„Genug ist genug – Rassismus stoppen“

Clarissa Naujok demonstriert erneut vor dem Rathaus

Clarissa Naujok, 3. Stellvertretende Vorsitzende des Intergrationsrates (IR) der Stadt Münster, ist ziemlich angefressen. In einer Videokonferenz des Integrationsrates am Dienstagabend (11. Mai 2021) wurde sie von der IR-Vorsitzenden Maria Salinas, so berichten Teilnehmer*innen, erneut unter Stress gesetzt. Naujok, Mitglied der Liste „AAA – Anerkennung für alle Ausländer“ ging am Mittwochnachmittag zum zweiten Mal öffentlich vor dem Rathaus am Prinzipalmarkt gegen den Rassismus in unserer Stadt auf die Straße.

Gemeinsam demonstrierten Pauline Njang (v. l.), Sisir Gupta, Clarissa Naujok und Tony Nkemjika gegen Rassismus in Münster. (Foto: Werner Szybalski)

„Clarissa Naujok wurde gleich zu Beginn von der Vorsitzenden des Intergrationsrates mit Fragen überschüttet. Es glich eher einem Polizeiverhör“, berichtete ein*e Teilnehmer*in von der Videokonferenz einiger Mitglieder des Integrationsrates der Stadt am vergangenen Dienstagabend. Hintergrund der „Befragung“ war eine kleine Demonstration von Clarissa Naujok und ihrer Liste im April. Über die Demo hatte ich in einem Artikel im Münsterschen Online-Magazin „Die Wiedertäufer“ berichtet. Im Beitrag „Knatsch im Integrationsrat“, der am 22. April online gegangen war, berichtete ich insbesondere über den Führungsstil der neuen IR-Vorsitzenden Maria Salinas.

Ihre dritte Stellvertreterin, Clarissa Naujok, ärgerte sich sehr über die Befragung in der Videokonferenz. „Ich möchte, dass die Vorsitzende mit den drei Stellvertretern zusammenarbeitet. Dies wird uns aber von ihr verwehrt. Hinzu kommen weitere Vorfälle, die ich als Ausgrenzung empfinde“, verdeutlicht Najouk. Sogar das Wort Rassismus fiel in diesem Zusammenhang.

Zweite Demo vor dem Rathaus

Clarissa Naujok demonstrierte am Mittwoch erneut vor dem Rathaus. Auch wenn sie als Stellvertretende Vorsitzende im Mittelpunkt dieser Aktionen steht, betont Clarissa Naujok: „Beide Demonstrationen waren mit meiner Gruppe abgestimmt. Auch Jo Itor war dafür und wollte möglichst kommen.“ Dies ist Naujok wichtig, weil in der IR-Videokonferenz Maria Salinas, wie ein*e unbeteiligte Teilnehmer*in mir bestätigte, versucht hatte, die Demonstration von Clarissa Naujok als eine mit ihrer Liste nicht abgesprochene Einzeldemonstration von ihr darzustellen.

Der Gründer und Kopf der Liste „Anerkennung für alle Ausländer“, Sisir Gupta, war allerdings bei beiden Demonstrationen dabei. Dies alles, obwohl er selbst dem IR nicht mehr angehört. Auch am Mittwochnachmittag war Naujouk nicht allein mit Gupta vor dem Rathaus. Das stellvertretende IR-Mitglied Tony Nkemjika und die Nachrückerin Pauline Njang demonstrierten ebenfalls. Das IR-Mitglied Joseph Naseri Itor von der AAA-Liste war allerdings nicht da. „Er steht aber zu unserer Aktion“, versicherte Clarissa Naujok.

Schwarze Passant*innen solidarisieren sich spontan

Obwohl es der Gruppe insbesondere um ein besseres Miteinander im Integrationsrat beziehungsweise in dessen Führung geht, machten sie auf ihren Plakaten deutlich, dass Schwarze und People of Color (PoC) in Münster stark unter Rassismus zu leiden hätten. Dies drückten ihre Plakate klar aus, was dazu führte, dass sich am Mittwoch spontan Schwarze Passant*innen der Demonstration anschlossen.

„Genug ist genug – wir müssen den Rassismus stoppen“, fordert Clarissa Naujok gemeinsam mit ihrer Liste, mehr Respekt für Schwarze und PoC in Münster – insbesondere natürlich im Integrationsrat.

Spaltung der Gesellschaft gemeinsam verhindern

Maikundgebung in Münster erklärt: „Solidarität ist Zukunft!“

Anders als im ersten Pandemiejahr nahm auch der antikapitalistische Block in diesem Jahr an der offiziellen DGB-Kundgebung auf der Stubengassein Münster teil. Im vergangen Jahr setzten sich am Maifeiertag rund 80 Antikapitalisten unter dem Motto „Der Krise solidarisch entgegentreten“ auf einer „kämpferischen Kundgebung“ (FAU Münster) in Kinderhaus unter anderem für Mieter*innen und Geflüchtete ein. In diesem Jahr marschierten sie – angeführt von der Roten Kapelle – gemeinsam mit dem DGB vom Servatiiplatz zum Kundgebungsgelände. Der DGB Münsterland freute sich auf Facebook „über 350 begeisterten Teilnehmer*innen“ und erklärte: „[G]ewerkschaftliche Stärke, Geschlossenheit und Solidarität [sind] wichtige Eckpfeiler unserer Demokratie.“ Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze und ihr Mann Andrea Arcais (beide SPD) nahmen an der Kundgebung teil.

Weder Prominenz noch Linke auf der Bühne

Die Redner*innenliste auf der Stubengasse war lokal dominiert. Zunächst sprachen der DGB-Stadtverbandsvorsitzende Peter Mai und ein Vertreter der DGB-Jugend. Maria Salinas, umstrittene (siehe unten) Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Münster, warb für ein interkulturelles Wachstum und Helge Adolphs von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten Münsterland (NGG) sorgte sich um die Tausenden mit ungewisser Zukunft. Anne Sandner, Hauptamtliche beim DGB, bezeichnete die zeitgleich am Aasee versammelten Impfgegner als rücksichtlos und egoistisch. Alle Beiträge standen unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft!“.

Der Vorsitzende der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Münsterland und Betreiber der Facebookseite „Münstersche Volkszeitung“, Dr. Frank Biermann, zeigte sich auf seinem privaten Facebookaccount begeistert von den Reden. „[D]ie Redner:innen wußten durchweg zu überzeugen, schmerzlich vermißt wurde das internationale Kulturprogramm im Anschluß an die Kundgebung, das coronabedingt nicht durchgeführt werden konnte. Und bei den Traditionalisten mag auch ein wenig der Magen geknurrt haben, die traditionelle DGB-Erbsensuppe mit oder ohne Wursteinlage konnte in diesem Jahr nicht ausgegeben werden.“

Die DGB-Jugend, die Jusos sowie die Linke standen ganz vorn an der Bühne. (Foto: Werner Szybalski)

`solid macht die Grenzziehung deutlich

Doch abgesehen von diesen pandemiebedingten Ausfällen schien auch ein großer Teil der Versammlung wenig interessiert an den offiziellen Ausführungen. Nur der Kern vor der kleinen Bühne schien den Worten der Redner*innen tatsächlich zu lauschen. Dies dürfte daran gelegen haben, dass knapp die Hälfte der Teilnehmer*innen mit dem systemkonformen Kurs des Deutschen Gewerkschaftsbundes hadert. So wurde von ROSA („An die Arbeit – Let´s chose Communism“) bis zur Linksjugend [´solid] („Die Grenzen verlaufen nicht zwischen innen & außen, sondern zwischen oben & unten“) in der Zuhörerschaft deutlich radikaler der gesellschaftliche Wandel gefordert, als von den Redner*innen auf der Bühne. Die anarchosyndikalistsche Gewerkschaft FAU Münster hatte den „Kampftag der Arbeiter*innenklasse […] ausgiebig begangen.“ Schon am Vorabend, der Walpurgisnacht, hatte die FAU zur Kundgebung „Patriarchat und Kapitalismus verhexen“ zu den Aaseekugeln geladen. Nach der Teilnahme am 1. Mai in Münster ging es nach Dortmund, um gemeinsam mit insgesamt 700 Anarchist*innen aus dem Ruhrgebiet, Siegen, Krefeld, Koblenz und Bielefeld gemeinsam den 1. Mai zu begehen.

Die Arnachosyndikalisten zeigten auf der Stubengassen Flagge und verteilten ihre 1.-Mai-Sonderausgabe ihrer Zeitung „Direkte Aktion“. (Foto: Werner Szybalski)

Migrant*innen protestieren

Nur beim Kulturprogramm fehlten die Vereinigungen der Migrant*innen. Besonders präsent waren auf der Stubengasse die Kurd*innen, die auf ihre Unterdrückung in der Türkei aufmerksam machten. Auch ODAK war gut sichtbar. Etwas kleiner fielen die Protestplakate der Deutsch-Bulgarischen Elterninititiative „Jan Bibijan“ e.V. aus. Sie richteten sich direkt an die Vorsitzende des Intergrationsrates, Maria Salinas, die sich aktuell auch Rassismusvorwürfen aus dem kleinen Kreis ihrer Stellvertreter*innen im Vorstand des Integrationsrates stellen muss. (siehe hierzu auch meinen Beitrag „Knatsch im Integrationsrat“ auf Die Wiedertäufer.)

Der 1. Vorsitzende der Elterninitiative, Ulf Georgiew, fühlt sich aktuell von Stadt und Integrationsrat benachteiligt, weil die Elterninitiative angeblich keine oder nur reduzierte Förderung vom Integrationsrat unter Vorsitz von Maria Salinas erhalte und weil – nach eigener Aussage – die Stadt Münster ihnen für Veranstaltungen keine öffenlichen Plätze zur Verfügung stelle. Am 1. Mai forderten sie genau dies und auch die „Öffnung der Schulen für muttersprachlichen Unterricht.“

Das DKGZ Münster forderte Solidarität mit den in der Türkei verfolgten Kurden. (Foto: Werner Szybalski)

Internationale Solidarität

Am Vortag des 1. Mai hatte der DGB Münsterland auf Facebook verkündet, dass die internationale Solidarität lebe. „Mit starken Delegationen aus beiden Ländern haben wir heute – vor dem Tag der Arbeit – den Interregionalen Gewerkschaftsrat Münsterland-Achterhoek-Twente (IGR MAT) gegründet. Gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Kolleginen und Kollegen aus DGB und unseren niederländischen Partnerdachverbänden FNV und CNV wollen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verbessern und uns u.a. für gute Arbeitsbedingungen der Grenzpendler_innen einsetzen. Der Gründung voraus gegangen sind nun vier Jahre der intensiven Zusammenarbeit. Aus anfänglichen Austauschen wurden regelmäßige Treffen und gemeinsame Aktionen sowie die Einbettung der Gewerkschaften in die EUREGIO Gronau …u nd nun: ein festes Gremium der Zusammenarbeit! We zijn happy! Auf gute Zusammenarbeit! Samen voor een sociaal Europa!“

Rund 350 Teilnehmer*innen kamen zur DGB-Kundgebung auf der Stubengasse. (Foto: Werner Szybalski)

Knatsch im Integrationsrat

Die Wiedertäufer haben einen Beitrag von mir zum Demokratiedefizit im Intergrationsrat der Stadt Münster veröffentlicht. Hier der Link zum Originaltext. Unten ein Auszug:

Eigentlich hätte der Integrationsrat (IR) der Stadt Münster derzeit allen Grund zu feiern. Fast genau vor 36 Jahren, am 21. April 1985, wurde der erste Ausländerbeirat, der Vorgänger des Integrationsrates, in Münster gewählt. Doch statt Schampus gibt es derzeit lange Gesichter in dem 27-köpfigen politischen Gremium, das in Münster die Interessen der Menschen mit Migrationsvorgeschichte vertreten soll. … [weiterlesen]