Solidarität mit den bedrohten Afghan*innen

Spontandemonstration mit 150 Teilnehmer*innen vor dem Rathaus in Münster

Während sich in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, schreckliche Szenen insbesondere am Flughafen abspielen, wo unzählige Einheimische aus Furcht vor den Taliban das Land verlassen wollen, versammelten sich am späten Montagnachmittag rund 150 Münsteraner*innen vor dem Rathaus auf dem Prinzipalmarkt. Sie zeigten sich mit den von der zu erwartenden Taliban-Herrschaft bedrohten Menschen solidarisch und verurteilten die zögerliche Politik des Westens.

Besonders hart wird es Frauen, LGBTQIA+-, Künstler*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen treffen. Sie haben unsere ganze Solidrität!

Seebrücke Münster

„Unser Herz zerreißt bei dem Gedanken, was auf die Menschen in Afghanistan zukommen wird. Besonders hart wird es Frauen, LGBTQIA+-, Künstlerinnen, Journalistinnen, Aktivist*innen treffen. Sie haben unsere ganze Solidrität!“ Vertreter*innen mehrerer lokaler Organisationen, darunter die Seebrücke, Eklat, Verein für politische Flüchtlinge, Iraner*innen in Münster und Kurd*innen kamen zusammen, um gegen die Taliban und auch die westlichen Regierungen zu demonstrieren.

„Sicher ist“, so ein Redner, dass „die Taliban […] einen theokratischen-islamistischen Unstaat an[streben]. Offen bleibt, ob eher nach dem Modell des IS oder des iranischen Regimes. Es sind die Taliban, die im Stadion Kabuls massenweise vor vollen Rängen Menschen hinrichten und foltern ließen und Menschen vor laufender Kamera köpften. Es sind die Taliban, die tausende Frauen als Sklav*innen verkauften und ihren Vergewaltigern überließen, die Frauen aus dem öffentlichen Leben und Bildung ausschlossen und zur Vollverschleierung verpflichteten.“

Bekämpfung des Islamismus nie ganz ernst gemeint

Entgegen der wohl vorherrschenden linken Meinung, so ein Redner, müssten die „islamischen Kräfte mit den bewaffneten Mitteln liberaler Demokratien bekämpft werden. […] Die militärische Präsenz in Afghanistan hat sehr wohl bisher die sich nun ereignende Katastrophe zumindest aufgehalten.“ Wie im Kampf gegen den Faschismus würden die bürgerlichen Demokratien es auch mit dem Kampf gegen Islamismus nie ganz ernst meinen. „Der Kampf gegen Islamismus scheint so lange ein Anliegen zu sein, bis er unmittelbar auf die Eindämmung der Folgen für das eigene Land abzielt: Darum, das Islamismus als erstes die Menschen vor Ort unterdrückt und mordet, geht es meist nur sehr nebensächlich; in Afghanistan waren die Kräfte des Krieges gegen den Terror oft genug bereit, mit Jihadisten zu kooperieren“, hieß es auf der Demonstration.

Olaf Götze sang ein persisches Lied. (Fotos: Werner Szybalski)

Anarchistische Gruppen wie die Federation of Anarchism Era hätten Recht, wenn sie erklärten: „Der Staat wird nicht der Retter des Volkes sein. Die Menschen haben zu den Waffen gegriffen, um sich gegen die Taliban und die alptraumhafte Zukunft eines fundamentalistischenStaates zu wehren.“ Die Vereinigten Staaten hätten im Rahmen ihrer Doktrin der „Aufstandsbekämpfung“ alle autonomen Gruppen unterdrückt. So habe sich keine Gegenmacht von unten aufbauen können, die zumindest die Möglichkeit des Selbstschutzes und der Selbstbestimmung der Menschen ermöglichen könne.

Auch das Handeln beziehungsweise die Unterlassungen der deutschen Regierung wurden kritisiert. Vor wenigen Tagen wollte der Innenminister Seehofer noch Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben. Nun warnt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vor neuen Flüchtlingsströmen, die Deutschland nicht aufnehmen dürfe. Die Demonstrant*innen in Münster hatten eine völlig andere Auffassung als der Bundeskanzlerkandidat der Unionsparteien. Sie zeigten sich mit allen Geflüchteten solidarisch.

Zum Abschluss der Demonstration trug ein Kurde ein selbtverfasstes Lied mit dem Titel „Freiheit“ vor.

Rund 150 Münsteraner*innen kamen zur spontanen Solidaritätskundgebung mit den bedrohten Menschen in Afghanistan.

Vom Flüchtlingsmädchen zur Olympionikin

„Spuck die Trauer aus“ ist auf Deutsch erschienen

Münster (SMS). Wie fühlt es sich an, sein Heimatland verlassen zu müssen, weil dort Krieg und Gewalt herrschen? Wie übersteht man die Flucht? Wie fasst man Fuß in einer fremden Welt und verwirklicht dort seine Ziele? All diese Themen umfasst das Kinder- und Jugendbuch „Spuck´ die Trauer aus“, das vor wenigen Wochen auf Deutsch erschienen ist. Es hat auch durch das Engagement der Ausländerbehörde seinen Weg nach Münster gefunden.

Bewegende Geschichte über Flucht und Neuanfang

Die Hauptfigur ist Noura, die aus Syrien über den Balkan nach Deutschland flieht und in ihrer neuen Heimat eine erfolgreiche Olympia-Schwimmerin wird. „Noura erzählt von ihren Gedanken, Ängsten und Sorgen, aber auch von ihren Strategien, Rückschläge zu überwinden und dem Ungewissen zu begegnen“, so Migrationsdezernentin Christine Zeller in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe.

„Uns hatten die in Münster lebenden Griechen Dr. Paraskevi Toma und Orestis Kazasidis auf die bewegende Erzählung aufmerksam gemacht“, sagt Helga Sonntag, Leiterin der Ausländerbehörde. Denn die Geschichte hat ursprünglich die griechische Autorin Marietta Kondou verfasst. Sie wurde zunächst ins Arabische übersetzt, um damit junge Menschen in den Flüchtlingslagern Griechenlands zu erreichen.

Die Projektinitiative „Mut machen“ holte die Bücher 2018 nach Münster. In Workshops halfen sie arabischsprachigen Kindern und Jugendlichen dabei, sich mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte zu befassen – zum Beispiel in Feriensprachkursen.  Aber auch deutschsprachige Kinder waren sehr interessiert an der Erzählung über Flucht und Zerstörung, Mut und Talent: Die jetzt zehnjährige Charlotte hatte als Grundschülerin an einer mehrsprachigen Lesung aus dem Buch teilgenommen – und fragte danach nach einer vollständigen Übersetzung ins Deutsche, um sich in die Geschichte vertiefen zu können. „Das hat uns alle sehr berührt“, sagt Paraskevi Toma.

Private Spenden und kommunale Zuschüsse sichern kostenfreie Verteilung an Schülerinnen und Schüler

Mittlerweile besucht Charlotte die fünfte Klasse und hält ein druckfrisches Exemplar von „Spuck´ die Trauer aus“ in den Händen. Dr. Nikola Moustakis vom Centrum für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums (GKM) der Westfälischen Wilhelms-Universität hat die Geschichte übersetzt, die Autorin Marion Bischoff den Text lektoriert. „Finanziert wurden die Bücher mit privaten Spenden, Zuschüssen des Integrationsrates der Stadt Münster und des Kommunalen Integrationszentrums sowie mit Beiträgen von Migrantenvereinen“, sagt Helga Sonntag, deren Behörde sich ebenfalls in der Initiative „Mut machen“ engagiert. In Münster werden die Exemplare kostenfrei an Kinder und Jugendliche verteilt, die an Workshops des Projekts teilnehmen.

Die Geschichte des Mädchen Noura hat einen realen Hintergrund: Sie ist angelehnt an das Schicksal der mittlerweile 23-jährigen Schwimmerin Yusra Mardini. Auf ihrer Flucht übers Mittelmeer im Jahr 2015 sprang sie ins Wasser, um das Boot stabil zu halten. Und schon 2016 war sie in Rio de Janeiro Mitglied des Olympischen Teams der Flüchtlingsathleten.

Auch Noura schafft es, ihr großes Talent im Schwimmen in Deutschland weiterzuverfolgen – dabei helfen ihr ihre eigene Beharrlichkeit, aber auch ihr Trainer, ihre Eltern, Freunde und ihre Schwester. „Oft genug wäre es auf ihrer Reise einfach gewesen, Ideale über Bord zu werfen und an den Widrigkeiten der Flucht zu scheitern“, betont Christine Zeller in ihrem Vorwort. „Aber Nouras Geschichte zeigt uns auch, wie wichtig es ist, nicht auf sich allein gestellt zu sein, den Alltag mit anderen zu teilen und von Menschen unterstützt zu werden.“

Foto oben: Die zehnjährige Charlotte gab die Anregung, das Kinder- und Jugendbuch „Spuck die Trauer aus“ auch auf Deutsch lesen zu können. Nun hält sie ein druckfrisches Exemplar der übersetzten Ausgabe in den Händen. (Foto: Privat)