Bald Castor-Transporte nach Ahaus?

Mahnwache und Demonstration

Am Montagmorgen (19. Mai 2025) sollen in Ahaus am Kreisverkehr Umbauarbeiten beginnen. „Es handelt sich um Tiefbaumaßnahmen externer Dritter zur Vorbereitung möglicher anstehender Castor-Transporte nach Ahaus und nicht um Baumaßnahmen der Stadt Ahaus“, stellt die Stadt in einer Pressemitteilung klar. Diese Bauarbeiten dauern bis zum 26. Mai 2025. Ab dann könnte in Ahaus die Schwertransporte, vor denen sich viele Menschen im Land fürchten und sie deshalb ablehnen, durch die Stadt fahren. Natürlich geht es geht um Castorbehälter mit Atommüll aus dem ehemaligen Kernforschungszentrum Jülich. Von dort sollen mit 152 Castor-Transporten über die Straße rund 300.000 hochradioaktive Brennelemente ins Atommüllzwischenlager nach Ahaus verbracht werden.

Dies möchten Demonstrant:innen morgen ab 9 Uhr mit einer Mahnwache am „Tobit-Kreisel“ in Ahaus und abends ab 18 Uhr mit einer Kundgebung vor einer öffentlichen Informationsveranstaltung der BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH vor dem Rathaus in Ahaus verhindern. Die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“, unterstützt von „Sofa Münster“ (Sofortiger Atomausstieg), dem Jülicher Aktionsbündnis „Stop Westcastor“ und anderen Anti-Atomkraft-Initiativen, möchten mit dem Castor-Aktionstag und Petitionen die Transporte verhindern.

Brief an Bundesumweltminister geschrieben

Verschiedene Anti-Atomkraft-Organisationen haben gemeinsam an den neuen Bundesumweltminister Carsten Schneider von der SPD geschrieben. Sie fordern ein Moratorium (Aufschub des Transportes zum Beispiel durch eine Verordnung des Ministers) für weitere Castor-Vorbereitungen. „Der hochradioaktive Atommüll wurde in Jülich erzeugt. Eine sichere Endlagermöglichkeit gibt es weiterhin nicht. Deshalb ist die Weiterlagerung in Jülich mit dem Neubau eines modernen Zwischenlagers bei uns in Jülich die verantwortungsvollste Option. 152 Castor-Transporte über die ohnehin maroden Autobahnen von NRW sind der falsche Weg, der nur neue, erhebliche Sicherheitsrisiken bringt. Bund und Land müssen sich endlich an einen Tisch setzen und in Jülich eine belastungsfähige Lagerperspektive schaffen“, erklärte auf der BI-Webseite Marita Boslar vom Jülicher Aktionsbündnis „Stop Westcastor“. Durch eine gründliche Neuprüfung des gesamten Vorhabens und ernsthafte Verhandlungen zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen ist für die Aktivist:innen die beschriebene Lösung ein realistischer Vorschlag.

Atommüllzwischenlager in Ahaus. (Foto: Archiv Werner Szybalski)

„Wir setzen auf den neuen Bundesumweltminister Schneider. Er kann das Verfahren stoppen und für eine sachgerechte, langfristige Lösung sorgen. Hochradioaktiver Atommüll gehört nicht auf die Autobahn“, erklärte Felix Ruwe von der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ auf ihrer Internetseite.

„Die geplanten Castor-Transporte sind unnötig und riskant“

Dr. Fabian Fahl

MdB macht Druck

Auch der Aachener Bundestagsabgeordnete der Linken, Dr. Fabian Fahl, verlangt den Verzicht auf die Castor-Transporte. In einer Pressemitteilung machte der Klimaexperte deutlich: „Ich fordere die Aussetzung der Transporte nach Ahaus und die konsequente Weiterverfolgung der Neubauoption in Jülich. Kurzfristig mag dies teurer erscheinen, aber langfristig ist es die sicherere und nachhaltigere Lösung.“ Fahl ist der Überzeugung, dass die „Bevorzugung der Ahaus-Option eine primär politisch motivierte Entscheidung, die langfristige Sicherheitsaspekte außer Acht“ lasse. Da er Versäumnisse – offensichtlich auch bei der Landesregierung – sieht, stellte er gleich zu Beginn seiner Abgeordnetenzeit in Berlin eine Anfrage an die Bundesregierung, die noch von der Ampel beantwortet wurde.

Schon zuvor hatte Fahl am 11. April 2025 erklärt: „Die geplanten Castor-Transporte sind unnötig und riskant. Es ist nicht zu spät, den Atommüll in Jülich zu belassen und ein neues, sicheres Zwischenlager vor Ort zu errichten.“

Düsseldorf könnte die Transporte stoppen

Mitte April schrieb die wegen des Regierungswechsel in Berlin inzwischen ersetzte grüne Staatssekretärin Claudia Müller auf die Anfrage von Dr. Fabian Fahl, dass der Haushaltsausschuss des Bundestags schon 2022 erklärt hätte, der Ausschuss fordere „die kostengünstigere Verbringung der Brennelemente nach Ahaus“, wenn das Land Nordrhein-Westfalen „die Mehrkosten eines Neubaus in Jülich nicht tragen möchte“. Dazu unterstrich Claudia Müller: „Eine solche Absichtserklärung seitens des Landes NRW ist der Bundesregierung nicht bekannt.“ Für Fahl schimmert da eine Möglichkeit durch, die Transporte aus der Landeshauptstadt, durch die die Castoren übrigens durchrollen sollen, zu stoppen.

Ende Juni vergangenen Jahres erklärte in Oberhausen die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen, dass sie die Landesregierung ausdrücklich darin bestärke, „den Koalitionsvertrag bezüglich des Atommülls in Jülich umzusetzen und den Plan einer Verbringung der Castoren nach Ahaus zu verhindern.“ Liegt der Schwarze Peter denn allein bei der grünen Mona Neubaur, die als Landeswirtschaftsministerin in NRW für die Atomaufsicht zuständig ist?

„Minimierung von Atomtransporten“

Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag für NRW vereinbarten die Koalitionspartner sich für die „Minimierung von Atomtransporten“ einzusetzen. Dies gelte auch für Transporte aus Jülich ins rund 180 Kilometer entfernte Ahaus. NRW-Vizeministerpräsidentin Mona Neubaur wiederholt gebetsmühlenartig, dass sie keine politischen Mittel habe, um die Transporte ins Münsterland zu unterbinden. Allein die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) habe da das Heft des Handelns – zudem sei das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung für die Erteilung der Transportgenehmigung zuständig. Sie selbst, so Neubaur, sei eben „nur“ die Chefin der NRW-Atomaufsicht.

André Stinka, SPD Landtagsabgeordneter aus Dülmen, befürchtet schon Castor-Transporte in diesem Sommer. (Foto: SPD NRW / Jens van Zoest)

Versagen der Grünen und ihrer Ministerin

Am weitesten aus dem Fenster lehnt sich André Stinka, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Der Dülmener kann sich gut vorstellen, dass „wir im Sommer Transporte erleben könnten“, erklärte er gegenüber den Westfälischen Nachrichten. Inzwischen ist er aber, wie die Berliner Tageszeitung „taz“ berichtete, der Auffassung, dass ein „kompletten Versagen der grünen Landtagsfraktion – und von Ministerin Neubaur“ vorliege. Die Landesregierung müsse eigenes Geld in den Zwischenlager-Neubau in Jülich stecken, wenn sie denn zumindest in Teilen – siehe Parteibeschluss der Grünen und auch die Sicherheits- und Kostenbedenken des Innenministers Herbert Reul (CDU) – die Castor-Transporte verhindern wolle.

„Von der Gesellschaft allein gelassen“

Sascha Lübbe recherchiert „ganz unten im System“

Den „Unsichtbaren“ in unserem Wirtschaftssystems spürte der Berliner Journalist Sascha Lübbe nach. Ursprünglich geplant für eine Reportage der Tageszeitung (taz) recherchierte Lübbe in drei Branchen, wie die Menschen „ganz unten im System“ ihr Geld verdienen und wie sie in Deutschland leben. Obwohl diese Arbeiter*innen in der Öffentlichkeit häufig zu sehen sind, denn sie sitzen hinter dem Lenkrad des Lkw, den ich auf der Autobahn überhole, malochen auf den Baugerüsten in unserer Innenstadt, kommen aus dem Fabriktor der Fleischindustrie oder stehen am Bahnhof oder Kiosk in Gruppen zusammen, um die wir schnell einen Bogen machen.

Der Lebenswirklichkeit dieser prekär beschäftigen Menschen ohne deutschen Pass ist Sascha Lübbe in seinem Buch „Ganz unten im System“auf der Spur. Der legendäre Günter Wallraff, der ab 1983 zwei Jahre in die Identität des türkischen Gastarbeiters „Ali Levent Sinirlioğlu“ schlüpfte, decken undercover „ganz unten“ die harten bisweilen auch unmenschlichen Arbeitsbedingungen für Migrant*innen im Deutschland der 80er Jahre auf. Mit den Mitteln des Journalismus bringt hingegen Sascha Lübbe mit seinen Reportagen Licht in die dunkele Wirklichkeit der heutigen Arbeitswelt für Ausländer*innen im extremen Niedriglohnsektor Deutschlands.

Ausbeutung für niedrige Preise im Supermarkt

Die Reportagen („Auf dem Bau“, „Im Schlachthaus“, „Auf der Autobahn“) von Lübbe aus Frankfurt (Baubranche), Ostwestfalen (Umfeld der Tönnies-Fleischfabriken) oder Brandenburg (LKW-Fahrer) geben kaum erträgliche Einblicke in eine Wirklichkeit, die die Gesellschaft eigentlich nicht wahrhaben will. Dies insbesondere, da auch für unser Leben die Ausbeutung von ausländischen Menschen bedeutsam ist. Schließlich wollen wir – beziehungsweise müssen prekär lebende Menschen – die niedrigen Preise unter anderem für Lebensmittel behalten.

Fleischfabrik in Münster.

Nach den teilweise schwer zu ertragenden Reportagen fügt Lübbe einen Bericht von seinen begleitenden Besuchen beim Zoll an. Er überschreibt dieses Kapitel mit der Frage „Beschützer oder Verfolger, Freund oder Feind?“. Dies macht schon deutlich, dass es keine dauerhafte Hilfe für die Beschäftigten „ganz unten“ gibt oder gar diese Ausbeutung – zumindest in Deutschland – durch Überwachung unterbunden werden könne. Auch durch die Politik und das Kapital, dies macht Sascha Lübbe in zwei eigenen Kapiteln deutlich, ist aktuell kaum Abhilfe zu erwarten.

Schlafen, kochen und essen, Körperpflege – Leben auf der Autobahnraststätte.

Hoffnung besteht nur bei klassischer Gewerkschaftsarbeit

Lübbes Erkenntnis: Fast niemand hilft diesen Arbeiter*innen, die „von der Gesellschaft allein gelassen“ (Seite 151) sind. Lichtblicke findet der Autor bei einzelnen gewerkschaftsnahen Organisationen. So hat er Mitarbeiter des Peco-Instituts und auch von dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen bei ihrer Hilfstätigkeit begleitet und zu den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Ausgebeuteten interviewt.

Baustelle in Münster-Kinderhaus.

Unerwähnt bei Lübbe bleibt, dass es sogar staatlich geförderte Stellen gibt, die ebenfalls versuchen mit Aufklärung die prekäre Situation zu entschärfen. Übrigens zum Beispiel auch in Münster. Im Cuba hat die „Beratungsstelle Münster gegen Arbeitsausbeutung“ ihr Büro.

Ähnliche Ausbeutung in anderen Wirtschaftszweigen

Deutlich wird bei der Lektüre des aufklärerischen, durchaus lesenswerten Buch aber, dass nicht nur in den drei von Lübbe untersuchten Branchen Arbeitsbedingungen herrschen, die abgeschafft gehören. Auch in den Wirtschaftsbereichen Gebäudereinigung, Lieferdienste oder Gastronomie und Tourismus gibt es – vermutlich nicht nur Einzelfällen – Beispiele von solcher gnadenlosen Ausbeutung. Sascha Lübbe versucht am Ende („Was nun?“) seines Buches etwas Optimismus zu verbreiten. Trotzdem bleibt er die große, die Systemfrage schuldig. Tatsächlich begünstigen die von Politik und Verwaltung betriebene neoliberale Politik mit immer mehr Privatisierung und zum Beispiel europaweiten Ausschreibungen diese bestehenden ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in Deutschland.

Werner Szybalski

Tribünenbau am Preußenstadion.