Erste Bahnsteiggespräche am 17. Juni

Münsterland-Tour des neuen Pro Bahn MSL-Vorsitzenden

Der regionalen Fahrgastverbandes Pro Bahn Münsterland hat einen neuen Vorsitzenden. Der fast 64-jährige Münsteraner Werner Szybalski, Politikwissenschaftler (M.A.), Journalist und langjähriger Aktivist unter anderem im Bereich Verkehrswende, geht am Dienstag, dem 17. Juni 2025, auf Schienentour durchs Münsterland. Dabei möchte er die neue Struktur von Pro Bahn im Münsterland und die teilweise Jahrzehnte alten noch immer unerfüllten, aber auch neue, teilweise revolutionäre Verbesserungen gegenüber Medien und zufälligen Bahnsteiggästen kund tun.

Karte mit dem Streckenverlauf den der neue Pro Bahn-Vorsitzende im Münsterland, Werner Szybalski, am kommenden Dienstag nehmen wird. (Grafik: openstreetmap.org, Bearbeitung: Pro Bahn Münsterland)

Ein Tag im Zug und auf dem Bahnsteig

Los geht es um 9 Uhr in Coesfeld, von wo es über Münster nach Burgsteinfurt (Ankunft: 10.41 Uhr) geht, wo der Pro Bahn-Vorsitzende im Münsterland in den Bus (Schienenersatzverkehr bis Gronau) einsteigen muss. Auf Gleis 1 wird Werner Szybalski gegen zwanzig vor zwölf eintreffen. Nach dem Mittag (12.22 Uhr) reist er mit dem RB 51 nach Lünen und von dort wieder zurück nach Münster. Dort steht er von halb vier an auf Gleis 17 fast eine Stunde bereit, Anregungen zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) anzunehmen, Fragen von interessierten Bahnnutzer:innen und natürlich der Presse zu beantworten. Vielleicht ist zeitlich auch ein kurzes Gespräch mit der so wichtigen Bahnhofsmission möglich.

Über Warendorf (Bahnsteiggespräche auf Gleis 1 zwischen 16.50 Uhr und 17.53 Uhr), Rheda und Hamm geht es zurück nach Münster, wo Werner Szybalski ab 19:48 Uhr für eine Dreiviertelstunde auf Gleis 12 für Gespräche bereit steht. Über Osnabrück, erstmals an diesem Tage fährt er nicht mit einer Regionalbahn sondern mit dem Regionalexpress 2, mit 40-minutigem Aufenthalt ab 21:10 Uhr fährt er mit dem RE 62 zum Abschluss der Bahnsteiggespräche nach Rheine, wo er von 22.18 Uhr bis 22:53 auf Gleis 3 sein wird.

15 Stunden Bahnsteig-Speeddating und entspannte Gespräche im Zug

Zurück in Münster hat der Vorsitzende für die Befahrung dieser Strecke – es fehlen ihm nach rund 15 Stunden in Zügen und auf Bahnsteigen nur die Verbindungen von Haltern über Dülmen nach Münster sowie die drei Stichbahnen nach Coesfeld, Borken und Bocholt und aus dem VRR-Gebiet. Dabei wird Werner Szybalski nur mit Bahnen im öffentlichen Besitz (DB Regio AG NRW und Niedersachsen sowie Eurobahn) unterwegs sein.

Der Fahrplan ist ambitioniert, denn trotz guter Vorbereitung müssen die Nahverkehrszüge auch tatsächlich relativ pünktlich verkehren, damit die Bahnsteiggespräche auch funktionieren können.

Der Öffentlichen Verkehr auf der Schiene muss ab morgen die Zukunft gehören

In einer Zeit in der täglich beim Wetter der Einfluss des Klimawandels zu spüren ist, muss ohne wenn und aber die erste Priorität beim Nachhaltigsten aller Verkehrsträger, dem elektrischen Schienenverkehr, liegen. „Die Diskussionen über Technikoffenheit sind schön, sicherlich auch vielfach profitabel umzusetzen, aber für den Schutz unserer natürlichen Umwelt und damit des gesamten Planeten eine Katastrophe. Niemand, zumindest bei Pro Bahn ist das so, will zurück in die vorindustrielle Zeit, aber für etwas Zeitgewinn und höhere Mobilität unsere Lebensgrundlagen gefährden, ist sicherlich der falsche Weg“, begründet Werner Szybalski sein Engagement für den schienengebundenen Verkehr als uneingeschränkter und mit allen Privilegien auszustattenden Verkehrsträger Nummer eins.

Dabei ist ihm die Fahrgastperspektive die wichtigste aller Blickwinkel auf Planung und Betrieb des Öffentlichen Verkehrs, der zudem von den Menschen vor Ort direkt kontrolliert und deren Entscheidungen in Fahrgastforen und in Fahrgastbeiräten mitgeprägt werden müssen. Der Fernverkehr kann aus der Ferne gemanagt werden, „der Nahverkehr müsse aus der Nähe geplant, unterhalten und betrieben werden“, betonte der Pro Bahner.

Vorbild für Werner Szybalski: Die kommunale Bentheimer Eisenbahn AG mit eigenen Fahrzeugen, eigener Strecke und eigenem Bahnhöfen – hier im Bild der Bahnhof Nordhorn, 2023 von der Allianz pro Schiene als „Bahnhof des Jahres“ ausgezeichnet.. (Fotos: Werner Szybalski)

Übernahme von Nebenstrecken durch Land oder Kommunen

Dabei ist Pro Bahn – auch bundesweit – ganz wichtig, dass die häufig, wie zum Beispiel die Strecke von Münster über Warendorf – in Landes-, Stadtregions- oder kommunaler Hand kommt. Idealerweise fahren dann dort die Züge im zeitlich überschaubaren Nahverkehrsumlauf, um wieder so pünktlich wie früher sprichwörtlich die Bahn war oder heute noch in der Schweiz ist. „Die Bentheimer Eisenbahn AG, ein Unternehmen im Kreisbesitz, ist das große Vorbild in der erweiterten Region. Sie haben ihre Strecke modernisiert, bundesweit geehrte Bahnhöfe errichtet und den Zugverkehr von Bad Bentheim zukünftig sogar bis nach den Niederlanden durch die Grafschaft höchst erfolgreich reaktiviert. Da kann sich ganz Westfalen etwas abschauen und vielfach sogar einfach nachmachen“, erklärte Szybalski, der Projekte in allen Kreisen und in Münster vorantreiben will. Dazu gründet Pro Bahn Münsterland die Arbeitsgruppe „RB Münsterland“, die alle Projekte bewerben will und Öffentlichkeit für nachhaltigen SPNV im Münsterland schaffen will. Sie ist offen für alle interessierten Menschen und tritt erstmals an Fronleichnam (Donnerstag, 19. Juni 2025) von 17 Uhr bis 19 Uhr im Umwelthaus (Zumsandestraße 15 in 48145 Münster) zusammen.

Unterstützung und Begleitung

Werner Szybalski wird in verschiedenen Orten von Pro Bahn- Mitgliedern aus seinem eigen Verband, zum Beispiel Margarete Jungkamp in Gronau oder durch seinen Vorgänger Franz Maxwill in Warendorf, unterstützt. Auch Menschen aus den angrenzenden Pro Bahn-Regionen, Südwestniedersachsen, Ruhr und Ostwestfalen sowie von der Straßenbahninitiative Osnabrück Auch Fabian Wittke, Stellvertretender Vorsitzender des mit Pro Bahn im Münsterland verbundenen Verkehrsclub Deutschland, wird Szybalski auf einem längeren Teil seines Weges begleiten.

Führungswechsel beim Fahrgastverband Pro Bahn Münsterland: Nachfolger Werner Szybalski (r.) aus Münster bedankte sich bei Franz Maxwill aus Everswinkel der mehrere Dekaden den Regionalverband leitete.

Anregungen und Themen für die Bahnsteiggespräche und als Arbeitsaufträge für die Arbeitsgruppe „RB Münsterland“ von Pro Bahn Münsterland können an sofort als Mail geschickt werden.

Transparenzhinweis: Der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn Münsterland, Werner Szybalski, ist Betreiber dieser Webseite und Herausgeber des Selfprint-Lokalmagazins VIELFALT! Das bunte Münster sowie der Stadtbahn, die regionale Zeitschrift für den öffentlichen Verkehr.

Münster glänzt grundlos

Greenpeace-Studie sieht Öffentlichen Verkehr in der Domstadt deutschlandweit auf Rang vier

Der aktuelle Greenpeace-Städtevergleich „Verspätete Abfahrt“, der Anfang März veröffentlicht wurde, zeigt, dass in den beiden vergangenen Jahren das ÖPNV-Angebot in den deutschen Städten sich allerdings in nur lediglich zehn der 30 größten Kommunen unwesentlich verbessert hat. Teilweise wurde das Angebot mit Bus & Bahn sogar bis zu sieben Prozent gekürzt. Wie Greenpeace schreibt, müsse, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, das ÖPNV-Angebot pro Jahr um mindestens 4,5 Prozent wachsen. Diesen Wert erreichte im Untersuchungszeitraum nur die sächsische Metropole Leipzig . Die laut Greenpeace von Bund und Ländern angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 erfordere sogar ein jährliches Wachstum von acht Prozent, was von keiner der untersuchten Städte erreicht wurde.

„Eine Großstadt ohne gutes Bus- und Bahnangebot ist keine. Der ÖPNV ist das Rückgrat eines sauberen, klimaschonenden Verkehrs, doch in den meisten Städten steht der Ausbau auf der Kriechspur. Viele streichen sogar Verbindungen und zwingen Menschen so zurück ins Auto. Lebenswerte Städte brauchen attraktiven, klimafreundlichen Nahverkehr.

Lena Donat, Greenpeace-Verkehrsexpertin

In Münster sei das ÖPNV-Angebot zwischen 2023 und 2025 um knapp vier Prozent gewachsen, stellt die Studie fest. Damit liegt die westfälische Domstadt im Vergleich mit den 30 anderen untersuchten Städten zwar auf dem vierten Platz, doch Greenpeace merkt kritisch an: „Historisch betrachtet wurde das Angebot jedoch nicht ausgeweitet, die Stadt hat lediglich versucht, auf das Angebotsniveau von 2019 zurückzukehren. Seit der Corona-Pandemie haben die Stadtwerke mit Personalproblemen zu kämpfen und mussten den 20-Minuten-Takt auf einen 30-Minuten-Takt reduzieren und ganze Buslinien streichen. Seit 2023 wird das Angebot schrittweise wieder hochgefahren, ohne das 2019er Niveau bislang zu erreichen.“

Greenpeace will mehr und besseren ÖPNV

Bleibt also nicht allein, aber auch in Münster, deren Anteil des ÖPNV am Modal Split, der Fahrtenverteilung in der Stadt, zudem deutlich unter einem Anteil von zehn Prozent der Wege liegt, sehr viel zu tun, wenn der Öffentliche Verkehr die Verkehrswende miteinläuten soll. „Der öffentliche Nahverkehr ermöglicht soziale Teilhabe, steigert die Lebensqualität und schützt das Klima“, steigert die Lebensqualität und schützt das Klima, betont Greenpeace und stellt begleitend zur Studie Forderungen auf:

  • Der Bund soll gemeinsam mit den Ländern einen mit Maßnahmen, Zwischenzielen und Finanzierungszusagen hinterlegten Fahrplan zur Fahrgastverdoppelung bis 2030 erarbeiten und die Finanzierung des ÖPNV massiv aufstocken. Mehr Mittel sind nötig, um den Betrieb zu sichern, den Ausbau voranzutreiben und genügend Fachkräfte mit attraktiven Arbeitsbedingungen zu gewinnen.
  • Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land erfordern einen attraktiven, barrierefreien ÖPNV als echte Alternative zum Auto. Der Bund sollte in Absprache mit Ländern, Kommunen und der Öffentlichkeit einen bundesweiten Mindeststandard festlegen. Wir brauchen verlässliche Verbindungen mindestens alle zehn Minuten in der Stadt, alle 30 Minuten auf dem Land. Von früh bis spät, auch an Wochenenden.
  • Das Deutschlandticket bringt Rückenwind für den Nahverkehr. Es muss langfristig gesichert werden und für alle bezahlbar sein: Mit kostenlosen Tickets für Kinder und Jugendliche werden Familien entlastet. Ein bundesweites Sozialticket für maximal 19 Euro erlaubt allen Menschen Teilhabe und Mobilität. Um die Verkehrswende voranzubringen, sollte der reguläre Preis für das Deutschlandticket 29 Euro betragen.
Demonstration für einen effektiven ÖPNV im Dezember 2024 in Berlin. (Foto: © greenpeace.de)

VCD Münsterland will schnellere Busse

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat schon vor einiger Zeit deutlich gemacht, was in Münster passieren muss, da die zu langsamen Busse, sie erreichen statt der in Großstädten grundsätzlich angestrebten Reisegeschwindigkeit von 25 km/h in der Domstadt lediglich Geschwindigkeit von durchschnittlich 15 bis 17 Stundenkilometer. „Leider ist die Durchschnittsgeschwindigkeit der Busse in Münster in den letzten Jahren immer geringer geworden“, erklärte Anfang Februar Thomas Lins, Vorsitzender des VCD im Münsterland, „denn der überbordende KFZ-Verkehr bremst auch den Bus aus.“ Da haben die unter anderem vom VCD erkämpften Busspuren, die in den vergangenen Jahren in der Innenstadt errichtet wurden, zwar für Verbesserungen gesorgt, aber mitnichten Abhilfe bei dem Grundproblem geschaffen.

Thomas Lins forderte konkret: „Das bedeutet Busspuren, wo es möglich ist; Ampelschaltungen, die dem Bus freie Vorfahrt gewähren; dort, wo kein Platz für Busspuren ist, möglicherweise Einbahnstraßenregelungen für den motorisierten Individualverkehr; Buchten für den Lieferverkehr, damit Paketdienste und Lieferwagen den Bus nicht ausbremsen.“

Alternative zu Bus und Auto ist der SPNV

Die erfolgreiche, kommunale Eisenbahn im Kreis Bentheim könnte einen Weg für den Stadt-Land-Pendelverkehr rund um Münster aufzeigen. (Foto: Werner Szybalski)

Die Alternative zu Bus und PKW könnte der Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) im Münsterland sein. Eine Arbeitsgruppe des Fahrgastverbandes Pro Bahn Münsterland sitzt aktuell an einem Forderungskatalog für eine Machbarkeitsstudie zur Reaktivierung der Straßenbahn in Münster. Die Wiederbelebung der Straßenbahn würde zwar einige Jahre dauern, so ein Vertreter von Pro Bahn, aber wäre „vermutlich leichter und schneller umzusetzen, als die von der Kommunalpolitik des Münsterlandes erhoffte, beziehungsweise besser erträumte, Verwirklichung der S-Bahn Münsterland.“

Von der auch in der Greenpeace-Studie die Rede. Sie würde zügig auf vorhandenen Schienen an allen Staus vorbeifahren. Doch der Pro-Bahner meint: „Wir sehen an der verschleppten Reaktivierung der WLE oder verzögerten Sicherung der Bahntrasse zwischen Münster und Warendorf das mit der DB im Nahverkehr nicht wirklich zu rechnen ist. Deshalb muss intensiv über Straßenbahnen in Münster, Stadtbahnen in die Fläche und eine eigene kommunale oder stadtregionsweite Regionalbahn in Eigenregie nachgedacht werden. Strecken dafür, zum Beispiel nach Coesfeld, Gronau oder Warendorf gibt es genügend, um einen effektiven, kostengünstigen SPNV anzubieten.“

„§§ 218 und 219 müssen weg“

Amtsgericht Coesfeld verurteilt Gynäkologen Detlef Merchel – 3000 € Geldstrafe

Am Donnerstag (20. Mai 2021) musste sich der Nottulner Gynäkologe Detlef Merchel vor dem Amtsgericht Coesfeld für seine aufklärerischen Informationen auf der Webseite seiner Praxis zum Schwangerschaftsabbruch verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf dem Arzt, der in seiner Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, vor, mit den Information über die von ihm angewandten Methoden gegen den § 219a des Strafgesetzbuches (Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) zu verstoßen. „Früher durfte ich informieren, aber nicht schreiben, dass ich es mache. Heute darf ich schreiben, dass ich es mache, aber nicht informieren“, zitieren die Westfälischen Nachrichten den Frauenarzt, der sich mit dieser Situation nicht zufrieden gibt. Deshalb lehnte er die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen ab – er wollte ein Urteil. Dieses bekam er. 20 Tagessätze à 150 Euro, also 3000 Euro, soll Detlef Merchel zahlen. Ob er und sein Münsteraner Anwalt Wilhelm Achelpöhler das Urteil akzeptieren, entscheidet sich in der Woche nach Pfingsten.

Solidarität mit Merchel – 70 Demonstrant*innen vor dem Amtsgericht

Gynäkologe Detlef Merchel aus Nottuln.

Rund 70 Menschen versammelten sich am Donnerstagvormittag schon eineinhalb Stunden vor Prozessbeginn vor dem Amtsgericht Coesfeld, um ihre Solidarität mit Detlef Merchel zu bekunden und um für die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219 StGB zu demonstrieren.

Detlef Merchel freute sich über die breite Unterstützung. Unter anderem das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Die Linke Coesfeld, Frauen e.V. Kreis Coesfeld, pro familia Münster (und aus anderen Orten), die Grünen Nottuln, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF), die Jungen Liberalen Münster, die Kritischen Mediziner*innen Münster und viele Feminist*innen zeigten in Coesfeld Flagge.

In den Redebeiträgen vor dem Amtsgericht wurde von Vertreterinnen aus Politik und Praxis die Existenz des § 219a StGB deutlich kritisiert wurde. Dessen Abschaffung wurde von der Demonstration gefordert. Viele juristische, medizinische und feministische Organisationen möchten das Verbot über die angebotene medizinische Leistung des Schwangerschaftsabbruchs und die zur Anwendung kommenden Methoden zu informieren, gekippt wissen. Redner*innen dankten Detlef Merchel und auch den in anderweitigen Verfahren verfolgten Ärztinnen Kristina Hänel und Bettina Gaber für ihren Mut und ihre Zivilcourage. Beide standen schon wegen einer §219a-Anklage vor Gericht. Auch sie wurden verurteilt, kämpfen aber auch juristisch noch weiter.

Weg mit dem § 219a, damit Schwangere sich informieren bekommen, wurde in Coesfeld gefordert. (Fotos: Werner Szybalski)

Verfassungsbeschwerde ist in Karlsruhe eingereicht

Kristina Hänel, die ebenfalls wegen § 219a verurteilt wurde und gegen den Paragraphen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht hat, ließ in Coesfeld ein Grußwort verlesen. „Unfassbar“ sei es, so Hänel, dass Mediziner*innen in Deutschland von hohen Geldstrafen und sogar Gefängnis bedroht seien, nur weil sie nach ihrem Berufsverständnis und Ethos handelten und ihrem Aufklärungsauftrag nachkämen.

Vertreterinnen von pro familia berichteten von den negativen Folgen des Gesetzes für die Beratungspraxis: Immer weniger Ärzt*innen erklärten sich bereit, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, und Patient*innen könnten sich nicht gut informieren.

Die grüne Landtagsabgeordnete Josefine Paul aus Münster und Sonja Krämer-Gembalczyk vom Kreisverband der Linken in Coesfeld sprachen sich auf der Kundgebung für die Streichung des § 219a StGB aus.

Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a.

Christine Schmidt, Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster

Für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster kritisiert Sprecherin Christine Schmidt das Coesfelder Urteil: „Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a. Es wird Zeit, das Klima der Stigmatisierung, die Kriminalisierung des Abbruchs und die schlechte Versorgungslage zu beenden. Dafür demonstrieren wir nicht nur hier in Coesfeld, sondern notfalls auch in Karlsruhe.“

Auf dem Radweg vor dem Amtsgericht versammelten sich die Demonstrant*innen.

Berufung oder Revision ist möglich

„Wir haben noch nicht entschieden, ob wir Berufung oder Revision beantragen werden. Wahrscheinlich legen wir aber zunächst Rechtsmittel ein, um so die Zeit für die einzureichende Begründung hinzuzugewinnen“, erklärte mir gegenüber der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler. Er hatte in der Verhandlung damit argumentiert, dass „Verbreitung der Wahrheit nicht bestraft werden kann.“ Schließlich sei die Kenntnis der Wahrheit die Voraussetzung von Freiheit. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssten ungewollt schwangere Frauen die Möglichkeit zur Information haben. Anders könnten diesee ihr Persönlichkeitsrecht, zu dem auch die Durchführung eines nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruchs gehöre, kaum wahrnehmen.

Die Berliner Tageszeitung „taz“ schrieb zum Prozess in Coesfeld: „Mit dem Urteil folgt das Gericht im Münsterland der Linie von zwei Urteilen höherer Instanzen in Berlin und Frankfurt / Main aus jüngerer Vergangenheit. Die dortigen Rich­te­r*in­nen hatten bejaht, dass Ärz­t*in­nen nach Paragraf 219a verbotene „Werbung“ betreiben, wenn sie auf ihrer Homepage mitteilen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, darüber hinaus aber auch weiterführende Informationen liefern. Ersteres ist seit der Reform des Paragrafen im Jahr 2019 erlaubt, letzteres nicht.

Beim Verfahren gegen die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber hatten die Worte „medikamentös“ und „narkosefrei“ als solch eine zusätzliche Information für eine Verurteilung gereicht. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte im Revisionsverfahren gegen die Ärztin Kristina Hänel, dass nach der Reform des Paragrafen 219a solche sachlichen Informationen nicht mehr gestattet seien.

„150 Jahre Widerstand gegen § 218“

Rund 200 Demonstrant*innen beim „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“

Am Samstagnachmittag demonstrierten rund 200 Menschen auf der Stubengasse in Münster für die Abschaffung des § 218 StGB und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Uterus. Eingeladen hatte das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, zu dem unter anderem die SPD Münster, die Grünen Münster, die Linke Münster, die Jusos Münster, der SDS Münster, Kaktus Münster, die Linksjugend Münster, die FDP Münster, die Münsterliste, der DGB Stadtverband Münster, der GEW Stadtverband Münster, Frauen helfen Frauen e.V., der Deutscher Ärztinnenbund Gruppe Münster, der pro familia Landesverband NRW, die Kritischen Jurist*innen Münster, der Lesbische Kulturverein Livas e.V. , der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V., der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten Landesverband NRW, der Tierrechtstreff und Fossil Free Münster sowie Cinema & Kurbelkiste Münster gehören.

In den Redebeiträgen der Vertreter*innen des Bündnisses und von pro familia, Volt Grünen, Linken und Jungen Liberalen wurde die Liberalisierung und auch die Entkriminalisierung gefordert. Mehrere Rednerinnen verwiesen auf eine humanere Lösung in anderen EU-Staaten. Insbesondere die Niederlande wurden als fortschrifttlicher und auch als Beispiel für Deutschland angeführt. Die Liedsängerin Hanna Meyerholz rahmte die Redebeiträge ein.

Rund 200 Demonstrant*innen versammelten sich am Samstag auf der Stubengasse in Münster, um gegen den § 218 StGB und für Selbstbestimmung einzutreten. (Fotos: Werner Szybalski)

Aktionen in 40 Städten

Münster war am Samstag Teil eines bundesweiten Aktionstages anlässlich der eher traurigen Anlasses „150 Jahre § 218“. Am 15. Mai 1871 wurden die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Reichsstrafgesetzbuch verankeret. Noch heute, Generationen später, sind Schwangerschaftsabbrüche nach §218 StGB eine Straftat, die in Deutschland nur bei bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich strafrechtlich nicht verfolgt werden.

„Die Regelung im Strafgesetzbuch entmündigt Betroffene und verweigert ihnen eine würdevolle, selbstbestimmte Entscheidung. Auch die medizinische Versorgungssituation wird immer kritischer, da immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ärzt*innen dürfen zudem auf ihren Websites nicht ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, weil der Paragraf 219a StGB dies verbietet. Wir rufen die Politik auf, die Streichung von § 218, § 219 und § 219a aus dem Strafgesetzbuch und eine Neuregelung des Rechts auf einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch in ihren Wahlprogrammen zu verankern“, verdeutlicht das Bündnis auf ihrer Webseite.

Vor der Kundgebung hatten Passant*innen die Gelegenheit sich auf Schautafeln historische Fakten über 150 Jahre Widerstand gegen § 218 zu informieren. Die aussagekräftigen Tafeln beleuchteten den Eingriff in die Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das NS-Regime, die DDR bis hin zur Neureglung der gesetzlichen Grundlage der Abtreibung in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Schautafeln standen den Passant*innen auf der Stubengasse zur Verfügung, um sich bei einem Gallery Walk über 150 Jahre Widerstand zu informieren.

§ 219a bringt Nottulner Gynäkologe vor Gericht

Am Donnerstag, dem 20. Mai, verhandelt das Amtsgerichts Coesfeld über einen Verstoß gegen den § 219a StGB, der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe stellt. Der Staat will Menschen, die „Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs“ öffentlich bewerben mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestrafen. Auch der Hinweis „auf Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind“ kann so bestraft werden. Der praktizierende Gynäkologe Dr. Detlef Merchel will dieses Verfahren, weshalb er auch vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung unterstützt wird.

Solidaritätskundgebung am Donnerstag in Coesfeld

Die Münsteraner*innen rufen zur Solidaritätskundgebung auf: „Wie zahlreiche Ärzt*innen vor ihm ist nun auch der in Nottuln praktizierende Gynäkologe Dr. Detlef Merchel wegen Verstoßes gegen § 219 a angeklagt. Und das nur, weil er auf seiner Website seine Patient*innen darüber informiert, mit welchen Methoden und unter welchen Bedingungen er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Am Donnerstag, den 20.05. findet vormittags am Amtsgericht Coesfeld die Verhandlung statt. Wir vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung veranstalten ab 9.30 Uhr vor dem Amtsgericht Coesfeld eine Solidaritätskundgebung.  
Der Prozess ist eine große Ungerechtigkeit und ein weiterer Beweis, dass der § 219a das Leben von Ärzt*innen und Patient*innen schwerer macht. Immer weniger Mediziner*innen entschieden sich dafür, einen Abbruch anzubieten, weil sie Angst haben müssen, verklagt zu werden – und ungewollt Schwangeren ist es verwehrt, sich eigenständig zu informieren. 
Daher werden wir Dr. Merchel mit unserer Kundgebung unsere Solidarität ausdrücken. Lasst und gemeinsam einmal mehr die Abschaffung des § 219a fordern!“