Pleitenserie für Wagenknecht

Katja Wolf setzt sich durch

5525 Stimmen erhielt bei der Bundestagswahl im Februar das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Münster. Was auf den ersten Blick sehr gut aussieht, erklärt bei genauerer Betrachtung den Misserfolg der neuen Partei. In Münster hätte das BSW fast doppelt so viele Stimmen bekommen müssen, um hier die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Zudem blieb das BSW in der Domstadt immer etwas im Halbschatten. Niemand wollte – auch im Wahlkampf nicht –mit der Presse reden. Nur selten waren Unterstützer:innen auf der Straße präsent. Geld war allerdings offensichtlich kein Problem, denn das BSW plakatierte in Münster ähnlich viel, wie die drei große Parteien. Aktuell dürfte das BSW in Münster der Bundespartei einen Schritt voraus sein – es gibt das BSW in der westfälischen Metropole nicht mehr.

Namensgeberin Sahra Wagenknecht hatte den Mitgliedern im BSW-Landesverband in Thüringen, der am Samstag in Gera seinen Landesparteitag abhielt, empfohlen, die Landesvorsitzende Katja Wolf, Stellvertreterin des Ministerpräsidenten von Thüringen und Finanzministerin des Bundeslandes, nicht wieder zur Parteivorsitzenden zu wählen. Doch die Favoritin von Sahra Wagenknecht, Anke Wirsing, verliert deutlich. 61 Stimmen für die Amtsinhaberin und 35 Voten für die Gegenkandidatin.

Katja Wolf klar vor Wagenknecht-Kandidatin

Hintergrund dieser gescheiterten parteiinternen Revolte von oben ist der Frust der einst so beliebten Politikerin aus dem Osten, die nun mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Saarland residiert. Wagenknecht macht das BSW Thüringen, das im vergangenen Jahr mit der CDU und der SPD eine Regierungskoalition eingegangen ist, für das denkbar knappe Scheitern bei der Bundestagswahl mitverantwortlich. Diese Regierungsbeteiligung schwäche die Position des BSW im Bund.

Die namensgebende Co-Vorsitzende selbst scheute die Konfrontation mit dem rebellischen Parteivolk in Thüringen und schickte ihren Generalsekretär Christian Leye, der einst das Bürgerbüro der in der DDR geborenen Politikerin in Düsseldorf leitete. Damals waren beide noch Mitglied der Partei Die Linke. Immer wieder gaben sie Anlass zu heftigen parteiinternen Kontroversen, die die aus PDS und WASG hervorgegangenen Partei fast in die Bedeutungslosigkeit getrieben hätte. Gemeinsam nahmen Wagenknecht und Leye übrigens ihre üppig besoldeten Bundestagsmandate mit, als sie nach BSW-Gründung Partei und Bundestagsfraktion der Linken verließen.

Co-Vorsitzende der nach ihr benannten Partei: Sahra Wagenknecht. (Pressefoto Sahra Wagenknecht)

Autoritärer Führungsstil

Taz-Redakteur Daniel Bax sieht den tieferen Grund der jüngsten Misserfolge des BSW im autoritärer Führungsstil der Namensgeberin. Das inzwischen im Europaparlament, in drei Landtagen und zwei Landesregierungen vertretene BSW könne nicht mehr die Protestpartei sein, die in Opposition zu den Herrschenden seine Erfolge einfuhr. „Das führe zwangsläufig zu Enttäuschungen“, meint Daniel Bax. Zudem habe die restriktive Mitgliederaufnahme dem BSW geschadet, so Bax: „Wagenknecht besteht darauf, dass allein der Bundesvorstand entscheidet, wer Mitglied werden darf.“

Katja Wolf bleibt Parteivorsitzende des BSW in Thüringen. (Foto: Steffen Prößdorf)

Viele BSW-Unterstützer:innen, die bisher kein Mitglied werden durften, fühlen sich dadurch vor den Kopf gestoßen, so Bax. Das habe das BSW bei der Wahl möglicherweise entscheidende Stimmen gekostet. Wolf dagegen wolle, so der taz-Redakteur, dass die Landesverbände selbst entscheiden, wer bei ihnen Mitglied werden darf. Diesen Konflikt würde es auch ohne Katja Wolf geben. Er könnte auch Ursache für weitere Probleme sein.

Kein Antritt des BSW bei Kommunalwahl in Münster

Trotz der vielen Stimmen bei der Bundestagswahl in der Domstadt wird das Bündnis Sahra Wagenknecht in Münster nicht zur Kommunalwahl antreten. Am Rande des Ostermarsches erklärte ein bekannter BSW-Unterstützer und wichtiger Stratege der Partei bei der vergangenen Bundestagswahl: „Es gibt das Bündnis Sahra Wagenknecht in Münster nicht.“ Offensichtlich ist die angeblich rund 40 Mitglieder umfassende örtliche BSV-Wahlunterstützungsgruppe, die zuletzt immer bei ODAK tagte, noch nicht aufgenommen worden oder will gar nicht mehr in die im Westen und auch in Münster klar gescheiterte Partei.

Perspektiven der Friedensbewegung

MdB Ulrich Thoden (Die Linke) zu Gast in der Frauenstraße 24

Jo Hetscher, Vorsitzender des Kulturvereins Frauenstraße 24, begrüßte am Sonntagmorgen (13. April 2025) im Versammlungssaal der Gaststätte den jüngst in den Deutschen Bundestag eingezogenen Abgeordneten Ulrich Thoden. Der Kreuzvierteler Thoden zog über die Landesliste der Partei Die Linke als Kandidat im Kreis Steinfurt ein, wo der GEW-Vorsitzende in Münster an einer berufsbildenden Schule in Rheine als Lehrer tätig ist. Der ehemalige linke Ratsherr aus Münster sprach zum Thema „Friedensfähig statt kriegstüchtig!“

Nicht nur in linken Kreisen wird die Friedensfrage derzeit diskutiert, wie ich jüngst im Handelsblatt gelesen habe.“ Zum Einstieg zitierte Hetscher aus der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung, die sich vor einer Woche mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in der Bundeswehr auseinandergesetzt hatte. Dabei, so Hetscher, hätten in Umfragen Menschen über 60 Jahre überwiegend für eine Revitalisierung der Wehrpflicht und die betroffenen Männer, Frauen können wegen des Grundgesetzvorbehaltes nur freiwillig zum deutschen Militär gehen, eine Verpflichtung zum Kriegsdienst mehrheitlich abgelehnt. Das meist ältere Publikum im gut besetzten Saal war mit dem Ü60-Votum nicht einverstanden, denn, so eine Teilnehmerin, die „hier Anwesenden sehen es sicherlich ganz anders.“

Thoden: Waffen werden angeschafft, um eingesetzt zu werden

Ulrich Thoden griff dies auf, um gleich deutlich klar zu stellen: „Parallelen zur Friedensbewegung der 80er Jahre zu ziehen, finde ich sehr schräg.“ Damals habe die Abrüstung im Zentrum der Forderungen der westdeutschen Friedensbewegung gestanden. Was für Thoden angesichts der zur damaligen Zeit herrschenden Blocksituation nachvollziehbar und richtig gewesen sei. „Heute ist mit Abrüstung nicht geholfen.“

Im Moment hingegen, so der Bundestagsabgeordnete, „würden Waffen angeschafft, um sie auch einzusetzen.“ Auch sehe Thoden derzeit keine Zeitenwende, sondern „nur einen Krieg“. Für ihn sei Auschwitz eine Zeitenwende, aber nicht das aktuelle Verhalten einiger Staatslenker.

Zum Thema Wehrpflicht unterstrich der Referent, dass auch die heutigen potentiellen Verweigerer nicht mit denen aus dem vergangenen Jahrhundert gleich gesetzt werden dürften. Damals hätte die Verweigerung zu einer kritischen Einstellung gegenüber dem Militär bis hin zum Pazifismus geführt. Heute sei es anders: „Viele die angeben, gegebenenfalls verweigern zu wollen, sind aber nicht gegen die Bundeswehr, die auch ihnen Sicherheit gäbe.“

Drohnen: flexible Alternative zu Minenfeldern

Nach einigen Exkursionen in die deutsche Außenpolitik und die internationale Lage verurteilte Ulrich Thoden die konkreten Aufrüstungsmaßnahmen in Deutschland. Unter anderem machte er deutlich, dass die geplante Bewaffnung mit Drohnen eine Abkehr von der Bundeswehr als Verteidigungsarmee beinhalte: „Sie gelten als flexible Alternative zu Minenfeldern.“ Diese unbemannten Flugkörper, die natürlich auch Waffen tragen können, würden inzwischen von künstlicher Intelligenz gesteuert. Thoden: „Natürlich rechnen sie damit, dass im Kriegsfall GPS nicht funktioniert. Diese Drohnen können dann für die Orientierung im Überflug die Bodernmerkmale mit gespeicherten Kartenmaterial abgleichen, um ihr Ziel zu finden.“ Ähnlich offensiv seinen die Dark Eagles mit fünf Mach Geschwindigkeit im Tiefflug bei bis zu 3000 Kilometer Reichweite.

Der Vereinsvorsitzende Jo Hetscher moderierte die Veranstaltung, die sich gegen Hochrüstung und gegen soziale Kürzungen richtete. (Fotos: Werner Szybalski)

Klöckner besucht Linksfraktion

Jo Hetscher machte auf den Zusammenhang zwischen Schwächung des Sozialstaates durch Hochrüstung aufmerksam und fragte: „Was tun?“ Auch Ulrich Thoden unterstrich die Verbindung von Sozialem und Militärischen, um aber deutlich zu machen, dass es sich durchaus lohnt, als Opposition im Bundestag für die Menschen und gegen diese Schieflage zu kämpfen. Auch, weil anders als bei den Demokratiefeinden von der AfD, die die Bundestagsabgeordneten der Linken leider immer sehen müssten, da sie genau gegenüber ihre Plätze hätten, gingen die anderen Fraktionen freundlich mit der erstarkten Fraktion der Linken im Bundestag um. Thoden: „Selbst Julia Klöckner, meines Wissens nach zum ersten Mal, war bei uns in der Fraktionssitzung, um für ihre Wahl zur Bundestagspräsidentin um unsere Stimmen zu werben.“

Diese unerwartete Aussage führte durch Beiträge aus dem Publikum zu einer Diskussion – insbesondere getragen von Mitgliedern der DKP und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSV) – über die vier Ja-Stimmen von Linken aus Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, in beiden Bundesländern regieren sie mit, bei der Abstimmung im Bundesrat über das unbegrenzte Sondervermögen für die Aufrüstung. Thoden konnte dies leicht kontern, da die Regierungsmitglieder innerhalb der Bundes- und zumindest selbst in der Landespartei an der Ostseeküste isoliert seien. In acht Sitzungen sei versucht worden, die Vier davon zu überzeugen, dass sie diesen Beschluss nicht mittragen dürften, verdeutlichte Ulrich Thoden: „Auch wenn wir wollten, ausschließen wegen politischer Abweichungen ist nicht möglich. Ich gehe davon aus, dass sie zumindest bei der nächsten Listenausstellung nicht mehr berücksichtigt werden.“

Erstarkte Linke müsse laut werden

Die Perspektiven der Friedensbewegung seien um so besser, wenn „alle Parteien, die sich Frieden auf die Fahnen geschrieben haben, zusammenarbeiten“ würden, erklärte der Bundestagsabgeordnete. Dabei sollen nicht die Unterschiede in den Auffassungen weggebügelt werden, aber Klarheit in Sachen Friedensvorstellung und gemeinsamen Protestes gesucht werden. Seine Partei, so Ulrich Thoden, dürfe mit inzwischen über 100.000 Mitgliedern dabei sicherlich auch mal ganz laut werden.

Ulrich Thoden hofft auf eine zukünftig laute linke Partei und eine Zusammenarbeit der Parteien, die für den Frieden antreten.

Braucht es eine linke Sicherheitspolitik?

Jo Hetscher warf die Frage aus, ob wir eine linke Sicherheitspolitik benötigen? Er beantwortete nach einigen Erläuterungen seine Frage selbst und eindeutig mit „Ja“. Dabei erinnerte Hetscher noch einmal daran, dass es im Kalten Krieg eine klare Polarisierung in der Gesellschaft gab: „Auf- oder Abrüsten!“

Hugo Elkemann, Friedensaktivist aus Münster, mischte sich ein, um deutlich zu machen: Damals hätte es drei relevante Gruppen, die die Friedensbewegung getragen hätten: „Erstens die Kirche, zweitens die Gewerkschaften und drittens die individuellen Verweigerer.“ Für Elkemann steht deshalb aktuell auf der Agenda: „Können wir auch heute die Verweigerung noch in den Mittelpunkt stellen?“

Friedensaktivist Hugo Elkemann. (Archivfoto)

Diese Frage (siehe oben) verneinte Ulrich Thoden, der in diesem Zusammenhang auf den gewerkschaftlichen Kampf gegen die Bundeswehr in den Schulen verwies. Alles, wie auch „unter 18 nie“ würde derzeit in Frage gestellt. Die Schulen könnten sich auch nicht wehren, und müssten die Militärs reinlassen, wenn die Bundeswehr einen Besuch ankündigt. Dafür brauche es einer neuen Strategie der Friedensbewegung.

So blieben zwar nach zwei Stunden einige Fragen offen, aber die Stimmung war zuversichtlich. Zunächst stünde für alle der Ostermarsch auf dem Programm und dann der weitere Austausch zwischen den verschiedenen Friedensgruppen und auch den Parteien. Auch der Austausch mit MdB Ulrich Thoden würde weitergehen, erklärte Jo Hetscher: „Ulrich hat mir versprochen, so etwa in drei Monaten wiederzukommen, um den Diskurs gemeinsam fortzusetzen.“

2025 wird es in Deutschland kälter

Kanzler Scholz beendet Ampel-Regierung – Bundestagsneuwahlen am 23. Februar 2025

Dieser Beitrag erscheint in der Sperre, Ausgabe Winter 2024, die Anfang Dezember kostenfrei in Münster verteilt wird.

Kamala Harris und mit ihr die Linksliberalen in den USA sind krachend gescheitert. Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück. Er wird in seiner zweiten Amtszeit die Welt mehr verändern, als es ihm in der ersten Präsidentschaft von 2017 bis 2021 gelang. Neben der Beschleunigung des Klimawandels werden die Leidtragenden dieses erneuten Politikwechsels in Washington in den USA insbesondere die Migrant*innen und zudem die wirtschaftlich benachteiligten Menschen sein, in Europa die Ukrainer*innen insbesondere in den östlichen Landesteilen und im Nahen Osten die Palästinenser*innen. Zudem wird die produzierende Wirtschaft außerhalb der USA Probleme mit dem Absatz ihrer Güter bekommen. Nach dem Zusammenbruch der Ampel in Berlin droht nun im Windschatten des Rechtsrucks in den USA sowie der EU auch in Deutschland ein Politikwechsel.

Bemerkenswert ist, dass die Regierung bei der Aufstellung des Haushaltes vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung in der Koalition gescheitert ist. Wie seiner Zeit Bundeskanzler Gerhard Schröder, der auf eine verlorene Wahl in Nordrhein-Westfalen zu Neuwahlen im Bund blies, hat auch Olaf Scholz mit der Wahl in den USA einen äußeren Anlass zur Beendigung der Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gewählt. Dabei lässt sich der noch amtierende Kanzler – anders als sein sozialdemokratischer Vorgänger – nicht von seinen individuellen Vorstellungen blenden, sondern sieht in der vorgezogenen Neuwahl mit von ihm gesetzten Themen seine letzte Chance.

Wirtschaft und Finanzen im Zentrum der Bundestagswahl

Olaf Scholz ist überzeugt, dass er für eine arbeitsplatz- und exportorientierte Wirtschaft steht und zudem als ehemaliger Finanzminister unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel für kreative Finanzwirtschaft prädestiniert ist. So wie er 2021 mit der Betonung des Respektes voreinander den Ton der Zeit traf, glaubt der gebürtige Osnabrücker nun mit Wirtschaft und Finanzen punkten zu können. Die Chancen, dass diese Themen den Wahlkampf dominieren werden, sind nicht schlecht, denn neben Scholz und seiner SPD dürfte auch CDU-Gegenkandidat Friedrich Merz, ehemaliger Deutschlandrepräsentant des weltgrößten in New York ansässigen Vermögensverwalters BlackRock, und die Christdemokraten sowie der entlassene FDP-Finanzminister Christian Lindner, der nach der Neuwahl in neuer Koalition wieder Finanzminister werden will, mit diesen Themen punkten wollen. Auch der grüne Frontmann, Wirtschaftsminister Robert Habeck, setzt schon von seiner bisherigen Regierungstätigkeit in Berlin her auf das Thema Wirtschaft. Dabei dürfte bei den Grünen, wie schon nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, der Schutz des Klimas, der Natur und der Umwelt in den Hintergrund rücken. Bleibt schließlich die Frage, was bedeutet dieser Wahlkampf und schließlich sein wahrscheinlicher Ausgang mit einer von Merz geführten Koalition für das Soziale?

FDP als Zünglein an der Waage

Die Reichen und insbesondere die Superreichen, die schon von der Trump-Wahl und der neuen rechtsgerichteten EU-Kommission stark profitieren, werden zweifelsfrei die Wahlsieger sein. Die CDU und die CSU in Bayern werden gemeinsam die meisten Stimmen bekommen und damit die führende Kraft in der zukünftigen Bundesregierung sein. Gut für vermögende Menschen – schlecht für die Öffentliche Infrastruktur, für die Kommunen, für die finanziell nicht privilegierte untere Hälfte der Bevölkerung sowie für das Klima.

Die Sozialdemokraten werden nach der Wahl zerrissen sein, denn die Machtorientierten werden in die Merz-Regierung drängen, während Sozis mit sozialem Gewissen in die Opposition wollen und vielleicht sogar gemeinsam mit Linken, Ökolog*innen, Rentner*innen, Bürgergeldempfänger*innen und den prekär im Niedriglohnsektor beschäftigten Menschen auf der Straße demonstrieren.

Die FDP wird alles versuchen, Leihstimmen der CDU zu ergattern, um so in den Bundestag zurückzukehren und wieder das Zünglein an der politischen Waage Bundesregierung zu sein. Mit ihrem Programm erreichen die deutschen Liberalen nur ein oder zwei Prozent der Menschen, weshalb die fehlenden drei Prozent mit Wahlversprechen gegenüber Wähler*innen anderer Parteien – insbesondere bei CDU und CSU – geholt werden müssen. Spricht sich Merz für eine Koalition mit der FDP aus, dürfte die Strategie erfolgreich sein.

Die Grünen regieren, wo sie können. Egal, ob als chancenloser Kanzlerkandidat oder als Spitzenkandidat seiner Partei wird Robert Habeck einen Wahlkampf führen, der die Grünen als „Partei der Mitte“ präsentiert. So behalten sie alle Optionen offen, wobei sie vermutlich nur in der vor sieben Jahren durch Lindner gescheiterten „Jamaika-Koalition“ eine echte Regierungs- und Machtoption besitzen. Ihren ehemaligen Markenkern Ökologie und Nachhaltigkeit werden sie unter dem Schlagwort „Grüner Kapitalismus“ und der Forderung nach mehr individueller Selbstverantwortung tarnen. Ob es zur Regierungsbeteiligung reicht, hängt aber allein vom Vertrauen und damit Wahlverhalten ihrer zuletzt ständig und auf allen politischen Ebenen enttäuschten Stammklientel ab.

AfD wird nur von Linken und Sahra Wagenknecht bekämpft werden

Auch die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ hat ihren Markenkern durch den aktuellen Regierungssturz in Berlin und die Entwicklungen in Brüssel und Washington verloren. Migration ist im nach rechts wandernden Europa nur noch ein Sicherheitsthema an den Grenzen der Vereinigung. Zwar werden die Rechten weiterhin die massenhafte Ausweisung aller oder vieler zugewanderter Menschen propagieren, doch die von Scholz, Merz, Lidner und Habeck gesetzten Wahlkampfschwerpunkte Wirtschaft und Finanzen wird den nächsten Wahlerfolg der AfD verhindern.

Bekämpfen werden die AfD im Wahlkampf lediglich die vom Untergang bedrohten Mitglieder der Linkspartei sowie die ehemaligen Linken in der Wagenknecht-Gruppierung. Parteigründerin Sahra Wagenknecht und ihre Gefolgschaft haben durch Trumps Sieg ihre bisherige Erfolgsstrategie Friedenspolitik und damit auch ihr Alleinstellungsmerkmal verloren, da die Ukraine im nächsten Jahr von der Trump-Administration in den USA in einen Waffenstillstand gezwungen werden wird. Bleibt auch den Links-Abtrünnigen nur im Wahlkampf der Versuch, dass lediglich von kleinen Teilen der SPD und den Grünen bearbeitete Feld der sozialen Gerechtigkeit erfolgreich zu besetzen. Den angeblich woken Linksliberalismus zu bekämpfen, wird kein Wahlkampfhit von Wagenknecht, da alle Ausgegrenzten, Diffamierten und Abgehängten im kommenden Wahlkampf von allen oben genannten Parteien links liegen gelassen werden.

Linkes Potential ist aktuell begrenzt

Bei Wahlen in Deutschland dürfte zur Zeit das Potential für linke Wirtschafts- und Sozialpolitik bei rund neun Prozent liegen. Ob nun die einen sechs (Wagenknechte) und die anderen (Linkspartei) drei oder beide nur jeweils 4,5 Prozent bekommen, hängt einerseits vom Wahlverhalten der links fühlenden Stammwähler*innen von SPD und Grünen ab und andererseits von der Schwerpunktsetzung der beiden um linke Wähler*innen konkurrierenden Parteien. Weder AfD noch BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) werden außerhalb der migrationsfeindlichen Wähler*innengruppe mit dem Thema Zuwanderung beziehungsweise Abschiebung punkten können. Die Linke muss sich deshalb grundsätzlich nur in Abgrenzung zum BSW und zur AfD mit Migration im Wahlkampf beschäftigen. Zentral wird im linken Wahlkampf, wie es mit der sozialen Absicherung in Deutschland weitergeht? Diese Frage müssen Linke im Wahlkampfes überzeugend beantworten, wenn im nächsten Bundestag noch Parlamentarier*innen sitzen wollen, die sich um die untere Hälfte der Gesellschaft und deren Überleben kümmern möchten. Angesichts dieser aufgezeigten Perspektiven zur vorgezogenen Bundestagswahl, ist aber schon jetzt klar: Es wird in Deutschland klimatisch wärmer und sozial kälter werden.