach Weinsberg schließt der in Leipheim erfolgreiche Truchseß mit zwei der drei oberschwäbischen Haufen den „Weingartener Vertrag“. Er wurde nur von vier Delegierten des Allgäuer Haufen unterzeichnet. 40 weitere machten ihre Unterschrift von der basisdemokratischen Zustimmung ihres Haufen abhängig. Weil diese wegen der Bedingungen verweigerten, sprach der Schwäbische Bund schon wenige Zeit später vom Vertrag mit dem Bodenseehaufen.
Es folgten zwischen Südtirol, Salzburg, Straßburg und Thüringen zahlreiche weitere Schlachten, die aber auf dem Feld praktisch immer von den Herrschenden, die auch bei Martin Luther Unterstützung fanden, gewonnen wurden. Am 15. Mai 1525 unterlagen bei Frankenhausen die zahlenmäßig stark unterlegenen Thüringer Aufständischen. Ihr führender Kopf, Thomas Müntzer, wurde am 27. Mai des Jahres hingerichtet. Mit der Niederwerfung der Salzburger am 2. Juli 1526 endeten die dezentralen Aufstände der Bauern, Knappen und Städter gegen die Obrigkeit.
Der „Gemeine Mann“ konnte etwas bewirken
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Adel und Klerus die Bauern besiegen konnte, da diese immer nur regional protestierten und kämpften und zudem zur Ernte wieder zurück auf das Feld gingen. Anfang Juli 1526 endeten im Salzburger Land die als Bauernkrieg bezeichneten Kämpfe, die eine Revolution des Gemeinen Mannes waren.
Peter Blickle kommt nach seinen umfangreichen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Revolte der Unterschicht nicht vergebens war und – auf lange Sicht – auch zur Abschaffung der Leibeigenschaft führte. Das Fazit des bekanntesten Bauernkriegsforscher: Der „Gemeine Mann“ konnte als Subjekt der Geschichte etwas bewirken.
Literatur:
Peter Blickle; Der Bauernkrieg – Die Revolution des Gemeinen Mannes, München; C.H. Beck; 1998; 5. Auflage 2018; 146 Seiten; ISBN 978-3-406-72225-7; in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar: Magazinbestand, Geschichte, EMO 23 BLI.
Christian Pantle; Der Bauernkrieg – Deutschlands großer Volksaufstand; Berlin; Propyläen, 2024; 338 Seiten; 22 Euro; ISBN 978-3-549-10051-6; ausleihbar in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster: Signatur EMO 23 PAN.
Gerd Schwerhoff; Der Bauernkrieg; München; C.H. Beck; 2024; 724 Seiten; ISBN 978-3-406-82180-6; leider nicht in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar.
Jacob Rohrbach hatt Auffruhr gerathen,des muß er werden gebratenbey Neckergartach an einr weyden,must er des feurs flam leyden. Bis er sein leben Endt. Sein leib zu puluer ward verbrendt. Jacob Rohrbachs von Böckingen, des Auffrührers, todt. (Bild: gemeinfrei, unbekannter Autor, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1062010)
Steffen Mau auf der Suche nach den Ursachen der ungleich vereinten Deutschen
Länger als eine Generation ist die einzige erfolgreiche Revolution in Deutschland schon her. Aus dem Aufbegehren mutiger, kritischer und überwiegend antiautoritär denkender Menschen wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) schließlich von Menschen mit Hoffnung auf ein westlich-konsumorientiertes Leben abgeschafft. Der Soziologe Steffen Mau von der Humbolt-Universität Berlin, ein gebürtiger Rostocker des Jahrgangs 1968, hat jüngst untersucht, warum fast 35 Jahre nach der Revolte noch immer ein großer Unterschied zwischen Menschen im Osten, also den gelegentlich noch immer „neue Bundesländer“ genannten Regionen, und den Bewohner*innen der alten Bundesrepublik gibt.
Von blühenden Landschaften im Gebiet der ehemaligen DDR fantasierte damals der Bundeskanzler der Wiedervereinigung: Helmut Kohl von der bei der ersten Wahl im wiedervereinigten Deutschland erfolgreichen CDU. Aus seinen Versprechungen wurde bekanntlich nichts und heute machen die mit viel Westgeld (u. a. Solidaritätszuschlag) und EU-Förderung aufgemöbelten ostdeutschen Bundesländer eher Schlagzeilen mit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen für die rechtsradikale AfD und breitem Bekenntnis zum neugegründeten Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und deren Nähe zu Russland.
Bleibende Unterschiede
Der Wissenschaftler Steffen Mau analysierte die Unterschiede zwischen den wiedervereinten Deutschen in Ost und West. In seinem Buch „Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt“ nutzt er zur Erklärung, warum dies auch noch eine Weile so bleiben wird,den Begriff der „Ossifikation“. Dieser medizinische Begriff, der„Knochenbildung“ oder „Verknöcherung“ beschreibt, war schon vor über 20 Jahren von der damaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt in die Diskussion gebracht worden. Tatsächlich ergäbe er aber erst heute erkennbaren Sinn, weil auch die Nachwendegenerationen sich über ihr „ostdeusch sein“ definierten.
Eine seiner wesentlichen Erkenntnisse ist, dass es in vielen für die Einstellung und das Empfinden der Menschen entscheidenden Kategorien – von Wirtschaft über Politik bis hin zu Mentalität und Identität – „bleibende Unterschiede“ zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands gibt. Aus dieser Trennung sei auch der „Ossi“ begrifflich entstanden, dem tatsächlich in den alten Bundesländern keine „Wessi“-Identität gegenüberstünde.
Ostdeutschland sei im Gegensatz zum Westen ein „Land der kleinen Leute“ und leide unter anderem auch an „dramatischer Elitenschwäche“. Aus diesen realen Unterschieden sei ein neues „Ostbewusstsein“ entstanden, wie auch die Menschen in den Stadien und Arenen durch „Ostdeutschland, Ostdeutschland“-Rufe immer wieder lautstark verdeutlichen. Einerseitswürde auf die Familiengeschichte der Ostdeutschen zurückgeblickt und andererseits würde aus dem erlebten innerdeutschen Benachteiligung ein „Oststolz“ entwickelt, der sicherlich auch von nicht unerheblichen Trotz getragen sei. Mau will auch nicht ausschließen, dass es sogar Parallelen zum Phänomen der „Rekulturalisierung“ gibt, wie sie bei Angehörigen der zweiten und dritten Generation von Migranten vorkommen. Die Nachkommen sind sensibler für Diskriminierungen als ihre Eltern und Großeltern und treten gleichzeitig erheblich selbstbewusster auf. Das Bekenntnis „ostdeutsch“ zu sein, trägt zugleich die Forderung nach Gleichstellung und Anerkennung in sich. So ist für Steffen Mau klar, dass sich der Osten dem Westen, zumindest in nächster Zeit, nicht annähern wird, denn so Steffen Mau, es habe „jenseits ungleicher ökonomischer Bedingungen“ ein „eigenständiger Kultur- und Deutungsraum Ostdeutschland“ herausgebildet.
Mangelnde Bindung an Parteien und Institutionen der Bürgerschaft
Steffen Mau verweist auf die geringe Bindung der Menschen in Ostdeutschland an Parteien und Institutionen der Zivilgesellschaft. So seinen von 100 Wähler*innen weniger als einer Mitglied einer Partei. Zudem ist die ostdeutsche Parteienlandschaft, wie auch viele Landkreise durch den großen Männerüberschuss, sehr maskulin geprägt. 80 Prozent der Parteimitglieder seien Männer.
Warum die CDU in Ostdeutschland besser dasteht als die Ampelparteien, ist für Steffen Mau ganz klar: Die CDU hat aus der DDR die Blockflötenpartei übernommen. Dies war SPD oder den Grünen nicht möglich. Da sie erste Wahlsiegerin war, baute sie auch örtliche Strukturen aus oder auf, was ihr zu der heutigen Größe verhalf. Die FDP erreichte mangels sozialer Oberschicht und breiter beruflicher Selbständigkeit in der Arbeitnehmergesellschaft im Osten, dem „Land der kleinen Leute“, keine Bedeutung.
Anders sieht das bei der AfD aus, die sich als „Kümmerer-Partei“ vor Ort engagiert und den Unwillen der Menschen aufnimmt, die sich von denen da oben, was zumeist mit Merkel oder Ampel übersetzt wurde und wird, nicht repräsentiert fühlen. Die faschistoide Ausrichtung vieler aktiver AfDler berührt die Menschen wenig, offensichtlich auch wegen ihrer Ferne zur parlamentarischen Politik und ihren Mandatsträger*innen. Da sollen es doch für rund ein Drittel der ostdeutschen Wahlberechtigten auch „die“, gemeint ist die AfD und inzwischen auch das Bündnis Sarah Wagenknecht, einmal an der Regierung versuchen dürfen.
„Labor der Partizipation“ – basisdemokratische Elemente als Lösung
Steffen Mau analysiert bezüglich der Parteienbindung und den Institutionen der Zivilgesellschaft ebei vielen Menschen in Ostdeutschland ein großes Defizit. Wie oben in der „Verfestigungsthese“ beschrieben, wirkt in Ostdeutschland die „Geschichte in Strukturen und Identitäten nach“ (familiären Wohlstand, Geschlechterverhältnis, unzureichende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Grundlagen der SED-Diktatur). Mau hält die Ostdeutschen nicht für antidemokratisch oder politikverdrossen. Allerdings sei diese politische Kultur durch eine vor, um und nach 1989 spezielle „Parteienpolitikverdrossenheit“ gekennzeichnet, der, so Mau, mit konkreten, experimentierfreudigen Antworten aus dem „Labor der Partizipation“ begegnet werden könne oder auch müsse.
Als Lösungsansatz schlägt er eine leichtere Teilhabe der Menschen zum Beispiel durch starke Bürgerräte vor. Dadurch erhofft sich der Berliner Soziologe den Abbau der empfundenen Politikferne, wenn die Menschen oder ihre Nachbarn in Bürgerräten selbst (mit-)entscheiden dürften. Die „Ertüchtigungsmaßnahmen der Demokratie“ will Mau allesamt „von unten“ verwirklicht haben.
Auch verweist Steffen Mau darauf, dass „immer mehr Landräte und Bürgermeister nicht parteigebunden sind und über Wählerinitiativen ihr Amt“ erobern. Dies gemeinsam wirft die Frage auf, warum Mau, in dem sehr lesenswerten Buch, nicht auch Vergleiche zu den Auslösern der Revolution von 1989 und ihren basisdemokratischen und antiautoritären Zielvorstellungen, die sich insbesondere in „Runden Tischen“ zeigten, verfolgt. Vielleicht zeigt sich im Osten, insbesondere wenn die Nichtwähler einbezogen werden, eine zunehmende Ablehnung der Stellvertreterpolitik, wie sie in der DDR, aber auch heute – mit echten Wahlen ausgestattet – noch immer besteht. Doch noch gibt es außer lokalen Initiativen, die kaum zusammen arbeiten könnten, keine Bewegung oder Gruppe, die die (basis-)demokratischen, anti-autoritären und auf Selbstbestimmung ausgelegten Menschen abholt. Deshalb dürfte Mau recht behalten, dass die heutige Situation sehr fest sei.
Steffen Mau: Ungleich vereint; Berlin; Suhrkamp; 2024; 178 Seiten; 18 Euro; ISBN 978-3-518-02989-3; ausleihbar in der Hauptstelle und der Zweigstelle Gievenbeck-Auenviertel der Stadtbücherei Münster: Signatur EMP 4 MAU.