Münster könnte Vorzeigestadt werden

Ergebnis der Bundestagswahl vom 23. Februar stärkt den ländlichen Raum

Von Werner Szybalski

Wenig überraschend erreichte die CDU bei der vorgezogenen Bundestagswahl die meisten Stimmen aller Parteien. Dies im Bund, in Nordrhein-Westfalen aber nicht in Münster. Trotzdem könnte durch die drei westfälischen Christdemokraten Friedrich Merz (Sauerland), dem designierten zukünftigen Bundeskanzler, dem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (Paderborn) und dem Atomkraftbefürworter Jens Spahn (Borken) aus dem westlichen Münsterland, die alle drei Führungsaufgaben in der Bundesrepublik übernehmen dürften, in Zeiten globaler Krisen die Bundesregierung provinzieller sein wird. Davon dürfte auch die ehemalige Provinzialhauptstadt Münster profitieren, denn in der konservativen, schwarz-grünen und noch immer katholischen Stadt ticken die Uhren so, wie sich die drei genannten CDU-Politiker es sich für die Zukunft wünschen dürften. Münster könnte die Vorzeigestadt für die CDU werden, obwohl die Christdemokraten nur auf Rang zwei in der Domstadt stehen.

Großstadt zu sein, aber eher ländlich strukturiert – der Wandel der vergangenen Jahrzehnte ist in Münster kaum zu spüren. Zwar gab es positive, zukunftsgewandte Veränderungen; doch alles dauert in der Domstadt ewig lange. Ein gutes Beispiel ist die Anerkennung des preußischen Fußballclubs durch die Stadtoberen. Es hat rund 100 Jahre gedauert, bis endlich auch Poahlbürger rund um den Prinzipalmarkt sich hinter den Verein stellten, was sich aktuell durch den Ausbau des LVM-Preußenstadions an der Hammer Straße offen zeigt. Zudem gibt es in Münster einzelne soziale (Münster-Pass, MünsterAbo), ökologische (Rieselfelder, Umwelthaus) und kulturelle (Skulptur Projekte, Freie Szene) Entscheidungen, die einen Blick in die Zukunft erlauben. Allerdings dienen sie auch dazu, den Einwohner*innen ein ruhiges Gewissen zu bereiten und sie so weiterhin gut schlafen zu lassen.

In Westfalen ist es ruhig, aber weltweit wird gezündelt oder brennt es schon

Es ist nicht überall in der Welt so ruhig wie an der Aa beziehungsweise zwischen dem Kahlen Asten und Ibbenbüren sowie zwischen Höxter und Bocholt. Putin, Netanjahu, Xi Jinping und nicht zuletzt Trump machen die Welt gewaltsamer und damit natürlich auch erheblich unsicherer. Ob da ein provinzieller Kanzler aus dem Sauerland in einem zudem nach rechts driftendem Europa in der Lage ist, eine der größten Volkswirtschaften weltweit politisch so zu führen, dass zukünftig Deutschland gehört wird?

Angesichts des Wahlergebnisses vom 23. Februar 2025 ist damit zu rechnen, dass es Friedrich Merz tatsächlich schafft, sich schnell zum deutschen Bundeskanzler wählen zu lassen. Schließlich kommt, da Merz offensichtlich weiterhin kein festes Bündnis mit den teilweise rechtsradikalen Abgeordneten der AfD eingehen will, nur die gescheiterte SPD als Koalitionspartner in Frage. Angesichts ihrer Schwächen, sowohl im Wahlergebnis als auch im Personal, wird die Klingbeil-SPD nicht zu viele Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung machen.

Schwarz-rot muss es richten

Die Neuauflage der schwarz-roten Koalition wird ohne Ex-Kanzlerin Angela Merkel und Ex-Kanzler Olaf Scholz trotzdem innenpolitisch den Merkel-Kurs fahren müssen. Schließlich wird der Kanzler außenpolitisch extrem gefordert sein, so dass die Reste des ehemaligen stolzen Polittankers deutsche Sozialdemokratie sich, trotz der möglichen Übernahme des Außenministeriums durch die SPD, schwerpunktmäßig mit sozialer Politik befassen kann. Unterstützt durch die gestärkte linke Fraktion im Bundestag könnte so unter anderem der Mietendeckel und auch das Deutschland-Ticket verlängert werden. Selbst die Anhebung des Mindestlohns ist nicht unwahrscheinlich. Offen bleibt die Androhung von Kürzungen beim Bürgergeld, dass vermutlich aber nur einen neuen Namen bekommen dürfte.

Durch Trennung von Sicherheits- und Migrationspolitik die AfD bekämpfen

Befreit von den migrationsfeindlichen Parteien FDP und BSW, die beide an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, kann Merz nun durch eine klare Trennung von Sicherheits- und Migrationspolitik, auch bei leider nicht unwahrscheinlichen zukünftigen Attentaten auch von Menschen mit Migrationsvorgeschichte, daran gehen, seinen alten Plan „Halbierung der AfD“ in die Praxis umzusetzen. Dazu muss er nur die schon sehr restriktive EU-Migrationspolitik fortführen und zukünftig keine Wolkenkuckucksheime (per Dekret Grenzen schließen, Abschiebekandidat*innen verhaften oder Menschenrechte außer Kraft setzen) mehr bauen.

In der Steuerpolitik, die Vorschläge im Wahlkampf nahm praktisch niemand ernst, und der Wirtschaftspolitik werden die von Trump geplanten Einfuhrsteuern und die Lockerung der Schuldenbremse die Agenda bestimmen. Im verbalen Kampf gegen Windkraftanlagen wird sich der Bundeskanzler Friedrich Merz vermutlich am NRW-Ministerpräsidenten Wüst orientieren, so dass die Energiepolitik der Ampel fortgesetzt wird, auch wenn an einzelnen Gesetzen (Heizungsgesetz) optisch manipuliert werden wird.

Junge Menschen entdecken wieder ihr soziales Gewissen

Hoffnung macht, dass bei den jüngsten Wähler*innen, wie übrigens auch überwiegend bei den U18-Wahlen an den Schulen in Münster und NRW die Linke die meisten Stimmen erhält. Die Partei selbst, wie auch die meisten Wahlanalytiker, führt dies darauf zurück, dass sie einen konsequenten Wahlkampf mit sozial Themen (Mietendeckel, Mehrwertsteueraus für Grundnahrungsmitte, „Milliardäre abschaffen“) geführt hat. Auch war sie die einzige Partei, die konsequent ohne Migrantenhetze Wahlkampf betrieb.

Gefahren drohen durch die Merz-Regierung aber auch

Die größte Gefahr dürfte in der Schwäche von Friedrich Merz liegen, der zu oft impulsiv agiert. Aufreger – insbesondere auf dem internationalen Parkett – wird es für den im Regieren völlig unerfahrenen Sauerländer genügend geben. Auch könnte die zukünftige militärische Unterstützung der Ukraine durch Merz beängstigend werden. Zudem ist Merz kein Hoffnungsträger für die Bedrohung der Palästinenser*innen durch Israel und Trump und der Kurd*innen durch Erdogan und den möglichen Abzug der US-Militärs aus Nordost-Syrien. Innenpolitisch dürfte das Kabinett Merz vor allem finanziell den unteren Mittelstand sowie Länder und Kommunen schröpfen. Und als größtes Schreckgespenst geistert die mögliche Ernennung eine Verkehrsministers aus den Reihen der CSU durch die Republik.

Zweiter Aufschlag von Münster Cares

Demonstration anlässlich der 93. Gesundheitsminister*innenkonferenz

Am Mittwoch, dem 16. Juni, gehen die Beschäftigten in der Pflege von 17 Uhr bis 20 Uhr (Start auf dem Schlossplatz) zum zweiten Mal in Münster auf die Straße. An diesem Tag findet auch die Konferenz der Gesundheitsminister*innen der Bundesländer statt. Diese diskutiert regelmäßig die aktuellen Belange des Gesundheitssystems. „In der Regel sitzen in den Rängen der Minister*innen keine Pflegenden. Es ist daher davon auszugehen, dass unsere Belange und Forderungen kaum Beachtung finden werden. Dabei wissen wir längst, dass eine Reform überfällig ist“, heißt es im Facebook-Aufruf von Münster Cares zur Demonstration.

Die lokale Gruppe MünsterCares demonstrierte erstmals Mitte Mai in Münster. Statt der erwarteten 200 Teilnehmer*innen nahmen über 1000 Menschen an der Kundgebung teil. „Wir haben uns sehr gefreut, dass so viele da waren.“ Vorstandsfrau Lisa Schlagheck von Münster Cares zeigte sich im Gespräch nach der Demo rundum zufrieden. Münster Cares entstand am Universitätsklinikum. Immer mehr Beschäftigte aus verschiedenen Pflegeeinrichtungen in der Stadt schlossen sich zusammen. Sie eint, dass sie die Zustände in der Pflege für dringend reformbedürftig erachten. „Wir sind offen für jede Pflegekraft“, betonte Lisa Schlagheck.

„Die Pflege steht mit dem Rücken zur Wand“

Doch nicht der eigene Verein steht im Zentrum der aktuellen Arbeit: „Wir wollen jede Berufsgruppe in der Pflege vertreten und engagieren uns für Verbesserungen. Der Hauptansprechpartner für uns ist aber zunächst die Lokalpolitik.“ Hoffnungen setzt Lisa Schlagheck auch auf die vermutlich im Frühjahr 2022 mit der Arbeit beginnende Pflegekammer NRW. Die Mitglieder von Münster Cares treten für bessere Bedingungen in ihren Berufen, für ihre und die Gesundheit ihrer Patient*innen ein.

Am Mittwoch, dem 16. Juni, demonstriert Münster Cares für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. (Fotos: Werner Szybalski)

„Wir sind nicht mehr bereit dieses krankende System mitzutragen! Weiteres Zögern und Hadern können wir uns nicht erlauben. Die Pflege steht mit dem Rücken zur Wand. Viele verlassen den Beruf vorzeitig, da sie keine Perspektiven mehr sehen, dass sich beizeiten etwas ändert. Der Politik sind die Probleme geläufig. Studien bezüglich steigender nosokomialen Infektionen und Todeszahlen liegen den gewählten Vertretern vor. Der demografische Wandel droht mittlerweile aus nicht mehr allzu weiter Ferne. Fakten und Prognosen, die für die Zukunft der Pflege ein düsteres Bild aufzeigen, werden bewusst nicht beachtet“, heißt es auf der Webseite von Münster Cares.

Das vergangene Jahr habe deutlich gemacht, dass die Politik aus eigener Intention den Pflegenden nicht helfen werde. Gesundheitsminister Jens Spahn wird heftig kritisiert: „[Er habe sich] während seiner Amtszeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Da wäre die erst vor wenigen Wochen auf den Weg gebrachte »Pflegereform« zu nennen. Wohl eher ein Reförmchen, dass den Namen Reform nicht verdient hat. Die Altenpflege wird endlich nach Tarif entlohnt. Zahlen sollen dass die Kinderlosen, wobei der Staat das Ganze gnädigerweise bezuschusst. Die Pflegenden in der Krankenhäusern klammert die Reform fast zur Gänze aus. Für sie wird sich nicht großartig etwas ändern. Herrn Spahn lässt das scheinbar unberührt, er schwimmt weiter auf der Welle des Erfolgs. Der zuletzt aufkommende Maskenskandal kommt da höchst ungelegen.“

Minderwertige Masken an Behinderte und Obdachlose austeilen zu wollen, macht die Wertschätzung des Ministers bezüglich seiner Wähler und Wählerinnen deutlich

Münster Cares


Unter anderem hatte das Magazin „Der Spiegel“ vor einer Woche publik gemacht, dass das Gesundheitsministerium im vergangenen Jahr geplant hatte, von ihm erworbene minderwertige Masken an Behinderte und Obdachlose austeilen zu wollen. Für Münster Cares macht dies die Wertschätzung des Ministers bezüglich seiner Wähler und Wählerinnen deutlich.

Es sei allgemein bekannt, dass das deutsche Gesundheitsystem auf einen Zusammenbruch zusteuere. Expert*innen prognostizierten, dass in knapp zehn Jahren 500.000 Pflegende fehlen würden. Zudem überlege ein Drittel aller Pflegekräfte in den nächsten zwölf Monaten aus dem Beruf auszusteigen. Derzeit kämen in Deutschland rund 13 Patient*innen auf eine Pflegekraft. Damit wäre Deutschland Schlusslicht im internationalen Ranking. Zudem steige die Mortalität der Patienten, je schlechter der Personalschlüssel ist, beklagt Münster Cares und verlangt: „Es reicht! Wir fordern eine Reform des Gesundheitssystems durch Abkehr vom derzeitigen profitorientierten System!“

Gesundheitssystem ist reformbedürftig

Das deutsche Gesundheitssystem sei reformbedürftig. Es setze zudem falsche Anreize – sei vor allem auf Profitsteigerung ausgerichtet. Münster Cares fordert eine Abkehr vom derzeitigen System (unter anderem vom Fallpauschalen gemäß DRG [Diagnosis Related Group]). Über Jahrzehnte wären finanzielle Fehlanreize bei den Klinikbetreiber*innen und Arbeitgeber*innen gesetzt worden. Die Liegezeiten der Patient*innen wurden verkürzt und immer weniger Pflegende mussten sich um immer mehr Patient*innen kümmern. Die Folge sei eine chronische Überlastung der Pflegekräfte und eine schlechtere Versorgung der Patient*innen gewesen.

Angemessene Entlohnung für alle Pflegekräfte

Münster Cares fordert ein sofort greifendes Pflegepersonalbemessungsinstrument in Kombination mit Pflegepersonaluntergrenzen. Ein solches System müsse sich am tatsächlichen Pflegebedarf der Patient*innen orientieren. Die geltenden, beinahe willkürlich beschlossenen Pflegepersonaluntergrenzen (PpUGV) müssten anhand wissenschaftlicher Fakten hochgesetzt und für alle Pflegebereiche verbindlich sein. Nichteinhaltung müsse zwingend durch Anpassungen der Elektiv- und Bettenplanung sanktioniert werden. Monetäre Sanktionen seien für die Mitglieder von Münster Cares nicht zielführend, weshalb sie verbindliche und reduzierte Arbeitszeiten fordern. Diese seien notwendig, um den Pflegeberuf zu stärken und das System vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Die Einführung einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich würde eine Reallohnerhöhung darstellen. Außerdem brauche es Verbindlichkeit bei der Dienstplansicherheit. Pflegende hätten ein Recht auf geregelte Pläne und freie Tage. Den Pflegenotstand zu kompensieren, sei nicht die Aufgabe der einzelnen Pflegekraft.

„Wir fordern eine Professionalisierung unseres Berufes durch eine Berufsordnung sowie ein Register beruflich Pflegender“, heißt es auf der Münster-Cares-Webseite: „Wir rufen Pflegende auf, sich mit uns zu verbünden und für eine Professionalisierung unseres Berufes zu kämpfen.“ Die Qualität der Versorgung solle beispielsweise durch eine Bundespflegekammer und eine Weiterbildungsordnung sichergestellt werden. Dabei sei die Ausbildung besonders wichtig: „Auszubildende haben ein Recht auf eine qualifizierte Anleitung und Betreuung. Der derzeitige Pflegenotstand verlockt Arbeitgeber schnell dazu, die Auszubildenden als Hilfskräfte einzusetzen. Darunter leidet die Qualität ihrer Ausbildung. Die gesetzlich vorgeschriebene Praxisanleitungszeit muss daher von den Arbeitgebern gewährleistet werden. Eine Nichteinhaltung muss durch Reduktion der Bettenbelegung sanktioniert werden.“

Einstiegsgehalt solle auf brutto 4000 Euro betragen

Wir fordern eine angemessene Entlohnung für alle hochqualifizierten Pflegekräfte! Schichtdienst ist unattraktiv und macht krank. Um das auszugleichen, brauche es für Nacht- und Sonntagsdienste eine Zusatzvergütung von 100 Prozent. Dies sei in der Wirtschaft üblich. Das Einstiegsgehalt solle auf brutto 4000 Euro angehoben werden, um die hohe Verantwortung im Portemonnaie der Beschäftigten widerzuspiegeln. Zusatzqualifikationen sollten zudem monetär belohnt werden. „Diese Veränderungen können unserem Beruf zu der Attraktivität verhelfen, die er so zwingend benötigt. Jede*r Bürger*in Deutschlands ist auf ein stabiles Gesundheitssystem angewiesen und verdient eine gute, menschenwürdige Pflege. Wir von Münster Cares sind bereit für unsere Forderungen laut zu werden, und zwar so lange bis wir von der Politik gehört werden!“, heißt es im Demonstrationsaufruf.