Umverteilung des Reichtums – Butter statt Kanonen

Christoph Butterwegge liest in Münster

Warum nimmt die soziale Ungleichheit seit Jahren zu? Welche Rolle spielen dabei Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen? Mit welchen Narrativen werden die beträchtlichen Einkommens- und Vermögensunterschiede gerechtfertigt?

Christoph Butterwegge beleuchtet bei der Lesung im Bennohaus in Münster die Politik der Bundesregierungen und fragt, weshalb sich die Kluft zwischen Arm und Reich nach der „Zeitenwende“ und zusätzlichen Rüstungsanstrengungen weiter vertieft. Er nimmt den Niedriglohnsektor, den „Um-“ beziehungsweise Abbau des Sozialstaates sowie die Steuerentlastungen für Wohlhabende in den Blick. Wie lässt sich die Entwicklung aufhalten und verhindern, dass die Reichen noch reicher und die Armen noch zahlreicher werden?

Der Praxis der Umverteilung von Unten nach Oben setzt Butterwegge eine Rückverteilung des Reichtums entgegen. Neben einer stärkeren Tarifbindung, einem Verbot prekärer Beschäftigung sowie höheren Besitz-, Kapital- oder Gewinnsteuern ist für den auch als Armuts- und Reichtumsforscher bekannten gebürtigen Albersloher die Umgestaltung des bestehenden Wirtschaftssystems nötig.

Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch, dem 22. Januar 2025, um 15.30 Uhr und ist kostenfrei. Der Veranstaltungsort ist barrierefrei erreichbar. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

2025 wird es in Deutschland kälter

Kanzler Scholz beendet Ampel-Regierung – Bundestagsneuwahlen am 23. Februar 2025

Dieser Beitrag erscheint in der Sperre, Ausgabe Winter 2024, die Anfang Dezember kostenfrei in Münster verteilt wird.

Kamala Harris und mit ihr die Linksliberalen in den USA sind krachend gescheitert. Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück. Er wird in seiner zweiten Amtszeit die Welt mehr verändern, als es ihm in der ersten Präsidentschaft von 2017 bis 2021 gelang. Neben der Beschleunigung des Klimawandels werden die Leidtragenden dieses erneuten Politikwechsels in Washington in den USA insbesondere die Migrant*innen und zudem die wirtschaftlich benachteiligten Menschen sein, in Europa die Ukrainer*innen insbesondere in den östlichen Landesteilen und im Nahen Osten die Palästinenser*innen. Zudem wird die produzierende Wirtschaft außerhalb der USA Probleme mit dem Absatz ihrer Güter bekommen. Nach dem Zusammenbruch der Ampel in Berlin droht nun im Windschatten des Rechtsrucks in den USA sowie der EU auch in Deutschland ein Politikwechsel.

Bemerkenswert ist, dass die Regierung bei der Aufstellung des Haushaltes vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung in der Koalition gescheitert ist. Wie seiner Zeit Bundeskanzler Gerhard Schröder, der auf eine verlorene Wahl in Nordrhein-Westfalen zu Neuwahlen im Bund blies, hat auch Olaf Scholz mit der Wahl in den USA einen äußeren Anlass zur Beendigung der Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gewählt. Dabei lässt sich der noch amtierende Kanzler – anders als sein sozialdemokratischer Vorgänger – nicht von seinen individuellen Vorstellungen blenden, sondern sieht in der vorgezogenen Neuwahl mit von ihm gesetzten Themen seine letzte Chance.

Wirtschaft und Finanzen im Zentrum der Bundestagswahl

Olaf Scholz ist überzeugt, dass er für eine arbeitsplatz- und exportorientierte Wirtschaft steht und zudem als ehemaliger Finanzminister unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel für kreative Finanzwirtschaft prädestiniert ist. So wie er 2021 mit der Betonung des Respektes voreinander den Ton der Zeit traf, glaubt der gebürtige Osnabrücker nun mit Wirtschaft und Finanzen punkten zu können. Die Chancen, dass diese Themen den Wahlkampf dominieren werden, sind nicht schlecht, denn neben Scholz und seiner SPD dürfte auch CDU-Gegenkandidat Friedrich Merz, ehemaliger Deutschlandrepräsentant des weltgrößten in New York ansässigen Vermögensverwalters BlackRock, und die Christdemokraten sowie der entlassene FDP-Finanzminister Christian Lindner, der nach der Neuwahl in neuer Koalition wieder Finanzminister werden will, mit diesen Themen punkten wollen. Auch der grüne Frontmann, Wirtschaftsminister Robert Habeck, setzt schon von seiner bisherigen Regierungstätigkeit in Berlin her auf das Thema Wirtschaft. Dabei dürfte bei den Grünen, wie schon nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, der Schutz des Klimas, der Natur und der Umwelt in den Hintergrund rücken. Bleibt schließlich die Frage, was bedeutet dieser Wahlkampf und schließlich sein wahrscheinlicher Ausgang mit einer von Merz geführten Koalition für das Soziale?

FDP als Zünglein an der Waage

Die Reichen und insbesondere die Superreichen, die schon von der Trump-Wahl und der neuen rechtsgerichteten EU-Kommission stark profitieren, werden zweifelsfrei die Wahlsieger sein. Die CDU und die CSU in Bayern werden gemeinsam die meisten Stimmen bekommen und damit die führende Kraft in der zukünftigen Bundesregierung sein. Gut für vermögende Menschen – schlecht für die Öffentliche Infrastruktur, für die Kommunen, für die finanziell nicht privilegierte untere Hälfte der Bevölkerung sowie für das Klima.

Die Sozialdemokraten werden nach der Wahl zerrissen sein, denn die Machtorientierten werden in die Merz-Regierung drängen, während Sozis mit sozialem Gewissen in die Opposition wollen und vielleicht sogar gemeinsam mit Linken, Ökolog*innen, Rentner*innen, Bürgergeldempfänger*innen und den prekär im Niedriglohnsektor beschäftigten Menschen auf der Straße demonstrieren.

Die FDP wird alles versuchen, Leihstimmen der CDU zu ergattern, um so in den Bundestag zurückzukehren und wieder das Zünglein an der politischen Waage Bundesregierung zu sein. Mit ihrem Programm erreichen die deutschen Liberalen nur ein oder zwei Prozent der Menschen, weshalb die fehlenden drei Prozent mit Wahlversprechen gegenüber Wähler*innen anderer Parteien – insbesondere bei CDU und CSU – geholt werden müssen. Spricht sich Merz für eine Koalition mit der FDP aus, dürfte die Strategie erfolgreich sein.

Die Grünen regieren, wo sie können. Egal, ob als chancenloser Kanzlerkandidat oder als Spitzenkandidat seiner Partei wird Robert Habeck einen Wahlkampf führen, der die Grünen als „Partei der Mitte“ präsentiert. So behalten sie alle Optionen offen, wobei sie vermutlich nur in der vor sieben Jahren durch Lindner gescheiterten „Jamaika-Koalition“ eine echte Regierungs- und Machtoption besitzen. Ihren ehemaligen Markenkern Ökologie und Nachhaltigkeit werden sie unter dem Schlagwort „Grüner Kapitalismus“ und der Forderung nach mehr individueller Selbstverantwortung tarnen. Ob es zur Regierungsbeteiligung reicht, hängt aber allein vom Vertrauen und damit Wahlverhalten ihrer zuletzt ständig und auf allen politischen Ebenen enttäuschten Stammklientel ab.

AfD wird nur von Linken und Sahra Wagenknecht bekämpft werden

Auch die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ hat ihren Markenkern durch den aktuellen Regierungssturz in Berlin und die Entwicklungen in Brüssel und Washington verloren. Migration ist im nach rechts wandernden Europa nur noch ein Sicherheitsthema an den Grenzen der Vereinigung. Zwar werden die Rechten weiterhin die massenhafte Ausweisung aller oder vieler zugewanderter Menschen propagieren, doch die von Scholz, Merz, Lidner und Habeck gesetzten Wahlkampfschwerpunkte Wirtschaft und Finanzen wird den nächsten Wahlerfolg der AfD verhindern.

Bekämpfen werden die AfD im Wahlkampf lediglich die vom Untergang bedrohten Mitglieder der Linkspartei sowie die ehemaligen Linken in der Wagenknecht-Gruppierung. Parteigründerin Sahra Wagenknecht und ihre Gefolgschaft haben durch Trumps Sieg ihre bisherige Erfolgsstrategie Friedenspolitik und damit auch ihr Alleinstellungsmerkmal verloren, da die Ukraine im nächsten Jahr von der Trump-Administration in den USA in einen Waffenstillstand gezwungen werden wird. Bleibt auch den Links-Abtrünnigen nur im Wahlkampf der Versuch, dass lediglich von kleinen Teilen der SPD und den Grünen bearbeitete Feld der sozialen Gerechtigkeit erfolgreich zu besetzen. Den angeblich woken Linksliberalismus zu bekämpfen, wird kein Wahlkampfhit von Wagenknecht, da alle Ausgegrenzten, Diffamierten und Abgehängten im kommenden Wahlkampf von allen oben genannten Parteien links liegen gelassen werden.

Linkes Potential ist aktuell begrenzt

Bei Wahlen in Deutschland dürfte zur Zeit das Potential für linke Wirtschafts- und Sozialpolitik bei rund neun Prozent liegen. Ob nun die einen sechs (Wagenknechte) und die anderen (Linkspartei) drei oder beide nur jeweils 4,5 Prozent bekommen, hängt einerseits vom Wahlverhalten der links fühlenden Stammwähler*innen von SPD und Grünen ab und andererseits von der Schwerpunktsetzung der beiden um linke Wähler*innen konkurrierenden Parteien. Weder AfD noch BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) werden außerhalb der migrationsfeindlichen Wähler*innengruppe mit dem Thema Zuwanderung beziehungsweise Abschiebung punkten können. Die Linke muss sich deshalb grundsätzlich nur in Abgrenzung zum BSW und zur AfD mit Migration im Wahlkampf beschäftigen. Zentral wird im linken Wahlkampf, wie es mit der sozialen Absicherung in Deutschland weitergeht? Diese Frage müssen Linke im Wahlkampfes überzeugend beantworten, wenn im nächsten Bundestag noch Parlamentarier*innen sitzen wollen, die sich um die untere Hälfte der Gesellschaft und deren Überleben kümmern möchten. Angesichts dieser aufgezeigten Perspektiven zur vorgezogenen Bundestagswahl, ist aber schon jetzt klar: Es wird in Deutschland klimatisch wärmer und sozial kälter werden.

Straßenbahn für Münster

Ende Oktober lud Pro Bahn Münsterland zur Auftaktveranstaltung zur Wiedereinführung der Straßenbahn in Münster. Mit rund 40 interessierten Schienenfreund*innen diskutierte Wolfgang Seyfert von der Straßenbahninitiative Osnabrück in der B-Side am Stadthafen in Münster die Perspektiven für den schienengebunden Nahverkehr in Städten und speziell in Osnabrück und Münster.

Zuvor hatte im Stadthaus 3 am Albersloher Weg Werner Szybalski vom Pro-Bahn-Vorstand im Münsterland vor dem Hintergrund der restaurierten „Elektrischen“, wie die Straßenbahn von den Münsteraner*innen genannt worden war, über die gut 50-jährige Geschichte der Tram in der Domstadt informiert. Vor genau 70 Jahren (siehe unten) endete die Geschichte der Tram in Münster – allerdings nur vorläufig, wenn auf die Meinung der Teilnehmer*innen der Pro-Bahn-Veranstaltung gehört wird.

In Osnabrück wäre die Wiederbelebung der Tram machbar

Der Rat der Stadt Osnabrück hatte eine Machbarkeitsstudie für die Reaktivierung der Tram in Auftrag gegeben. Dies allerdings nur, weil die Straßenbahn-Initiative Osnabrück (SBI) zuvor rund 5000 Unterstützer*innenunterschriften für die Wiedereinführung der Tram in Osnabrück gesammelt hatte. Das 80.000 Euro teure Gutachten des Dresdener Planungsbüros VKT stellte die SBI-Mitglieder zufrieden, denn es bescheinigte ihnen, dass es durchaus realistische Perspektiven für die Renaissance des Schienenverkehrs in Osnabrück gibt.

„Die Straßenbahn allein ist nicht die Lösung, aber sie ist die Königin der Mobilität“, unterstrich der emeritierte Professor Wolfgang Seyfert aus Osnabrück gleich zu Beginn seines Vortrages. Zunächst verglich er die verkehrliche Situation zwischen Münster und Osnabrück, die überraschend viele Parallelen ausweise. So sind im Vergleich mit gleichgroßen deutschen Städte Münster und Osnabrück bei der Verkehrswegenutzung (Modalsplit) beide Schlusslicht in den Bereichen Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und Fußverkehr.

Wolfgang Seyfert von der Stadtbahn-Initiative Osnabrück warb bei Pro Bahn Münsterland für ein Revival der Straßenbahn in Münster. Foto: Wolfgang Bensberg

Seyfert hielt fest, dass es Münster ganz gut gelingt, den motorisierten Individualverkehr (Autos) einzuschränken, um aber kritisch erklärend für die genannten Schlusslichtpositionen der benachbarten Orte anzumerken: „Bei Städten der Größe von Münster und Osnabrück brauchen Fußgänger*in einen gut funktionierenden ÖPNV. Die Städte mit hohem ÖPNV-Anteil haben eine Tram.“

Renaissance der Straßenbahn in Frankreich

In französischsprachigen Städten erlebt die Tram ab den 80er Jahren des vergangenen Jahrhundert eine Renaissance. Seyfert: „1971 waren in Frankreich nur noch drei kleine Tramsysteme übrig: in Saint-Étienne, drei Kilometer Strecke in Marseille und in Lille.“ 1975 erfolgte die Cavaillé-Initiative. Marcel Cavaillé, Staatssekretärs im Verkehrsministerium in Paris, forderte in einem Brief die Stadtverwaltungen von Bordeaux, Grenoble, Nancy, Nice, Rouen, Strasbourg, Toulon and Toulouse auf, Konzepte für ihren Stadtverkehr zu entwickeln. „Alle Cavaillé-Städte – bis auf Toulon – haben heute eine Tram. Toulouse baut gerade. Viele andere, auch die ganz großen wie Paris, Marseille und Lyon setzen inzwischen auf die Tram. Spät, aber umfassenden kam der Umschwung in Bordeaux. Die Stadt wurde vom Nachzügler zum Vorreiter in Sachen Straßenbahn und Stadtentwicklung. So gelang der Wandel von einer etwas heruntergekommenen Hafenstadt zum Weltkulturerbe in 2007“, erläuterte Seyfert, der anschließend ein Beispiel aus seiner Geburtsheimat vortrug.

Optimaler Planungsprozess in Calgary

In Ulm sollte die letzte 5,5 Kilometer lange Straßenbahnstrecke 1975 still gelegt werden. Dies wurde durch Proteste der Bürger*innen verhindert. Später konnte diese Tramlinie verlängert werden und zwischen 2025 und 2018 wurde eine zweite Linie gebaut. „Heute sorgen rund 50 Prozent aller Fahrgäste auf den nur zwei Straßenbahnlinien dafür, dass in Ulm die Tram das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs bildet“, berichtete der Osnabrücker.

Calgary im südlichen Kanada, das Zentrum der kanadischen Öl- und Gasindustrie mit über 1,6 Millionen Einwohner*innen. „Das 2005 gestartete Projekt Imagine Calgary, war eine umfassende kommunale Visions- und strategische Planungsinitiative, die die langfristige Entwicklung von Calgary beeinflussen sollte“, verdeutlichte Seyfert, dass dieser Planungsprozess aus seiner Sicht optimal verlaufen sei: „Das vermutlich breiteste Beteiligungsverfahren weltweit. In 18 Monaten, von 2005 bis 2007, waren 18.000 Bürger*innen am Verfahren beteiligt.“ Mit einem Planungshorizont von 50 bis 100 Jahren wurde die gesamte Stadtentwicklung entlang von festgelegten Verkehrskorridoren, die schon ab Baubeginn mit öffentlichen Verkehr bedient wurden, geplant. „Dabei ist die Tram das Rückgrat und die letzte Stufe der Verkehrsplanung. Weil so jede neue Bahn sofort ziemlich voll war, blieben die Betriebskosten der Tram pro Passagier von Beginn an niedrig bei einem Sechstel der Betriebskosten eines Busses.

Zürich kämpft für Tram und Fahrrad

Die Züricher*innen lieben ihre Straßenbahn, berichtete Wolfgang Seyfert. Drei Mal (1960 mit 70 Prozent, 1962 mit 63 Prozent und 1973 mit 71 Prozent) lehnten sie in Volksabstimmungen die Verlegung der Tram in den Untergrund ab und 2020 stimmten sie für ein 130 Kilometer langes Velovorzugsroutennetz in der Stadt. „Viel mehr geht nicht“, so Seyfert.

Letzte Fahrt vor 70 Jahren

Genau vor 70 Jahren, am Donnerstag, dem 25. November 1954, fuhr die Straßenbahn letztmalig durch Münster. Das Ende nach nur 53 Jahren kam nicht überraschend. Schon gut ein Jahr zuvor musste im Oktober die Linie 2 auf der Warendorfer Straße aufgegeben werden. Die Gleise waren, vermutlich wegen eines nicht ausreichend gefüllten Bombenkraters unter der Straße, abgesackt, so dass die Tram nicht mehr fahren konnte. Schon direkt nach dem Krieg hatte ein externer Gutachter empfohlen, zukünftig auf die vom Volksmund „Elektrische“ oder „Strom“ genannte Straßenbahn zu verzichten. Als im Herbst die Sperrung einer der Hauptlinien hinzukam, schlug die Stimmung langsam um in Richtung „modernen Bus- beziehungsweise O-Busbetrieb in Münster.

Die letzte Fahrt des Wagen 60 der Elektrischen in Münster: Im Hintergrund ist die abgerissene Kiesekamps Mühle am Albersloher Weg erkennbar. Heute steht dort das Cineplex. Foto: Universität Münster

Das Aus für die Elektrische in der Domstadt – zurückblickend sicherlich als politische Fehlentscheidung einzustufen – nahmen viele Münsteraner*innen zum Anlass, sich mit einer letzten Fahrt von der Straßenbahn zu verabschieden. Die Westfälischen Nachrichten (WN) schrieben damals, dass tagsüber die „Straßenbahnwagen auffallend starken Verkehr gehabt. Die konservativen Münsteraner, die sich nur schweren Herzens von liebgewordenen Einrichtungen trennen können, nahmen Gelegenheit zu Abschiedsfahrten.“

Auf der tatsächlich letzten Fahrt der Elektrischen wurden unter anderem die Mitglieder des Rates der Stadt mit den Straßenbahnwagen 57, 60 und 62 – außen verziert mit der Aufschrift „Letzte Fahrt“ – von der Lambertikirche durch die Stadt ins Straßenbahndepot am Albersloher Weg gefahren. Eine große Menschenmenge begleitete diese Fahrt. Am Schaltbrett des letzten der drei Wagen stand Oberfahrer Eduard Jenschenfelde, der schon seit drei Jahrzehnten die Elektrische durch Münster bugsierte. Die Menschen winkten, als sich der in den WN „Trauerzug“ genannte Tross in Bewegung setzte. Es wurde extra langsam gefahren, um den Zuschauer*innen am Schienenstrang und in den Fenstern Gelegenheit zum Abschied zu geben. Mit dem „Straßenbahn-Abschiedsschmaus“ an der Haltestelle Stadtwerke, laut WN-Bericht im Regen, endete diese Ära in Münster. Zurück in die Stadt ging es anschließend per Autobus.

Pro Bahn Münsterland fordert Machbarkeitsstudie

Pro Bahn Münsterland möchte in einem Folgetreffen zum oben beschrieben Auftakt mit Seyfert besprechen, wie die Forderung „Reaktivierung der Straßenbahn in Münster“ weiter umgegangen werden soll. Es soll mit möglichst vielen interessierten Menschen am Freitag, dem 6. Dezember 2024, von 17 Uhr bis 19 Uhr im Umwelthaus (nicht barrierefrei) in der Zumsandestraße 15 stattfinden.

„Beim Treffen wird der Pro-Bahn-Nikolaus zunächst die bisherigen Vorschläge und Ideen zur Reaktivierung der Straßenbahn in Münster aus dem Sack lassen“, heißt es in der öffentlichen Einladung von Pro Bahn an alle interessierten Straßenbahnfreund*innen. So werden die abgelehnten Vorschläge aus dem Rat der Stadt Münster vorgestellt. Unter anderem dabei sind die Ratsanträge der CDU Münster („Von der Regionalbahn zur Stadtbahn“) aus dem Jahr 2016 und der SPD Münster („Eine Stadtbahn für unsere Stadt“) aus dem Jahr 2017. Verschiedene Vorschläge aus dem Internet runden den ersten Teil der Versammlung ab.

Anschließend soll gemeinsam besprochen werden, wie die Straßenbahn-Zukunft in Münster in die Spur oder besser „auf die Schiene“ gebracht werden könne. Bedeutsam dabei könnte, wie in Osnabrück erfolgreich durchgeführt, eine Machbarkeitsstudie zur Straßenbahn in Münster sein. Ob dies ein erster sinnvoller Schritt ist und was gemeinsam getan werden kann, um ihn zu gehen, soll Hauptdiskussionspunkt im Umwelthaus werden.

VCD kritisiert P&R-Angebot

Parken im Advent am Coesfelder Kreuz

Wie in den Vorjahren wird auch in dieser Adventszeit Autonutzenden die Gelegenheit geboten, ihr Fahrzeug im Parkhaus am Coesfelder Kreuz abzustellen und mit Stadtbuslinien bis in die Altstadt zu gelangen. „Und das auch in diesem Jahr wieder zum Schleuderpreis, verglichen mit den Ticketpreisen für den ÖPNV“, meint Thomas Lins, Vorsitzender des umweltorientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD) im Münsterland.

Reklame für P&R am Coesfelder Kreuz. Foto: Thomas Lins

Fünf Euro kostet in der Adventzeit 2024 am Coesfelder Kreuz das ganztägige Parken inklusive Busfahrten für bis zu fünf Personen. „Doch wer innerhalb von Münster zu zweit in den Bus steigt, zahlt mit dem günstigsten Ticket für die Hin- und Rückfahrt schon vier Mal 2,30 Euro, also 9,20 Euro“, rechnet Patrik Werner, stellvertretender Vorsitzender des VCD, klar vor und betont: „Aus der Region ist das Bus- und Bahn-Fahren nach Münster noch erheblich teurer.“

Für den VCD ist damit das P&R-Angebot am Coesfelder Kreuz ein Fehlanreiz. „Es widerspricht dem Ziel, die Menschen zur Nutzung des bestehenden guten Verkehrsangebots der Regionalbusse und -bahnen zu motivieren“, stellt Thomas Lins fest und weist darauf hin, dass Münster der Mittelpunkt von 15 regionalen Bahn- und Buslinien ist. Lins: „Nahezu aus jedem Bereich des Umlands, sogar aus dem westlichen und östlichen Ruhrgebiet, aus Ostwestfalen und aus Enschede in den Niederlanden ist stündlich oder öfter die Fahrt bis Münster Mitte möglich.“

Nach Einschätzung des VCD Münsterland sei das Privileg nicht gerechtfertigt, ganztägig günstig zu parken und die Busse ohne weitere Kosten zu nutzen. Diejenigen, die innerhalb von Münster mit dem Bus oder Zug fahren, würden damit benachteiligt. Die Einschätzung zum neuerlichen Park & Ride-Angebot in Münster von Patrik Werner: „Eine Mobilitätswende sieht anders aus.“

„Ossi“-Identität ist generationenübergreifend stabil

Steffen Mau auf der Suche nach den Ursachen der ungleich vereinten Deutschen

Länger als eine Generation ist die einzige erfolgreiche Revolution in Deutschland schon her. Aus dem Aufbegehren mutiger, kritischer und überwiegend antiautoritär denkender Menschen wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) schließlich von Menschen mit Hoffnung auf ein westlich-konsumorientiertes Leben abgeschafft. Der Soziologe Steffen Mau von der Humbolt-Universität Berlin, ein gebürtiger Rostocker des Jahrgangs 1968, hat jüngst untersucht, warum fast 35 Jahre nach der Revolte noch immer ein großer Unterschied zwischen Menschen im Osten, also den gelegentlich noch immer „neue Bundesländer“ genannten Regionen, und den Bewohner*innen der alten Bundesrepublik gibt.

Von blühenden Landschaften im Gebiet der ehemaligen DDR fantasierte damals der Bundeskanzler der Wiedervereinigung: Helmut Kohl von der bei der ersten Wahl im wiedervereinigten Deutschland erfolgreichen CDU. Aus seinen Versprechungen wurde bekanntlich nichts und heute machen die mit viel Westgeld (u. a. Solidaritätszuschlag) und EU-Förderung aufgemöbelten ostdeutschen Bundesländer eher Schlagzeilen mit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen für die rechtsradikale AfD und breitem Bekenntnis zum neugegründeten Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und deren Nähe zu Russland.

Bleibende Unterschiede

Der Wissenschaftler Steffen Mau analysierte die Unterschiede zwischen den wiedervereinten Deutschen in Ost und West. In seinem Buch „Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt“ nutzt er zur Erklärung, warum dies auch noch eine Weile so bleiben wird,den Begriff der „Ossifikation“. Dieser medizinische Begriff, der„Knochenbildung“ oder „Verknöcherung“ beschreibt, war schon vor über 20 Jahren von der damaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt in die Diskussion gebracht worden. Tatsächlich ergäbe er aber erst heute erkennbaren Sinn, weil auch die Nachwendegenerationen sich über ihr „ostdeusch sein“ definierten.

Eine seiner wesentlichen Erkenntnisse ist, dass es in vielen für die Einstellung und das Empfinden der Menschen entscheidenden Kategorien – von Wirtschaft über Politik bis hin zu Mentalität und Identität – „bleibende Unterschiede“ zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands gibt. Aus dieser Trennung sei auch der „Ossi“ begrifflich entstanden, dem tatsächlich in den alten Bundesländern keine „Wessi“-Identität gegenüberstünde.

Ostdeutschland sei im Gegensatz zum Westen ein „Land der kleinen Leute“ und leide unter anderem auch an „dramatischer Elitenschwäche“. Aus diesen realen Unterschieden sei ein neues „Ostbewusstsein“ entstanden, wie auch die Menschen in den Stadien und Arenen durch „Ostdeutschland, Ostdeutschland“-Rufe immer wieder lautstark verdeutlichen. Einerseitswürde auf die Familiengeschichte der Ostdeutschen zurückgeblickt und andererseits würde aus dem erlebten innerdeutschen Benachteiligung ein „Oststolz“ entwickelt, der sicherlich auch von nicht unerheblichen Trotz getragen sei. Mau will auch nicht ausschließen, dass es sogar Parallelen zum Phänomen der „Rekulturalisierung“ gibt, wie sie bei Angehörigen der zweiten und dritten Generation von Migranten vorkommen. Die Nachkommen sind sensibler für Diskriminierungen als ihre Eltern und Großeltern und treten gleichzeitig erheblich selbstbewusster auf. Das Bekenntnis „ostdeutsch“ zu sein, trägt zugleich die Forderung nach Gleichstellung und Anerkennung in sich. So ist für Steffen Mau klar, dass sich der Osten dem Westen, zumindest in nächster Zeit, nicht annähern wird, denn so Steffen Mau, es habe „jenseits ungleicher ökonomischer Bedingungen“ ein „eigenständiger Kultur- und Deutungsraum Ostdeutschland“ herausgebildet.

Mangelnde Bindung an Parteien und Institutionen der Bürgerschaft

Steffen Mau verweist auf die geringe Bindung der Menschen in Ostdeutschland an Parteien und Institutionen der Zivilgesellschaft. So seinen von 100 Wähler*innen weniger als einer Mitglied einer Partei. Zudem ist die ostdeutsche Parteienlandschaft, wie auch viele Landkreise durch den großen Männerüberschuss, sehr maskulin geprägt. 80 Prozent der Parteimitglieder seien Männer.

Warum die CDU in Ostdeutschland besser dasteht als die Ampelparteien, ist für Steffen Mau ganz klar: Die CDU hat aus der DDR die Blockflötenpartei übernommen. Dies war SPD oder den Grünen nicht möglich. Da sie erste Wahlsiegerin war, baute sie auch örtliche Strukturen aus oder auf, was ihr zu der heutigen Größe verhalf. Die FDP erreichte mangels sozialer Oberschicht und breiter beruflicher Selbständigkeit in der Arbeitnehmergesellschaft im Osten, dem „Land der kleinen Leute“, keine Bedeutung.

Anders sieht das bei der AfD aus, die sich als „Kümmerer-Partei“ vor Ort engagiert und den Unwillen der Menschen aufnimmt, die sich von denen da oben, was zumeist mit Merkel oder Ampel übersetzt wurde und wird, nicht repräsentiert fühlen. Die faschistoide Ausrichtung vieler aktiver AfDler berührt die Menschen wenig, offensichtlich auch wegen ihrer Ferne zur parlamentarischen Politik und ihren Mandatsträger*innen. Da sollen es doch für rund ein Drittel der ostdeutschen Wahlberechtigten auch „die“, gemeint ist die AfD und inzwischen auch das Bündnis Sarah Wagenknecht, einmal an der Regierung versuchen dürfen.

„Labor der Partizipation“ – basisdemokratische Elemente als Lösung

Steffen Mau analysiert bezüglich der Parteienbindung und den Institutionen der Zivilgesellschaft ebei vielen Menschen in Ostdeutschland ein großes Defizit. Wie oben in der „Verfestigungsthese“ beschrieben, wirkt in Ostdeutschland die „Geschichte in Strukturen und Identitäten nach“ (familiären Wohlstand, Geschlechterverhältnis, unzureichende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Grundlagen der SED-Diktatur). Mau hält die Ostdeutschen nicht für antidemokratisch oder politikverdrossen. Allerdings sei diese politische Kultur durch eine vor, um und nach 1989 spezielle „Parteienpolitikverdrossenheit“ gekennzeichnet, der, so Mau, mit konkreten, experimentierfreudigen Antworten aus dem „Labor der Partizipation“ begegnet werden könne oder auch müsse.

Als Lösungsansatz schlägt er eine leichtere Teilhabe der Menschen zum Beispiel durch starke Bürgerräte vor. Dadurch erhofft sich der Berliner Soziologe den Abbau der empfundenen Politikferne, wenn die Menschen oder ihre Nachbarn in Bürgerräten selbst (mit-)entscheiden dürften. Die „Ertüchtigungsmaßnahmen der Demokratie“ will Mau allesamt „von unten“ verwirklicht haben.

Auch verweist Steffen Mau darauf, dass „immer mehr Landräte und Bürgermeister nicht parteigebunden sind und über Wählerinitiativen ihr Amt“ erobern. Dies gemeinsam wirft die Frage auf, warum Mau, in dem sehr lesenswerten Buch, nicht auch Vergleiche zu den Auslösern der Revolution von 1989 und ihren basisdemokratischen und antiautoritären Zielvorstellungen, die sich insbesondere in „Runden Tischen“ zeigten, verfolgt. Vielleicht zeigt sich im Osten, insbesondere wenn die Nichtwähler einbezogen werden, eine zunehmende Ablehnung der Stellvertreterpolitik, wie sie in der DDR, aber auch heute – mit echten Wahlen ausgestattet – noch immer besteht. Doch noch gibt es außer lokalen Initiativen, die kaum zusammen arbeiten könnten, keine Bewegung oder Gruppe, die die (basis-)demokratischen, anti-autoritären und auf Selbstbestimmung ausgelegten Menschen abholt. Deshalb dürfte Mau recht behalten, dass die heutige Situation sehr fest sei.

Steffen Mau: Ungleich vereint; Berlin; Suhrkamp; 2024; 178 Seiten; 18 Euro; ISBN 978-3-518-02989-3; ausleihbar in der Hauptstelle und der Zweigstelle Gievenbeck-Auenviertel der Stadtbücherei Münster: Signatur EMP 4 MAU.

Verkehrspolitik in Münster: Kniefall vor dem Auto

WLE-Reaktivierungsdesaster, Busausfälle wegen katastrophaler Personalplanung, immer mehr Details zur S-Bahn-Lüge werden öffentlich, Fahrtkürzungen beim Mobilitätspreisträger 2023, der Buslinie X90/S90, Einstellung des LOOP-Betriebs, zunehmende Privatisierung des Busverkehrs in Münster und nun die Aufgabe des Metrobus-Konzeptes – die aktuelle Liste des Scheitern im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Münster und dem Münsterland ist erschreckend lang. Sie kommt allerdings wenig überraschend. Die Verkehrswende ist mit roter Farbe auf Pseudoradstraßen mit PKW-Verkehr und durch die Einführung von Elektrobussen ausschließlich bei den Fahrzeugen der Stadtwerke Münster und angeblichen Zeitgewinnen durch Fahrstreckenveränderungen und kurzen Busspuren natürlich nicht zu erreichen.

Politikwende ist erforderlich

Spätestens nach dem entlarvenden WN-Interview von Frank Gäfgen, ÖPNV-Geschäftsführers der Stadtwerke Münster, am 20. Juli zieht Werner Szybalski, Sprecher der Münsterliste, ein für das Klima katastrophales Fazit der örtlichen Verkehrspolitik: „Die dringend notwendige Verkehrswende in Münster und dem Münsterland ist krachend gescheitert. Es ist Zeit für die Politikwende!“

Mehr Nebelkerzen als Pyrotechnik im Preußenstadion

Frank Gäfgen, ÖPNV-Geschäftsführers der Stadtwerke Münster. (Foto: Werner Szybalski)

Die kommunale Wähler*innen-Vereinigung Münsterliste – bunt und international e.V. beklagt seit Jahren, dass von Politik und Verwaltung in der Verkehrspolitik mehr Nebelkerzen gezündet werden, als die Preußenfans Pyrotechnik im Stadion abbrennen können. „Die Menschen im Münsterland werden andauernd durch tolle Versprechen geblendet. Die klassischen ÖPNV-Nutzer*innen, die vier „A“s, wie abgehängt, Arme, Alte, Auszubildende und Ausländer, sind die Leidtragenden der fortgesetzten lokalen und insbesondere regionalen Privatisierungs- und Automobilpolitik“, erklärt Werner Szybalski: „Die Zeche für neoliberale Politik zahlen die jungen und die zukünftigen Generationen. Noch können wir etwas korrigieren und die Belastung senken. Dazu ist aber ein konsequente nachhaltige und ressourcenschonende Verkehrs- und Infrastrukturpolitik notwendig.“

Klein-Klein statt Nachhaltigkeit

Gäfgen beklagt im Interview, dass er „eingestehen [muss], dass wir den erforderlichen Raum [für Metrobusse] nicht auftreiben können.“ Ein Kniefall vor dem Auto. Ganz im Sinne seiner neoliberalen Vorstellungen orientiert sich der ÖPNV-Geschäftsführers der Stadtwerke auch nicht an den Bedürfnissen und Interessen seiner Fahrgäste („dann ist es hinnehmbar, dass die verbleibenden keinen Vorteil haben.“), sondern an der marktwirtschaftlichen Optimierung seines Unternehmens. Dabei wird natürlich ein grünes Mäntelchen umgehängt. Die Stadtwerke streben zukünftig den emissionsfreien Busbetrieb an – allerdings nicht in der Stadt sondern lediglich bei den eigenen Fahrzeugen. Dies ist ein großes Problem und schon wieder eine Nebelkerze, denn die von Gäfgen beauftragten privaten Busunternehmen, die seit ein paar Monaten und mit weiter wachsender Tendenz (Ringlinien) schon mehr als die Hälfte der Busfahrten in Münster durchführen, haben, so die Stadtwerke-Antwort auf Nachfrage, keinen einzigen emissionsfreien Bus im Fahrbetrieb. Ohne Politikwende bleibt es in der Verkehrspolitik beim Klein-Klein ohne ausreichende Nachhaltigkeit.

Alle mit Verbrenner-Antrieb!

Blicke nach Oberhausen, Utrecht, Essen und Freiburg lohnen

„Wir setzen auf viele kleine Lösungen“, verdeutlicht Frank Gäfgen im Interview, dass es lediglich mit Tröpfchen statt fließend Wasser weitergeht. Wo aber liegt der Hase im Pfeffer, wo ist der Hund begraben oder was ist der springende Punkt? Ziemlich einfach, denn Münster (und die Landes- und Bundesebene) betreiben weiterhin eine Verkehrs- und Wirtschaftspolitik, die das Auto ins Zentrum rückt. Während Utrecht eine Fahrradstadt ist, wird in Münster nur viel Rad gefahren. Während in Essen nach dem „Bürgerbegehren RadEntscheid“ ein Konzept verfolgt wird, dass das Auto aus der Stadt verdrängen soll, schließt Münster gerade einmal ein paar Parkplätze auf dem Domplatz. Während Oberhausen die Straßenbahn schon Ende des Jahrtausends reaktivierte, wartet die Wiederinbetriebnahme des Personenverkehrs auf der WLE-Strecke schon seit rund 40 Jahren. Während Freiburg im Breisgau die Stadt der kurzen Wege realisiert und Stadtteile schafft, in denen die neuen Bewohner*innen weitgehend auf Autos verzichten können, wird in Münster eine Autobahn zum Vorort Handorf gebaut.

Mönster-Tram und Mönsterlänner fehlen

Historische Straßenbahn im Regelbetrieb in Mailand. Links hinter dem sitzenden Fahrgast die digitale Selbstbedienungskasse für Fahrschein-, EC- und Kreditkarten. (Fotos: Werner Szybalski)

Die Priorisierung des Autos muss zu Ende gehen. Insbesondere der ÖPNV und der Fußverkehr ist hingegen massiv durch Angebotserweiterung und Infrastrukturausbau zu fördern. Nimmt man die Verkehrs- und Energiewende ernst, muss auch in Münster die Schiene eine Renaissance erleben. „Die Münsterliste fordert seit Jahren eine Stadtbahn. Die Mönster-Tram ist zwar eine großes und teures Projekt, wird aber alle bei der Inbetriebnahme lebenden Münsteraner*innen überleben. Kürzlich fuhr ich in Mailand mit einer 98 Jahre alten Straßenbahn, in der ich elektronisch – durch Vorhalten meiner EC-Karte – die nur 2,20 Euro für die Einzelfahrt zahlen konnte. Viel nachhaltiger und moderner geht es kaum“, so Werner Szybalski.

Die Münsterliste wünscht sich für das Münsterland einen Nahverkehr auf Schiene und Straße aus einem Guß und natürlich ausschließlich in Öffentlicher Hand. (Foto: Werner Szybalski)

Die Münsterliste möchte zudem den Mönsterlänner einführen. Ein öffentliches Nahverkehrsunternehmen mit möglichst viel Schiene und emissionsfreien Bussen, dass zwischen Münster, Osnabrück und Enschede den Nahverkehr plant und betreibt. Leider sind bislang die Politiker*innen in den Gemeinde- und Stadträten sowie den Kreistagen und der Bus- und Bahn-Zwecksverbandsversammlung (ZVM) des Münsterlandes selten einmütig für den Nahverkehr im Münsterland. Zuletzt zeigten dies die Entscheidungen zur Einschränkungen bei der Buslinie X90/S90 oder auch der nur stadtinternen Einführung des 29-€-Tickets in Münster.

Fahrgastbeirat würde helfen

100.000 Euro liegen seit vergangenen Jahr im Haushalt der Stadt Münster brach, mit dem Wege zur Beteiligung der Einwohner*innen an der Politik durch Bürger*innenräte gesucht werden sollen. Die Einführung von einem Fahrgastbeirat bei den Stadtwerken könnte ohne einen Cent auszugeben durch Beschluss des Unternehmens und der Aufsichtsgremien erfolgen. Aber damit ist bei einem auf Betriebsoptimierung statt auf Fahrgastinteressen gerichteten Blick des ÖPNV-Geschäftsführers nicht zu rechnen. „Dabei wäre es so sinnvoll, wenn auch in Münster, wie schon in zahlreichen Verkehrsunternehmen und -verbünden in Deutschland, die Nutzer*innen des Öffentlichen Nahverkehr dauerhaft und mitentscheidend in die Organisation und Planung einbezogen würden“, unterstreicht Werner Szybalski für die Münsterliste.

LEG verkauft wieder Sozialwohnungen

Kemna Immobilien Gruppe aus Kamen erwirbt im Recklinghäuser Stadtteil König Ludwig 386 Wohnungen von der LEG

Die LEG Immobilien SE ist offensichtlich gut durch ihre Krise im Vorjahr gekommen, als keine Dividende an die Aktienbesitzer*innen ausgeschüttet werden konnte. Die im Januar 2024 fällig gewordene 500-Millionen-Euro-Anleihe sowie weitere Schulden konnten laut Pressemitteilung des zweitgrößten Wohnungsunternehmens aus NRW mit Sitz in Düsseldorf refinanziert worden. Bis Mitte 2025 müssten nun keine Schulden mehr bedient werden.

Zudem habe die LEG, die über 181 Millionen Euro auf der Hauptversammlung am 23. Mai 2024 an ihre Aktionäre*innen verteilen will, auch weiterhin ungeliebte Immobilien verkaufen können. „Trotz der Kaufzurückhaltung auf dem Markt für Wohnimmobilien“ sei es der LEG im Jahr 2023 gelungen, rund 2000 Wohnungen und mehrere gewerbliche Objekte für rund 155 Millionen Euro zu verkaufen. Davon 1316 Wohnungen für zusammen 80,3 Millionen Euro im Jahr 2023. Dabei, so die LEG, sei ein Liquiditätsüberschuss von 55,2 Millionen Euro erzielt worden. Insgesamt stünden 5000 Wohnungen zum Verkauf. Nicht bekannt gab das profitorientierte Unternehmen, welche Standorte konkret vom Verkauf betroffen sein könnten.

374 Sozialwohnungen in ehemaliger Bergbausiedlung verkauft

Jüngst verkaufte die LEG in Recklinghausen 386 Wohnungen mit einer Gesamtmietfläche von rund 26.080 m² an das Kamener Privatunternehmen Kemna Immobilien. 96,89 Prozent der Wohnungen (insgesamt 374) in der Siedlung „Kolonie König Ludwig“ sind öffentlich gefördert, also sogenannte „Sozialwohnungen“ für deren Anmietung ein Wohnberechtigungsschein erforderlich ist. Über den Verkaufspreis der fast 400 Wohnungen in der Emscherzone wurde öffentlich nichts bekannt. Offensichtlich besteht dort Renovierungsbedarf, denn der Käufer will „die Objekte langfristig entwickeln“. Dies könnte natürlich – schrecklich für die Mieter*innen – auch Modernisierung bedeuten, die von den Mieter*innen zu tragen ist, was in der Regel happige Mietsteigerungen beinhaltet.

Im Jahr 1886 begann mit zwei Schächten die Kohleförderung auf der Zeche / Gewerkschaft „König Ludwig“ in Recklinghausen. Zwischen 1900 und 1903 wurden weiterer Schächte abgeteuft. In den 1930er Jahren wurde ein Verbund mit Zeche Ewald geschaffen. Die Salzgitter AG legte zwischen 1963 und 1965 die Zeche König Ludwig still. Die Siedlung „Kolonie König Ludwig“ entstand in der ersten Dekade des vergangenen Jahrhunderts Die König-Ludwig-Siedlungen wurden südwestlich der Zeche in drei Bauphasen „auf der grünen Wiese“ errichtet. In den 1960er Jahre gingen die Wohnungen an Salzgitter Wohnungs-GmbH. Später erfolgte eine denkmalgerechte Sanierung sowie umfangreiche Wohnungsmodernisierung, bei nur „einfacher Gestaltung des Wohnumfeldes“. Im neuen Jahrtausend kaufte die heute zum Vonovia-Konzern gehörende Grainger two GmbH die Siedlung. 2016, also acht Jahre nach ihrer Privatisierung, übernahm die LEG Wohnen die Wohnungen. 2024 gingen 386 Wohneinheiten mit einer Gesamtmietfläche von rund 26.080 m² an die „Kemna Immobilien Unternehmensgruppe“ aus Kamen. 374 der 386 Wohneinheiten (96,89 %) sind öffentlich gefördert. (Quelle: Siedlungskultur in Quartieren des Ruhrgebietes)

Was geschieht am Berg Fidel und in Kinderhaus?

„Durch ein stabileres Zinsumfeld sieht die LEG eine allmähliche Wiederbelebung des Transaktionsmarktes und freut sich, dass das Portfolio in Recklinghausen in gute Hände abgegeben wurde“, wird Georg zu Ysenburg, Bereichsleiter Akquisitionen bei der LEG, in der Pressemitteilung vom 12. März 2024 zitiert.

Wie Mieter*innen aus Kinderhaus berichteten, wurden vom Vermieter jüngst Maßnahmen an ihren Häusern ohne Modernisierungsankündigung vorgenommen. Natürlich kam sofort der Verdacht auf, das die Wohnungen zu den 5000 von der LEG geplanten zu veräußernden Objekte gehören würden.

Gleiches droht den Bewohner*innen der rund 700 LEG-Wohnungen und den Pächter*innen der LEG-Gewerbeobjekte am Berg Fidel. Modernisierungsmaßnahmen waren schon angekündigt. Diese wurden dann aber im Vorjahr überraschend vom Unternehmen abgesagt, obwohl zweifelsfrei in den LEG-Wohnungen an der Hogenbergstraße, am Rincklakeweg, an der Von-Corvey-Straße und zwischen Trauttmansdorffstraße, Pictoriusstraße sowie Pamkokstraße dringender Renovierungsbedarf besteht, da die Häuser von der LEG seit Jahren vernachlässigt wurden.

LEG-Ziel in Münster sind 10 € Miete pro Quadratmeter

Da die LEG in Münster mittelfristig eine Kaltmiete von zehn Euro pro Quadratmeter anstrebt, was sie aktuell aber nur in wenigen Objekten, wie zum Beispiel dem dritten Bauabschnitt in der autoarmen Weißenburgsiedlung auf der Geist, schafft, ist mit dem Verkauf der günstigen Wohnungen in Hiltrup, Berg Fidel, Angelmodde oder Kinderhaus, wo es noch keine Modernisierungsmaßnahmen gab zu rechnen. Objekte wie zum Beispiel die LEG-Häuser in Uppenberg, wo durch die gesetzlich zulässigen Mieterhöhungen der Preis in den kommenden Jahren auf zehn Euro pro Quadratmeter hochgetrieben werden kann, dürften hingegen nicht zum Verkauf stehen. Für Investoren wie die Kamener Kemna Immobilien Gruppe dürfte Münster allerdings nah genug am „östlichen Ruhrgebiet“ liegen, zumal auch Gewerbeimmobilien im Angebot sein dürften.

Die Kemna Immobilien Gruppe ist ein inhabergeführtes Immobilieninvestmentunternehmen mit Sitz in Kamen. Kerngeschäft ist der Ankauf, die Bewirtschaftung und die Entwicklung von Bestandsimmobilien in Nordrhein-Westfalen, insbesondere der Region östliches Ruhrgebiet. In der Zukunft plant die Kemna Gruppe weitere Ankäufe von entwicklungsfähigen Wohnimmobilien ab ca. 100 Einheiten sowie Gewerbeimmobilien im Bereich Lager-/Produktion.

Die LEG SE mit acht Niederlassungen – darunter auch eine in Münster – ist mit rund 166.500 Mietwohnungen und rund 500.000 Bewohnern ein führendes börsennotiertes Wohnungsunternehmen in Deutschland.

Saito favorisiert den „Degrowth-Kommunismus“

Philosoph befreit Marx vom Marxismus

Eine Buchbesprechung von Werner Szybalski (zuerst erschienen in der Sperre Ausgabe: Winter 2023)

Überraschend hielt sich „Systemsturz“ über Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste – ein Buch des japanischen Philosophieprofessors Kohei Saito. Er hat in Berlin studiert und dort sein Interesse an den Arbeiten von Karl Marx entdeckt. Saito beschäftigt sich insbesondere mit Notizen und Entwürfen des späten Karl Marx, die bislang nicht oder nur teilweise veröffentlicht wurden. Dabei befreit er Karl Marx – zumindest dessen Spätwerk vom traditionellen Marxismus. Saitos Forschungstätigkeit ist so relevant, dass er in den Herausgeberkreis von MEGA, der „Marx-Engels-Gesamtausgabe“, berufen wurde.

Schon 2016 veröffentlichte Kohei Saito seine Studie „Natur gegen Kapital“ mit dem Untertitel „Marx’ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus“ (Campus-Verlag, 328 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978-3-593-50547-3), in der er aufzeigte, dass Karl Marx durch Studien von Justus von Liebig und anderen Naturwissenschaftlern die Verletzlichkeit der Natur erkannte.

„Es wird immer klarer, dass der Kapitalismus sein Fortschrittsversprechen nicht einlösen kann“, sagte Saito im Oktober dem österreichischen Magazin „Tagebuch“, weshalb Marx und seine Kritik wieder auf die Tagesordnung gehöre. Allerdings, so Saito, „aus einer neuen Perspektive, einerseits aus der der Ökologie und andererseits aus der des Degrowth.“ [Verringerung von Konsum und Produktion]

Im „Systemumsturz“ zeigt der Autor nun auf, dass es in der akuten ökologischen Krise nur vier Perspektiven für die zukünftige Gesellschaft – alle ohne Kapitalismus – gäbe. Die Möglichkeiten einer klimagerechten Zukunft beschriebt Kohei Saito anhand der Stränge „Autorität“ und „Gleichheit“ (siehe Grafik rechts aus dem Buch von Saito). Mit autoritärer Regierungsform gäbe es bei großer Ungleichheit den „Klima-Faschismus“ beziehungsweise bei besonders geringer Ungleichheit den „Klima-Maoismus“. Bei schwacher Autorität in der Gesellschaft und hoher Ungleichheit entstünde „Barbarei“. Nähert sich die Gesellschaft der Gleichheit an, was Saito ebenso bevorzugt wie die schwache Autorität, und damit eine demokratische Gesellschaft, dann bliebe als Lösung für alle Zukunftsfragen nur der „Degrowth-Kommunismus“.

Kohei Saito grenzt seine Vorstellung des egalitären und nachhaltigen „Degrowth-Kommunismus“ allerdings sowohl von den aktuellen Degrowth-Debatten ab, die den Kapitalismus bei individuellem Verzicht und unter verstärktem Einsatz moderner, umweltschonender Techniken (so genannter „Grüner Kapitalismus“) für reformierbar halten, als auch vom bürokratischen Kommunismus, wie er in der Sowjetunion bestand oder derzeit in China proklamiert wird. Dies begründet er mit den Forschungen des „alten Marx“, der sich nach Auffassung von Saito von seinen früheren Überlegungen (und Veröffentlichungen) wie dem „Produktivismus“ (bestehend aus Wirtschaftswachstum, Marktwirtschaft und Freihandel) oder dem „eurozentristischen Geschichtsbild“ abgewendet habe.

Die zum Produktivismus gehörende Theorie, dass der Weg zum Sozialismus zwingend über eine zuvor kapitalistische Gesellschaft führe, habe Marx 1881 im Brief an die Russin Vera Sassulitsch ausdrücklich auf die Länder Westeuropas beschränkt, schreibt Saito: Marx habe dabei insbesondere an die russischen Dorfgemeinschaften („Mir“) gedacht, die sich unter anderem durch periodisch neu unter den Dorfbewohner*innen verteilten Grund und Boden auszeichneten.

Besonders betont Kohei Saito, dass sich Karl Marx ab zirka 1850 klar zum Antikolonialismus bekannt habe. Der noch heutige Zustand, dass der Kapitalismus sich nur reproduzieren kann, weil er die benötigten natürlichen Ressourcen mehrheitlich aus den Ländern des globalen Südens bezieht und zugleich die Kosten seiner Produktion zum Beispiel in Form von Abfällen dorthin auslagert. Die Beendigung dieser Ausbeutung sei zentral für die Beendigung der kapitalistischen Reproduktion, so Saito. Im globalen Süden befänden sich zudem auch heute noch die vorkapitalistischen, also indigenen Gemeinschaften, von deren Umgang mit der Natur die Menschen im Norden viel lernen könnten.

Seit 1868 habe Marx nicht nur über Naturwissenschaften, sondern auch über Kommunen geforscht. Beide Forschungsgebiete stünden in engem Zusammenhang und Marx sei zu der Erkenntnis gelangt, dass entscheidend für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur das Gemeineigentum an Produktionsmitteln und deren gemeinschaftliche Verwaltung sei. Nur so könne ausgeschlossen werden, dass sich private Interessen durchsetzen und Mitglieder der Gemeinschaft ausgeschlossen und enteignet würden, so eine der Analysen im lesenswerten Buch von Kohei Saito.

Kohei Saito: Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus. Aus dem Japanischen von Gregor Wakounig. München: dtv, 2023. 320 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-423-28369-4.

„Wir haben gewonnen!“

50 Jahre Hausbesetzung Frauenstraße 24

Mit dem Ankauf des Gebäudes Frauenstraße 24 durch die städtische Wohn- und Stadtbau im vergangenen Jahr endete ein jahrzehntelanger Kampf zur Verteidigung und dem Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in Münster. Die „F24“, so kürzten die Unterstützer*innen und Aktivist*innen das Haus immer ab, war vor genau 50 Jahren vor dem Abriss gerettet worden, vor rund 40 Jahren als Mietobjekt des AStA der Universität dauerhaft gesichert und 2022 auch dem börsennotierten LEG-Konzern aus dem Portfolio gekauft worden. Damit waren endlich auch die drei Ziele der Hausbesetzer*innen von 1973 erreicht.

Inzwischen ist beim Unrast-Verlag das Buch „Frauenstraße 24 – Geschichte einer erfolgreichen Besetzung“ (352 Seiten mit zahlreichen Fotos und Illustrationen, 24,80 Euro, ISBN: 978-3-89771-359-8) schon in zweiter Auflage erschienen. Mitte November lasen die Herausgeber*innen Rita Weißenberg, Bernd Uppena, und Joachim Hetscher auf Einladung des Ex-MdB Hubertus Zdebel, selbst Aktivist und ehemaliger Bewohner der F24, bei den Linken in der Achtermannstraße.

Bernd Uppena, von 1977 bis 1981 Haussprecher in der F24, erzählte von den bewegten frühen Jahren – aus der Zeit der umkämpften Hausbesetzung. „Direkt nach der Besetzung, damals gab es keine Heizung und auch keinen Strom im Haus, begannen die Besetzer mit der Instandhaltung der Zimmer“, erläuterte Uppena, dass der Höhepunkt mit der Renovierung der für das Haus charakteristischen blauen Fassade erreicht wurde. Eindrucksvoll schilderte Uppena die juristischen Kämpfe und die Auseinandersetzungen mit Polizei und insbesondere den Beauftragten der verschiedenen Hauseigentümer. Der wohl gefährlichste Moment war am 11. Mai 1979, als ein Gasanschlag im Keller die Besucher der Kneipe und Bewohner des Hauses in Lebensgefahr brachte. Unbekannte hatten die Gasleitung im Keller manipuliert worden und zwei Kellerräume weiter eine brennende Kerze aufgestellt worden. „Durch Zufall entdeckte der Wirt die Kerze und verhinderte die Katastrophe“, so Bernd Uppena.

Rita Weißenberg, 1974 bis 1979 Besetzerin und Bewohnerin, ordnete die Kämpfe um die F24 politisch-gesellschaftlich ein. „Durch die wöchentlichen Infotische an der Überwasserkirche und viel teilweise spektakuläre Aktionen und Demonstrationen, unter anderem 1981 unangemeldet mitten im traditionellen Rosenmontagsumzug, brachten wir die Münsteraner Bevölkerung mehrheitlich zu der Erkenntnis, dass das Haus nicht abgerissen werden durfte“, las Weißenberg aus dem F24-Buch. Als Erfolgsfaktoren hat Rita Weißenberg analysiert: „Wir waren nicht auf eine Gruppe sondern auf die Stadtgesellschaft fixiert. Von Beginn an gab es eine kreative und teilweise künstlerische Öffentlichkeitsarbeit, mit der praktisch alle Bevölkerungsgruppen angesprochen wurden. Wir haben mit allen Interessierten offene Diskussionen geführt und durch die Positionierung der Wohnungsfrage im Mittelpunkt des Kampfes auch den Druck auf die Straße bekommen.“

Dr. Joachim Hetscher, Vorsitzender des Kulturvereins Frauenstraße 24, rundete die Lesung mit der Schilderung des Zukunftshaus F24 als lehrreiches Beispiel für den noch nicht ausgestandenen Kampf um bezahlbaren Wohnraum nicht nur in Münster ab. Die F 24 ist ein Modell, denn: „Wir haben gewonnen. Die F24 zeigt, es geht auch anders – wohnen ohne Makler ist möglich.“ 2022 sei mit dem Ankauf des Hauses durch die städtische Gesellschaft auch dieses Ziel erreicht worden.

Alles, was die Referent*innen vortrugen, und noch viel mehr angereichert mit unzähligen Erinnerungen, Berichten und Zitaten findet sich neben historischen Informationen und auch Anekdoten zum Haus sowie zur Wechselwirkung zwischen F24 und der Stadt Münster im rundum empfehlenswerten Buch.

Im Stadtmuseum Münster wird aktuell eine Ausstellung zur Geschichte der Frauenstraße 24 gezeigt, die von den Autor*innen des Buches mitgestaltet wurde. Während der Öffnungszeiten des Museums kann bis zum 4. Februar 2024 die Ausstellung kostenfrei besichtigt werden.

Stadtbahn online

Die bislang fünf Ausgaben des Magazins für den öffentlichen Verkehr im Münsterland sind auch als pdf veröffentlicht. Sie sind hier zu finden:

  • Stillstand beim Metrobus #05-03/23 (Inhalt: Metrobus – Gummi statt Schiene, VCD fordert Busspur um die Altstadt, Busangebot in Münster gekürzt, mehr Subunternehmer – schleichende Privatisierung bei den Stadtwerken, Werkstattgespräch – S-Bahn ist ein Provinzprojekt, Neubau: Ein Fern- statt zwei Umsteigebähnhöfe für Münster, Sicherheit im Nachtbus, Deutschlandticket in Westfalen, Geld für Schnellbusse, Reaktivierung: Haltepunkt in Roxel, Kurzmeldungen)
  • Die S-Bahn-Lüge #04-02/23 (Inhalt: Die S-Bahn-Lüge, Neue Umsteigebahnhöfe in Münster, Westliches Münsterland – von der Schiene abgehängt, Busverkehr in Münster-Nord, Ringlinien werden weiterhin nicht bedient, Kurzmeldungen)
  • Fahrgäste protestieren #03-01/23 (Inhalt: Fahrgastbeirat – Lizenz zum Meckern, Reaktivierung der WLE-Strecke, Fahrgäste aus Coerde protestieren, Metrobus statt Stadtbahn, Deutschlandticket, Pro Bahn Münsterland, KSB 248 – Radstrecke statt Schiene, Straßenbahn für Münster, Kurzmeldungen)
  • S-Bahn im Münsterland #03-02/22 (Inhalt: S-Bahn Münsterland, Herzstück WLE, Finanzknappheit im Nahverkehr, Ökostrom statt Diesel im Busverkehr, Nahverkehr mit Rikschas wird schlecht angenommen, Gleise im Bahnhof Münster-Ost liegen noch, Kurzmeldungen)
  • Luxemburg fährt Tram #01-01/23 (Inhalt: Luxemburg – Nulltarif und Schiene, Straßenbahn in Münster, Ökoflitz bringt Kids in Grüne, Wandern mit dem Bus, 9-Euro-Ticket, Stadtbahn-Ringlinie für Gievenbeck, Kurzmeldungen)