Bauernkrieg auf der Bühne

Kleine Bühnenboden zeigt den „Mann mit der Regenbogenfahne“

Vor genau 500 Jahren gab es den größten Aufstand von unten in der deutschen, an Revolutionen so armen Geschichte. Mit den „12 Artikeln“, die Forderungen mit welthistorischem Charakter enthalten, und dem nach der Veröffentlichung folgenden „Großen Bauernkrieg“ beschäftigen sich derzeit viele Menschen. Natürlich auch progressive Vereinigungen aus der Landwirtschaft, wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die einen „Blick zurück der Zukunft zugewandt“ wagen.

Mit einem agrarpolitischen Symposium und einem Theaterstück erinnern ehemalige und heutige Studierende der Universität Hohenheim bei Stuttgart an den Bauernkrieg. Im Blogbeitrag 500 Jahre Menschenrechtserklärung von unten „Revolution des Gemeinen Mannes“ erstreitet in blutig niedergeschlagenen Aufstand mehr „Freyheyt“ wird aufgezeigt, was die vereinigten drei Bauernhaufen aus Oberschwaben im Memmingen verabschiedet haben. Ebenso ist ein Abriss des Bauernkrieges im Artikel vorhanden.

Erfolge durch Bauernkrieg ins Bewusstsein bringen




Regenbogenfahne der Mühlhäuser Aufständischen. (© Julia Mandry)

In Zusammenarbeit mit dem Asta und der Kulturgruppe der Universität Hohenheim will die „Gruppe 1525“ die Erinnerung an den Bauernkrieg wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. Unter anderem mit dem Theaterstück „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“, das am 16. Mai 2025 im Kleinen Bühnenboden in Münster erstmals gezeigt wird, und einem agrarpolitischen Symposium, das am 25. Mai 2025 im Thomas-Müntzer-Scheuer, dem zentralen Platz des studentischen Lebens in Hohenheim, durchgeführt werden soll.

Menschenrechte von Bauern und Städtern formuliert

Die „Gruppe 1525“ will allem die damaligen Leistungen der Bäuerinnen und Bauern würdigen, insbesondere ihre 12 Artikel, wie sie in einer Pressemitteilung deutlich machen: „Was die 50 Bauern in Memmingen, quasi dem ersten deutschen Volksparlament, da im März 1525 zustande brachten, hatte welthistorischen Charakter. Tatsächlich gab es nie zuvor eine so umfassende Forderungen nach Menschenrechten für alle.“

Thomas Müntzer auf der Bühne

Die Leistung der geschundenen Bauern, die die Inhalte der 12 Artikel über Jahrzehnte während der immer wieder aufflammenden Kämpfe mit der Obrigkeit erarbeitet hätten, könne nicht hoch genug bewertet werden, betont die Gruppe. Dies spiegele sich auch im Theaterstück „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“, wider.

Sie bringen den Bauernkrieg in Münster auf den Kleinen Bühnenboden.

Der historische Hintergrund des Theaterstücks

Die Bäuerinnen und Bauern im Süden und Osten Deutschlands befinden sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer verzweifelten Lage. Die Frondienste und Abgaben an die Grundherren erhöhen sich ständig, so dass für sie und ihre Familien immer weniger übrig bleibt. Gleichzeitig nehmen die Repressionen zu. Hand abhacken oder Augen ausstechen sind keine seltenen Strafen für das Aufbegehren gegen die Obrigkeit. In dieser Situation findet das „Neue Evangelium“, durch zahlreiche Bibelübersetzung auf Deutsch verfügbar, rasende Verbreitung. Prädikanten und Laienprediger ziehen über das Land und predigen die Gleichheit aller Menschen, unterstützt von den Kulturschaffenden, vor allem den Malern. Das ist die Initialzündung für die Bauern, die – die freien Schweizer Bauern vor Augen – nun nicht mehr leibeigen sein wollen und nach Gleichheit, Freiheit und Demokratie verlangen. Ihre Parole: „Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes – nichts denn als unsere gerechte Sache!“

Müntzer und die Bauer

Thomas Müntzer ist einer der Theologen, die den Aufruhr unter den Bauern mit entfacht. Er unterstützt deren Forderungen und hilft mit, die 12 Artikel der Bauern mit der Bibel zu begründen. Er distanziert sich von Martin Luther, der die Reformation auf den kirchlich-geistlichen Bereich beschränken will und entwirft Konzepte, wie man die ganze Gesellschaft reformieren und „das Himmelreich auf Erden“ schaffen kann. Als Zeichen der Verbindung Gottes mit den nach Gerechtigkeit strebenden Menschen führt er die Regebogenfahne neben der Bundschuhfahne als Symbol ein. Die Regenbogenfahne ist zugleich auch Ausdruck der Offenheit der „Neuen Evangelischen Gemeinschaft“ für alle, die die Gleichheit der Menschen anerkennen wollen, also nicht nur Bäuerinnen und Bauern, auch Städter, Handwerker, Bergknappen und sogar Vögte, Herzoge und Fürsten. Die euphorisierten, teils fanatischen Bauern versuchen zunächst friedlich, dann aber auch gewaltsam, ihre Ziele zu erreichen. Dem Truchsess von Waldburg-Zeil gelingt es, mit Verhandlungen, Scheinverhandlungen und Attacken die Aufständischen hinzuhalten und zu spalten. Das von Thomas Müntzer verfolgte Ziel einer gemeinsamen Erhebung des ganzen Landes scheitert. Nur wenige Städte machen mit, viele schwanken und einige verraten die Bauern sogar. Nach und nach werden die Bauernhaufen von den Landsknechten des Truchsess aufgerieben. Die letzte Schlacht findet am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen statt. Die schlecht ausgerüsteten und im Kampf unerfahrenen Bauern werden von den kriegserfahrenen Söldnern und Landsknechten der Fürsten regelrecht abgeschlachtet. 5000 sterben auf dem Schlachtfeld, 300 werden vor dem Rathaus in Mühlhausen enthauptet. Thomas Müntzer wird gefangen genommen und hingerichtet.

Zur Aktualität des Stücks

500 Jahre bäuerlicher Widerstand. Demonstration der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vor dem Kramerzunftstube in Memmingen. (Foto: abl-ev.de)

„Das Stück vermittelt Geschichtsbewusstsein, zeigt den langen Weg der Freiheits- und Demokratiebewegung auf und spiegelt mit der Regenbogenfahne die ersten Ansätze einer multikulturellen Gesellschaft wider. Damit ist es auch ein Stück gegen rechte Tendenzen und für die Gleichheit aller Menschen“, verdeutlicht die Gruppe 1525 in ihrer Pressemitteilung. „Der Deutsche Bauernkrieg gilt als die erste große Freiheits- und Demokratiebewegung. Ihr Scheitern hatte nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Bauern und einfachen Leute, sondern auch auf die Geschichte. Verarmung, Abbau von Grundrechten, permanente Religionsstreitigkeiten und nicht zuletzt der Dreißigjährige Krieg sind darauf zurückzuführen. Die mit dem Bauernkrieg verbundenen Ziele und Werte wie Freiheitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz und Mitbestimmung sowie der Wunsch nach demokratischen Entscheidungsprozessen flammten aber immer wieder auf, zum Beipiel in den Revolutionen 1848 und 1918/19, und sie gingen ein ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.“ Die damaligen Forderungen der Bauern haben bis heute „nichts von ihrer Aktualität verloren“, so Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Auch in den UNO-Menschenrechten findet sich ein Großteil der damaligen 12 Artikel der Bauern wieder. Dieser Zusammenhang wird im Stück hergestellt. Der Streit, ob die Reformation die ganze Gesellschaft reformieren oder auf den kirchlich-geistlichen Bereich beschränkt werden soll, spitzt sich in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Müntzer zu. Luthers Hetzschrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“, in der er auffordert, Bauern „wie tolle Hunde totzuschlagen“, radikalisiert auch Müntzer. Der ruft nun auch dazu auf, „das Schwert nicht kalt“ werden zu lassen und die Macht gewaltsam zu ergreifen.

Das Symbol der Regenbogenfahne

Die politische Aktualität ist nicht zuletzt auch durch die Regenbogenfahne gegeben. Für Thomas Müntzer, den Erfinder dieser Fahne, war sie zunächst Symbol der Verbindung Gottes mit den Menschen. Die Vielfalt der Farben wurde dann übertragen auf die Vielfalt der Menschen, die beim Bündnis für eine neue Gesellschaft mitmachen dürfen und sollen. Dieser in der Fahne angelegte Grundgedanke der Vielfalt wurde zunächst von der Friedensbewegung, dann von den Umweltorganisationen und inzwischen auch von der LGBTQ-Bewegung aufgenommen, ist also hoch aktuell. Aktuell ist schließlich auch die Unzufriedenheit auf dem Land, auch wenn die heutigen Bedingungen nicht mit den damaligen vergleichbar sind. Die Situation hinsichtlich Freiheitsrechten und Mitbestimmungsmöglichkeiten ist heute eine andere, was aber für die Bäuerinnen und Bauern spürbar bleibt, ist der ökonomische Druck zum Überleben und der Wunsch nach einer ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft. Auch damals kämpften die Bauern für Pacht-, Jagd- und Fischereirechte, die ihnen nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen sollten.

Klassisches Revolutionsstück

Der Münsteraner Gerhard Schepper überarbeitete das Drama „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“ von Friedrich Wolf für die Aufführungen in Münster und Hohenheim. (Foto: Werner Szybalski)

„Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“ sei auch ein klassisches Revolutionsstück: ein denkender Intellektueller sieht das Elend der Welt; er entscheidet sich, sich für die Unterdrückten einzusetzen; er rührt den Aufruhr mit an und liefert die theoretische Begründung; er sieht, dass der politische Kampf persönliche Opfer nötig macht und erkennt das Dilemma: kleines persönliches Glück oder Gerechtigkeit für alle; er will beides, das Himmelreich auf Erden und das persönliche Glück für alle, er will materielle Gerechtigkeit und Eingriffe ins Eigentum; schließlich sieht er vor lauter Euphorie die Realität nicht mehr und willigt ein, Verräter zu töten, weil er glaubt, damit die Bewegung zu retten; am Ende scheitert er und wird hingerichtet.

Die Zweifel, das Schwanken zwischen der Hoffnung auf den großen Sieg und der Angst vor dem totalen Verlust – diese Zerrissenheit bei Müntzer, den Bauern, Bergknappen und Städtern kommt in dem Theaterstück immer wieder zum Ausdruck. So bringt das Theaterstück zum 500. Jahrestag des Großen Deutschen Bauernkriegs nicht nur den historisch-politischen Aspekt auf die Bühne, sondern auch den ganz persönlichen inneren Kampf des Einzelnen mit all seinen Widersprüchen.

Polizei bremst Fröhliche Fahrraddemo

Organisator ärgert sich über das Verhalten der Ordnungskräfte

Am Samstag (29. März 2025) radelten zum zweiten Mal Eltern mit ihren Kindern demonstrierend vom Zentrum Nord durch Rumphorst, Erpho- und Martiniviertel zum Spielplatz an der Coerdestraße. Dabei ging es den Organisatoren um Franz Schröer besonders darum, deutlich zu machen, dass im Verkehr noch immer viel zu wenig Platz für Kinder – insbesondere wenn diese schon eigenständig mobil sind – gibt und in Münster noch immer zu viel Platz für stehende und rollende Autos vorhanden ist.

Franz Schröer organisierte maßgeblich die 2. Fröhliche Fahrraddemo. (Fotos: Werner Szybalski)

Eltern, die ihre Kinder mit dem Fahrrad, Roller oder zu Fuß statt mit dem Auto in den Kindergarten oder auch in die Vor- und Grundschule bringen, erfahren es täglich – in der „Fahrradstadt“ Münster lauern gerade für Kinder im Verkehr unzählige von den Kids teilweise nicht zu überblickende oder zu erkennende Gefahren. Dies insbesondere durch die an die Automobilität angepassten Verkehrswege. Zwar gäbe es in der Domstadt – Beispiel Fahrradstraßen – viele gut gelöste Maßnahmen für den Radverkehr. Aber selbst diese wären nicht immer kindgerecht, war auf der Fahrraddemo zu hören. Deshalb waren sich Eltern, Kinder und teilnehmende Omas und Opas sicher:

Münster kann mehr!

Zum zweiten Mal lud deshalb die Elternschaft der Fröbel Kita Zentrum Nord zur Fröhlichen Fahrraddemo. Dabei wurden die Eltern und ihre Kids nicht nur von etlichen Omas und Opas unterstützt, sondern auch vom Verein Rumphorstviertel, dem ADFC und Kidical Mass, die alle aktiv an der Protestfahrt teilnahmen. Das Polizeipräsidium Münster hatte zahlreiche Einsatzkräfte geschickt, um die Tour über durchaus stark frequentierte Straßen abzusichern. Am Pumpenhaus ging es links den Hohen Heckenweg hinauf. Hauptorganisator Franz Schröer fuhr vorne weg, um auch auf genügend Pausen für die jüngsten, selbständig radelnden Teilnehmer*innen zu achten. Aber schon beim Abbiegen in die Einmündung zur Piusallee geriet der Demoleiter erstmals in Stress: „Ich wollte kurz anhalten, um den Kids eine Verschnaufpause zu gönnen. Doch die Polizei wollte die Piusallee möglichst schnell für den Verkehr wieder frei haben. Die Kleinen mussten weiter in die Pedale treten.“

Mit Streifenwagen, Bullis, Fahrrädern und Motorrädern begleitete die Polizei Münster die 2. Fröhliche Fahrraddemo in Münsters nördlicher Innenstadt.

Fahrräder statt wie geplant Autos blockiert

Der erste längere Stopp war auf der Kreuzung Ostmarkstraße / Dieckstraße / Kirchstraße geplant. Als Franz Schröer mit seinem mit Lautsprecher versehenen Fahrradanhänger auf die von einem Streifenwagen frei gehaltene Kreuzung rollen wollte, stoppten ihn die Polizist*innen. „Der Einsatzleiter der Polizei erklärte mir, dass es unverhältnismäßig sei, für unsere Kundgebung die Kreuzung zu sperren und damit den Autoverkehr zu behindern. So haben wir, weil wenig später an der Kreuzung Bohlweg / Hörster Straße mit der Gartenstraße das gleiche passierte zwei Mal Fahrradstraßen statt Autos blockiert. So war das nicht gedacht.“

Franz Schröer musste einige Male mit den Ordnungshütern diskutieren. Nicht alles, was er angemeldet hatte, wurde der Demo auch tatsächlich ermöglicht.

Da habe er den Kaffee schon aufgehabt, erklärte er nach Ende der Demonstration im Rahmen der Aktionswochen „Straßen sind für alle da!“, die vom bundesweiten Aktionsbündnis Kidical Mass allerdings eigentlich erst im Zeitraum zwischen dem 5. und 25. Mai stattfinden. Aber die Elternschaft ist lieber zu früh als zu spät.

Die am Ende der Dieckstraße, die von Kindern mit Kreide bemalt und von Eltern beschriftet wurde, belohnten die Gäste des Café Herr Hase die Redebeiträge und Aktionen der 2. Fröhlichen Fahrraddemo mit spontanem Applaus, was natürlich bei den Demonstrant*innen sehr gut ankam.

Die erste Kundgebung mit Malaktion fand am Ende der Dieckstraße statt.

Klare Forderungen der Demonstrierenden

„Für unsere Kinder!“ „Für sicheren Radverkehr!“ „Für Straßen, die für alle da sind!“ schallte es aus Kehlen und Lautsprecher. Von der Dieckstraße ging es über die Piusallee ging es zum zweiten Stopp (mit dem schon beschriebenen zweiten Ärger bei Franz Schröer) zur Gartenstraße. Von dort wurde dann das Ziel mit der Abschlusskundgebung am und auf dem Promenaden-Spielplatz an der Coerdestraße angesteuert.

Schluss mit dem amtlichen Blick durch die Windschutzscheibe

Dort empfing Andrea Blome, Vorsitzende des Ratsausschusses für Verkehr und Mobilität den Fahrraddemozug. „Über ihren Besuch haben wir uns sehr gefreut“, erklärte Franz Schröer, dass die Politikerin der Grünen viel Verständnis für die Forderungen der Demonstrant*innen zeigte. „In Münster blickten noch immer zu viele Menschen in Stadtverwaltung und speziell im Ordnungsamt durch die Windschutzscheibe auf den Verkehr. Damit müsse endlich Schluss sein“, hätte Blome gefordert.

3. Fröhliche Fahrraddemo vor der Wahl im September

Trotz der wenig entgegenkommenden Ordnungskräfte will sich Franz Schröer nicht entmutigen lassen. Knapp ein Jahr nach der 1. Fröhlichen Fahrraddemo am 28. September 2024 soll der dritte „Streich“ noch vor der Kommunalwahl im September erfolgen. Franz Schröer: „Das sind wir unseren Kindern einfach schuldig.“

Öffentliche Stadt- und Stadt-Umland-Verkehre fahren nebeneinander her

Begegnung in der Lotharinger Straße, die es ab Mai dort nicht mehr gibt. Wartender Umlandbus und Stadtbus nebeneinander.

Sondersitzung des Mobilitätsausschusses abgesagt

Ab Mai diesen Jahres werden die Regionalbusse S 60, S 90 und X 90 nicht mehr bis zur Haltestelle Altstadt / Bült fahren, sondern am Hauptbahnhof die Fahrt von Nottuln, Lüdinghausen oder Senden nach Münster beenden. Diese Verschlechterung des Angebots wird unter anderem vom Fahrgastverband Pro Bahn Münsterland beklagt. Größer war aber in der politischen Klasse in Münster die Aufregung darüber, dass diese aus der Zeitung von der Verkürzung des Angebots erfuhren, obwohl die Verwaltung der Stadt Münster dem Begehren des Regionalverkehrs Münsterland zur Angebotskürzung schon zugestimmt hatte.

Die Stadtnetze Münster führen ab Mai in der Lotharinger Straße Kanalbauarbeiten durch. Deshalb fällt die dortige Betriebshaltestelle für Busse weg, die insbesondere von den Regiobussen aus Nottuln sowie Lüdinghausen und Senden genutzt wurden. An dieser Haltestelle können im April die Busfahrer*innen noch ihre Pausen machen und zudem wird so der Fahrplan der im Auftrag des RVM verkehrenden Busse eingehalten. Sie können am Bült pünktlich ihre Fahrt in den Kreis Coesfeld beginnen. „Ab Mai ist die Betriebshaltestelle nicht mehr anfahrbar beziehungsweise verfügbar“, teilte das Amt für Kommunikation der Stadt Münster auf Nachfrage mit. „Ein alternativer Standort für diese Betriebshaltestelle im Umfeld des Bült konnte trotz eingehender Prüfung nicht gefunden werden.“

Lokale Politik blieb uninformiert

Ab Mai steht wegen einer Baustelle die Betriebshaltestelle an der Lotharinger Straße den Regionalbussen nicht mehr zur Verfügung. Die Linie 8 (Bild oben) wird weiterhin dort fahren können. (Fotos: Werner Szybalski)

Offensichtlich nutzten die Regionalbusverantwortlichen, von der Stadt Münster über den Wegfall der Haltestelle informiert, dies um ihre Planungen zu ändern und die Schnellbuslinien um zwei Haltestellen in Münster zu verkürzen. Dies offensichtlich ohne die lokale Politik – weder im Kreis Coesfeld noch in der Stadt Münster – zu informieren oder gar in die Entscheidung einzubeziehen. In einer Pressemitteilung des Fahrgastverbandes Pro Bahn Münsterland wurde daran erinnert, dass Busfahrer*innen, Unternehmen und Fahrgäste sich im vergangenen Jahr über durch das hohe Verkehrsaufkommen und die vielen Staus und roten Ampeln auf der Weseler Straße in Münster und dadurch verpasste Anschlussbusse am Busbahnhof in Lüdinghausen geärgert hätten. Vielleicht soll sich auch dieses Problem mit den Fahrzeitkorrekturen beziehungsweise Linienverkürzungen in Luft auflösen. Eine diesbezügliche Antwort des Regionalverkehrs Münsterland (RVM) auf die Anfrage der Redaktion steht noch aus.

Aufregung bei Grünen und Violetten

Bereits im vergangenen Jahr war im Coesfelder Kreistag beschlossen und von der Stadt und Politik in Münster hingenommen worden, das das Busangebot auf den Linien S 60 zwischen Nottuln und Münster sowie S 90 / X 90 zwischen Olfen, Lüdinghausen, Senden und Münster aus Kostengründen gekürzt wird. Nun die Kappung im Zielort, die laut Andrea Blome, grüne Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr und Mobilität des Rates der Stadt Münster, mehrere hundert Fahrgäste täglich für die Restfahrt in die Innenstadt zum Umstieg in die Stadtbusse zwinge: „Wir sind von dieser Nachricht überrascht, weder im Verkehrsausschuss noch in persönlichen Gesprächen wurden wir über diese Planung informiert. Dies ist angesichts der Bedeutung dieser Grundsatzentscheidung nicht akzeptabel. Die Kürzung der Linien X 90, S 90 und S 60 halten wir für einen Fehler. Sie macht die wichtigen Busverbindungen aus dem Umland unattraktiver, entwertet die zentrale Altstadthaltestelle Bült und widerspricht unseren verkehrspolitischen Zielen. Zwar entscheidet der RVM selbst über seinen Betrieb, die Stadt Münster ist aber in der Pflicht, dafür im Straßenraum die entsprechenden Bedingungen zu schaffen. Bis zur Befassung des Verkehrsausschusses, den ich in dieser Sache zu einer Sondersitzung einberufen werde, haben wir die Verwaltung gebeten, die Planungen zur Umsetzung der Maßnahme auszusetzen.“

Unmut bei Volt

Auch bei der Ratspartei Volt sorgte die angekündigte Kürzung der Schnellbuslinien S 60, S 90 und X 90 für Unmut. Grund dafür sei aber nicht die Maßnahme selbst, sondern die mangelhafte Kommunikation darüber heißt es in einer Pressemitteilung. „Über eine solch grundlegende Entscheidung möchten wir nicht aus der Zeitung erfahren. Es wäre dringend geboten, den Ausschuss für Verkehr und Mobilität (AVM) frühzeitig und transparent einzubeziehen“, kritisiert Marcus Wilhelm, der für Volt im Verkehrsausschuss sitzt. „Dass weder der Ausschussvorsitz noch die Mitglieder im Vorfeld informiert wurden, zeigt einen deutlichen Nachholbedarf in Sachen Transparenz und Beteiligung seitens der Verwaltung und der RVM.“

Sondersitzung des Verkehrsausschusses entfällt

Andrea Blome, Vorsitzende des Verkehrsausschusses der Stadt Münster.

Nach Gesprächen mit der Stadtverwaltung, wie der Redaktion ein grundsätzlich gut informierter Sachkundiger berichtete, sei die Sondersitzung des Verkehrsausschusses vom Tisch. Tatsächlich erklörte die Vorsitzende Andrea Blome: „Wir haben seit der Ankündigung der fahrgastunfreundlichen Linienverkürzung zahlreiche intensive Gespräche geführt. All unsere Bemühungen hatten das Ziel, Alternativen auszuloten, um die direkte Erreichbarkeit des Bült für die hochfrequentierten Busse aus dem Kreis Coesfeld zu sichern. Leider vermisse ich im Ergebnis sowohl bei den RVM wie auch bei der Stadtverwaltung die Bereitschaft, zu einer Lösung im Sinne der Fahrgäste zu kommen. Da wir daran kurzfristig mit einer Sondersitzung nichts werden ändern können, hat unsere Fraktion ihren Antrag zurückgezogen. Gleichwohl erwarten wir von Verwaltung und RVM Erklärungen und alternative Lösungsvorschläge.“

Öffentlicher Regionalverkehr soll attraktiver werden

Die Grünen in Münster verdeutlichten grundsätzlich: „In Sachen Bus- und Bahnverkehr ins Umland gilt: Wir müssen diese Alternative stärken und nicht schwächen. Wenn 80 Prozent der Einpendelnden mit dem Auto nach Münster kommen, ist es unsere Aufgabe, den Regionalverkehr und damit den Umstieg auf den Bus für sie attraktiver zu machen. Es ist nicht akzeptabel, dass sich Verwaltung und Verkehrsbetrieb damit abfinden, dass die Vorzeigelinien des Münsterlandes quasi nebenbei wegen betrieblicher Schwierigkeiten gekürzt werden. Die Attraktivität unserer Altstadt steigt nicht allein dadurch, dass sie schön gestaltet wird, sondern dass sie mit Alternativen zum Auto gut erreichbar ist.“

Pro Bahn: Öffentlicher Verkehr muss zukünftig besser organisiert werden

Der Fahrgastverband Pro Bahn Münsterland, bei dem der Autor in verantwortlicher Position tätig ist, nahm die Diskussion zum Anlass, um sich grundsätzlich zu äußern: „Die Verkehrssituation in Münster ist geprägt vom Umlandverkehr – sowohl aus den 1975 eingemeindeten Dörfern und besonders aus dem Münsterland. Rund 115.000 Menschen pendeln nach Münster ein. Diese verkehrliche Herausforderung kann natürlich nicht mit dem Individualverkehr gelöst werden. Doch der Öffentliche Verkehr im Münsterland ist tatsächlich zu schwach, um die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu erfüllen und zugleich die Domstadt vor den Blechlawinen aus dem Umland zu schützen. Ein wichtiger Schritt wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen den Nah- und Regionalverkehrsversorgern – sowohl auf organisatorischer, betrieblicher und partizipativer Ebene.“

Werner Szybalski, Autor dieses Textes, ist Stellvertretender Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn Münsterland.

Zur Zeit seien die Kommunalpolitiker*innen in Münster und natürlich auch in den umliegenden Kreisen in der gleichen machtlosen Position wie die Fahrgäste – sie haben kaum oder keinen Einfluss auf die Öffentlichen Regionalverkehre, betonte Pro Bahn. Wie im Schienenpersonennahverkehr, der aktuell vor einer Strukturreform steht, verlangt Pro Bahn eine stärkere und gemeinsame Position der Städte, Kreise und Gemeinden des Münsterlandes gegenüber ihren von RVM und Stadtwerken organisierten Busverkehre im Münsterland. Zudem müssen die Fahrgäste zumindest durch einen Beirat an der Planung und Kontrolle beteiligt werden.

Pro Bahn fordert mehr überkreisliche Zusammenarbeit

Wie notwendig dies ist, unterstreicht nicht nur die Kappung der Innenstadtverbindung der Schnellbuslinien, sondern auch schon deren Taktausdünnung im vergangenen Jahr. Dabei wollte sich die Stadt Münster nicht an den Kosten des Kreises Coesfeld beteiligen, um den sehr guten Takt auf der Linie zu halten. Andersrum ließen die Umlandkreise Münster bei Einführung des Ein-Euro-Tarifs bei Monatskarten allein. Werner Szybalski: „Überkreisliche Zusammenarbeit wird im Münsterland immer wieder beschworen. Schön wäre es, wenn sie häufiger zum Nutzen der Menschen auch verwirklicht würde.“

„I feel good“ – Verkehr in Münster

Verkehrspolitik in Münster: Nach Jahrzehnten wird in Kürze die Umgehungsstraße, fast eine Stadtautobahn, vom Anschluss an die A 43 an der Weseler Straße fertig, denn der Anschluss an den Schifffahrter Damm wird bald fertig.

Klimagespräch mit Industrie, Wissenschaft und Umweltverband

Andrea Blome, hauptberufliche Moderatorin, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Kommunalwahl am 14. September diesen Jahres in Münster und aktuell Vorsitzende des Ratsausschusses für Verkehr und Mobilität in der Domstadt, moderierte am Donnerstagabend (27. März 2025) in den Räumen der Volkshochschule Münster am Aegidiimarkt das jüngste Klimagespräch in der Stadt.

Im Mittelpunkt der mit rund 50 Zuhörer*innen gut besuchten Veranstaltung stand die „ schwierige Beziehungskiste“ Verkehr und Klima. Die Chancen einer klimaschonenden Mobilität im Münsterland sollten die Podiumsgäste Dr. Jana Burchard, Geschäftsbereichsleiterin Branchen & Infrastruktur bei der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen, Professorin Dr. Antonia Graf, Politik- und Umweltwissenschaftlerin an der Universität Münster, und Thomas Lins, Vorsitzender des Regionalverbandes Münsterland des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) beurteilen.

Moderatorin Andrea Blome (l.) hatte Dr. Jana Burchard, Geschäftsbereichsleiterin Branchen & Infrastruktur bei der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen, Professorin Dr. Antonia Graf, Politik- und Umweltwissenschaftlerin an der Universität Münster, und Thomas Lins, Vorsitzender des Verkehrsclub Deutschland (VCD) – Regionalverband Münsterland zu Gast. (Fotos: Werner Szybalski)

Nach der Begrüßung durch Volker Rotthauwe vom Trägerkreis der Münsteraner Klimagespräche führte sein Kollege Michael Tillmann mit einem Kurzreferat ins Thema ein. Dabei ging er besonders auf die Problematik ein, dass die Bundesrepublik 2024 zwar ihr Klimaziel erreicht habe, aber der Sektor Verkehr bis 2030 insgesamt 180 Millionen Tonnen CO²-Emissionen zu viel produzieren werde. Damit verfehlt die Politik ihr selbst gesteckte Ziel deutlich. 71,7 Prozent der klimaschädlichen Ausstöße erzeugt europaweit der Straßenverkehr, 14 Prozent die Schifffahrt, 13,4 Prozent die Zivilluftfahrt und 0,4 Prozent die Eisenbahn. Auch in Münster gehört der Verkehrssektor zu den größten Klimakillern, da er weiterhin konstant hohe Emissionen erzeug

Gute Stimmung, da das Klima ausgeblendet wurde

In seiner Einführung präsentierte Rums-Kolumnist Michael Tillmann, Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“ erschreckend hohe klimaschädliche Ausstöße des Verkehrssektors – auch in Münster.

Andrea Blome ließ zunächst das Publikum zu einem Wort kommen. Jede und jeder im VHS-Saal durfte ein Schlaglicht auf die Verkehrssituation in Münster werfen, ehe die lokale grüne Spitzenpolitikerin von den drei Podiumsgästen hören wolle, was unter der von Blomes Partei geführten Ratsmehrheit in Münster im Verkehrssektor alles schon gut laufen würde. Mit dieser vorgegebenen „I feel good“-Stimmung war fortan von der von Tillmann kurz zuvor noch beschworenen „schwierigen Beziehungskiste Verkehr und Klima“ nichts mehr zu spüren. Vielen Teilnehmer*innen fiel es vermutlich erst auf, als gegen Ende der Veranstaltung Michel Wildt anmahnte, dass das Klima in der Diskussion viel zu kurz komme.

Burchard Sieht viel Positives*

Dr. Jana Burchard plädierte für Erreichbarkeit – insbesondere der Arbeitsstätten in Münster.

Tatsächlich konnte IHK-Vertreterin Dr. Jana Burchard gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion eine ganze Palette von positiven Verbesserungen in Münsters Verkehrssektor aufzählen: „Es gibt viele Konzepte in der Stadt, die Verbesserungen für einzelne Verkehrsarten, also zum Beispiel Fahrrad, Busverkehr, S-Bahn oder E-Ladesäulen, bringen oder bringen werden. Ich finde das gut.“

Allerdings führte Dr. Jana Burchard auch die hohe Quote der E-Mobilität bei den Stadtwerken Münster ins Feld. Tatsächlich gelingt dem städtischen Unternehmen in der eignen Busflotte die Antriebswende sehr gut. Im Fahrbetrieb in der Domstadt aber verkehren für die Stadtwerke nur weniger als 50 Prozent eigene Busse – die Mehrheit ist im Auftrag und klimaschädlich mit Verbrennermotoren unterwegs. Gleiches gilt übrigens zur Zeit auch für den Regionalbusverkehr in der Domstadt.

„Die Konzepte sind da“, betonte Jana Burchard, der besonders wichtig war, dass auch für die Menschen aus den Außenbereichen der Stadt und dem Umland die Erreichbarkeit in Münster gewährleistet wird. Dies gelte insbesondere für die Arbeitsstätten. Die Fahrten dorthin würden, so Burchard, aktuell zu 70 Prozent mit dem PKW erfolgen.

Das Münsteraner Klimagespräch zum Thema Verkehrswende war mit rund 50 Zuhörer*innen recht gut besucht.

Städte sollen zusammenarbeiten

Die Politik- und Umweltwissenschaftlerin Professorin Dr. Antonia Graf sah viele positive Ansätze bei der Europäischen Union, dem Städtetag und auch im jüngst beschlossenen Infrastrukturfond der Bundesregierung. „Die Möglichkeiten wurden erweitert“, forderte die Mitarbeiterin der Universität Münster, dass die Städte in Deutschland zusammenarbeiten sollten, um zum Beispiel eigene Parkraumkonzepte oder mehr Tempo-30-Zonen in den Städten durchsetzen zu können. Die Kommunen seine dabei, so die Einschätzung der Professorin, auf sich selbst gestellt, da „vom Bund wenige Beiträge zur Verkehrswende zu erwarten seien.“

Insgesamt forderte Graf mehr Bürger*innenbeteiligung in der Verkehrspolitik und erhofft eine inklusive und auch gendergerechte Organisation der Mobilität. Da war sie mit Thomas Lins vom VCD auf einer Linie. Wobei der VCDler forderte, dass komplexe Handlungen erfolgen müssten: „Nur Förderung nützt allein nichts.“ Um zu einer Verkehrswende zu kommen, müsse es nicht eine Antriebswende erfolgen, sondern der MIV (motorisierte Individualverkehr) tatsächlich verteuert und auch eingeschränkt werden. „Auf die höheren Benzinpreise in einigen Jahren wegen der CO²-Abgabe zu hoffen, reicht definitiv nicht!“

Unstimmigkeit fast lediglich bei der Auto-Politik

Dem widersprach Dr. Jana Burchard, die befürchtete, dass Münster als einkaufs- und Touristikstadt leiden würde, wenn der Autoverkehr erschwert würde. Dies würde sich auch wirtschaftlich widerspiegeln. Der Arzt, der Anwalt und die Arbeit müsse auch mit dem Auto erreichbar bleiben, erklärte Jana Burchard. Kontrovers wurde die Diskussion zum Komplex „Verkehre vermeiden“ und individuelle Möglichkeiten zur Umsetzung der Verkehrswende.

„Von der Gesellschaft allein gelassen“

Sascha Lübbe recherchiert „ganz unten im System“

Den „Unsichtbaren“ in unserem Wirtschaftssystems spürte der Berliner Journalist Sascha Lübbe nach. Ursprünglich geplant für eine Reportage der Tageszeitung (taz) recherchierte Lübbe in drei Branchen, wie die Menschen „ganz unten im System“ ihr Geld verdienen und wie sie in Deutschland leben. Obwohl diese Arbeiter*innen in der Öffentlichkeit häufig zu sehen sind, denn sie sitzen hinter dem Lenkrad des Lkw, den ich auf der Autobahn überhole, malochen auf den Baugerüsten in unserer Innenstadt, kommen aus dem Fabriktor der Fleischindustrie oder stehen am Bahnhof oder Kiosk in Gruppen zusammen, um die wir schnell einen Bogen machen.

Der Lebenswirklichkeit dieser prekär beschäftigen Menschen ohne deutschen Pass ist Sascha Lübbe in seinem Buch „Ganz unten im System“auf der Spur. Der legendäre Günter Wallraff, der ab 1983 zwei Jahre in die Identität des türkischen Gastarbeiters „Ali Levent Sinirlioğlu“ schlüpfte, decken undercover „ganz unten“ die harten bisweilen auch unmenschlichen Arbeitsbedingungen für Migrant*innen im Deutschland der 80er Jahre auf. Mit den Mitteln des Journalismus bringt hingegen Sascha Lübbe mit seinen Reportagen Licht in die dunkele Wirklichkeit der heutigen Arbeitswelt für Ausländer*innen im extremen Niedriglohnsektor Deutschlands.

Ausbeutung für niedrige Preise im Supermarkt

Die Reportagen („Auf dem Bau“, „Im Schlachthaus“, „Auf der Autobahn“) von Lübbe aus Frankfurt (Baubranche), Ostwestfalen (Umfeld der Tönnies-Fleischfabriken) oder Brandenburg (LKW-Fahrer) geben kaum erträgliche Einblicke in eine Wirklichkeit, die die Gesellschaft eigentlich nicht wahrhaben will. Dies insbesondere, da auch für unser Leben die Ausbeutung von ausländischen Menschen bedeutsam ist. Schließlich wollen wir – beziehungsweise müssen prekär lebende Menschen – die niedrigen Preise unter anderem für Lebensmittel behalten.

Fleischfabrik in Münster.

Nach den teilweise schwer zu ertragenden Reportagen fügt Lübbe einen Bericht von seinen begleitenden Besuchen beim Zoll an. Er überschreibt dieses Kapitel mit der Frage „Beschützer oder Verfolger, Freund oder Feind?“. Dies macht schon deutlich, dass es keine dauerhafte Hilfe für die Beschäftigten „ganz unten“ gibt oder gar diese Ausbeutung – zumindest in Deutschland – durch Überwachung unterbunden werden könne. Auch durch die Politik und das Kapital, dies macht Sascha Lübbe in zwei eigenen Kapiteln deutlich, ist aktuell kaum Abhilfe zu erwarten.

Schlafen, kochen und essen, Körperpflege – Leben auf der Autobahnraststätte.

Hoffnung besteht nur bei klassischer Gewerkschaftsarbeit

Lübbes Erkenntnis: Fast niemand hilft diesen Arbeiter*innen, die „von der Gesellschaft allein gelassen“ (Seite 151) sind. Lichtblicke findet der Autor bei einzelnen gewerkschaftsnahen Organisationen. So hat er Mitarbeiter des Peco-Instituts und auch von dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen bei ihrer Hilfstätigkeit begleitet und zu den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Ausgebeuteten interviewt.

Baustelle in Münster-Kinderhaus.

Unerwähnt bei Lübbe bleibt, dass es sogar staatlich geförderte Stellen gibt, die ebenfalls versuchen mit Aufklärung die prekäre Situation zu entschärfen. Übrigens zum Beispiel auch in Münster. Im Cuba hat die „Beratungsstelle Münster gegen Arbeitsausbeutung“ ihr Büro.

Ähnliche Ausbeutung in anderen Wirtschaftszweigen

Deutlich wird bei der Lektüre des aufklärerischen, durchaus lesenswerten Buch aber, dass nicht nur in den drei von Lübbe untersuchten Branchen Arbeitsbedingungen herrschen, die abgeschafft gehören. Auch in den Wirtschaftsbereichen Gebäudereinigung, Lieferdienste oder Gastronomie und Tourismus gibt es – vermutlich nicht nur Einzelfällen – Beispiele von solcher gnadenlosen Ausbeutung. Sascha Lübbe versucht am Ende („Was nun?“) seines Buches etwas Optimismus zu verbreiten. Trotzdem bleibt er die große, die Systemfrage schuldig. Tatsächlich begünstigen die von Politik und Verwaltung betriebene neoliberale Politik mit immer mehr Privatisierung und zum Beispiel europaweiten Ausschreibungen diese bestehenden ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in Deutschland.

Werner Szybalski

Tribünenbau am Preußenstadion.

Tausende aufständische Orte

Wie die Klimakatastrophe gestoppt werden kann

„Die bösen Großkonzerne“ oder „der (fossile) Kapitalismus sind schuld“- in der Klimabewegung herrscht die Vorstellung vor die Klimakatastrophe sei „aus der Gier einiger Weniger“ entstanden oder der Staat müsse den (fossilen) Kapitalismus eindämmen oder abschaffen, um sie zu stoppen.

Diese Vorstellungen sind nicht nur anschlussfähig an antisemitische Weltbilder, nein sie führen schnell in eine noch autoritärere Gesellschaft in der entweder Staat und Unternehmen oder nur der Staat den Ressourcenverbrauch der gesamten Bevölkerung überwacht. Dagegen richtet sich ein Vortrag, der von Ende Gelände Münster organisiert wird. Er findet am Sonntag, dem 13. April 2025, um 17:30 im SpecOps (Aegidimarkt 5) statt. Im Beitrag wird aufgezeigt, wie der anarchistische Umgang mit der Klimakatastrophe aussieht.

Wie eine anti-autöritäre Klimarevolte aussehen kann

Der Vortrag ist in zwei Teile gegliedert: Aufzeigen der Ursachen von Klimakatastrophe und Mitweltzerstörung beziehungsweise Perspektive zur Enteignung von Staat und Kapitalismus.

Wie eine antiautoritäre Klimarevolte aussehen kann, wird nicht nur Gegenstand des Vortrages sein, sondern ist auch Inhalte der Fotoausstellung „Bewegungen für Klimagerechtigkeit“ von Tim Wagner, die mit dem Vortrag eröffnet wird. Sie wird bis Ende Mai im Café-Bereich des SpecOps zu sehen sein.

Bilder von Aktionen der Klimabewegungen

Die Fotografien von Tim Wagner entstanden zwischen 2015 und 2023. Sie zeigen die Aktionen der Klimabewegungen, die stets an den Konfliktlinien der Gesellschaft stattfinden. Die Bilder sind sowohl aktiver Teil der Bewegungsgeschichte, ermöglichen aber auch einen kritischen Blick auf die visuelle Rezeption der Bewegungen. Die Fotoausstellung umfasst vier Schwerpunkte:

  1. Proteste von Ende-Gelände gegen den Braunkohletagebau (2015 – 2022)
  2. Besetzung und Räumung Hambacher Forst (2018)
  3. Protest gegen die A 49 und Besetzung Dannenröder Wald (2020)
  4. Zerstörung des Ortes Lützerath im Rheinland (2021 – 2023)

Im Anschluss an die Anti-Atom-Bewegung entwickelte sich ab 2015 eine neue Klimabewegung, welche den Abbau von Kohle zur Energiegewinnung in Frage stellte. Mit spektakulären Massenaktionen des zivilen Ungehorsams, bei denen Braunkohletagebaue und Wälder besetzt wurden, rückten sie den Kohleausstieg ins öffentliche Bewusstsein. Tim Wagner wurde zu einem solidarischen Begleiter dieser Bewegung und versuchte Ihre Aktionen fotografisch zu dokumentieren. So entstand ein umfangreiches Fotoarchiv – eine Bildersammlung der Bewegung. Wagner hat eine Wanderausstellung zusammengefasst, die eine Rückschau auf die Proteste bietet, die erfolgreich zum Kohleausstieg beigetragen und zudem gesellschaftliche Veränderungen angestoßen haben.

Der Vortrag und die Ausstellung sind Teil der Veranstaltungsreihe „1000 widerständige Orte“.

Walter von Göwels wird Aufsichtsrat bei der Eurobahn

CDU-Politiker aus Münster soll ZVM bei der vom NWL übernommenen Regionalbahn vertreten

Wenn es einen Politiker in Münster gibt, der als graue Eminenz des Öffentlichen Verkehrs gelten kann, dann ist dies spätestens seit vergangenem Montag der CDU-Kommunalpolitiker Walter von Göwels. Er erhielt ein weiteres Amt: Am 24. März 2025 tagte am Aasee in Münster die Verbandsversammlung des Zweckverband Mobilität Münsterland (ZVM). Unter anderem stand die Besetzung des Aufsichtsrates der kürzlich vom Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) erworbenen Regionalbahn „Eurobahn KG“ auf der Tagesordnung. Der Haupt- und Finanzausschusses der ZVM-Versammlung hatte den Münsteraner Walter von Göwels nominiert. Die Versammlung schickt den Vorgeschlagenen einstimmig als Vertreter des ZVM in den Aufsichtsrat der „Eurobahn KG“.

Walter von Göwels von der CDU Münster soll für den Zweckverband Mobilität Münsterland (ZVM) in den Aufsichtsrat der Eurobahn KG einziehen. (Foto: CDU Münster)

Der Münstersche CDU-Kommunalpolitiker Walter von Göwels gehört nicht nur dem Rat der Stadt Münster an, sondern ist für diesen auch in den Ausschüssen für Stadtplanung und Stadtentwicklung sowie für Verkehr und Mobilität, deren 2. Stellvertrender Vorsitzender er ist, sowie im Aufsichtsrat der Stadtwerke Münster GmbH, dessen Vorsitzender er ist, tätig. Zudem gehört er für den Rat der Stadt Münster den Verbandsversammlungen des Zweckverbandes Mobilität Münsterland (ZVM), dem Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) und der Westfälische Landeseisenbahn GmbH (WLE) an. Bei seiner Wahl zum Vorsitzenden der ZVM-Versammlung im Dezember 2020 erklärte Walter von Göwels laut Webseite der CDU Münster: „Die kommunale Zusammenarbeit im Münsterland muss angesichts des demografischen Wandels und des Klimaschutzes den öffentlichen Verkehr auf der Schiene und der Straße als gemeinsames System umfassen.“

Eurobahn-Premiere in der Pfalz

1998 wurde die Eurobahn Verkehrsgesellschaft mbH & Co KG mit Sitz in Wachenheim an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) gegründet. Die Gesellschafter waren zunächst Via Générale de Transport et d’Industrie, ab 1999 ein Tochterunternehmen der staatlichen französischen SNCF, mit 60 Prozent und Rhenus mit Sitz in Holzwickede, die zum Rethmann-Konzern gehört, mit 40 Prozent.

Ab Ende Mai 1999 fuhr die Eurobahn auf der reaktivierten Donnersbergbahn, die in Rheinland-Pfalz von Alzey nach Kirchheimbolanden führt. Ein Jahr später trat die Eurobahn in Nordrhein-Westfalen auf den Fahrplan. Die Ravensberger Bahn und der Lipperländer von Bielefeld nach Rahden beziehungsweise nach Lemgo wurden fortan mit Zügen der Eurobahn bedient. Im selben Jahr wurde mit einem Tochterunternehmen in Sachsen Schienenpersonennahverkehr auf der Bahnstrecke von Freiberg nach Holzhau angeboten.

Nach nur drei Jahren wurde im September 2001 die Eurobahn Verkehrsgesellschaft zur Rhenus Keolis mit Sitz in Mainz. Dabei übernahmen die Südmünsterländer Rethmann-Tochter Rhenus aus Selm mit 51 Prozent die Mehrheit. Die französische Keolis erhielt 49 Prozent. Die Eisenbahnbetriebe Alzey, Bielefeld und Freiberg sowie Busbetriebe in Bad Kreuznach und Zweibrücken gehörten damals zu Rhenus Keolis mit rund 180 Mitarbeiter*innen.

Anfang Dezember 2007 wurde das Unternehmen in Keolis Deutschland GmbH & Co. KG, die fortan unter dem Namen „eurobahn“ den Betrieb in Bielefeld organisierte, und Rhenus Veniro für den Rest geteilt. Keolis Deutschland übernahm bis 2017 weitere Bahnnetze in Nordrhein-Westfalen und angrenzenden Gebieten.

Eurobahn-Streckennetz am 10. Dezember 2017. (Foto: Keolis; © commons.wikimedia.org)

Vier Jahre später wurde die Eurobahn Opfer ihrer Tiefpreispolitik. Sie hatte in ihren Bewerbungen um Schienenstrecken auf Masse statt auf Preis gesetzt, so dass 2021 anhaltende Betriebsverluste zum Rückzug des Keolis-Mutterkonzern führten. Fortan hieß das Unternehmen „eurobahn GmbH & Co. KG“. Der NWL und andere öffentliche Aufgabenträger gaben dem „neuen“ Unternehmen verbesserte Verträge, so dass der Eisenbahnbetrieb möglichst verlustfrei weitergeführt werden könne. Zum Abschied stattete der französische Staatsbetrieb die Eurobahn mit zusätzlichem Kapital aus und übergab das Unternehmen an die Anwaltskanzlei Noerr, eine Wirtschaftskanzlei mit über 580 Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern an zehn Standorten in Deutschland. Deren Tochtergesellschaft „Team Treuhand“ übernahm die Gesellschafterstellung und suchte fortan einen neuen Eigentümer.

Krisen über Krisen schütteln die Eurobahn

Eurobahn wurde in den vergangenen Jahren für Fahrgäste nahezu zum Synonym für Fahrtausfälle. Schon 2016, also ein Jahr vor der größten Netzausdehnung des Unternehmens, wurde – begründet mit der personellen Situation – der Fahrbetrieb auf sechs seiner zehn SPNV-Linien eingeschränkt. Auch nach der Übernahme des Teutoburger-Wald-Netzes im Dezember 2017 gab es Probleme. So startete der grenzüberschreitende Betrieb zwischen dem niederländischen Hengelo und dem niedersächsischen Bad Bentheim erst zwei Monate später. Der NWL mahnte die Eurobahn deshalb im Februar 2018 wegen zu starken Einschränkungen mit Zugausfällen, zu geringerer Kapazität und zu schlechter Fahrgastinformation ab. Ende des Jahres kam schon die zweite Abmahnung, die sogar alle vier Eurobahn-Netze betraf.

Ab November 2018 musste aufgrund von Fahrzeugmangel bei der Eurobahn zwischen Minden und Nienburg ein Ersatzzug der Centralbahn AG eingesetzt werden. (Foto: Clic, CC BY-SA 4.0; © commons.wikimedia.org)

Am 26. Juli 2024 gab der NWL bekannt, dass auf der bisherigen Eurobahn-Linie RE 82 (Bielefeld nach Horn-Bad Meinberg beziehungsweise weiter bis Altenbeken) ab dem August bis zum Fahrplanwechsel im Dezember übergangsweise DB Regio Leistungen erbringen wird. Zunächst soll dies bis Dezember 2025 gelten. Ab September 2024 übernahm auch die Centralbahn AG erneut Zugleistungen der Eurobahn. So kamen beim Porta-Express bis Januar diesen Jahres alte, angemietet Triebzüge der Baureihe 425 aus dem Bestand der Deutschen Bahn (DB-Gebrauchtzug) für die Centralbahn zum Einsatz. Seit Februar 2025 und geplant bis Ende des Jahres nimmt im Auftrag der Eurobahn TRI Train Rental die Verkehrs auf der Linie RE 3.

Triebwagen 425 064 (angemietet von DB Gebrauchtzug und ohne Eurobahn-Logos), am ersten Einsatztag, dem 20. September 2024, im Bahnhof Nienburg (Weser). (Foto: Clic, CC BY 4.0; © commons.wikimedia.org)

900 Mitarbeiter*innen aus 26 Nationen

Eurobahn muss aufgepäppelt werden

Ende Januar diesen Jahres beschloss der NWL die Eurobahn zu übernehmen. Sie muss nun aufgepäppelt werden, was insbesondere durch die Gewinnung von zusätzlichem (Fahr-)Personal erfolgen muss. Der Autor dieses Artikels kommentierte am Tag des Beschlusses im Namen von Pro Bahn Münsterland die Übernahme der Eurobahn in die Öffentliche Hand in der WDR Lokalzeit positiv. „Mit einer zeitlich begrenzten Übernahme der Eurobahn durch den NWL können wir unseren Fahrgästen weiterhin verlässliche Verkehrsleistungen anbieten und geben gleichzeitig den Mitarbeitenden eine langfristige, sichere Perspektive“, verdeutliche am Jahresende 2024 der Geschäftsführer des NWL, warum der Ankauf durch den NWL notwendig sei. Festgelegt wurde das ein Aufsichtsrat bei der Eurobahn eingerichtet wird, der sich aus bis zu sieben Mitgliedern zusammensetzen soll. Der NWL darf bis zu zwei Mitglieder entsenden und die Mitgliedszweckverbände jeweils ein Mitglied. Der ZVM entschied sich für Walter von Göwels.

Werner Szybalski

Die Eurobahn – hier auf dem Weg von Münster nach Greven – fährt nun in öffentlicher Trägerschaft. (Foto: Werner Szybalski)

500 Jahre Menschenrechtserklärung von unten

„Revolution des Gemeinen Mannes“ erstreitet in blutig niedergeschlagenen Aufstand mehr „Freyheyt“

Von Werner Szybalski

Vor 500 Jahren – beim Wechsel vom Mittelalter in die Neuzeit – rumorte es schon lange; sowohl in den dörflichen als auch in den städtischen Gemeinschaften. Im Juni 1524 schließlich erhoben sich zuerst im Süden des Schwarzwaldes die Bauern gegen Adel und Klerus. Auslöser, so eine unbewiesene historische Erzählung, war eine völlig abgedrehte Idee der Ehefrau des Grafen Sigmund von Lupfen. Im Juni, also mitten in der Erntezeit, sollten die Bauern, statt auf das Feld zu gehen, für die Gräfin Schneckenhäuser und Waldbeeren sammeln. Sie wollte Beerenmus einkochen lassen und Garn auf die Schneckenhäuser wickeln lassen, berichten gleich drei alte Quellen.

Statt den Sammelkorb zu nehmen, griffen die Bauern zu Waffen und zogen vor das Schloss des Grafen in Stühlingen an der Grenze zur Schweiz. Sie lösten mit ihrem militanten örtlichen Aufstand am 23. Juni 1524 eine Bewegung aus, die später von der Geschichtsschreibung der herrschenden Obrigkeit „Großer Bauernkrieg“ getauft wurde. Die bis zum 2. Juli 1526 dauernden Revolten zwischen Thüringen und Südtirol sowie Salzburg und dem Elsass kosteten rund 70.000 Menschen auf Seiten der Landbevölkerung und der sie unterstützenden Städter*innen das Leben. Gefühlt stand am Ende eine Niederlage des „Gemeinen Mannes“, wie die damalige Unterklasse jenseits von Adel und Klerus genannt wurde. Doch historisch war der mit hohem Blutzoll besonders auf Seiten der männlichen Landbevölkerung bezahlte Aufstand tatsächlich ein Schritt hin zu mehr Freiheit und etwas mehr Gerechtigkeit.

In Westfalen blieb es ruhig

Der westfälische Bauer war vor fünf Jahrhunderten freier als seine Berufskollegen in den südlichen deutschsprachigen Ländern. Deshalb blieben die Bauernkriege auch räumlich begrenzt. Weder in Nord- noch in Westdeutschland kam es zu vergleichbaren Aufständen. Auch im Königreich Bayern gab es aus diesem Grund weniger Revolten, als jenseits der bayrischen Grenzen.

Eine Ausnahme bildet Thüringen, wo die Bauern zwar ähnliche Rechte wie die in Westfalen genossen, aber trotzdem dem revolutionären Theologen Thomas Müntzer, einem scharfen Kritiker des obrigkeitshörigen Martin Luther auf das Schlachtfeld folgten. In Münsters thüringische Partnerstadt Mühlhausen, damals mitten im Zentrum des Müntzer-Aufstandes, wird in diesem Jahr der vor 500 Jahren auch dort extrem blutig niedergeschlagenen Revolte der Bevölkerung mit der großen Landesausstellung „freiheyt 1525“ gedacht. Sie ist vom 26. April bis zum 19. Oktober 2025 in den Mühlhäuser Museen zu sehen.

Thomas-Müntzer-Ehrung: Briefmarke aus der DDR. (Bild: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6458721)

Vorgeschichte des Bauernkrieges

Die Revolution des gemeinen Mannes hatte direkte Vorläufer. Schon 1493 bildete sich im Elsass der „Bundschuh“, ein geheimer Zusammenschluss von Bauern (Landbevölkerung), die sich auf eine Revolte vorbereitete. Der „Armer Konrad“, ein Aufstand der Einwohner*innen württembergischer Landstädte, revoltierte 1514 nach Verteuerung der Grundnahrungsmittel und der Erhebung zusätzlicher Steuern für die Unterschicht. Dieser Aufstand wurde ausgetrickst und niedergeschlagen; blieb aber als Perspektive im Gedächtnis der geschundenen Bevölkerung auf dem Land und in den Städten im Südwesten des deutschsprachigen Raumes.

Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen, die viele andere christliche Reformer, darunter auch Müntzer, inspirierten. Dank der Erfindung des europäischen Buchdrucks 1450 waren – lange vor Luthers Übersetzung – deutschsprachige Bibeln im Umlauf. Bekannteste Beispiele aus den 72 Bibelübersetzungen ins Deutsche vor Luther sind die Münchner Bibel von 1472 und die 1483 in Nürnberg gedruckte Koberger-Bibel. Durch deren Lektüre wuchs im gemeinen Volk der Wunsch nach Freiheit und die Erkenntnis der Gleichheit der (von Gott geschaffenen) Menschen – vom Hirten bis zum Höchsten.

Adel und der Klerus pressten zu Beginn der Globalisierung ihre Untertanen immer stärker aus. Abgaben wurden bis zur Grenze des Erträglichen erhöht, Frondienste ausgeweitet und bisher gemeinschaftlich genutztes Land eingezäunt, um es zu monetarisieren. Nach dem Auftakt durch die Stühlinger Erhebung verbreitet sich die revolutionäre Unruhe – allerdings weitgehend friedlich – in Südwestdeutschland.

Jakob Fugger finanziert die Truppen des Schwäbischen Bundes

Nicht nur in Stühlingen sondern auch im Bodenseegebiet und im eidgenössischen Thurgau gab es Mitte 1524 Unruhen. Am Bodensee erzwangen einzelne Gemeinden, dass sie ihre Pfarrer fortan selbst wählen durften. Diese Aktionen färbten auf die Nachbarregionen ab und ab Juli weiteten sich die Proteste und das Aufbegehren des „Gemeinen Mannes“ auf den Schwarzwald, der Hegau, der Klettgau und Teile des Breisgaus aus.

Ab Januar 1525 schlossen sich in Oberschwaben um Baltringen, Region bei Ulm, im Allgäu und am Bodensee insbesondere Bauern zusammen und formierten drei große Rebellenheere. Diese werden als „Haufen“ bezeichnet. Alle Haufen umfassten mehrere tausend Menschen.

Als Reaktion auf die Gründung beschloss der Schwäbische Bund, ein Zusammenschluss von Personen (Adel) und Institutionen (reichsunmittelbare Städte), die im Reichstag eine Stimme hatten, sich bei Jakob Fugger in Augsburg Geld für die Bekämpfung der Bauern zu leihen. Jakob Fugger und andere reiche Augsburger Kaufleute, die alle Furcht vor Erstürmung von Augsburg, was ihrem Ende gleichkäme hatten, und zudem hunderttausende Gulden in Waren, deren Beschlagnahme durch die Aufständigen drohte, investiert hatten, stimmten der Kreditvergabe zu.

Bauernjörg bekämpft erneut die Aufständischen

Georg III. Truchseß von Waldburg-Zeil, der nach dem grausamen und erbarmungslosen Abschlachtung Zehntausender von Aufständigen den Namen „Bauernjörg“ erhielt, wurde vom Schwäbischen Bund beauftragt, die Revolte niederzuschlagen. Georg von Waldburg hatte schon 1514 den „ Armen Konrad“ niedergerungen, so dass er als erfahren im Umgang mit dem Gemeinen Mann galt. Tatsächlich konnte der Bauernjörg, da die kaiserlichen Truppen in den „Italienischen Kriegen“ gebunden waren, verhandelte der Truchseß zunächst mit den Bauernhaufen. Dabei machte er auch kleine Zugeständnisse. Obwohl die nur leichte Verbesserungen brachten, aber an ihrer grundlegenden Situation nichts änderten, sondern die Stellung der Herrschenden festigten, reichte dies den gemäßigten Aufständigen zunächst. Auch die drei oberschwäbischen Haufen hofften zunächst auf Verhandlungen, in denen ihre Ziele akzeptiert würden.

Im Kramerzunfthaus in Memmingen tagten die Delegierten der drei Bauernhaufen und beschlossen erst ihre Bundesordnung und dann die 12 Artikel. (Foto: Marcel Suter)

Drei Haufen rufen Bauernparlament in Memmingen zusammen

Die Bauernhaufen waren landschaftlich geprägte Zusammenschlüsse bäuerlicher Gemeinden. Die bruderschaftlich-genossenschaftlich orientierten Haufen gaben sich eine innere Ordnung mit gewähltem Hauptmann und Räten, die ihnen verantwortlich waren. Erklärtes Ziel war das Zurückgewinnen von Mitspracherecht für die Bauern in den bestehenden weltlichen und geistlichen Gremien.

Die Haufen, deren Zusammensetzung sehr dynamisch war, nannten sich häufig nach ihrer landschaftlichen beziehungsweise herrschaftlichen Herkunft. Der Baltringer, der Allgäuer und der Bodenseer Haufen schlossen sich Anfang März 1525 in Memmingen zusammen und beriefen in der Stadt ein Bauernparlament ein. An ihm nahmen bei der Gründung am 6. März 50 Vertreter der drei Haufen teil. Zunächst diskutierte und verabschiedete der auch als „verfassungsgebende Bauernversammlung“ bekannte Zusammenschluss (Selbstbezeichnung: „Räte der Haufen“) eine „Bundesordnung“. Schon dieses Dokument, das nur noch in gedruckter Form in elf Varianten aus unterschiedlicher Zeit vorliegt, regte in weiteren Regionen die Bildung von Bauernhaufen und Aufständen an.

Dabei verfolgten alle ein gemeinsames Ziel. Ihrer elenden Lage ein Ende setzen und endlich in Freiheit zu leben und zu arbeiten. Ein Problem war, dass sich von beginn an die Haufen sich in Falken und Tauben aufteilten. Die einen wollten mit dem Schwert kämpfen und die anderen hofften noch auf eine friedliche Einigung. Beinahe hätte sich der sogar Rat der Haufen in Memmingen ergebnislos getrennt.

Die Bundesordnung sorgte schließlich einerseits für die Friedenswahrung nach innen, quasi eine Geschäftsordnung mit Gewaltverzicht, und andererseits war sie ein Beistandspakt nach außen. Wenig später, schon am 19. März 1525, verabschiedete das Bauernparlament von Memmingen die berühmten „Zwölf Artikel“ – das zentrale Manifest der aufständigen Bauern.

Die Zwölf Artikel

Quasi in Fortschreibung der Bundesordnung wurde in der Kramerzunftstube in Memmingen eine Menschenrechtserklärung von unten vom Bauernparlament, dem Haufenrat, verabschiedet. Die Geschichtswissenschaft ist sich einig, dass der Hauptverfasser der Zwölf Artikel, die freiheitliche sowie soziale und kommunalpolitische Forderungen enthalten, der Memminger Laienprediger Sebastian Lotzer war. Er gehörte zu dieser Zeit als Schreiber zum Baltringer Haufen. Die zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa und als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden, schreibt der Historiker Peter Blickle in seiner Abhandlung „Der Bauernkrieg – Die Revolution des Gemeinen Mannes“. Wegen dieser besonderen Bedeutung wird ein Original bis heute im Stadtarchiv Memmingen verwahrt.

Originalausgabe der 12 Artikel im Museum von Memmingen. (Foto:Marcel Suter)

Die Zwölf Artikel

Die ursprüngliche Form der „Zwölf Bauernartikel“ ist für uns heute nur schwer lesbar. Nachfolgend eine dem aktuellen Sprachgebrauch näher kommende Kurzversion der Zwölf Artikel, die das Städtische Kulturamt Memmingen zur Verfügung stellt:

1. Jede Gemeinde hat das Recht zur Wahl und Absetzung ihres Pfarrers.

2. Der Kleinzehnt [auf Vieh] soll aufgehoben, der Großzehnt [auf Agrarprodukte] für Geistliche, Arme und Landesverteidigung verwendet werden.

3. Die Leibeigenschaft soll aufgehoben werden.

4. Jagd und Fischerei sollen frei sein. Falls Verkäufe vertraglich belegt werden können, sollen einvernehmliche Regelungen zwischen Gemeinde und Rechtsinhabern angestrebt werden.

5. Wälder und Forsten sollen in Gemeindehand zurückgegeben werden. Sollten Verträge bestehen, werden gütliche Vereinbarungen mit den Forstinhabern angestrebt.

6. Die Frondienst‘ sollen auf ein erträgliches Maß reduziert werden, orientiert an Herkommen und Evangelium.

7. Außervertragliche Frondienste sollen nicht zugelassen sein, es sei denn gegen eine angemessene Vergütung.

8. Die Abgaben der Bauern sollen durch „ehrbare Leute“ neu eingeschätzt werden.

9. Die Strafmaße für schwere Vergehen sollen neu festgesetzt werden, orientiert an älteren Gerichtsordnungen.

10. Ehemalige Gemeindewiesen und -äcker sollen zurückgegeben werden, es sei denn, dass Kaufverträge vorgelegt werden können.

11. Der Zahlung des Todfalles* belastet die Erben ungebührlich und wird deswegen zukünftig verweigert.[*Quasi eine hohe Erbschaftssteuer, die der Leibherr nach dem Tod des leibeigenen Bauern aus dem Vermögen der Familie kassierte.]

  1. Alle Forderungen ergeben sich aus dem Wort Gottes. Sollten sie sich durch die Schrift als unberechtigt erweisen, sollen sie hinfällig sein. © Stadt Memmingen
Titelblatt der Memminger Artikel, die im März 1525 während des Deutschen Bauernkriegs verfasst wurden. Es zeigt bewaffnete Bauern mit einer Auswahl an Waffen. (Bild: Public domain, via Wikimedia Commons)

Forderungen bestehen zum Teil noch heute

Einige der Forderungen aus den Zwölf Artikeln sind hoch aktuell. Die Forderung nach Selbstbestimmung aus Artikel eins wird noch immer erhoben. Zwar nicht mehr nur auf die Stelle des Pfarrers sondern auch auf politische Ämter und Rechte. Ebenso sind die Forderungen zur Rückgabe der dörflichen Gemeinschaftsflächen, den „Allmenden“ [Wiesen und Äcker], sowie den Wäldern und Forsten an die örtliche Gemeinschaft noch heute aktuelle kommunalistische Programmpunkte.

Auch die Freigabe der Fischerei, der Jagd und auch des Holzverbrauchs in der kommunalen Gebietskörperschaft sind Punkte, die noch heute zur gemeinwirtschaftlichen orientierten Kommunalpolitik gehören. Die Beschränkungen der Abgaben an und Steuern für den Adel und den Klerus, die zwischen den Dörfern, Städten und Landschaften und dem Kaiser standen und herrschten, auf notwendige Ausgaben für die Gemeinde (Kirche und Dorf / Stadt) sowie die Verteidigung gehören gleichfalls dazu.

Durch die zahlreich vorhandenen Druckereien wurden die Zwölf Artikel, die mit einer Gesamtauflage von 25.000 Stück in 15 verschiedenen Städten erschienen, nicht nur ein Bestseller, sondern auch eine schriftliche Vorlage für nahezu alle weiteren Aufstände in den anderen Regionen. Aber die ersten Haufen lösten sich wegen der lokalen Zugeständnisse und dem Wunsch vieler Aufständigen, schnell zurück auf ihre Äcker und in die Städte zu kehren, schon im Frühjahr 1525 auf.

Spießrutenlauf zu Ostern in Weinheim

Die revolutionäre Flamme erlosch aber tatsächlich viel später. Bis zum Sommer 1525 loderte sie in vielen Orten des Schwäbischen Bundes, aber auch in Franken (Rothenburg ob der Tauber, Würzburg), im Odenwald oder im Neckartal. Am 4. April fühlte sich Bauernjörg mit seinen Landsknechten stark genug, um in Leipheim bei Ulm in die erste Schlacht des Bauernkrieges zu ziehen. Wenig später stand der Gemeine Mann im Elsass, in Württemberg, auf der Züricher Landschaft und im Hochstift Bamberg auf.

Der 31-jährige Graf Ludwig von Helfenstein verachtete den niedrigen Stand so sehr, dass er mit 60 Soldaten den 6000 Mann starken Neckertal-Odenwälder Haufen angriff. Dies löste eine Kettenreaktion aus, die schließlich zur „Weinsberger Bluttat“ am Osterwochenende 1524 führte. Nach der Eroberung der Burg des Grafen und anschließend der ihr zu Füßen liegenden Stadt Weinheim, fassen die Bauern – nahezu basisdemokratisch im üblichen Kreis – kollektiv, gemäß geltendem Kriegsrecht zehn Adelige durch „die Spieße laufen zu lassen“. Diese gemeinschaftliche Form der Hinrichtungen – für Adlige ein schändlicher Tod, der eigentlich nur für Landsknechte angewandt wurde, die sich ihren Kameraden gegenüber schuldig gemacht hatten – löste eine andauernde Empörung bei den Herrschenden aus. Immer wieder wurde der Tod von Graf von Helfenstein und seiner neun adligen Mitstreiter am 16. April 1525 für die angebliche Brutalität der Haufen angeführt. Angesichts des gewaltigen Blutzolls auf Seiten der Aufständigen eine historisch nicht zu haltende Bewertung.

Weingartener Vertrag findet an der Basis des Allgäuer Haufens keine Zustimmung

Nur einen Tag nach Weinsberg schließt der in Leipheim erfolgreiche Truchseß mit zwei der drei oberschwäbischen Haufen den „Weingartener Vertrag“. Er wurde nur von vier Delegierten des Allgäuer Haufen unterzeichnet. 40 weitere machten ihre Unterschrift von der basisdemokratischen Zustimmung ihres Haufen abhängig. Weil diese wegen der Bedingungen verweigerten, sprach der Schwäbische Bund schon wenige Zeit später vom Vertrag mit dem Bodenseehaufen.

Es folgten zwischen Südtirol, Salzburg, Straßburg und Thüringen zahlreiche weitere Schlachten, die aber auf dem Feld praktisch immer von den Herrschenden, die auch bei Martin Luther Unterstützung fanden, gewonnen wurden. Am 15. Mai 1525 unterlagen bei Frankenhausen die zahlenmäßig stark unterlegenen Thüringer Aufständischen. Ihr führender Kopf, Thomas Müntzer, wurde am 27. Mai des Jahres hingerichtet. Mit der Niederwerfung der Salzburger am 2. Juli 1526 endeten die dezentralen Aufstände der Bauern, Knappen und Städter gegen die Obrigkeit.

Der „Gemeine Mann“ konnte etwas bewirken

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Adel und Klerus die Bauern besiegen konnte, da diese immer nur regional protestierten und kämpften und zudem zur Ernte wieder zurück auf das Feld gingen. Anfang Juli 1526 endeten im Salzburger Land die als Bauernkrieg bezeichneten Kämpfe, die eine Revolution des Gemeinen Mannes waren.

Peter Blickle kommt nach seinen umfangreichen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Revolte der Unterschicht nicht vergebens war und – auf lange Sicht – auch zur Abschaffung der Leibeigenschaft führte. Das Fazit des bekanntesten Bauernkriegsforscher: Der „Gemeine Mann“ konnte als Subjekt der Geschichte etwas bewirken.

Literatur:

  • Peter Blickle; Der Bauernkrieg Die Revolution des Gemeinen Mannes, München; C.H. Beck; 1998; 5. Auflage 2018; 146 Seiten; ISBN 978-3-406-72225-7; in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar: Magazinbestand, Geschichte, EMO 23 BLI.
  • Christian Pantle; Der Bauernkrieg – Deutschlands großer Volksaufstand; Berlin; Propyläen, 2024; 338 Seiten; 22 Euro; ISBN 978-3-549-10051-6; ausleihbar in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster: Signatur EMO 23 PAN.
  • Gerd Schwerhoff; Der Bauernkrieg; München; C.H. Beck; 2024; 724 Seiten; ISBN 978-3-406-82180-6; leider nicht in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar.
Jacob Rohrbach hatt Auffruhr gerathen,des muß er werden gebratenbey Neckergartach an einr weyden,must er des feurs flam leyden. Bis er sein leben Endt. Sein leib zu puluer ward verbrendt. Jacob Rohrbachs von Böckingen, des Auffrührers, todt. (Bild: gemeinfrei, unbekannter Autor, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1062010)

Überwachungsalbtraum Smart Cities?

Peter Schaar untersucht Chancen und Risiken smarter Technik in unseren Städten

Eine Rezension von Werner Szybalski

Der langjährige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Deutschland (BfDI), Peter Schaar, hat sich im Buch „Schöne neue Stadt“ kritisch mit dem möglichen „Überwachungsalptraum Smart Cities“ auseinandergesetzt. Die intelligente Stadt, vollgepackt mit moderner Technik und umfassend digitalisiert ist ein Traum nicht nur vieler Kommunalpolitiker*innen. Doch ist die Smart City wirklich erstrebenswert? Wie sieht es mit einem effektiven Datenschutz aus? Wie kann die totale Vermarktung der in der Stadt gesammelten Daten durch kommerzielle Nutznießer verhindert werden? IAntworten gibt Peter Schaar auf 180 Seiten.

Die Stadt ist schon der beliebteste Wohnort der Menschen und gewinnt trotzdem weiter an Anziehungskraft. Doch das urbane Leben ist im Wandel. Dafür ist auch die Digitalisierung verantwortlich, denn zum Beispiel Geschäftsstellen von Banken verschwinden oder Kaufhäuser gehen pleite. Die Folge: Innenstädte veröden und werden unattraktiv. Zugleich versprecht die Digitalisierung eine paradiesisch anmutende Zukunft mit Flugtaxis und Hyperloops, die alle Verkehrsprobleme lösen, mit Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung, die komplett online abgewickelt werden, und der Lösung der urbanen und damit auch globalen Klima- und Umweltprobleme durch ausgefuchste und perfekt vernetzte moderne Digitaltechnologien.

Wer möchte in Songdo leben?

Städte, so Schaar, wurden durch technische Innovationen schon immer stark geprägt. Doch die Digitalisierung hebt manche Vorteile der Stadt auf: Moderne Kommunikation sowie Homeoffice, Telearbeit und Onlinebestellungen benötigen nicht zwingend eine Stadt. Deshalb beschränken sich Smart Cities nicht auf unveränderliche Digitalisierung bisheriger analoger Prozesse, sondern entwickeln neue Umgangsformen und -methoden.

Digitale Träume in Beton sind rund 30 Kilometer westlich von Seoul in der zwischen 2003 und 2010 neu errichteten südkoreanischen Stadt Songdo zu erleben. Vom Flughafen geht es über eine zwölf Kilometer lange an Stahlseilen aufgehängte Autobahnbrücke in Richtung einer atemberaubenden Skyline – bestehend aus sechs jeweils über 150 Meter hohen Central Park Towers und den 11 Milliarden US-Dollar teuren und die anderen Häuser um das Doppelte überragenden North East Trade Tower.

Ein privates amerikanisches Unternehmen übernahm die Vernetzung der Gebäude, die Installation der Smart-Home-Systeme in den Wohnungen und Geschäftshäusern, die Verkehrssteuerung, die flächendeckende Video- und Audioüberwachung und die automatisierte Auswertung der dabei gewonnenen Daten. „Der öffentliche Raum wird in Songdo rund um die Uhr überwacht. An jeder Straße jeder Ampel, jedem Fußgängerüberweg und auch in den Tiefgaragen sorgen Tausende Videokameras dafür, das Stadtgeschehen und das Verhalten der Bewohner flächendeckend aufzuzeichnen. Neben den Kameras sind in Songdo überall auch Mikrofone [und Lautsprecher] installiert“, (Schaar, Seite 47) so dass Mitarbeiter der Einsatzzentrale Menschen überall in der Stadt ansprechen können. Laut Peter Schaar ist das Versprechen der Stadtverwaltung, umwelt- und klimagerechte Lösungen zu haben, nicht richtig. „Die offensichtlichen Schattenseiten von Songdo machen die Stadt zu einem lehrreichen Beispiel dafür, wie die Stadt der Zukunft nicht aussehen sollte. Moderne Städte sollten menschengerecht, nachhaltig und partizipativ sein, nicht technokratisch, kommerziell orientiert und fremdgesteuert. Sie sollte offen sein für unterschiedliche Lebensentwürfe und kulturelle Aktivitäten. Ihre Verwaltung und politische Meinungsbildung sollte dem Prinzip der Transparenz folgen und digital erhobene Daten der Gesellschaft zur Verfügung stellen.“ (Schaar, Seite 51f)

Städte können von Digitalisierung profitieren

Weitere Städte, die Schaar untersucht hat, sind unter anderem die „Google-Stadt Waterfront Toronto“ oder das von Munizipalisten regierte Barcelona, wo er auch viele positive Beispiel für digitale Anwendungen in Städten findet. Eine von ihm gelobte Plattform für öffentliche digitale Beteiligungsformen ist „decidim.org“.

Die deutschen Smart Cities Hamburg, München und Leipzig erreichen durch „Urbane Digitale Zwillinge (UDZ)“, bei denen aus den gesammelten Daten ein digitaler Zwilling der Kommune geschaffen wird, erleichtern insbesondere die Stadtplanung. Dresdens KI-gesteuerte Analyse der Hitzeinseln in der Stadt wird von Schaar ebenso positiv dargestellt wie der digital unterstütze Bürgerhaushalt in Treptow-Köpenick (Berlin) oder die „Siemensstadt 2.0“ in Spandau.

Beim „Internet of Things“, der Big-Data-Auswertung durch KI und insbesondere in der Informationssicherheit und dem Datenschutz sieht Peter Schaar, bei einem ehemaligen hauptamtlichen Datenschützer wenig verwunderlich, große Probleme und verlangt Transparenz und eine demokratische Kontrolle.

Fazit meiner Lektüre: Ein packendes Buch für alle Menschen, die sich für unser städtisches Leben von morgen interessieren und vielleicht unsere kommunale Zukunft aktiv mitgestalten wollen.

Peter Schaar: Schöne neue Stadt – Überwachungsalbtraum Smart Cities?; Verlag S. Hirzel; Stuttgart 2024; 176 Seiten; 24 Euro; ISBN 978-3-7776-2887-5; leider nicht in der Stadtbücherei Münster ausleihbar.

Zentralisierung im Nahverkehr auf der Schiene soll kommen

Landesregierung will Strukturreform im SPNV in diesem Jahr umsetzen

„Wir streben gemeinsam mit den Verkehrsverbünden und den Kommunen eine effizientere und einheitlichere Organisation des SPNV an“, heißt es im Zukunftsvertrag zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen, der Grundlage für die aktuelle NRW-Landesregierung. Im September vergangenen Jahres veröffentlichte das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen ein Gutachten (Eckpunktepapier) mit Vorschlägen zur Reform der Organisation im Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Planung, Organisation und Ausgestaltung des kommunalen Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) soll laut Pressemitteilung des Verkehrsministeriums „eine Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte beziehungsweise der mittleren und großen kreisangehörigen Städte mit eigenem Verkehrsunternehmen“ bleiben.

Die drei Aufgabenträger go.rheinland, NWL und VRR sollen zu einem einzigen Aufgabenträger für den SPNV zusammengeführt werden. Entsprechende Pläne wurden Anfang Februar 2025 von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) vorgestellt. Dadurch, so Oliver Krischer, könnten zukünftig die Leistungen für den regionalen Schienenverkehr von einer zentralen Stelle ausgeschrieben und vergeben werden. Dies soll auch die Verhandlungsposition des Landes gegenüber den großen Verkehrsunternehmen stärken.

Pro Bahn NRW sieht Reform positiv

Der Fahrgastverband Pro Bahn in NRW sieht diese Plänen grundsätzlich positiv, wie es in einem noch nicht veröffentlichtem Positionspapier heißt: „Die Verschmelzung ermöglicht gleichzeitig eine Überarbeitung der Strukturen, Mitspracherechte, Aufgaben und Kompetenzen, um den ÖPNV zukünftig zeitgemäßer und höherwertiger gestalten zu können.“ Es könne ein ganz großer Wurf werden, so Pro Bahn, wenn nicht nur die landesweite Vergabe von SPNV-Verträgen betrachtet, sondern gleichzeitig auch das ÖPNV-Gesetz insgesamt nutzer- und fahrgastorientiert würde.

Pro Bahn NRW, im Bild die Vorständler Axel Sindram (v.l.n.r.), Detlef Neuß (zugleich Bundesvorsitzender), Rainer Engel und Andreas Schröder (Vorsitzender), setzt große Erwartungen in die SPNV-Strukturreform des Landes. (Foto: Werner Szybalski)

Was soll verändert werden?

Durch die drei Verbünde gäbe es derzeit „Ineffizienzen“: „S-Bahn-Takte sind nicht aufeinander abgestimmt. Es gibt viele Gremien und lange Entscheidungswege, die oft wichtige Entscheidungen unnötig verzögern“, kritisierte Anfang Februar diesen Jahres der NRW-Verkehrsminister im Interview mit WDR5. Deshalb wolle das Ministerium gemeinsam mit den drei Aufgabenträgern deren Zusammenlegung erarbeiten. NWL (Gebiet: Westfalen-Lippe ohne Ruhrgebiet), go.rheinland (Raum Köln, Bonn und Aachen) und VRR (Niederrhein und Ruhrgebiet) sind in NRW die entscheidenden Stellen für Planung und Organisation des Regionalen SPNV. Sie legen unter anderem fest, wo wann wie viele Züge fahren sollen. Nach der Planung werden die Bahnverbindungen ausgeschrieben. Verkehrsunternehmen bewerben sich um den Zuschlag zum Betrieb.

Aufgabenträger seien durch Dreiteilung in schwacher Position

Der britische National Express bedient zur Zeit die RE7 von Rheine über Münster, Hamm, Hagen, Soligen, Köln, Neuss nach Krefeld. (Foto: Werner Szybalski)

Oliver Krischer sieht die drei Aufgabenträger in einer schwachen Position gegenüber den Auftragnehmern. Zu ihnen gehören zum Beispiel die DB Regio NRW oder das britische Unternehmen National Express. Warum der Minister dieser Auffassung ist, wird nicht wirklich deutlich, auch wenn es natürlich erhebliche Abstimmungsprobleme zwischen den drei Aufgabenträgern in NRW gibt. Trotzdem stehen diese Drei ihrem drohenden Aufgabenverlust oder gar der ihrer Existenz nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Der WDR berichtete, dass zum Beispiel der ehemalige NRW-Verkehrsminister und heutige VRR-Vorstandssprecher Oliver Wittke (CDU) glaube, dass es „der richtige Weg“ zu mehr Effizienz „im Sinne der Kunden“ und besserer Verhandlungsposition gegenüber den Regionalbahnunternehmen führe. Go.Rheinland teilte dem WDR mit, dass eine Neuverteilung der Aufgaben zwar auch Gefahren beinhalte, jedoch die Pläne des Ministeriums nachvollziehbar seien.

NWL fordert Beibehaltung von bewährten Strukturen und regionalen Kompetenzen

Laut Pressemitteilung vom 11. Februar diesen Jahres begrüßt auch der NWL „eine Vereinheitlichung wesentlicher Aufgaben des SPNV grundsätzlich“, wolle sich aber konstruktiv in den Umsetzungsprozess einbringen. Dabei sei den Mitgliedern des NWL (19 kommunale Gebietskörperschaften) wichtig, dass die kommunale Ebene weiterhin auch im SPNV ausreichende Berücksichtigung findet: „Wir sind offen für eine SPNV-Reform, die Synergien nutzt, ohne dabei bewährte Strukturen und regionale Kompetenzen zu schwächen.“

Gebiet des Aufgabenträgers Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL). (Grafik: nwl-info.de)

Die Fusion der drei bestehenden SPNV-Aufgabenträger in kommunaler Trägerschaft, wobei die Verantwortung weiterhin bei den Kommunen liegen solle, und gleichzeitig eine effizientere Steuerung möglich wäre, sieht der NWL kritisch: „Der politische Diskurs in Westfalen-Lippe ist in diesem Punkt bereits offen und transparent geführt worden. Viele Stimmen haben sich gegen eine kommunale Trägerschaft ausgesprochen – mit dem Hauptargument, dass sich ein kommunaler Träger auf langfristige Entscheidungen zur Planung, Ausgestaltung und Organisation des SPNV einlassen und Verantwortung für Verträge mit Laufzeiten von bis zu 20 Jahren übernehmen muss. Eine dazu erforderliche Finanzierungszusage von Bund und Ländern ist aber nicht ansatzweise in dieser Laufzeit gegeben. Das Umlagerisiko für eine Kommune ist damit hoch, Finanzierungsspielräume sind angesichts schwieriger Haushaltslagen nicht gegeben. Gerade hier muss im politischen Diskurs ein zielführendes Angebot gemacht werden, die Erfüllung dieser Anforderung ist aus Sicht der NWL-Politik ein erfolgskritischer Faktor im Reformprozess.“

Bietet Chancen und birgt Herausforderungen

Eine Reform des SPNV bietet Chancen und birgt Herausforderungen, die aus Sicht des NWL die folgenden Aspekte zwingend berücksichtigen sollte:

  • Chance zur Effizienzsteigerung nutzen: Die Reduktion von Doppelstrukturen und eine bessere Koordinierung könnten Prozesse optimieren.
  • Herausforderung Regionale Spezifika berücksichtigen: Eine zentralisierte Struktur darf nicht dazu führen, dass regionale Bedarfe und Besonderheiten in den Hintergrund treten.
  • Chance zur Fahrgastorientierung: Eine Reform darf nicht auf eine reine Verwaltungsstrukturreform hinauslaufen, sondern muss sich an einer spürbaren Verbesserung für die Fahrgäste orientieren.
  • Herausforderung bei Unsicherheit in der Mitarbeiterschaft: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bestehenden Organisationen müssen Klarheit über ihre berufliche Zukunft erhalten, um Unsicherheiten zu vermeiden.

Der NWL wird sich in den Entwicklungsprozess des Ministeriums konstruktiv und sachlich einbringen, um idealerweise im Zuge der Novellierung des ÖPNV-Gesetzes auch Lösungen für die Herausforderungen entwickelt und die Chancen bestmöglich realisiert werden. 

Fahrgastverband stellt Forderungen

Die DB Regio NRW ist ein großer Akteur im SPNV in Nordrhein-Westfalen. Im Bild die RB64 von Enschede nach Münster beim Stop in Gronau. (Foto: Werner Szybalski)

Für Pro Bahn NRW wird die Zusammenlegung der Aufgabenträger für diese zu mehr Marktmacht und damit mehr Durchschlagskraft bei allen Aspekten der Infrastruktur und Qualität führen. Um den ganz großen Wurf zu schaffen, fordert der Fahrgastverband:

  • Der neue Aufgabenträger sollte den öffentlichen Verkehr als wichtigen Faktor der der Landes- und Strukturentwicklung aktiv gestalten können. Weiterhin muss der neue Aufgabenträger seine Fahrgastfreundlichkeit in vielen Bereichen steigern.
  • Lösungsorientiertere Zusammenarbeit des neuen Aufgabenträgers mit Kommunen und Einführung einer Ebene regional verorteter, beratender Gremien.
  • Überwindung des Spannungsfeldes zwischen zentraler Entscheidung und lokaler Mitwirkung durch geeignete regionale schlanke Strukturen, die von unten nach oben Einfluss nehmen, aber nicht blockieren können.
  • Zusammenlegung der SPNV-Aufgabenträger mit landesweit harmonisierter Struktur und Tarifen.
  • Mitwirkung der Fahrgastverbände und anderer Nutzerinteressen in allen Gremien.
  • Transparenz durch Öffentlichkeit aller Sitzungen, Vorlagen und Dokumente (ausgenommen Wettbewerb und Personelles).

Damit geht der Fahrgastverband mit seinen Vorstellungen offensichtlich weit über die ursprünglichen Ideen der Landesregierung hinaus. Es wird sicherlich noch sehr interessant, was Verkehrsministerium und die Landespolitik bis zur Verabschiedung der Strukturreform für den SPNV in Nordrhein-Westfalen diskutieren wollen. Nur die Aufgabenträger zusammenzulegen, um eine bessere Verhandlungsposition bei Vergaben zu erhalten, ist vermutlich nicht den Aufwand wert, der bislang schon betrieben wurde.

KOMMENTAR

Nahverkehr auf der Schiene muss nicht profitieren

Die geplante Strukturreform wird sicherlich die Position des einen Aufgabenträgers gegenüber den SPNV anbietenden Unternehmen verbessern. Ob zugleich auch Verbesserungen für die Nutzer*innen sowie für die kommunalen Gebietskörperschaften, die ins finanzielle Risiko eingebettet werden könnten, entstehen, darf zur Zeit kritisch hinterfragt werden. Dies hat der NWL mit seinen Verbandsvertreter*innen zweifelsfrei deutlich gemacht. Natürlich wäre es sehr wünschenswert, wenn der Fahrgastverband Pro Bahn von Landesverwaltung, dem oder den Aufgabenträgern und den Landespolitiker*innen nicht nur gehört würde, sondern mit seinen Vorschlägen im neuen Gesetz Beachtung fände. Anderenfalls ist keineswegs gewährleistet, dass der Schienenpersonennahverkehr in NRW von der Strukturreform – auch für die Nutzer*innen – profitiert. Werner Szybalski