Überwachungsalbtraum Smart Cities?

Peter Schaar untersucht Chancen und Risiken smarter Technik in unseren Städten

Eine Rezension von Werner Szybalski

Der langjährige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Deutschland (BfDI), Peter Schaar, hat sich im Buch „Schöne neue Stadt“ kritisch mit dem möglichen „Überwachungsalptraum Smart Cities“ auseinandergesetzt. Die intelligente Stadt, vollgepackt mit moderner Technik und umfassend digitalisiert ist ein Traum nicht nur vieler Kommunalpolitiker*innen. Doch ist die Smart City wirklich erstrebenswert? Wie sieht es mit einem effektiven Datenschutz aus? Wie kann die totale Vermarktung der in der Stadt gesammelten Daten durch kommerzielle Nutznießer verhindert werden? IAntworten gibt Peter Schaar auf 180 Seiten.

Die Stadt ist schon der beliebteste Wohnort der Menschen und gewinnt trotzdem weiter an Anziehungskraft. Doch das urbane Leben ist im Wandel. Dafür ist auch die Digitalisierung verantwortlich, denn zum Beispiel Geschäftsstellen von Banken verschwinden oder Kaufhäuser gehen pleite. Die Folge: Innenstädte veröden und werden unattraktiv. Zugleich versprecht die Digitalisierung eine paradiesisch anmutende Zukunft mit Flugtaxis und Hyperloops, die alle Verkehrsprobleme lösen, mit Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung, die komplett online abgewickelt werden, und der Lösung der urbanen und damit auch globalen Klima- und Umweltprobleme durch ausgefuchste und perfekt vernetzte moderne Digitaltechnologien.

Wer möchte in Songdo leben?

Städte, so Schaar, wurden durch technische Innovationen schon immer stark geprägt. Doch die Digitalisierung hebt manche Vorteile der Stadt auf: Moderne Kommunikation sowie Homeoffice, Telearbeit und Onlinebestellungen benötigen nicht zwingend eine Stadt. Deshalb beschränken sich Smart Cities nicht auf unveränderliche Digitalisierung bisheriger analoger Prozesse, sondern entwickeln neue Umgangsformen und -methoden.

Digitale Träume in Beton sind rund 30 Kilometer westlich von Seoul in der zwischen 2003 und 2010 neu errichteten südkoreanischen Stadt Songdo zu erleben. Vom Flughafen geht es über eine zwölf Kilometer lange an Stahlseilen aufgehängte Autobahnbrücke in Richtung einer atemberaubenden Skyline – bestehend aus sechs jeweils über 150 Meter hohen Central Park Towers und den 11 Milliarden US-Dollar teuren und die anderen Häuser um das Doppelte überragenden North East Trade Tower.

Ein privates amerikanisches Unternehmen übernahm die Vernetzung der Gebäude, die Installation der Smart-Home-Systeme in den Wohnungen und Geschäftshäusern, die Verkehrssteuerung, die flächendeckende Video- und Audioüberwachung und die automatisierte Auswertung der dabei gewonnenen Daten. „Der öffentliche Raum wird in Songdo rund um die Uhr überwacht. An jeder Straße jeder Ampel, jedem Fußgängerüberweg und auch in den Tiefgaragen sorgen Tausende Videokameras dafür, das Stadtgeschehen und das Verhalten der Bewohner flächendeckend aufzuzeichnen. Neben den Kameras sind in Songdo überall auch Mikrofone [und Lautsprecher] installiert“, (Schaar, Seite 47) so dass Mitarbeiter der Einsatzzentrale Menschen überall in der Stadt ansprechen können. Laut Peter Schaar ist das Versprechen der Stadtverwaltung, umwelt- und klimagerechte Lösungen zu haben, nicht richtig. „Die offensichtlichen Schattenseiten von Songdo machen die Stadt zu einem lehrreichen Beispiel dafür, wie die Stadt der Zukunft nicht aussehen sollte. Moderne Städte sollten menschengerecht, nachhaltig und partizipativ sein, nicht technokratisch, kommerziell orientiert und fremdgesteuert. Sie sollte offen sein für unterschiedliche Lebensentwürfe und kulturelle Aktivitäten. Ihre Verwaltung und politische Meinungsbildung sollte dem Prinzip der Transparenz folgen und digital erhobene Daten der Gesellschaft zur Verfügung stellen.“ (Schaar, Seite 51f)

Städte können von Digitalisierung profitieren

Weitere Städte, die Schaar untersucht hat, sind unter anderem die „Google-Stadt Waterfront Toronto“ oder das von Munizipalisten regierte Barcelona, wo er auch viele positive Beispiel für digitale Anwendungen in Städten findet. Eine von ihm gelobte Plattform für öffentliche digitale Beteiligungsformen ist „decidim.org“.

Die deutschen Smart Cities Hamburg, München und Leipzig erreichen durch „Urbane Digitale Zwillinge (UDZ)“, bei denen aus den gesammelten Daten ein digitaler Zwilling der Kommune geschaffen wird, erleichtern insbesondere die Stadtplanung. Dresdens KI-gesteuerte Analyse der Hitzeinseln in der Stadt wird von Schaar ebenso positiv dargestellt wie der digital unterstütze Bürgerhaushalt in Treptow-Köpenick (Berlin) oder die „Siemensstadt 2.0“ in Spandau.

Beim „Internet of Things“, der Big-Data-Auswertung durch KI und insbesondere in der Informationssicherheit und dem Datenschutz sieht Peter Schaar, bei einem ehemaligen hauptamtlichen Datenschützer wenig verwunderlich, große Probleme und verlangt Transparenz und eine demokratische Kontrolle.

Fazit meiner Lektüre: Ein packendes Buch für alle Menschen, die sich für unser städtisches Leben von morgen interessieren und vielleicht unsere kommunale Zukunft aktiv mitgestalten wollen.

Peter Schaar: Schöne neue Stadt – Überwachungsalbtraum Smart Cities?; Verlag S. Hirzel; Stuttgart 2024; 176 Seiten; 24 Euro; ISBN 978-3-7776-2887-5; leider nicht in der Stadtbücherei Münster ausleihbar.

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