Otto Addo besucht May Ayim Ring

Rassismuserfahrung eines Spitzensportlers

Unter Rassismus leiden in Deutschland alle Menschen, die nicht weiß sind. Selbst prominenten BiPoC erfuhren und erfahren immer wieder diskriminierende Situationen und werden verbal und nonverbal attackiert. Um zu erfahren, wie es gesellschaftlich erfolgreichen Menschen gelang, mit dieser Ausgrenzung (und Abwertung) zu leben, wie sie es trotz dieser prekären Lebenssituation geschafft haben, sich in der weißen Gesellschaft in Deutschland durchzusetzen und welche Strategien und Maßnahmen sie ergriffen haben, um trotz der diskriminierenden Rahmenbedingungen erfolgreich zu sein, hat der May Ayim Ring Münster den erfolgreichen Trainer und früheren Deutschen Fußballmeister (2002 mit dem BVB) Otto Addo eingeladen. Er wird am Mittwoch, dem 27. Oktober, um 19 Uhr im Tribünengebäude des SC Preußen Münster zu Gast sein.

Christoph Strässer, ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und Präsident des SC Preußen Münster, wird Otto Addo im Preußen-Stadion begrüßen und zur Situation Schwarzer und BiPoC beim SCP (Verein und Fangemeinde) sprechen. (Foto: SC Preußen Münster)

Otto Addo, erst vor wenigen Wochen zum Co-Trainer der Nationalmannschaft von Ghana ernannt, ist Top-Talente-Trainer von Borussia Dortmund. Er feierte Mitte Mai diesen Jahres als Co-Trainer von Interimscoach Edin Terzic mit dem BVB den Gewinn des DFB-Pokals.

„Ich war das auch im Fußball gewohnt, beleidigt zu werden. Das war für mich leider normal. In der Hälfte der Spiele ist das passiert, in der anderen nicht. Für mich war es das Größte, wenn ich trotzdem als Sieger vom Platz ging. Das war für mich das Beste.“

Otto Addo über rassistische Beleidigungen im Fußball
Otto Addo ist Top-Talente-Trainer bei Borussia Dortmund und Co-Trainer der Nationalmannschaft von Ghana. (Foto: BVB)

Wie May Ayim ist auch Otto Addo in Hamburg geboren. Auch seine Mutter ist Hamburgerin und sein Vater, wie der von May Ayim, ein aus Ghana stammender Mediziner. Mit sechs Jahren begann Addo beim örtlichen Club Hummelsbütteler SV Fußball zu spielen. Die Konzentration auf den Sport wurde dem Jungen schwer gemacht, denn sowohl auf dem Fußballplatz als auch in der Schule. „Meine Schwester und ich waren die einzigen Schwarzen auf der ganzen Schule. Ich musste mich erstmal beweisen, egal, wo ich hinkam – in der ersten Klasse, der Vierten, der Gymnasialstufe“, erklärte Otto Addo im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. Er wurde Otto Addo – wegen seiner Hautfarbe – immer wieder diskriminiert und rassistisch beleidigt. Trotzdem kämpfte er sich durch und erklomm mit dem BVB als Spieler und als Mitglied des Trainerteams die höchsten deutschen Fußballgipfel.

„N*** raus!“

Otto Addo machte im Fußball Karriere. Als er 1997 in der 2. Liga mit Hannover 96 – gemeinsam mit Gerald Asamoah im Team – bei Energie Cottbus antrat, erlebte Addo und der Profifußball in Deutschland einen seiner Tiefpunkte. Im Gespräch mit dem Fußball-Magazin 11 Freunde erinnerte sich Addo an dieses Spiel: „Außer­halb des Sports gab es noch schlim­mere Sachen, aber was den Fuß­ball angeht, war es das, ja. Weil das Sta­dion damals mit 20.000 Zuschauern voll war, und auf einmal schreien die Fans zwei, drei Minuten lang: ​»N*** raus!« Ich hab’ gedacht, ich bin im fal­schen Film. Auch die Gegen­spieler haben mich und Gerald Asa­moah belei­digt, wollten uns pro­vo­zieren.“

Ghana statt Deutschland

Die Laufbahn von Otto Addo wurde ebenfalls durch Rassismus beeinflusst, wie er 11 Freunde erklärte: „Als Anfang der 90er die Gewalt­taten im Osten gegen Aus­länder zunahmen, wäre ich da nicht hin­ge­wech­selt. Dass ich mich damals für die gha­nai­sche Natio­nal­mann­schaft ent­schieden habe, hängt auch mit nega­tiven Erfah­rungen zusammen. Ich finde aller­dings sehr gut, dass Gerald Asa­moah für Deutsch­land spielt. Das muss jeder für sich ent­scheiden.“

Rassismus im Sport spiegelt die Einstellung der Gesellschaft

Addo erlebt Rassismus noch immer. So erzählte er dem Fußball-Magazin, dass er wegen seiner Hautfarbe diskriminiert würde. Erst, wenn er als prominenter Sportler erkannt würde, täte es den Täter*innen Leid: „Zum Bei­spiel die Polizei: Wenn die sehen, dass ein dun­kel­häu­tiger Mensch einen teuren Wagen fährt, dann drehen die auf der Straße um und halten dich an. Manchmal pas­siert das drei Mal am Tag. Und dann for­dern sie in einem ernsten Ton Aus­weis­pa­piere von mir und allen Insassen. Einmal mussten wir sogar aus­steigen und uns durch­su­chen lassen. Wenn sie dann meinen Namen lesen, werden die Stimm­lagen gleich freund­li­cher, zumin­dest wenn sie Ahnung vom Fuß­ball haben und mich erkennen. So was ist mir überall pas­siert, in Ham­burg, Han­nover, Dort­mund. Es kommt heute auch noch vor, dass mich Dort­mund-Fans in gebro­chenem Eng­lisch anspre­chen.“

Anmeldung per Email

Das Gespräch und Diskussion mit Otto Addo zum Thema „Rassismuserfahrung von Spitzensportlern“ beginnt um 19 Uhr im VIP-Saal 1 des Preußen-Stadions. Beim Zutritt zur Veranstaltung gilt die 3G-Regel (geimpft, genesen oder getestet). Deshalb wird um eine vorherige Anmeldung per Email (addo@may-ayim-ring.org) wird gebeten.

BLACK LIVES MATTER – auch in Münster?

Dr. Natasha Kelly eröffnet die antirassistische Veranstaltungsreihe des May-Ayim-Rings.

„Strukturen des Rassismus“

Am Montag (23. August) um 16 Uhr ist die Kommunikationssoziologin Dr. Natasha A. Kelly in der Zukunftswerkstatt Kreuzviertel (Schulstraße 45 in 48149 Münster) zu Gast. Sie eröffnet mit dem Vortrag „Strukturen des Rassismus“ die antirassistische Veranstaltungsreihe „BLACK LIVES MATTER – auch in Münster?“ des May-Ayim-Rings Münster, der die Lesung in Kooperation mit der Bürgerinitiative l(i)ebenswertes Uppenberg durchführt. Die Teilnahme ist nur für geimpfte, genesene oder frisch getestete Personen möglich, weshalb eine Anmeldung per Email (kelly@may-ayim-ring.org) erforderlich ist.

Dr. Natasha A. Kelly ist aktuelle „Frauenringsfrau 2021“ und eine der aktuell bedeutendsten Schwarzen Stimmen in Deutschland. Kelly, die 1973 in London geboren wurde, wuchs in Norddeutschland auf. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung und studierte Kommunikationswissenschaften, Soziologie und englische Philologie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster. Ihr Magisterstudium schloss sie 2005 mit einer Abschlussarbeit zu „Afroism. Zur Situation einer ethnischen Minderheit in Deutschland“ ab.

Zahlreiche Publikationen veröffentlicht

In ihren Publikationen „Afroism“ (2008), „Sisters & Souls“ (2015), „Afrokultur“ (2016) und „Millis Erwachen“ (2018) setzte sie sich die in Berlin lebende Wissenschaftlerin mit Afro-Deutscher Kultur auseinander. Sie gründete „X – Das Magazin für Afrokultur“, zog sich später aber aus der journalistischen Arbeit zurück. Kelly ist Gründungsmitglied des Black European Academic Network (BEAN), einer Plattform zur Förderung der Vernetzung und Verbreitung Schwarzer Europäischer Geschichte für Wissenschaftler.

Ihre jüngste Veröffentlichung ist „Sisters & Souls 2“ (2021). Fünf Jahre nach dem ersten Buch („Sisters & Souls“), das zu Ehren von May Ayim herausgegeben wurde, kommen im neuen Sammelband über 20 Frauen, die alle vom politisch-lyrischen Werk May Ayims beeinflusst wurden, zu Wort. Das Buch unterstreicht den Bedarf an Räumen für Schwarze und möchte „Schwarze deutsche Geschichte mitschreiben.“ In der Einleitung macht Dr. Natasha A. Kelly zudem krass deutlich, dass – nicht nur in den USA – „Rassismus tötet.“

Wissen aus schwarzer Perspektive

Kelly beschäftigt sich mit Black Studies und hat auch den Sammelband „Schwarzer Feminismus“ herausgegeben. „Es geht darum, Wissen aus schwarzer Perspektive zu generieren“, sagte die Wissenschaftlerin im Deutschlandfunk: „Was in Deutschland fehlt, ist die Betrachtung deutscher Geschichte aus einer schwarzen Perspektive.“ Dabei gehe die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland bis ins 11. Jahrhundert zurück. „Es gibt eine sehr lange deutsche schwarze Geschichte“, sagt Kelly, „in Deutschland herrscht aber immer noch die Vorstellung, dass Deutsche weiß sind.“

In Podcasts beim Deutschlandfunk von und mit Natasha Kelly kann hier hineingehört werden.

May-Ayim-Ring will aufklären

Der May-Ayim-Ring setzt sich für die Benennung einer Straße in Münster nach der vor 25 Jahren verstorbenen Lyrikerin und „sanften Rebellin“ May Ayim ein, die in Münster aufwuchs und an der Friedensschule ihr Abitur baute. Da seit den Zeiten von May Ayim im Münsterland sich die Situation für Schwarze und People of Color nicht wesentlich verbessert hat, was Dr. Natasha A. Kelly für ein strukturelles Problem hält, versucht der May-Ayim-Ring Münster durch die mit Frau Kelly eröffnete Veranstaltungsreihe, die Diskussion in der Stadtgesellschaft über die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung Münsters zum Eintritt gegen jegliche Ausgrenzung und Diffamierung in der durch unversalistische*s Erbe und Gegenwart geprägten Stadt zu entfachen

In der mit „fight racism“ untertitelten Veranstaltungsreihe werden unter anderem Millay Hyatt „Kritisch Weißsein – Weißsein als Privileg.“ (30. September, 19 Uhr bei ODAK, Wolbecker Straße 1), der BVB-Fußballer Otto Addo „Rassismuserfahrungen von Spitzensportler*innen“ (6. Oktober, 19 Uhr), Alexander Heflik „Erwin Kostedde“ (28. Oktober, 19 Uhr) Florence Brokowski-Shekete „Mist, die versteht mich ja!“ (6. November, 19 Uhr) und Sulaiman S.M.Y. Addonia „Schweigen ist meine Muttersprache“ (18. November, 19 Uhr) in Münster zu Gast sein.

Mit dem Leben und Werk May Ayims setzt sich die einführende Veranstaltung „May Ayim.“am 27. September um 19 Uhr im Gasometer (Albersloher Weg / Boelckeweg) auseinander. Es werden Zeitzeug*innen zu Wort kommen, ein Film über May Ayim wird zu sehen sein und Gedichte der Lyriker*in werden vorgetragen. Auch die drei neuen Bücher von und über May Ayim, die im August im Unrast Verlag in Münster erschienen, werden vorgestellt.

Frankreich blockiert Einreise der Zapatistas

Vor dem Konsulat von Frankreich in Münster demonstrierten am Dienstagmorgen Münsteraner*innen für das freie Einreiserecht einer Delegation von indigenen Gemeinschaften aus Mexiko, überwiegend Zapatistas, nach Frankreich und Europa. (Foto: Werner Szybalski)

Auch Münsteraner*innen fordern Einreiserecht

Am 22. Juni betraten sie im Hafen von Vigo (Spanien) europäischen Boden. Eine siebenköpfige Delegation der linksgerichteten zapatistischen Befreiungsarmee EZLN aus Chiapas (Mexiko) erreichte Europa. Die „umgekehrte Invasion“, wie die Zapatistas ihre Reise nach Europa humorvoll, aber auch mahnend nennen, hat begonnen. Folgen sollen noch über 150 mexikanische Staatsangehörige, hauptsächlich aus den indigenen zapatistischen Gemeinden in Chiapas. Diese bereiten sich seit Monaten darauf vor, nach Europa zu kommen. Hier wollen sie sich mit Solidaritätsgruppen, Kulturvereinen, Künstler*innengruppen, Gewerkschaften, NGOs und Menschenrechtsorganisationen treffen.

Begrüßt wurde die mit dem Segelschiff „La Montaña“ (deutsch: „Der Berg“) angereiste Vorhut in Vigo von über 500 Freund*innen aus dem Baskenland, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Galizien, Griechenland, Iran, Italien, Katalonien, Marokko, Mexiko, Portugal, Schweden, der Schweiz, der Tschechischen Republik sowie aus verschiedenen Städten und Regionen Spaniens, wie Luz Kerkeling berichtet. Insgesamt dauerte die Atlantiküberquerung 50 Tage. Auch die Gruppe B.A.S.T.A. berichtete über die Ankunft.

Zwischen Juli und September 2021 sind zahlreiche Veranstaltungen mit der Zapatistas-Delegation in verschiedenen europäischen Ländern geplant. Es geht dabei um den Austausch über Gesundheit, Bildung, Ökologie, Gerechtigkeit, soziale Rechte und Menschenrechte. Nun ist die Einreise und auch die Ausreise der Gruppe gefährdet, denn Frankreich will den Zapatistas und Mitgliedern des Nationalen indigenen Rates die Einreiseerlaubnis verwehren. Hintergrund scheint zu sein, dass Frankreich mit den bestehenden Coronaeinschränkungen die politische „Reise für das Leben“ unterbinden möchte.

Klares Statement der Münsteraner*innen.

Deshalb demonstrieren und appellieren in zahlreichen Städten und Ländern die europäischen Unterstützer*innen der Zapatistas für die Ermöglichung der Reise nach Europa. „Auch der mexikanische Staat bereitet derzeit Schwierigkeiten. Über 60 Delegationsteilnehmer*innen haben zum Beispiel noch keinen Pass“, berichtet Edo Schmidt am Rande der Kundgebung vor der NRW.Bank.

Reisegrund und die europäischen Gastgeber*innen verursachen die Schwierigkeiten

Zapatistas.

„Die Zapatistas kommen nicht aus Businessgründen nach Europa oder als Tourist*innen; vielmehr beginnen sie ihre »Reise für das Leben«, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen, die – wie sie – eine respektvollere Alltäglichkeit schaffen wollen. »Ein Europa von linksunten« fordert das Ende der Festung Europa, ein Ende von rassistischer und jeglicher anderer Diskriminierung von Staatswegen und ist für eine freie Entfaltung, Freizügigkeit für Alle unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status, Geschlechteridentität, Alter und so weiter 1994 hat die ganze Welt auf die bewaffnete Erhebung der EZLN gesehen. Dieses Mal kommt die EZLN friedlich, während die Presse schweigt. Ihre Aktionen bleiben jedoch historisch. Es ist ein internationaler, interkultureller und politischer Austausch. Nachdem vor einer Woche der Brief beim Außenministerium einging und den Inhalt über Twitter verbreitete, hat es noch keine Antwort darauf gegeben. Verschiedene soziale Bewegungen, die sich bereit erklärt haben, die Zapatistas während ihrer Reise aufzunehmen, organisieren Aktionen vor Ort überall in Europa“, berichtet Radio Dreyeckland, das freie und nichtkommerzielle Radio im Südwesten Deutschlands.


Botschaft an das Konsulat von Frankreich in Münster

Unterstützer*innen schreiben an das französische Honorarkonsulat in Münster (13. Juli 2021):

Forderung nach freiem Einreiserecht einer Delegation von indigenen Gemeinschaften aus Mexiko, hauptsächlich Zapatistas, nach Frankreich und Europa

Eine Delegation von 177 mexikanischen Staatsangehörigen, hauptsächlich aus den indigenen zapatistischen Gemeinden in Chiapas, bereitet sich seit Monaten darauf vor, nach Europa zu kommen, um sich mit Solidaritätsgruppen, Kulturvereinen, Künstler*innengruppen, Gewerkschaften, NGOs und Menschenrechtsorganisationen zu treffen.

Zwischen Juli und September 2021 sind zahlreiche Veranstaltungen geplant, bei denen ihre Anwesenheit für den Austausch über Gesundheit, Bildung, Ökologie, Gerechtigkeit, soziale Rechte und Menschenrechte äußerst wichtig ist.

Mehr als 800 Organisationen, Institutionen und Persönlichkeiten haben die Erklärung „Waiting for the Boat for Life“ unterzeichnet, in der es heißt: „Aus unseren Territorien wiederholen wir die Einladung, nach Europa zu kommen, uns zu besuchen, uns in diesen Ländern zu treffen, die nicht nur die des wilden und transnationalen Kapitals sind, sondern auch ein Gebiet, von dem aus wir dafür kämpfen, das Leben und damit die Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen“.

Angesichts der aktuellen Situation des planetarischen Schocks kommen die indigenen Gemeinschaften – darunter vor allem die zapatistische Bewegung – nach Europa, um „Treffen, Dialoge, Ideenaustausch, Erfahrungen und Analysen unter uns durchzuführen“, wie es in dem Text mit dem Titel „Eine Erklärung für das Leben“ heißt.

Diejenigen von uns, die die Zapatistas eingeladen haben, zu diesen Treffen und zum Austausch hierher zu kommen, sind der Meinung, dass der Kampf für das Leben eine Angelegenheit von lebenswichtiger Bedeutung ist, eine zwingende Angelegenheit; wenn wir nicht für das Leben kämpfen, wird es keine Zukunft geben.

Und da wir der Meinung sind, dass dieser Kampf für das Leben auch für die französische Regierung eine Priorität sein sollte, sind wir der Meinung, dass die französische Verwaltung dies als einen zwingenden Grund für die Einreise in das Land anerkennen sollte, denn die Reise dient dem Wiederaufbau eines Gefüges der Hoffnung und der Freiheit.

Wir sind der Meinung, dass die bereits organisierten Treffen, die Einladungen der Unterzeichner:innen der bereits erwähnten Erklärungen, die Einladungen derjenigen, die auch diesen Brief unterschreiben, und vor allem die Tatsache, dass die Delegation kommt, um angesichts der ökologischen und sozialen Katastrophe, in der wir leben, für das Leben zu kämpfen, das Vorhandensein eines zwingenden Grundes beweisen, der die Einreise der Delegation erlauben sollte.

Deshalb schreiben wir Ihnen, weil wir von Ihnen die Bestätigung haben möchten, dass die französische Regierung sich diesem Kampf für das Leben nicht entgegenstellen wird. Dass es keine Hindernisse oder Grenzen geben wird, die das Land der Geschwisterlichkeit, Freiheit und Gleichheit daran hindern, die natürliche Brücke der Ankunft dieser historischen Delegation zu sein, die zum ersten Mal die Stimme der ursprünglichen Bevölkerungsgruppen in den Vordergrund unserer Straßen, Theater, Universitäten und Herzen stellen wird.

Unterstützen Sie uns deshalb mit den mehr als 4000 Solidaritätsorganisationen aus aller Welt, die das Kommuniqué „Eine Erklärung für das Leben“ unterzeichnet haben, und diejenigen, die sich diesem Brief anschließen und ihn unterschrieben haben.

Wir bitten daher dringend darum: Ergreifen Sie die notwendigen Maßnahmen, damit diese Delegation aus Mexiko auf dem Luftweg in das französische Hoheitsgebiet einreisen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Gruppe B.A.S.T.A. Münster, der Vorbereitungskreis für den Besuch der Delegation der Zapatistas in Münster, Zwischenzeit e.V., Münster gazometer – Soziokultureller Kunstraum, Pilar Puertas, Duo Controviento, Isabel Lipthay, Martin Firgau, Dr. phil. Ludger Kerkeling, Kaffeekollektiv Aroma Zapatista eG Hamburg sowie hunderte Gruppen aus 30 europäischen Ländern.


Das Kommuniqué „Eine Erklärung für das Leben“

Das Kommuniqué vom 1. Januar 2021 ist der Webseite „enlacezapatista“ entnommen.

EINE ERKLÄRUNG FÜR DAS LEBEN.

Erster Januar 2021.

AN DIE PUEBLOS, DIE VÖLKER DER WELT.
AN DIE MENSCHEN, DIE IN DEN FÜNF KONTINENTEN KÄMPFEN.
GESCHWISTER UND COMPAÑER@S,

Während dieser letzten Monate haben wir mit unterschiedlichen Mitteln den Kontakt zueinander hergestellt. Wir sind Frauen, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transvestiten, Transsexuelle, Intersexuelle, Queers und mehr, Männer, Gruppen, Kollektive, Vereinigungen, Organisationen, soziale Bewegungen, Pueblos originarios/ursprüngliche Völker, Stadtteil-Zusammenschlüsse, Gemeinden und ein langes Etcetera, das uns Identität gibt.

Uns unterscheiden und uns entfernen von einander: Erden, Himmel, Berge, Täler, Steppen, Dschungel, Wüsten, Ozeane, Seen, Flüsse, Bäche, Lagunen, Ethnien, Kulturen, Sprachen, Geschichten, Alter, Geographien, sexuelle Identitäten und Nicht-Identitäten, Wurzeln, Grenzen, Organisierungsformen, soziale Klassen, Kaufkraft, gesellschaftliche Stellung, Ruhm, Popularität, followers, likes, Währungen, Schulbildung, Art und Weisen zu sein, Arbeiten, Stärken, Schwächen, die Pro, Contra, Aber, Trotzdem – Rivalitäten, Feindschaften, Konzeptionen, Argumentationen, Gegenargumentationen, Debatten, Streitigkeiten, Anzeigen, Beschuldigungen, Verachtungen, Phobien, Vorlieben, Lobpreisungen, Ablehnungen, Pfeifkonzerte, Applaudieren, Gottheiten, Dämonen, Dogmen, Ketzereien, Gefallen, Missfallen, Modi – und ein langes Etcetera, das uns unterschiedlich macht und – nicht selten – gegensätzlich.

Uns vereinen nur sehr wenige Dinge:

Dass wir uns die Schmerzen der Erde zu eigen machen: die Gewalt gegen Frauen; die Verfolgung und Verachtung der in ihrer affektiven, emotionalen, sexuellen Identität Differenten; die Vernichtung der Kindheit; der Genozid an den Originarios, den indigenen Pueblos; der Rassismus; der Militarismus; die Ausbeutung; die Zerstörung der Natur.

Die Verständigung: Der Verantwortliche für diese Schmerzen ist ein System. Den Henker stellt ein ausbeuterisches, patriarchales, pyramidenförmiges, rassistisches, räuberisches und kriminelles System dar: der Kapitalismus.

Das Wissen: Es ist nicht möglich, dieses System zu reformieren, zu erziehen, abzumildern, zurechtzufeilen, zu zähmen, zu humanisieren.

Die Verpflichtung: Zu kämpfen, überall und jederzeit – jede/r auf ihrem/seinem Gebiet – gegen dieses System – bis es vollständig zerstört ist. Das Überleben der Menschheit hängt von der Zerstörung des Kapitalismus ab. Wir ergeben uns nicht, wir verkaufen uns nicht – und wir geben nicht nach.

Die Gewissheit: Der Kampf für die Menschheit ist weltweit. So wie die laufende Zerstörung keinerlei Grenzen, Nationalitäten, Fahnen, Sprachen, Kulturen, Ethnien anerkennt, so ist der Kampf für die Menschheit überall und jederzeit.

Die Überzeugung: Es sind viele Welten, die auf der Welt leben und kämpfen. Und jeder Anspruch auf Homogenität und Hegemonie verstößt gegen die Essenz der menschlichen Wesen: ihre Freiheit. Die Gleichheit der Menschheit liegt in der Respektierung der Differenz. In ihrer Diversität liegt ihre Ähnlichkeit.

Die Erkenntnis: Nicht der Anspruch unseren Blick, unsere Schritte, unsere Begleitungen, Wege und Ziele aufzuzwingen, erlaubt es uns voranzuschreiten, sondern das Hören und Sehen des Anderen, welches – verschieden und unterschiedlich – dieselbe Bestimmung zu Freiheit und Gerechtigkeit hat.

Aufgrund dieser Übereinstimmungen – und ohne unsere Überzeugungen aufzugeben oder zu lassen, was wir sind – haben wir vereinbart:

Erstens: – Treffen, Gespräche, Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen durchzuführen – zwischen uns, die wir – von verschiedenen Konzeptionen und unterschiedlichen Terrains aus – für das Leben kämpfen. Danach wird jede/r ihren/seinen Weg fortsetzen oder nicht. Das Andere zu sehen und zu hören, wird uns vielleicht helfen auf unserem Weg – oder auch nicht. Das Andere zu kennen, ist jedoch auch Teil unseres Kampfes und Unterfangens – unserer Menschlichkeit.

Zweitens: – Diese Treffen und Aktivitäten finden auf den fünf Kontinenten statt. Auf dem europäischen Kontinent werden sie in den Monaten Juli, August, September und Oktober 2021 umgesetzt – mit der direkten Beteiligung einer mexikanischen Delegation – bestehend aus Congreso Nacional Indígena-Indigener Regierungsrat (CNI-CIG), der Frente de Pueblos en Defensa del Agua y de la Tierra de Morelos, Puebla y Tlaxcala [Zusammenschluss der Pueblos in Verteidigung von Wasser und Land in Morelos, Puebla und Tlaxcala] und der EZLN. Und zu späteren noch festzulegenden Zeitpunkten: die Realisierung von Treffen und Aktivitäten in Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika – nach unseren Möglichkeiten – zu unterstützen.

Drittens: – Diejenigen einzuladen – die die gleichen Sorgen und ähnlichen Kämpfe teilen; alle ehrlichen Menschen und alle von Unten, die in den vielen Ecken der Welt rebellieren und widerstehen – sich anzuschließen, beizutragen, zu unterstützen und an diesen Treffen und Aktivitäten teilzunehmen; und diese Erklärung FÜR DAS LEBEN zu unterschreiben und zu ihrer eigenen zu machen.

Von einer der Brücken der Würde aus – die die fünf Kontinente verbinden.

Nosotr@s – Wir.

Das Stadion hat eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung

Peter Römer referiert im Preußen-Stadion über Rassismus und Antisemitismus als Bestandteil der Fankultur

„Sport und Politik sind enger miteinander verbunden als allgemein angenommen. So haben sportliche Veranstaltungen immer auch eine symbolische und politische Bedeutung. Ein Ereignis der besonderen Art war der Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft über das legendäre ungarische Team 1954 im Finale der Weltmeisterschaft“, schrieb 2004 die Bundeszentrale für politische Bildung in der Beilage der Wochenzeitschrift „Das Parlament“. Dieses „Wunder von Bern“ ist auch für den Altenberger WM-Experten Dietrich Schulze-Marmeling ein herausragendes Ergebnis: „Bei einer WM hat es allerdings erst einmal einen richtigen Überraschungssieger gegeben: Westdeutschland 1954“, erklärte er 2006 im Gespräch mit der Zeitung „ak – analyse & kritik“. Jüngst machte das Begehren der Stadt München, beim Spiel der Nationalmannschaften von Deutschland und Ungarn das Stadion in Regenbogenfarben leuchten zu lassen, Schlagzeilen. Hintergrund zu dieser durch die UEFA verhinderten Protestaktion der Fraktionen des Rates der Stadt München war ein vom ungarischen Ministerpräsident Viktor Orban initiiertes Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen bezüglich Homosexualität und Transsexualität eingeschränkt.

Edo Schmidt, Leiter des sozialpädagogischen Fanprojekts „Fanport Münster“, begrüßte im Preußen-Stadion den Referenten Peter Römer und die Zuhörer*innen. (Fotos: Werner Szybalski)

Fußball ist für Fans ein Spiel „gut gegen böse“

Rassismus und Antisemitismus seien leider Bestandteil der Fankultur – in ihrer fankulturellen Funktion und Verwendungsweise dabei aber durchaus unterschiedlich. Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten bliebe Rassismus und Antisemitismus in heutigen Fankurven nicht unwidersprochen. Doch dachte man einige Jahre, dass die Ultra-Bewegung den Einfluss des rechten Flügels der als überaltert geltenden Hooligan-Kultur zurückdrängen würde, treffen in deutschen Fankurven inzwischen Gegensätze aufeinander. Relativ neu, so die Vorankündigung zum jüngsten Themenabend im Preußen-Stadion des Veranstalters Fanport Münster, sei dabei das öffentlichkeitswirksame Sendungsbewusstsein von rechten Hooligans. Sonst würden diese Wert auf konspirative Strukturen legen. Inzwischen träten sie aber ebenso selbstverständlich bei politischen Demonstrationen auf wie in und um die Stadien. Nicht zuletzt käme ihnen eine bedeutende Rolle im Zuge der „Querdenken“-Proteste zu.

Diese Entwicklung sollte analysiert und eingeordnet werden. „Denn was fankulturell passiert, hat eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung“, betonte Gastgeber Edo Schmidt, Leiter des sozialpädagogischen Fanprojekts Fanport Münster, in der kurzen Begrüßung des Referenten Peter Römer und der Zuhörer*innen in seinem „Wohnzimmer“, dem Block L im Preußen-Stadion.

DFB hofierte in Argentinien dem Nazi und früheren Wehrmachtoberst Rudel

Der Historiker Peter Römer, ein gebürtiger Hamburger, ehemaliger aktiver Fan des FC St. Pauli und seit 17 Jahren in Münster lebend, nahm die Zuhörer*innen mit auf eine kleine Reise durch die bundesrepublikanische Geschichte der Nationalmannschaft. Römer erinnert an das Wiedererstarken des nationalen Bewusstseins nach dem deutschen WM-Sieg in Bern, kam aber schon mit der ersten Folie auf die dunkele Seite zu sprechen. Bei der WM 1978 in Argentinien, das südamerikanische Land wurde damals seit wenigen Jahren von einer Militärjunta beherrscht, empfing die DFB-Delegation unter Leitung des Verbandspräsidenten Hermann Neuberger schon kurz nach ihrer Ankunft im Quartier in Ascochinga den früheren Wehrmachtoberst Hans-Ulrich Rudel. „Rudel, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika abgesetzt hatte und dort in einem Netzwerk alte Nazis um sich geschart hatte, die immer noch von der deutschen Weltmacht träumten und die die lateinamerikanischen Generäle darin berieten, wie man politische Gegner ausschaltet“, berichtet der Spiegel, der auch darauf verwies, dass „gleichzeitig die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann in einem Folterkeller der Junta saß, war der DFB-Spitze durchaus bekannt. Man sagte nichts, man unternahm nichts, Käsemann wurde von den Militärs umgebracht. Erst als sie tot war, erfuhr die Mannschaft davon.“

Römer verdeutlichte, dass Fußball und insbesondere die Fankultur „sich Abgrenzung definiere. Gut gegen böse“, was auch die Abwertung des Gegners beinhalte. Diese Grundstruktur sei fester Bestandteil der Fußballkultur. Fangruppen seien grundsätzlich unpolitisch gewesen, was nicht bedeutet (siehe oben) das Fußball unpolitisch gewesen sei. Nach den ersten Bundesligaskandalen und bis zur Durchkommerzialisierung des Fußballs waren die Stadien selten ausverkauft. Die Fangruppen hatten in den 80ern Platz im Stadien und zeugten sich in nicht kleinen Teilen empfänglich für stramme Organisation und abgrenzende, abwertende politische Argumentationen. Die gewaltbereite Hooliganszene, die eine dritte gewaltsame Halbzeit kultivierten, wuchs. Als die Rechten Anfang der 90er Jahre offen begannen, Migrant*innen zu jagen und sogar töteten (Rostock, Mölln, Solingen), hatten die Rechten schon einige Stadien unterwandert. Der erste große politische Akt der rechten Fußballfans ereignete sich während der Europameisterschaft 1988 – der Angriff auf die Häuser in der Hamburger Hafenstraße.

Die Tageszeitung (taz) schrieb zum nächtlichen Überfall: „Nach dem Halbfinalspiel zwischen der BRD und Holland [im Volksparkstadion] haben sogenannte Hooligans in Hamburg-St. Pauli schwere Auseinandersetzungen provoziert. Anfänglich unbehindert, stürmten in der Nacht zu Mittwoch mehr als 200 militante Fußballfans zu den ehemals besetzten Häusern in der Hafenstraße. Schon im Vorfeld der EM gab es Anzeichen für einen solchen Überfall, während des Spiels wurden im Stadion Flugblätter verteilt, die zum Sturm auf die bunten Häuser am Hafenrand aufforderten.“

Hooligan-Angriff auf die Hafenstraße – Weckruf für die Linke?

Das Antifa-Infoblatt veröffentlichte, wer für den Angriff verantwortlich war und welche Konsequenzen die Linken und Antifaschisten ziehen sollten: „Als nächstes ging es den Neonazi-Hooligans der »Borussenfront«, der »Endsieg Hertha Berlin« und aus dem HSV (Hamburg) usw. darum in der Hamburger Hafenstraße zu zeigen »wer die Herren der Straße sind«. Die einschlägigen Fußballfans sollten über, die mehr oder weniger übliche, Randale unter Fans hinaus, gegen linke Hausbesetzer*innen mobilisiert werden. Nachdem schon eine Woche vorher in verschiedenen Stadien Aufrufe dafür verteilt worden waren und das Ganze auch noch in einem vom »Stern« gemachten Interview bekannt geworden war, schafften es die Neonazis etwa 200 rechte Hooligans zu mobilisieren.

Größtenteils unbehelligt von der Hamburger Polizei, die 2500 Beamte eingesetzt hatte, zogen rechte Hooligans und Neonazis kurz vor Schluss des Halbfinales am Abend des 21. Juni 1988 nach Hamburg St. Pauli. Mit »Rotfront verrecke« Rufen zogen sie durch die Straßen, bis sie an der Hafenstraße von AntifaschistInnen gestoppt wurden. Unterstützer*innen und Bewohner*innen hatten die Drohungen ernst genommen und sich entsprechend vorbereitet. Drei Mal versuchten Neonazis und Hooligans zu stürmen, wurden aber mit massiver Gegenwehr gestoppt und verjagt. Ohne die entschlossene Selbstverteidigung der Hafenstraßen Bewohner*innen und den Unterstützer*innen wäre der Überfall auf die Häuser geglückt.

Der Einfluss der Neonazis auf die Hooligan Szene wäre bei einem erfolgreichen Angriff gestärkt worden. Wie auch immer, die Neonazis führten die Fans in eine, für viele schmerzhafte Niederlage, obwohl sie von der Hamburger Polizei schon bis an die Häuser durchgelassen worden sind. Das Signal scheint nunmehr auf ein Kräftemessen mit der Hafenstraße zu stehen. Dort ist jetzt fast jeden Samstag Alarmzustand, weil wieder irgendeine Hooligangruppe zeigen will, dass sie es schafft. Nach dem Spiel Hamburger SV gegen Bayern München am 20. August konnten 120 Hooligans von der Polizei auf dem Weg zum Hafen abgefangen werden. Doch nach der Fußball-EM gibt sich Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) zufrieden: Chaoten bleiben eine Minderheit, 22.000 eingesetzte Polizisten und 1200 Festnahmen lautet die offizielle Bilanz. Für die Regierungsparteien ist »Fußballrandale“, denn vom Einfluß der Neonazis dabei wird nicht geredet, ein sicherheitstechnisches Problem.

AntifaschistInnen und die Linke setzen dem Einfluss von Neonazis in den Stadien wenig bis gar nichts entgegen. Wir denken, dass das ein Fehler ist und wollen in dieser Ausgabe eine Auseinandersetzung über dieses Thema anfangen.“

DFB reagiert mit Trikotaktion

Peter Römer berichtete in seinem Vortrag, dass der offizielle Fußball auf die offene Rechtslastigkeit vieler Fußballfans reagierte. „Die damals weit verbreitete Kuttenkultur auf den Rängen war von Sexismus und Rassismus geprägt“, so Römer. Am Abschlussspieltag der Saison 1992 / 1993 liefen deshalb die Profiteams in der Bundesliga mit dem Trikotaufdruck „Mein Freund ist Ausländer“ auf. Doch wirklich sensibel waren die DFB-Offiziellen noch nicht geworden, denn für den 20. April 1994 – dem Geburtstag Adolf Hitlers – planten sie ein Spiel der Nationalmannschaft gegen England.

Während der DFB unter Führung ihres Vorsitzenden Egidius Braun lange die Brisanz nicht erkennen wollte, sagten die geplanten Austragungsorte München, Hannover und Hamburg ab. Berlin sollte das Spiel schließlich ausgerechnet im Olympiastadion von 1936 ausrichten. Offiziell wurden über 10.000 Rechtsradikale aus England und Deutschland und zusätzlich rechten Hools zum Spiel erwartet. 40 Gruppen aus dem linken und bürgerlichem Spektrum kündigten Demonstrationen in Berlin an. Mehr Politik rund um das Stadion ging nicht. Nach einem Anschlag auf die Geschäftsstelle des Berliner Fußballverbandes, zu dem sich eine autonome Gruppe bekannte, sagte die FA, der englische Fußballverband, die Partie endlich ab. Die Bild titelte: „Schande! Warum kuscht ihr vor den Nazis?“

Attentat auf Daniel Nivel

Ein Wendepunkt für die Hooligan-Szene war der Angriff deutscher Fans während der WM1998 in Frankreich auf den Polizisten Daniel Nivel. Er wurde am 21. Juni 1998 in Ausübung seines Dienstes von mehreren deutschen Hooligans angegriffen wurde. Als er schon wehrlos am Boden lag, schlugen und traten sie weiter auf ihn ein. Der damals 43-jährige Ehemann und zweifache Vater lag anschließend sechs Wochen im Koma. An den Folgen der Gewalttat leidet Nivel bis heute. Er ist halbseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen, auf einem Auge blind und kann nur mühsam sprechen. Sechs der Hooligans wurden später zu Haftstrafen verurteilt, einer davon wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren, berichtet wikipedia von den Geschehnissen.

Für Peter Römer hatten die Hooligans damit ihren Zenit überschritten. „Das Vakuum füllten nun die Ultras“, so Römer. Inzwischen gab es erste Zusammenschlüsse von Fangruppen, die sich auch sozial und vor allem gegen rechts engagierten. Dies sogar über die eigenen Fußballvereine hinaus. Trotzdem war und ist das Stadion überwiegend ein Ort, der von Rechten politisch genutzt wird. Die linken, autonomen Fußballanhänger eroberten sich die Ränge am Hamburger Millerntor, was natürlich auch nicht gewaltfrei gelang. Später wuchs der Faneinfluss auf den Verein FC St. Pauli, der zwar weiterhin kapitalistischen Fußball anbietet, aber vielfältige ökologische, soziale, antirassistische Projekte in die Fußballwelt einbringt.

Bei den überwiegend jungen Ultras entwickelte sich ein Teil der Gruppen nach links. Homophobie, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus wird bekämpft. Doch in vielen Stadien dominieren auch heute noch Rechte, die zunehmend auch auf der Straße gemeinsam agieren. Am Angriff auf den links dominierten Leipziger Stadtteil Connewitz am 16. Januar 2016, dem ersten Jahrestag der rechtsradikalen Legida, nahmen auch Fußballfans der Vereine Dynamo Dresden (u.a. Faust des Ostens), Lokomotive Leipzig und Hallescher FC teil. Aktuell nutzen die rechten Fußballfans auch die Proteste gegen die Coronamaßnahmen für die Mobilisierung neuer Rechter.

Abschlussfolie des Vortrages von Peter Römer.

Stadien sind politische Orte

Zum Abschluss verdeutlichte Peter Römer, dass die Stadien Anteil am Wachstums des Rechtsradikalismus in Deutschland haben. Aber es gäbe auch positive Zeichen von den Rängen, wie die Ultras mit ihrem breiten Handlungsfeldern zeigten. Sie wären „Wertewandler“ in den Fußballarenen. In der anschließenden Diskussion stellte Römer klar, dass auch der Antisemitismus in den Stadien nicht verschwunden sei. Allerdings würde weniger abwertend, sondern eher verschwörungstheoretisch gegen jüdisches Leben agiert. Edo Schmidt brachte die Rolle der Polizei in die Diskussion ein. Für Römer ein sehr differenziertes Thema, welches eine eigene Veranstaltung wert sei.

„Nazis raus“-Rufe nach rassistischer Beleidigung eines Gästespielers

Nicht thematisiert wurde das vorbildhafte Verhalten der Preußenfans im Februar vergangenen Jahres im Heimspiel gegen die Würzburger Kickers. Ein 29-jähriger Mann hatte den Würzburger Profi Leroy Kwadwo rassistisch beleidigt. Die Preußenfans zeigten dem Ordnungsdienst den Übeltäter, der diesen aus dem Stadion entfernte und ihn der Polizei übergab. Begleitet wurde dies mit lautstarken „Nazis raus“-Rufen der über 5000 Zuschauer*innen auf den Rängen. Wahrscheinlich blieb diese wehrhafte Aktion der Münsteraner Fußfans am Montagabend unerwähnt, da Münster und auch seine Fußballfans ziemlich geschlossen gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtsradikale politische Bestrebungen zusammenstehen.

Mit dieser Folie wies Peter Römer die Verbindung rechter Fans mit Coronademonstrant*innen nach. Links oben ein Banner am Kopf einer Demonstration. Später tauchte das Banner im Stadion auf.

Verstrahlt „Preußens Gloria“ den Verein?

Allerdings auch nicht thematisiert wurde der unrühmliche „Vorname“ des SC Preußen Münster 06. Angesichts der historischen Bedeutung des früheren Königreichs und späteren Freistaates in der Weimarer Republik läuft dem geschichtsbewussten Fußballfans bei den Anfeuerungsrufen „Preußen – Preußen“ im Stadion schnell ein Schauer über den Rücken. Allerdings nicht wegen dem klasse Support der Münsteraner Mannschaft durch ihre Anhänger*innen, sondern allein wegen des Vereinsnamens. Er bedeutet quasi das Gegenteil von lokalem Patriotismus, von dem der Vereinsfußball maßgeblich lebt.

Nach dem Wiener Kongress wurde durch die „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 Preußen in zehn Provinzen eingeteilt, eine davon wurde Westfalen mit der Provinzialhauptstadt Münster. In Westfalen wurden zahlreiche zuvor eigenständige Territorien mit unterschiedlichen Traditionen und Konfessionen im Königreich Preußen zwangsvereinigt. In Münster führte dies zu viel subtilem bis offenen (Kulturkampf), stark katholisch geprägten Widerstand. 1947 erklärte der Alliierte Kontrollrat Preußen für aufgelöst. Die Vereinsverantwortlichen des SCP hielten nach dem Krieg den Clubnamen fest, obwohl insbesondere die Münsteraner Poahlbürger – siehe Vereinsgründung des SC Münster 08 – bis heute ein schwieriges Verhältnis zum Verein (bedenke Stadionsituation) haben.

Die Veranstaltung mit dem Historiker Peter Römer fand im Rahmen der Ausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung“ an der Liebfrauen-Überwasserkirche statt. Am kommenden Montag, dem 5. Juli, um 19 Uhr führt der Fanport Münster im Gemeindesaal der Pfarrei Liebfrauen-Überwasser (Katthagen 2, 48143 Münster) eine Podiumsveranstaltung mit Kurzvorträgen und anschließender Diskussion unter dem Titel „Zugänge. Jüdischer Sport in Deutschland und im Münster der 1930er Jahre“ durch. Auf dem Podium werden Prof. Lorenz Peiffer (Jüdischer Sport in Deutschland – Veränderungen nach 1933), Gisela Möllenhoff (Sport im Abseits in Münster während der NS-Zeit) und Jan Becker („Spurensuche“ – ein Projekt für Schüler*innen und Jugendliche über Sport in Münster während des Nationalsozialismus) Platz nehmen. Aufgrund der begrenzten Teilnehmer*innenzahl ist eine Voranmeldung per Email erforderlich.

„Genug ist genug – Rassismus stoppen“

Clarissa Naujok demonstriert erneut vor dem Rathaus

Clarissa Naujok, 3. Stellvertretende Vorsitzende des Intergrationsrates (IR) der Stadt Münster, ist ziemlich angefressen. In einer Videokonferenz des Integrationsrates am Dienstagabend (11. Mai 2021) wurde sie von der IR-Vorsitzenden Maria Salinas, so berichten Teilnehmer*innen, erneut unter Stress gesetzt. Naujok, Mitglied der Liste „AAA – Anerkennung für alle Ausländer“ ging am Mittwochnachmittag zum zweiten Mal öffentlich vor dem Rathaus am Prinzipalmarkt gegen den Rassismus in unserer Stadt auf die Straße.

Gemeinsam demonstrierten Pauline Njang (v. l.), Sisir Gupta, Clarissa Naujok und Tony Nkemjika gegen Rassismus in Münster. (Foto: Werner Szybalski)

„Clarissa Naujok wurde gleich zu Beginn von der Vorsitzenden des Intergrationsrates mit Fragen überschüttet. Es glich eher einem Polizeiverhör“, berichtete ein*e Teilnehmer*in von der Videokonferenz einiger Mitglieder des Integrationsrates der Stadt am vergangenen Dienstagabend. Hintergrund der „Befragung“ war eine kleine Demonstration von Clarissa Naujok und ihrer Liste im April. Über die Demo hatte ich in einem Artikel im Münsterschen Online-Magazin „Die Wiedertäufer“ berichtet. Im Beitrag „Knatsch im Integrationsrat“, der am 22. April online gegangen war, berichtete ich insbesondere über den Führungsstil der neuen IR-Vorsitzenden Maria Salinas.

Ihre dritte Stellvertreterin, Clarissa Naujok, ärgerte sich sehr über die Befragung in der Videokonferenz. „Ich möchte, dass die Vorsitzende mit den drei Stellvertretern zusammenarbeitet. Dies wird uns aber von ihr verwehrt. Hinzu kommen weitere Vorfälle, die ich als Ausgrenzung empfinde“, verdeutlicht Najouk. Sogar das Wort Rassismus fiel in diesem Zusammenhang.

Zweite Demo vor dem Rathaus

Clarissa Naujok demonstrierte am Mittwoch erneut vor dem Rathaus. Auch wenn sie als Stellvertretende Vorsitzende im Mittelpunkt dieser Aktionen steht, betont Clarissa Naujok: „Beide Demonstrationen waren mit meiner Gruppe abgestimmt. Auch Jo Itor war dafür und wollte möglichst kommen.“ Dies ist Naujok wichtig, weil in der IR-Videokonferenz Maria Salinas, wie ein*e unbeteiligte Teilnehmer*in mir bestätigte, versucht hatte, die Demonstration von Clarissa Naujok als eine mit ihrer Liste nicht abgesprochene Einzeldemonstration von ihr darzustellen.

Der Gründer und Kopf der Liste „Anerkennung für alle Ausländer“, Sisir Gupta, war allerdings bei beiden Demonstrationen dabei. Dies alles, obwohl er selbst dem IR nicht mehr angehört. Auch am Mittwochnachmittag war Naujouk nicht allein mit Gupta vor dem Rathaus. Das stellvertretende IR-Mitglied Tony Nkemjika und die Nachrückerin Pauline Njang demonstrierten ebenfalls. Das IR-Mitglied Joseph Naseri Itor von der AAA-Liste war allerdings nicht da. „Er steht aber zu unserer Aktion“, versicherte Clarissa Naujok.

Schwarze Passant*innen solidarisieren sich spontan

Obwohl es der Gruppe insbesondere um ein besseres Miteinander im Integrationsrat beziehungsweise in dessen Führung geht, machten sie auf ihren Plakaten deutlich, dass Schwarze und People of Color (PoC) in Münster stark unter Rassismus zu leiden hätten. Dies drückten ihre Plakate klar aus, was dazu führte, dass sich am Mittwoch spontan Schwarze Passant*innen der Demonstration anschlossen.

„Genug ist genug – wir müssen den Rassismus stoppen“, fordert Clarissa Naujok gemeinsam mit ihrer Liste, mehr Respekt für Schwarze und PoC in Münster – insbesondere natürlich im Integrationsrat.

Eine Straße für May Ayim

Bündnis fordert Straßenbenennung in Münster

May Ayim, die 1996 in Berlin verstorbene Lyrikerin und Aktivistin für die Rechte der Schwarzen in Deutschland, wäre am vergangenen Montag 61 Jahre alt geworden. May Ayim wuchs in Münster auf und machte an der Friedensschule Abitur. Nach Studium in Regensburg und Berlin wurde May Ayim für ihre Gedichte und für ihr Engagement bei der Gründung der bundesweiten Initiative Schwarze Menschen in Deutschland bekannt.

Am Geburtstag von May Ayim startete die Gruppe May Ayim Ring gemeinsam im Bündnis mit den Zugvögeln Münster, dem Arbeitskreis Afrika (AKAFRIK), Vamos und dem Verein Grevener 31 den zweiten Versuch, eine Straße nach der Vorkämpferin für Afro-Deutsche und Schwarze in Deutschland zu benennen.

Zugvögel wollen Umbenennung des Kaiser-Wilhelm-Rings

Im Frühjahr hatten die Zugvögel Münster vorgeschlagen, den Kaiser-Wilhelm-Ring in May-Ayim-Ring umzubenennen. Diese Forderung unterstützt das Bündnis. Werner Szybalski von der Münsterliste erklärte zum Auftakt der Kundgebung an der Warendorfer Straße allerdings: „Wissend, dass es eine zielgerichtete Diskussion zur Entfernung belasteter Straßennamen in Münster gibt, möchten wir heute aufzeigen, dass wir der Ansicht sind, dass in Münster mit einem Straßennamen den Schwarzen Menschen Respekt und Anerkennung gezollt werden sollte. Uns ist wichtig, dass in der laufenden Diskussion zu Straßenumbenennungen in Münster die Schwarzen Münsteraner*innen berücksichtigt werden. May Ayim erscheint uns eine richtige Wahl. Welche Straße es nachher wird, ist dabei für uns von geringerer Bedeutung.“

Schwarze leiden unter Alltagsrassismus

Clarissa Naujok, Dritte Stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Münster, gab einen Einblick in die Lebenswirklichkeit Schwarzer Menschen in Münster: „Das Leben ist für Schwarze in unserer Stadt leider noch immer von Rassismus stark beeinträchtigt. Ich selbst erlebe dies sogar im Integrationsrat der Stadt.“ Sie unterstützt die öffentliche Ehrung von May Ayim durch eine Straßenbenennung, weil es auch ein Zeichen zur Anerkennung der Lebensleistung Schwarzer in Deutschland sei.

Mit der kolonialer Vergangenheit auseinandersetzen

Thomas Siepelmeyer vom Arbeitskreis Afrika verband die vielen rassistischen Erfahrungen Schwarzer in Münster mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus. Es würde viel zu viel an Militaristen und Kolonialisten als an die Opfer gedacht. Dies gelte auch für Denkmäler und Straßennamen.

Die Zugvögel Münster, Initiator*innen der Umbenennung des Kaiser-Wilhelm-Rings, verdeutlichten: „Wir fordern, dass sich die Stadt Münster umfassend mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinander setzt und diese aktiv aufarbeitet.“

Unrast-Verlag veröffentlicht Werke von und über May Ayim

Die Auftaktveranstaltung am Kaiser-Wilhelm-Ring wurde mit Livemusik von Fari Hadipour und Daniel eingerahmt. Im Münsteraner Unrast-Verlag werden im August Werke von May Ayim, darunter auch „Blues in Schwarz weiß“ neu aufgelegt. Auch ein biographisches Buch über May Ayim, herausgegeben von Ika Hügel-Marshall, soll im Sommer erscheinen.