Amtsgericht Coesfeld verurteilt Gynäkologen Detlef Merchel – 3000 € Geldstrafe
Am Donnerstag (20. Mai 2021) musste sich der Nottulner Gynäkologe Detlef Merchel vor dem Amtsgericht Coesfeld für seine aufklärerischen Informationen auf der Webseite seiner Praxis zum Schwangerschaftsabbruch verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf dem Arzt, der in seiner Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, vor, mit den Information über die von ihm angewandten Methoden gegen den § 219a des Strafgesetzbuches (Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) zu verstoßen. „Früher durfte ich informieren, aber nicht schreiben, dass ich es mache. Heute darf ich schreiben, dass ich es mache, aber nicht informieren“, zitieren die Westfälischen Nachrichten den Frauenarzt, der sich mit dieser Situation nicht zufrieden gibt. Deshalb lehnte er die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen ab – er wollte ein Urteil. Dieses bekam er. 20 Tagessätze à 150 Euro, also 3000 Euro, soll Detlef Merchel zahlen. Ob er und sein Münsteraner Anwalt Wilhelm Achelpöhler das Urteil akzeptieren, entscheidet sich in der Woche nach Pfingsten.
Solidarität mit Merchel – 70 Demonstrant*innen vor dem Amtsgericht
Rund 70 Menschen versammelten sich am Donnerstagvormittag schon eineinhalb Stunden vor Prozessbeginn vor dem Amtsgericht Coesfeld, um ihre Solidarität mit Detlef Merchel zu bekunden und um für die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219 StGB zu demonstrieren.
Detlef Merchel freute sich über die breite Unterstützung. Unter anderem das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Die Linke Coesfeld, Frauen e.V. Kreis Coesfeld, pro familia Münster (und aus anderen Orten), die Grünen Nottuln, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF), die Jungen Liberalen Münster, die Kritischen Mediziner*innen Münster und viele Feminist*innen zeigten in Coesfeld Flagge.
In den Redebeiträgen vor dem Amtsgericht wurde von Vertreterinnen aus Politik und Praxis die Existenz des § 219a StGB deutlich kritisiert wurde. Dessen Abschaffung wurde von der Demonstration gefordert. Viele juristische, medizinische und feministische Organisationen möchten das Verbot über die angebotene medizinische Leistung des Schwangerschaftsabbruchs und die zur Anwendung kommenden Methoden zu informieren, gekippt wissen. Redner*innen dankten Detlef Merchel und auch den in anderweitigen Verfahren verfolgten Ärztinnen Kristina Hänel und Bettina Gaber für ihren Mut und ihre Zivilcourage. Beide standen schon wegen einer §219a-Anklage vor Gericht. Auch sie wurden verurteilt, kämpfen aber auch juristisch noch weiter.
Verfassungsbeschwerde ist in Karlsruhe eingereicht
Kristina Hänel, die ebenfalls wegen § 219a verurteilt wurde und gegen den Paragraphen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht hat, ließ in Coesfeld ein Grußwort verlesen. „Unfassbar“ sei es, so Hänel, dass Mediziner*innen in Deutschland von hohen Geldstrafen und sogar Gefängnis bedroht seien, nur weil sie nach ihrem Berufsverständnis und Ethos handelten und ihrem Aufklärungsauftrag nachkämen.
Vertreterinnen von pro familia berichteten von den negativen Folgen des Gesetzes für die Beratungspraxis: Immer weniger Ärzt*innen erklärten sich bereit, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, und Patient*innen könnten sich nicht gut informieren.
Die grüne Landtagsabgeordnete Josefine Paul aus Münster und Sonja Krämer-Gembalczyk vom Kreisverband der Linken in Coesfeld sprachen sich auf der Kundgebung für die Streichung des § 219a StGB aus.
Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a.
Christine Schmidt, Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster
Für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster kritisiert Sprecherin Christine Schmidt das Coesfelder Urteil: „Ärzt*innen und ungewollt Schwangere leiden unter dem § 219a. Es wird Zeit, das Klima der Stigmatisierung, die Kriminalisierung des Abbruchs und die schlechte Versorgungslage zu beenden. Dafür demonstrieren wir nicht nur hier in Coesfeld, sondern notfalls auch in Karlsruhe.“
Berufung oder Revision ist möglich
„Wir haben noch nicht entschieden, ob wir Berufung oder Revision beantragen werden. Wahrscheinlich legen wir aber zunächst Rechtsmittel ein, um so die Zeit für die einzureichende Begründung hinzuzugewinnen“, erklärte mir gegenüber der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler. Er hatte in der Verhandlung damit argumentiert, dass „Verbreitung der Wahrheit nicht bestraft werden kann.“ Schließlich sei die Kenntnis der Wahrheit die Voraussetzung von Freiheit. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssten ungewollt schwangere Frauen die Möglichkeit zur Information haben. Anders könnten diesee ihr Persönlichkeitsrecht, zu dem auch die Durchführung eines nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruchs gehöre, kaum wahrnehmen.
Die Berliner Tageszeitung „taz“ schrieb zum Prozess in Coesfeld: „Mit dem Urteil folgt das Gericht im Münsterland der Linie von zwei Urteilen höherer Instanzen in Berlin und Frankfurt / Main aus jüngerer Vergangenheit. Die dortigen Richter*innen hatten bejaht, dass Ärzt*innen nach Paragraf 219a verbotene „Werbung“ betreiben, wenn sie auf ihrer Homepage mitteilen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, darüber hinaus aber auch weiterführende Informationen liefern. Ersteres ist seit der Reform des Paragrafen im Jahr 2019 erlaubt, letzteres nicht.
Beim Verfahren gegen die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber hatten die Worte „medikamentös“ und „narkosefrei“ als solch eine zusätzliche Information für eine Verurteilung gereicht. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte im Revisionsverfahren gegen die Ärztin Kristina Hänel, dass nach der Reform des Paragrafen 219a solche sachlichen Informationen nicht mehr gestattet seien.