Historische Luftbilder als Ausgangspunkt für Recherchen zur Stadtgeschichte: Hier der Hafen mit Herz-Jesu-Kirche im Hintergrund um 1930. Quelle: Stadtarchiv Münster, Postkarten Nr. 2966.
Themenabend zur Erforschung der Geschichte des eigenen Stadtteils
Drei Experten in Sachen lokaler Geschichte sind am Donnerstag, 24. April, ab 18 Uhr im Stadtarchiv bei Dr. Philipp Erdmann, stellvertretender Leiter des Stadtarchivs, zu Gast. Praktische Fragen der Arbeit mit historischen Quellen zur Stadtteilgeschichte steht im Mittelpunkt des Themenabends. Thomas Kaling (Rumphorst), Werner R. Cramer (Hafen) und Franz Peters (Wolbecker Straße) berichten von ihren Recherchen und Ergebnissen.
Thomas Kaling ist Kartograf und arbeitet an einem Stadtteilatlas für Rumphorst. Die Ergebnisse seiner Archivrecherchen präsentiert er in Viertelrundgängen und Vorträgen für den Stadtteilverein Rumphorstviertel. An jedem ersten Mittwoch im Monat lädt Kaling von 17.30 bis 19.30 Uhr in den Stadtteiltreff Rumphorst (Hoher Heckenweg 81, 48147 Münster) ein. Auf der wechselnden Agenda stehen immer Themen aus dem Stadtteil. Jüngst war der Eisenbahnliebhaber Michael Stach zu Gast, der über „Die Entwicklung der Eisenbahn incl. der Bau der Brückenüberführungen“ in Rumphorst sprach.
Recherche am Kai in Münster
Im vergangenen Jahr wurde Münsters Stadthafen 125 Jahre alt. Als Werner Rudolf Cramer am Ende des vergangenen Jahrhunderts ein Atelier am Kreativkai bezog, der gerade seinen 100 Geburtstag feierte, entwickelte sich Cramers lokalhistorisches Interesse am Stadthafen von Münster. Er forschte jahrelang zur Geschichte des Hafens. So konnte er rekonstruieren, welches Schiff als erstes in Münster einfuhr (die „Zuidersee“ aus Holland mit Holz aus Königsberg an Bord) oder auch, welche Waren in den inzwischen über 125 Jahren in Münster umgeschlagen wurden. Auch kann Werner Rudolf Cramer erläutern, warum es bis vor wenigen Zollgrenzen mitten in der Domstadt gab.
Stadthafen von Münster, abgebildet auf einer Postkarte von 1910.
Geschichte einer Straße
Wie sich die Geschichte einer Straße erzählen lässt, zeigt Franz Peters, der das Buch zur Geschichte der Wolbecker Straße verfasst hat. Den rasanten Wandel der zentralen Verkehrsachse in Münsters Südosten nach dem Kriegsende und bis 1970 hat Peters als langjähriger Anwohner in Teilen selbst miterlebt. Sein Buch lebt vor allem von zahlreichen historischen Fotografien, Zeitungsartikeln und Akten aus dem Stadtarchiv.
Beim kommenden Themenabend im Stadtarchiv Münster (An den Speichern 8, 48157 Münster) geht es um die Recherche zur Geschichte des eigenen Wohnorts, Stadtviertels oder auch der eigenen Straße. Interessierte, die nach historischen Unterlagen zur lokalen Geschichte ihrer Heimat oder ihres früheren oder aktuellen Wohnortes suchen, werden grundsätzlich in Archiven fündig. Oft, wie auch die drei Gäste, sind es engagierte Einzelpersonen, die diesen kleinräumigen Entwicklungen auf Grundlage von Fotos, Akten oder alten Stadtplänen nachgehen.
Deshalb ist bei diesem Themenabend reichlich Zeit für Fragen aus dem Publikum eingeplant. Möglichst sollen auch Recherchewege für eigene Geschichtsprojekte vorgestellt werden.
Anmeldung erforderlich
Die Teilnahme am Themenabend ist nur nach vorheriger Anmeldung per Telefon (02 51 / 4 92 47 01) oder E-Mailmöglich. Interessierte können sich per E-Mail anoder telefonisch unter Tel. anmelden. Die Veranstaltung wird auch live im Internet übertragen.
Heute vor 147 Jahren wurde in Berlin der unbeugsame Erich Mühsam geboren. Der Anarchist war Aktivist der Münchener Räterepublik, ein großer Schriftsteller und Publizist sowie überzeugter Antimilitarist. Er wurde in der Nacht des Reichstagsbrandes Ende Februar ´33 von Nationalsozialisten verhaftet. Nur etwas mehr als ein Jahr später, in der Nacht zum 10. Juli 1934, ermordeten SS-Aufseher Erich Mühsam im KZ Oranienburg .
„Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen. Jetzt haben sie mich einkasernt, von Heim und Weib und Werk entfernt. Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!“
Mit elf Jahren begann Erich Mühsam, der in Lübeck aufwuchs, mit dem Schreiben. Zunächst Tierfabeln, später, mit 15 Jahren, satirische Beiträge für einen Clown. Mit 17 Jahren wurde er wegen „sozialdemokratischer Umtriebe“ von der Schule verwiesen und begann eine Apothekerlehre. Anfang des 20. Jahrhunderts ging Erich Mühsam nach Berlin, wo er zunächst als Apotheker und schon 1902 als Redakteur der Us-amerikanischen, anarchistischen Zeitschrift „Der arme Teufel“ arbeitete. In Berlin knüpfte er Kontakte zu anarchistisch-kommunistischen Aktivist*innen und lernte auch Gustav Landauer kennen. Auch in Künstler*innenkreisen verkehrte er.
Gedichte, Theaterstücke und politische Texte
1904 ging Mühsam vier Jahre gemeinsam mit seinem Freund Johannes Nohl auf Wanderschaft. Stationen waren die Schweiz (Zürich, Ascona) und Norditalien. Sie besuchten auch München, Paris und Wien. Ab 1909 lebte er in München-Schwabing, wo er im Sozialistischen Bund aktiv war und versuchte, das Subproletariat anarchistisch zu agitieren. Zudem verfasste er Gedichte, Theaterstücke und politische Texte. Unter anderem gab er monatlich „Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit“ heraus.
Mit Kriegsbeginn veröffentlicht Erich Mühsam deutlich weniger. 1915 sucht er Kontakt zu Pazifist*innen und linken Sozialdemokrat*innen, um einen Aktionsbund gegen den Krieg zu gründen. Im September heiratet Erich Mühsam Kreszentia Elfinger.
Ein Jahr später nimmt Mühsam an Hunger- und Protestdemonstrationen in München teil und propagiert die revolutionäre Beendigung des Krieges. Er kommt in Kontakt zur Spartakus-Gruppe und gehört ab 2017 dem Gesprächskreis von Kurt Eisner von der USPD an. Zur Oktoberrevolution in Rußland nimmt Erich Mühsam, wie die Anarchist*innen in Petersburg (Stichwort: Kronstadt) eine kritsch-linke Position ein, was ihn unter anderem in Konflik mit Eisner bringt.
Vereinigung Revolutionärer Internationalisten
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges ruft Erich Mühsam beim Münchner Januarstreik der Munitionsarbeiter zur Revolution auf, was ihm die Einberufung zum „Vaterländischen Hilfsdient“ einbringt. Diesen verweigert er, weshalb ein Zwangsaufenthalt in Traunstein folgt. Als die Novemberrevolution in Deutschland ausbricht gründet Mühsam die Vereinigung Revolutionärer Internationalisten (VRI), um die Rätebewegung zu radikalisieren. Weiterhin arbeitet er auch mit orthodoxen, zentralistischen Kommunisten zusammen. Er gehört nach der Ausrufung der Revolution in München durch Kurt Eisner in führender Position dem Revolutionären Arbeiterrat (RAR) an. Im Kampf um die Durchsetzung des Rätesystems, hier der Text „Alle Macht den Räten“ aus seiner Zeitschrift Fanal zum Download .
Auf dem Münchner Rätekongreß im Februar 1919 fordert Mühsam die Schaffung einer bayerischen Räterpublik – er erlangt aber keine Mehrheit; ist ab Anfang April trotzdem führend an der Gründung der Münchener Räterepublik beteiligt. Nach der blutigen Niederschlagung wir er verhaftet, zu 15 Jahren Festungshaft, von denen er fünf Jahre in Ansbach und in der Festungshaftanstalt Niederschönenfeld absitzt. Nach der Haftentlassung kehrt Erich Mühsam nach Berlin zurück, wo er ab Oktober 1926 die Zeitschrift Fanal herausgibt. Ab 1931 ist der Publizist und Redner Mühsam intensiv in der antifaschistischer Agitation tätig. Seine letzte Publikation in Freiheit ist „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“.
Erich und Kreszentia Mühsam fanden auf dem Waldfriedhof Berlin Dahlem ihre letzte Ruhestätte. (Foto: Werner Szybalski)
RE 7 des National Express von Rheine nach Krefeld am 2. April 2025 kurz vor der Durchfahrt des Haltepunktes Zentrum-Nord in Münster-Rumphorst. (Foto: Werner Szybalski)
Michael Stach erzählt beim Rumphorstviertel e.V. die Geschichte des Schienenverkehrs im Stadtteil
Thomas Kaling erarbeitet aktuell einen Stadtteilatlas für das Rumphorstviertel. Am Mittwoch (2. April 2025) hatte er für den Verein Rumphorstviertel im Stadtteiltreff der Diakonie Münster Michael Stach zu Gast. Der ist in Rumphorst aufgewachsen und heute Schriftführer und Archivar des Modelleisenbahnclub Münster (MEC). Er erzählte von der Entwicklung der Eisenbahn und den Bahnüberführungen im Viertel.
Dabei erwies sich Michael Stach als ein ausgewiesener Kenner der Eisenbahngeschichte Münsters. Er berichtete vor extrem fachkundigem Publikum im vollen Versammlungsraum über die Entwicklung der Eisenbahn im Rumphorstviertel. Beginnend mit der alten Trasse aus dem 19 Jahrhundert auf der Piusallee führte der Referent die Zuhörerin und Zuhörer über die großen Überführungsbauten am Niedersachsenring / Bohlweg, am Hohen Heckenweg Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis in die Neuzeit.
Michael Stach präsentierte unzählige Bilder und Karten aus der Eisenbahngeschichte von Rumphorst. (Fotos: Werner Szybalski)
Erinnerungen und Recherchen im Archiv
Der Vortrag sei ein Ergebnis seiner umfangreichen Recherchen in Archiven über die Entwicklung der Eisenbahn in Planung und Verwirklichung. Im Stadtarchiv habe er dabei mehrfach Thomas Kaling getroffen, wodurch die Zusammenarbeit entstand. Stach, der von 1958 bis 1977 an der Mecklenburger Straße und danach im Südviertel wohnte, ist Rumphorst auch wegen seiner spannenden Eisenbahngeschichte eng verbunden. Stach erklärte zu Beginn seiner Bilderpräsentation: „Der zentrale Punkt des Eisenbahnverkehrs in Rumphorst sind die Überführungen am Ring.“
Schienenstrecke nach Rheine führt zunächst durch Gärten und Feldere
Insgesamt gibt es, wie Michael Stach berichtete, heute vier Eisenbahnstrecken, die Rumphorst durchqueren oder tangieren. Dies ist die breite im Haltepunkt Zentrum Nord sogar fünfgleisige Strecke von Münster nach Rheine mit dem Abzweig nach Gronau, die zweigleisige Strecke nach Osnabrück und die eingleisige, nicht elektrifizierte Strecke nach Bielefeld. Früher gab es, wie Stach mit Bildern und Karten zeigte, etwas nördlich hinter dem Haltepunkt in Rumphorst noch ein Stichstrecke nach Uppenberg, die in der Nähe der ehemaligen Germania-Brauerei (heute Deilmann Germania-Campus) beziehungsweise zu den Kasernen am und im Uppenberger Dreieck zwischen Grevener Straße, Steinfurter Straße und York-Ring.
RB 64 von Gronau auf dem Weg nach Münster am Abzweig von Sandrup hinein nach Rumphorst.
Seit 1848 gibt es in Münster den Bahnhof für die Strecke nach Hamm. Er und auch die 34,7 Kilometer lange Strecke wurden von der privaten Münster-Hammer Eisenbahn-Gesellschaft gebaut. Das Unternehmen begann Mitte der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts auch den Bau der Eisenbahnstrecke nach Rheine, die mit der Eröffnung des Bahnhofes in der Emsstadt am am 23. Juni 1856 in Betrieb ging. Da war ein Jahr zuvor wegen akuter Finanznöte die Münster-Hammer Eisenbahn-Gesellschaft schon von der staatlichen Königlich-Westfälische Eisenbahn-Gesellschaft übernommen worden. Durch diese Strecke in Richtung Norden erhielt auch Rumphorst Eisenbahnverkehr. Diese neue Strecke folgte in etwa dem Verlauf der heutigen Piusallee und führte in Rumphorst damals hauptsächlich durch Gärten und Felder. Damals gab es in Bauzeichnungen auch den Bahnhof Kemper. Nach dieser Bauerschaft waren bis die Stadtviertel Rumphorst und Schlachthof benannt.
Planungen gab es für Schienenstrecken und Infrastruktur in Rumphorst einige, wie Michael Stach zeigte: „Der Anschluss des Schlachthofes zwischen Kanal- und Gartenstraße wurde geplant und im vergangenen Weltkrieg sollte an den Strecken nach Rheine und Gronau ein Ausweichgüterbahnhof errichtet werden.“ Dazu, so war der präsentierten Luftaufnahme zu entnehmen, gab es sogar schon erheblich fortgeschrittene Bauarbeiten.
1,5 Jahre Sperrung des Hohen Heckenweges
Viel Gewicht legte Michael Stach auf den Neubau der Eisenbahnbrücke am Hohen Heckenweg, deren Baugeschichte einen eigenen Artikel wert wäre. in den 70er Jahren wurde erst die Bahnstrecke neben die bestehenden Gleise verlegt, dann der Bahnübergang für Autos, Busse, Fahrräder und Fußgänger*innen östlich des Hohen Heckenweges provisorisch eingerichtet, dann in die Tiefe gebuddelt, um später unter der Eisenbahnlinie durchfahren zu können, und schließlich 1976/77 trotzdem der Verkehr über die Strecke für 1,5 Jahre unterbunden.
„Damals war die Prioritätensetzung noch eindeutig. Die Eisenbahn durfte fahren und die Autos stehen bleiben und warten“, kommentierte ein Zuhörer.
Michael Stach zeichnete die Eisenbahngeschichte in Rumphorst mit Karten und alten Fotos nach.
Alles dies und noch viel mehr, was Michael Stach ausgegraben hat und beim Rumphorstviertel-Verein vortrug, wird sich auch im Stadtteilatlas, dem Projekt von Thomas Kaling wiederfinden.
Das Projekt Stadtteilatlas Rumphorstviertel bezieht sich auf das Quartier nörd-östlich der Münsteraner Innenstadt, das auch die ehemalige Gemarkung Kemper umfassend. Rumphorst ist ein Stadtteil ohne eigenes Zentrum. Direkte Nachbarschaft besteht zu den Stadtteilen Uppenberg, Coerde, Mauritz-Mitte und Schlachthof. In früher Zeit sicherlich sehr dünn besiedelt, weist dieses Areal aber spätestens seit dem 30-jährigen Krieg geschichtsträchtige Orte auf. Nicht nur eine Vielzahl von Adelshöfen, sondern auch der Bau des Max-Klemens-Kanals, die immerwährende Regulierung der Aa bis zur Besiedlung außerhalb der alten Stadtbefestigung ab 1830 sind spannende Dinge, die es zu untersuchen gilt. Die Vielfalt der gesellschaftlichen Veränderungen und damit auch der Topographie spiegelt sich in der Entwicklung der Bebauung, Kanalisation, Straßen- und Eisenbahnbau sowie dem Bau des Dortmund-Ems-Kanals wider. Einhergehend sind die Veränderungen der Gemeinde- beziehungsweise Stadtgrenzen, Pfarrgrenzen und weiteren Umstrukturierungen in der Gesellschaft, sei es durch technischen Fortschritt oder auch durch Not- und Modeerscheinungen. Ziel dieses Projektes ist es, eine möglichst gute Auswahl von Karten quer durch alle Zeitschnitte zu finden und zu reproduzieren. Ebenso sollen thematische Karten bestimmte Sachverhalte darstellen, um so eine Entwicklung im Quartier aufzeigen zu können. Kommentierende Texte sollen mit Daten, Zahlen und Fakten zumindest Kurzbeschreibungen geben. Thomas Kaling, der Initiator dieses Projektes und Mitglied im Nachbarschaftsverein Rumphorstviertel e.V., hat in den vergangenen zwei Jahren eine unzählige Menge an Karten, Akten und Bildern gesichtet und zusammengetragen. In einer Diskussionsreihe – jeweils am jeweils ersten Mittwoch im Monat – spricht er mit Anwohnern und Interessierten über jeweils ein bestimmtes Thema. Dabei stellt Kaling seine bisher gefundenen Unterlagen vor und hofft, über eine rege Diskussion weitere Lücken schließen zu können. Die Treffen finden jeweils von 17.30 bis 19.30 Uhr im Stadtteiltreff Rumphorst (Hoher Heckenweg 81) statt. Thomas Kaling: „Jedermann ist herzlich eingeladen, um über das Viertel und seine Entwicklung zu diskutieren, neue Erkenntnisse beizutragen oder nur um sich danach im Viertel besser auszukennen. Selbstverständlich können mitgebrachte Dinge wie Fotos oder andere Dokumente gezeigt, besprochen und eventuell auch in das Projekt mit aufgenommen werden.“ Für Fragen steht Thomas Kaling telefonisch (0251-233959) und per Email zur Verfügung. (Quelle: Verein Rumphorstviertel e.V.)
Kleine Bühnenboden zeigt den „Mann mit der Regenbogenfahne“
Vor genau 500 Jahren gab es den größten Aufstand von unten in der deutschen, an Revolutionen so armen Geschichte. Mit den „12 Artikeln“, die Forderungen mit welthistorischem Charakter enthalten, und dem nach der Veröffentlichung folgenden „Großen Bauernkrieg“ beschäftigen sich derzeit viele Menschen. Natürlich auch progressive Vereinigungen aus der Landwirtschaft, wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die einen „Blick zurück der Zukunft zugewandt“ wagen.
Mit einem agrarpolitischen Symposium und einem Theaterstück erinnern ehemalige und heutige Studierende der Universität Hohenheim bei Stuttgart an den Bauernkrieg. Im Blogbeitrag 500 Jahre Menschenrechtserklärung von unten„Revolution des Gemeinen Mannes“ erstreitet in blutig niedergeschlagenen Aufstand mehr „Freyheyt“ wird aufgezeigt, was die vereinigten drei Bauernhaufen aus Oberschwaben im Memmingen verabschiedet haben. Ebenso ist ein Abriss des Bauernkrieges im Artikel vorhanden.
In Zusammenarbeit mit dem Asta und der Kulturgruppe der Universität Hohenheim will die „Gruppe 1525“ die Erinnerung an den Bauernkrieg wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. Unter anderem mit dem Theaterstück „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“, das am 16. Mai 2025 im Kleinen Bühnenboden in Münster erstmals gezeigt wird, und einem agrarpolitischen Symposium, das am 25. Mai 2025 im Thomas-Müntzer-Scheuer, dem zentralen Platz des studentischen Lebens in Hohenheim, durchgeführt werden soll.
Menschenrechte von Bauern und Städtern formuliert
Die „Gruppe 1525“ will allem die damaligen Leistungen der Bäuerinnen und Bauern würdigen, insbesondere ihre 12 Artikel, wie sie in einer Pressemitteilung deutlich machen: „Was die 50 Bauern in Memmingen, quasi dem ersten deutschen Volksparlament, da im März 1525 zustande brachten, hatte welthistorischen Charakter. Tatsächlich gab es nie zuvor eine so umfassende Forderungen nach Menschenrechten für alle.“
Thomas Müntzer auf der Bühne
Die Leistung der geschundenen Bauern, die die Inhalte der 12 Artikel über Jahrzehnte während der immer wieder aufflammenden Kämpfe mit der Obrigkeit erarbeitet hätten, könne nicht hoch genug bewertet werden, betont die Gruppe. Dies spiegele sich auch im Theaterstück „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“, wider.
Sie bringen den Bauernkrieg in Münster auf den Kleinen Bühnenboden.
Der historische Hintergrund des Theaterstücks
Die Bäuerinnen und Bauern im Süden und Osten Deutschlands befinden sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer verzweifelten Lage. Die Frondienste und Abgaben an die Grundherren erhöhen sich ständig, so dass für sie und ihre Familien immer weniger übrig bleibt. Gleichzeitig nehmen die Repressionen zu. Hand abhacken oder Augen ausstechen sind keine seltenen Strafen für das Aufbegehren gegen die Obrigkeit. In dieser Situation findet das „Neue Evangelium“, durch zahlreiche Bibelübersetzung auf Deutsch verfügbar, rasende Verbreitung. Prädikanten und Laienprediger ziehen über das Land und predigen die Gleichheit aller Menschen, unterstützt von den Kulturschaffenden, vor allem den Malern. Das ist die Initialzündung für die Bauern, die – die freien Schweizer Bauern vor Augen – nun nicht mehr leibeigen sein wollen und nach Gleichheit, Freiheit und Demokratie verlangen. Ihre Parole: „Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes – nichts denn als unsere gerechte Sache!“
Müntzer und die Bauer
Thomas Müntzer ist einer der Theologen, die den Aufruhr unter den Bauern mit entfacht. Er unterstützt deren Forderungen und hilft mit, die 12 Artikel der Bauern mit der Bibel zu begründen. Er distanziert sich von Martin Luther, der die Reformation auf den kirchlich-geistlichen Bereich beschränken will und entwirft Konzepte, wie man die ganze Gesellschaft reformieren und „das Himmelreich auf Erden“ schaffen kann. Als Zeichen der Verbindung Gottes mit den nach Gerechtigkeit strebenden Menschen führt er die Regebogenfahne neben der Bundschuhfahne als Symbol ein. Die Regenbogenfahne ist zugleich auch Ausdruck der Offenheit der „Neuen Evangelischen Gemeinschaft“ für alle, die die Gleichheit der Menschen anerkennen wollen, also nicht nur Bäuerinnen und Bauern, auch Städter, Handwerker, Bergknappen und sogar Vögte, Herzoge und Fürsten. Die euphorisierten, teils fanatischen Bauern versuchen zunächst friedlich, dann aber auch gewaltsam, ihre Ziele zu erreichen. Dem Truchsess von Waldburg-Zeil gelingt es, mit Verhandlungen, Scheinverhandlungen und Attacken die Aufständischen hinzuhalten und zu spalten. Das von Thomas Müntzer verfolgte Ziel einer gemeinsamen Erhebung des ganzen Landes scheitert. Nur wenige Städte machen mit, viele schwanken und einige verraten die Bauern sogar. Nach und nach werden die Bauernhaufen von den Landsknechten des Truchsess aufgerieben. Die letzte Schlacht findet am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen statt. Die schlecht ausgerüsteten und im Kampf unerfahrenen Bauern werden von den kriegserfahrenen Söldnern und Landsknechten der Fürsten regelrecht abgeschlachtet. 5000 sterben auf dem Schlachtfeld, 300 werden vor dem Rathaus in Mühlhausen enthauptet. Thomas Müntzer wird gefangen genommen und hingerichtet.
Zur Aktualität des Stücks
500 Jahre bäuerlicher Widerstand. Demonstration der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vor dem Kramerzunftstube in Memmingen. (Foto: abl-ev.de)
„Das Stück vermittelt Geschichtsbewusstsein, zeigt den langen Weg der Freiheits- und Demokratiebewegung auf und spiegelt mit der Regenbogenfahne die ersten Ansätze einer multikulturellen Gesellschaft wider. Damit ist es auch ein Stück gegen rechte Tendenzen und für die Gleichheit aller Menschen“, verdeutlicht die Gruppe 1525 in ihrer Pressemitteilung. „Der Deutsche Bauernkrieg gilt als die erste große Freiheits- und Demokratiebewegung. Ihr Scheitern hatte nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Bauern und einfachen Leute, sondern auch auf die Geschichte. Verarmung, Abbau von Grundrechten, permanente Religionsstreitigkeiten und nicht zuletzt der Dreißigjährige Krieg sind darauf zurückzuführen. Die mit dem Bauernkrieg verbundenen Ziele und Werte wie Freiheitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz und Mitbestimmung sowie der Wunsch nach demokratischen Entscheidungsprozessen flammten aber immer wieder auf, zum Beipiel in den Revolutionen 1848 und 1918/19, und sie gingen ein ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.“ Die damaligen Forderungen der Bauern haben bis heute „nichts von ihrer Aktualität verloren“, so Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Auch in den UNO-Menschenrechten findet sich ein Großteil der damaligen 12 Artikel der Bauern wieder. Dieser Zusammenhang wird im Stück hergestellt. Der Streit, ob die Reformation die ganze Gesellschaft reformieren oder auf den kirchlich-geistlichen Bereich beschränkt werden soll, spitzt sich in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Müntzer zu. Luthers Hetzschrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“, in der er auffordert, Bauern „wie tolle Hunde totzuschlagen“, radikalisiert auch Müntzer. Der ruft nun auch dazu auf, „das Schwert nicht kalt“ werden zu lassen und die Macht gewaltsam zu ergreifen.
Das Symbol der Regenbogenfahne
Die politische Aktualität ist nicht zuletzt auch durch die Regenbogenfahne gegeben. Für Thomas Müntzer, den Erfinder dieser Fahne, war sie zunächst Symbol der Verbindung Gottes mit den Menschen. Die Vielfalt der Farben wurde dann übertragen auf die Vielfalt der Menschen, die beim Bündnis für eine neue Gesellschaft mitmachen dürfen und sollen. Dieser in der Fahne angelegte Grundgedanke der Vielfalt wurde zunächst von der Friedensbewegung, dann von den Umweltorganisationen und inzwischen auch von der LGBTQ-Bewegung aufgenommen, ist also hoch aktuell. Aktuell ist schließlich auch die Unzufriedenheit auf dem Land, auch wenn die heutigen Bedingungen nicht mit den damaligen vergleichbar sind. Die Situation hinsichtlich Freiheitsrechten und Mitbestimmungsmöglichkeiten ist heute eine andere, was aber für die Bäuerinnen und Bauern spürbar bleibt, ist der ökonomische Druck zum Überleben und der Wunsch nach einer ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft. Auch damals kämpften die Bauern für Pacht-, Jagd- und Fischereirechte, die ihnen nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen sollten.
Klassisches Revolutionsstück
Der Münsteraner Gerhard Schepper überarbeitete das Drama „Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“ von Friedrich Wolf für die Aufführungen in Münster und Hohenheim. (Foto: Werner Szybalski)
„Thomas Müntzer – der Mann mit der Regenbogenfahne“ sei auch ein klassisches Revolutionsstück: ein denkender Intellektueller sieht das Elend der Welt; er entscheidet sich, sich für die Unterdrückten einzusetzen; er rührt den Aufruhr mit an und liefert die theoretische Begründung; er sieht, dass der politische Kampf persönliche Opfer nötig macht und erkennt das Dilemma: kleines persönliches Glück oder Gerechtigkeit für alle; er will beides, das Himmelreich auf Erden und das persönliche Glück für alle, er will materielle Gerechtigkeit und Eingriffe ins Eigentum; schließlich sieht er vor lauter Euphorie die Realität nicht mehr und willigt ein, Verräter zu töten, weil er glaubt, damit die Bewegung zu retten; am Ende scheitert er und wird hingerichtet.
Die Zweifel, das Schwanken zwischen der Hoffnung auf den großen Sieg und der Angst vor dem totalen Verlust – diese Zerrissenheit bei Müntzer, den Bauern, Bergknappen und Städtern kommt in dem Theaterstück immer wieder zum Ausdruck. So bringt das Theaterstück zum 500. Jahrestag des Großen Deutschen Bauernkriegs nicht nur den historisch-politischen Aspekt auf die Bühne, sondern auch den ganz persönlichen inneren Kampf des Einzelnen mit all seinen Widersprüchen.
„Revolution des Gemeinen Mannes“ erstreitet in blutig niedergeschlagenen Aufstand mehr „Freyheyt“
Von Werner Szybalski
Vor 500 Jahren – beim Wechsel vom Mittelalter in die Neuzeit – rumorte es schon lange; sowohl in den dörflichen als auch in den städtischen Gemeinschaften. Im Juni 1524 schließlich erhoben sich zuerst im Süden des Schwarzwaldes die Bauern gegen Adel und Klerus. Auslöser, so eine unbewiesene historische Erzählung, war eine völlig abgedrehte Idee der Ehefrau des Grafen Sigmund von Lupfen. Im Juni, also mitten in der Erntezeit, sollten die Bauern, statt auf das Feld zu gehen, für die Gräfin Schneckenhäuser und Waldbeeren sammeln. Sie wollte Beerenmus einkochen lassen und Garn auf die Schneckenhäuser wickeln lassen, berichten gleich drei alte Quellen.
Statt den Sammelkorb zu nehmen, griffen die Bauern zu Waffen und zogen vor das Schloss des Grafen in Stühlingen an der Grenze zur Schweiz. Sie lösten mit ihrem militanten örtlichen Aufstand am 23. Juni 1524 eine Bewegung aus, die später von der Geschichtsschreibung der herrschenden Obrigkeit „Großer Bauernkrieg“ getauft wurde. Die bis zum 2. Juli 1526 dauernden Revolten zwischen Thüringen und Südtirol sowie Salzburg und dem Elsass kosteten rund 70.000 Menschen auf Seiten der Landbevölkerung und der sie unterstützenden Städter*innen das Leben. Gefühlt stand am Ende eine Niederlage des „Gemeinen Mannes“, wie die damalige Unterklasse jenseits von Adel und Klerus genannt wurde. Doch historisch war der mit hohem Blutzoll besonders auf Seiten der männlichen Landbevölkerung bezahlte Aufstand tatsächlich ein Schritt hin zu mehr Freiheit und etwas mehr Gerechtigkeit.
In Westfalen blieb es ruhig
Der westfälische Bauer war vor fünf Jahrhunderten freier als seine Berufskollegen in den südlichen deutschsprachigen Ländern. Deshalb blieben die Bauernkriege auch räumlich begrenzt. Weder in Nord- noch in Westdeutschland kam es zu vergleichbaren Aufständen. Auch im Königreich Bayern gab es aus diesem Grund weniger Revolten, als jenseits der bayrischen Grenzen.
Eine Ausnahme bildet Thüringen, wo die Bauern zwar ähnliche Rechte wie die in Westfalen genossen, aber trotzdem dem revolutionären Theologen Thomas Müntzer, einem scharfen Kritiker des obrigkeitshörigen Martin Luther auf das Schlachtfeld folgten. In Münsters thüringische Partnerstadt Mühlhausen, damals mitten im Zentrum des Müntzer-Aufstandes, wird in diesem Jahr der vor 500 Jahren auch dort extrem blutig niedergeschlagenen Revolte der Bevölkerung mit der großen Landesausstellung „freiheyt 1525“ gedacht. Sie ist vom 26. April bis zum 19. Oktober 2025 in den Mühlhäuser Museen zu sehen.
Thomas-Müntzer-Ehrung: Briefmarke aus der DDR. (Bild: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6458721)
Vorgeschichte des Bauernkrieges
Die Revolution des gemeinen Mannes hatte direkte Vorläufer. Schon 1493 bildete sich im Elsass der „Bundschuh“, ein geheimer Zusammenschluss von Bauern (Landbevölkerung), die sich auf eine Revolte vorbereitete. Der „Armer Konrad“, ein Aufstand der Einwohner*innen württembergischer Landstädte, revoltierte 1514 nach Verteuerung der Grundnahrungsmittel und der Erhebung zusätzlicher Steuern für die Unterschicht. Dieser Aufstand wurde ausgetrickst und niedergeschlagen; blieb aber als Perspektive im Gedächtnis der geschundenen Bevölkerung auf dem Land und in den Städten im Südwesten des deutschsprachigen Raumes.
Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen, die viele andere christliche Reformer, darunter auch Müntzer, inspirierten. Dank der Erfindung des europäischen Buchdrucks 1450 waren – lange vor Luthers Übersetzung – deutschsprachige Bibeln im Umlauf. Bekannteste Beispiele aus den 72 Bibelübersetzungen ins Deutsche vor Luther sind die Münchner Bibel von 1472 und die 1483 in Nürnberg gedruckte Koberger-Bibel. Durch deren Lektüre wuchs im gemeinen Volk der Wunsch nach Freiheit und die Erkenntnis der Gleichheit der (von Gott geschaffenen) Menschen – vom Hirten bis zum Höchsten.
Adel und der Klerus pressten zu Beginn der Globalisierung ihre Untertanen immer stärker aus. Abgaben wurden bis zur Grenze des Erträglichen erhöht, Frondienste ausgeweitet und bisher gemeinschaftlich genutztes Land eingezäunt, um es zu monetarisieren. Nach dem Auftakt durch die Stühlinger Erhebung verbreitet sich die revolutionäre Unruhe – allerdings weitgehend friedlich – in Südwestdeutschland.
Jakob Fugger finanziert die Truppen des Schwäbischen Bundes
Nicht nur in Stühlingen sondern auch im Bodenseegebiet und im eidgenössischen Thurgau gab es Mitte 1524 Unruhen. Am Bodensee erzwangen einzelne Gemeinden, dass sie ihre Pfarrer fortan selbst wählen durften. Diese Aktionen färbten auf die Nachbarregionen ab und ab Juli weiteten sich die Proteste und das Aufbegehren des „Gemeinen Mannes“ auf den Schwarzwald, der Hegau, der Klettgau und Teile des Breisgaus aus.
Ab Januar 1525 schlossen sich in Oberschwaben um Baltringen, Region bei Ulm, im Allgäu und am Bodensee insbesondere Bauern zusammen und formierten drei große Rebellenheere. Diese werden als „Haufen“ bezeichnet. Alle Haufen umfassten mehrere tausend Menschen.
Als Reaktion auf die Gründung beschloss der Schwäbische Bund, ein Zusammenschluss von Personen (Adel) und Institutionen (reichsunmittelbare Städte), die im Reichstag eine Stimme hatten, sich bei Jakob Fugger in Augsburg Geld für die Bekämpfung der Bauern zu leihen. Jakob Fugger und andere reiche Augsburger Kaufleute, die alle Furcht vor Erstürmung von Augsburg, was ihrem Ende gleichkäme hatten, und zudem hunderttausende Gulden in Waren, deren Beschlagnahme durch die Aufständigen drohte, investiert hatten, stimmten der Kreditvergabe zu.
Bauernjörg bekämpft erneut die Aufständischen
Georg III. Truchseß von Waldburg-Zeil, der nach dem grausamen und erbarmungslosen Abschlachtung Zehntausender von Aufständigen den Namen „Bauernjörg“ erhielt, wurde vom Schwäbischen Bund beauftragt, die Revolte niederzuschlagen. Georg von Waldburg hatte schon 1514 den „ Armen Konrad“ niedergerungen, so dass er als erfahren im Umgang mit dem Gemeinen Mann galt. Tatsächlich konnte der Bauernjörg, da die kaiserlichen Truppen in den „Italienischen Kriegen“ gebunden waren, verhandelte der Truchseß zunächst mit den Bauernhaufen. Dabei machte er auch kleine Zugeständnisse. Obwohl die nur leichte Verbesserungen brachten, aber an ihrer grundlegenden Situation nichts änderten, sondern die Stellung der Herrschenden festigten, reichte dies den gemäßigten Aufständigen zunächst. Auch die drei oberschwäbischen Haufen hofften zunächst auf Verhandlungen, in denen ihre Ziele akzeptiert würden.
Im Kramerzunfthaus in Memmingen tagten die Delegierten der drei Bauernhaufen und beschlossen erst ihre Bundesordnung und dann die 12 Artikel. (Foto: Marcel Suter)
Drei Haufen rufen Bauernparlament in Memmingen zusammen
Die Bauernhaufen waren landschaftlich geprägte Zusammenschlüsse bäuerlicher Gemeinden. Die bruderschaftlich-genossenschaftlich orientierten Haufen gaben sich eine innere Ordnung mit gewähltem Hauptmann und Räten, die ihnen verantwortlich waren. Erklärtes Ziel war das Zurückgewinnen von Mitspracherecht für die Bauern in den bestehenden weltlichen und geistlichen Gremien.
Die Haufen, deren Zusammensetzung sehr dynamisch war, nannten sich häufig nach ihrer landschaftlichen beziehungsweise herrschaftlichen Herkunft. Der Baltringer, der Allgäuer und der Bodenseer Haufen schlossen sich Anfang März 1525 in Memmingen zusammen und beriefen in der Stadt ein Bauernparlament ein. An ihm nahmen bei der Gründung am 6. März 50 Vertreter der drei Haufen teil. Zunächst diskutierte und verabschiedete der auch als „verfassungsgebende Bauernversammlung“ bekannte Zusammenschluss (Selbstbezeichnung: „Räte der Haufen“) eine „Bundesordnung“. Schon dieses Dokument, das nur noch in gedruckter Form in elf Varianten aus unterschiedlicher Zeit vorliegt, regte in weiteren Regionen die Bildung von Bauernhaufen und Aufständen an.
Dabei verfolgten alle ein gemeinsames Ziel. Ihrer elenden Lage ein Ende setzen und endlich in Freiheit zu leben und zu arbeiten. Ein Problem war, dass sich von beginn an die Haufen sich in Falken und Tauben aufteilten. Die einen wollten mit dem Schwert kämpfen und die anderen hofften noch auf eine friedliche Einigung. Beinahe hätte sich der sogar Rat der Haufen in Memmingen ergebnislos getrennt.
Die Bundesordnung sorgte schließlich einerseits für die Friedenswahrung nach innen, quasi eine Geschäftsordnung mit Gewaltverzicht, und andererseits war sie ein Beistandspakt nach außen. Wenig später, schon am 19. März 1525, verabschiedete das Bauernparlament von Memmingen die berühmten „Zwölf Artikel“ – das zentrale Manifest der aufständigen Bauern.
Die Zwölf Artikel
Quasi in Fortschreibung der Bundesordnung wurde in der Kramerzunftstube in Memmingen eine Menschenrechtserklärung von unten vom Bauernparlament, dem Haufenrat, verabschiedet. Die Geschichtswissenschaft ist sich einig, dass der Hauptverfasser der Zwölf Artikel, die freiheitliche sowie soziale und kommunalpolitische Forderungen enthalten, der Memminger Laienprediger Sebastian Lotzer war. Er gehörte zu dieser Zeit als Schreiber zum Baltringer Haufen. Die zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa und als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden, schreibt der Historiker Peter Blickle in seiner Abhandlung „Der Bauernkrieg – Die Revolution des Gemeinen Mannes“. Wegen dieser besonderen Bedeutung wird ein Original bis heute im Stadtarchiv Memmingen verwahrt.
Originalausgabe der 12 Artikel im Museum von Memmingen. (Foto:Marcel Suter)
Die Zwölf Artikel
Die ursprüngliche Form der „Zwölf Bauernartikel“ ist für uns heute nur schwer lesbar. Nachfolgend eine dem aktuellen Sprachgebrauch näher kommende Kurzversion der Zwölf Artikel, die das Städtische Kulturamt Memmingen zur Verfügung stellt:
1. Jede Gemeinde hat das Recht zur Wahl und Absetzung ihres Pfarrers.
2. Der Kleinzehnt [auf Vieh] soll aufgehoben, der Großzehnt [auf Agrarprodukte] für Geistliche, Arme und Landesverteidigung verwendet werden.
3. Die Leibeigenschaft soll aufgehoben werden.
4. Jagd und Fischerei sollen frei sein. Falls Verkäufe vertraglich belegt werden können, sollen einvernehmliche Regelungen zwischen Gemeinde und Rechtsinhabern angestrebt werden.
5. Wälder und Forsten sollen in Gemeindehand zurückgegeben werden. Sollten Verträge bestehen, werden gütliche Vereinbarungen mit den Forstinhabern angestrebt.
6. Die Frondienst‘ sollen auf ein erträgliches Maß reduziert werden, orientiert an Herkommen und Evangelium.
7. Außervertragliche Frondienste sollen nicht zugelassen sein, es sei denn gegen eine angemessene Vergütung.
8. Die Abgaben der Bauern sollen durch „ehrbare Leute“ neu eingeschätzt werden.
9. Die Strafmaße für schwere Vergehen sollen neu festgesetzt werden, orientiert an älteren Gerichtsordnungen.
10. Ehemalige Gemeindewiesen und -äcker sollen zurückgegeben werden, es sei denn, dass Kaufverträge vorgelegt werden können.
11. Der Zahlung des Todfalles* belastet die Erben ungebührlich und wird deswegen zukünftig verweigert.[*Quasi eine hohe Erbschaftssteuer, die der Leibherr nach dem Tod des leibeigenen Bauern aus dem Vermögen der Familie kassierte.]
Titelblatt der Memminger Artikel, die im März 1525 während des Deutschen Bauernkriegs verfasst wurden. Es zeigt bewaffnete Bauern mit einer Auswahl an Waffen. (Bild: Public domain, via Wikimedia Commons)
Forderungen bestehen zum Teil noch heute
Einige der Forderungen aus den Zwölf Artikeln sind hoch aktuell. Die Forderung nach Selbstbestimmung aus Artikel eins wird noch immer erhoben. Zwar nicht mehr nur auf die Stelle des Pfarrers sondern auch auf politische Ämter und Rechte. Ebenso sind die Forderungen zur Rückgabe der dörflichen Gemeinschaftsflächen, den „Allmenden“ [Wiesen und Äcker], sowie den Wäldern und Forsten an die örtliche Gemeinschaft noch heute aktuelle kommunalistische Programmpunkte.
Auch die Freigabe der Fischerei, der Jagd und auch des Holzverbrauchs in der kommunalen Gebietskörperschaft sind Punkte, die noch heute zur gemeinwirtschaftlichen orientierten Kommunalpolitik gehören. Die Beschränkungen der Abgaben an und Steuern für den Adel und den Klerus, die zwischen den Dörfern, Städten und Landschaften und dem Kaiser standen und herrschten, auf notwendige Ausgaben für die Gemeinde (Kirche und Dorf / Stadt) sowie die Verteidigung gehören gleichfalls dazu.
Durch die zahlreich vorhandenen Druckereien wurden die Zwölf Artikel, die mit einer Gesamtauflage von 25.000 Stück in 15 verschiedenen Städten erschienen, nicht nur ein Bestseller, sondern auch eine schriftliche Vorlage für nahezu alle weiteren Aufstände in den anderen Regionen. Aber die ersten Haufen lösten sich wegen der lokalen Zugeständnisse und dem Wunsch vieler Aufständigen, schnell zurück auf ihre Äcker und in die Städte zu kehren, schon im Frühjahr 1525 auf.
Spießrutenlauf zu Ostern in Weinheim
Die revolutionäre Flamme erlosch aber tatsächlich viel später. Bis zum Sommer 1525 loderte sie in vielen Orten des Schwäbischen Bundes, aber auch in Franken (Rothenburg ob der Tauber, Würzburg), im Odenwald oder im Neckartal. Am 4. April fühlte sich Bauernjörg mit seinen Landsknechten stark genug, um in Leipheim bei Ulm in die erste Schlacht des Bauernkrieges zu ziehen. Wenig später stand der Gemeine Mann im Elsass, in Württemberg, auf der Züricher Landschaft und im Hochstift Bamberg auf.
Der 31-jährige Graf Ludwig von Helfenstein verachtete den niedrigen Stand so sehr, dass er mit 60 Soldaten den 6000 Mann starken Neckertal-Odenwälder Haufen angriff. Dies löste eine Kettenreaktion aus, die schließlich zur „Weinsberger Bluttat“ am Osterwochenende 1524 führte. Nach der Eroberung der Burg des Grafen und anschließend der ihr zu Füßen liegenden Stadt Weinheim, fassen die Bauern – nahezu basisdemokratisch im üblichen Kreis – kollektiv, gemäß geltendem Kriegsrecht zehn Adelige durch „die Spieße laufen zu lassen“. Diese gemeinschaftliche Form der Hinrichtungen – für Adlige ein schändlicher Tod, der eigentlich nur für Landsknechte angewandt wurde, die sich ihren Kameraden gegenüber schuldig gemacht hatten – löste eine andauernde Empörung bei den Herrschenden aus. Immer wieder wurde der Tod von Graf von Helfenstein und seiner neun adligen Mitstreiter am 16. April 1525 für die angebliche Brutalität der Haufen angeführt. Angesichts des gewaltigen Blutzolls auf Seiten der Aufständigen eine historisch nicht zu haltende Bewertung.
Weingartener Vertrag findet an der Basis des Allgäuer Haufens keine Zustimmung
Nur einen Tag nach Weinsberg schließt der in Leipheim erfolgreiche Truchseß mit zwei der drei oberschwäbischen Haufen den „Weingartener Vertrag“. Er wurde nur von vier Delegierten des Allgäuer Haufen unterzeichnet. 40 weitere machten ihre Unterschrift von der basisdemokratischen Zustimmung ihres Haufen abhängig. Weil diese wegen der Bedingungen verweigerten, sprach der Schwäbische Bund schon wenige Zeit später vom Vertrag mit dem Bodenseehaufen.
Es folgten zwischen Südtirol, Salzburg, Straßburg und Thüringen zahlreiche weitere Schlachten, die aber auf dem Feld praktisch immer von den Herrschenden, die auch bei Martin Luther Unterstützung fanden, gewonnen wurden. Am 15. Mai 1525 unterlagen bei Frankenhausen die zahlenmäßig stark unterlegenen Thüringer Aufständischen. Ihr führender Kopf, Thomas Müntzer, wurde am 27. Mai des Jahres hingerichtet. Mit der Niederwerfung der Salzburger am 2. Juli 1526 endeten die dezentralen Aufstände der Bauern, Knappen und Städter gegen die Obrigkeit.
Der „Gemeine Mann“ konnte etwas bewirken
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Adel und Klerus die Bauern besiegen konnte, da diese immer nur regional protestierten und kämpften und zudem zur Ernte wieder zurück auf das Feld gingen. Anfang Juli 1526 endeten im Salzburger Land die als Bauernkrieg bezeichneten Kämpfe, die eine Revolution des Gemeinen Mannes waren.
Peter Blickle kommt nach seinen umfangreichen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Revolte der Unterschicht nicht vergebens war und – auf lange Sicht – auch zur Abschaffung der Leibeigenschaft führte. Das Fazit des bekanntesten Bauernkriegsforscher: Der „Gemeine Mann“ konnte als Subjekt der Geschichte etwas bewirken.
Literatur:
Peter Blickle; Der Bauernkrieg – Die Revolution des Gemeinen Mannes, München; C.H. Beck; 1998; 5. Auflage 2018; 146 Seiten; ISBN 978-3-406-72225-7; in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar: Magazinbestand, Geschichte, EMO 23 BLI.
Christian Pantle; Der Bauernkrieg – Deutschlands großer Volksaufstand; Berlin; Propyläen, 2024; 338 Seiten; 22 Euro; ISBN 978-3-549-10051-6; ausleihbar in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster: Signatur EMO 23 PAN.
Gerd Schwerhoff; Der Bauernkrieg; München; C.H. Beck; 2024; 724 Seiten; ISBN 978-3-406-82180-6; leider nicht in der Hauptstelle der Stadtbücherei Münster ausleihbar.
Jacob Rohrbach hatt Auffruhr gerathen,des muß er werden gebratenbey Neckergartach an einr weyden,must er des feurs flam leyden. Bis er sein leben Endt. Sein leib zu puluer ward verbrendt. Jacob Rohrbachs von Böckingen, des Auffrührers, todt. (Bild: gemeinfrei, unbekannter Autor, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1062010)